Warum du einer Gewerkschaft beitreten solltest
Bei Gewerkschaften denkst du an Trillerpfeifen und Metallarbeiter. Aber wer kämpft eigentlich für Start-up-Mitarbeiterinnen, AirBnB-Vermieter und YouTuber?
Arbeiterbewegung, Solidarität, Klassenkampf? Worte wie aus einer anderen Zeit. Ältere Herren, die in stickigen Büroräumen Runde um Runde minimal mehr Lohn verhandeln? So ziemlich das Gegenteil der
Ich habe Politikwissenschaft studiert, meine Freunde arbeiten als Journalisten, im Kulturbereich oder als Marketingexperten. Alle interessieren sich für Politik, alle kennen zumindest in groben Zügen die
Was passiert, wenn keine Arbeiter in Bewegung sind
Wie wichtig starke Gewerkschaften sind, wurde mir so richtig klar, als ich in den letzten Jahren aus Tschechien berichtet habe.
Mit Blick auf die Zahlen könnte man nämlich zunächst denken, der tschechischen Wirtschaft gehe es gut:
Dass sich daran bald etwas ändert, ist nicht abzusehen: Der Vorsitzende des Gewerkschafts-Dachverbandes, Josef Středula, sagte im Rahmen der Kampagne »Schluss mit der billigen Arbeit!«, dass das Lohnniveau, wenn es sich im selben Tempo weiterentwickelte, erst in 100 Jahren auf dem deutschen Stand ankommen würde.
Und damit sind wir schon beim Kern des Problems: Arbeitnehmer haben in Tschechien keine starke Lobby. Die Gewerkschaften sind historisch bedingt schwach und haben in der Gesellschaft
Die Arbeitgeber müssen sich aber ohnehin nicht allzu viele Sorgen darüber machen, dass es zu einer konfrontativen Auseinandersetzung um mehr Lohn oder Urlaubstage kommt – im Jahr 2013 waren
In Deutschland haben die Gewerkschaften mit einem
Wo stehen wir in Deutschland?
Die deutschen Gewerkschaften sind weniger stark, als man denkt. Seit der deutschen Einigung hat sich ihr Organisationsgrad halbiert. Diese Entwicklung konnte erst vor wenigen Jahren nahezu angehalten werden. Die Fähigkeit der Gewerkschaften, in Tarifverhandlungen gegenüber den Arbeitgebern gute Ergebnisse durchzusetzen, ist heute deutlich herabgesetzt.
Behrens beobachtet außerdem, dass es viele Branchen gibt, in denen
Menschen in »atypischen Beschäftigungsverhältnissen« – Minijobber, Teilzeitbeschäftigte,
Wen sollte man hier in die Pflicht nehmen? Den Staat, der andere Rahmenbedingungen schaffen muss? Die Gewerkschaften, die sich anders aufstellen müssen? Oder müssen wir – die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – lernen, uns auch mal gegen Widerstände durchzusetzen? Alles trifft zu, findet Behrens. Und hat für alle 3 Gruppen Lösungsvorschläge parat.
- »Der Staat ist gefordert, dass er die Gesetze, die es bereits gibt, auch durchsetzt. In Deutschland ist es verboten, die Gründung eines Betriebsrates zu be- oder verhindern. Trotzdem wird das massenhaft getan. Wir reden über ein massives Problem beim Gesetzesvollzug. Hier kann der Staat etwas tun.«
- »Die Gewerkschaften müssen besser werden und mehr tun, um Betriebsrats-Gründungen zu unterstützen.«
- »Beschäftigte wissen oft nicht, dass sie das Recht haben, einen Betriebsrat zu gründen, und kennen ihre Ansprüche nur unzureichend. Wir brauchen Aufklärung.«
Dass du Lohn bekommst, obwohl du krank bist, du dich in Deutschland mindestens 20 Tage im Jahr auf Betriebskosten erholen kannst und am Wochenende Zeit mit der Familie statt am Fließband verbringst, hast du den Gewerkschaften zu verdanken.
Du arbeitest gar nicht am Fließband, sondern tippst bis spät in die Tasten? Auch dann solltest du dir Gedanken machen, wie das im Einklang mit deinem Arbeitsvertrag steht – und ob du nicht ein
Ständige Erreichbarkeit ist nur einer von vielen Faktoren, die unsere Arbeitswelt verändern und auf die sich Gewerkschaften einstellen müssen, wenn sie in Zukunft effektiv für die Rechte von Arbeiterinnen und Angestellten kämpfen wollen. »Gewerkschaften haben lange Zeit Belegschafts-Strukturen der 1950er-Jahre repräsentiert«, sagt Behrens.
Der männliche Arbeiter im Großbetrieb war die Hauptzielgruppe. Doch er allein ist schon lange nicht mehr repräsentativ für unsere Arbeitswelt. »ver.di musste sich auf Frauen einstellen, die IG Metall musste lernen, wie man Hochqualifizierte, zum Beispiel Ingenieurinnen und Ingenieure, anspricht.«
Wer vertritt eigentlich die Dienstleister von Taxi-Apps wie Uber oder Menschen, die bei AirBnB ihre Wohnung zur Verfügung stellen?
Und ständig entstehen neue Modelle: Wer vertritt eigentlich die Dienstleister von Taxi-Apps wie Uber oder Menschen, die bei AirBnB ihre Wohnung zur Verfügung stellen und damit Arbeit erledigen, die sonst in Hotels anfällt? Auch private Vermieter müssen putzen, waschen –
Und auch wenn deutsche Löhne im EU-Vergleich relativ hoch sind: Es gibt
- Gewerkschaften verhandeln mit Arbeitgeber-Verbänden im Rahmen der
- Nur Gewerkschaften können zu Streiks aufrufen – das bei Weitem effektivste Mittel im Arbeitskampf. Für die ausgefallenen Arbeitstage gibt es bei ver.di, IG Metall und anderen Streikgeld.
Ohne Mitglieder fehlt den Gewerkschaften allerdings die Legitimation, für Arbeiter und Angestellte zu sprechen. In Deutschland werden Tarifverträge »gestreckt«, was bedeutet, dass von der Gewerkschaft verhandelte Tarife normalerweise für alle Beschäftigten eines Unternehmens gelten, nicht nur für die Gewerkschaftsmitglieder in der Belegschaft. Das macht es für ver.di und Co. nicht einfacher, Mitglieder zu werben. Martin Behrens von der Hans-Böckler-Stiftung findet es problematisch, wenn immer weniger Schultern die Gewerkschaftsarbeit stemmen müssen.
Für die Gewerkschaften sind Trittbrettfahrer ein Problem. Die Mitglieder schaffen durch ihre Beiträge, durch ihre Bereitschaft, Tarifverträge im Notfall auch mit Streiks zu erzwingen, ein Kollektivgut. Davon profitieren dann auch andere, die nichts dazu beitragen.
Was du für mehr Mitbestimmung tun kannst
- Finde die richtige Gewerkschaft! »Forschungsbefunde belegen, dass Betriebsräte ihre Aufgabe nur dann wirklich gut ausfüllen können, wenn sie in den Gewerkschaften eine starke überbetriebliche Unterstützung finden.« Gewerkschaften wiederum sind für die Arbeitgeber nur dann ein ernst zu nehmender Verhandlungspartner, wenn sie eine breite Mitgliederbasis haben.
- Bringe dich ein und zeige Solidarität! Nimm deine Rechte wahr, informiere andere über ihre und formuliere Forderungen, die eure Arbeit besser machen. Dafür stellen die Gewerkschaften Ressourcen bereit: ver.di bietet für seine Mitglieder beispielsweise Rechtsschutz sowie ein Bildungs- und Seminarprogramm. In Ortsgruppen kannst du dich mit anderen vernetzen, die ähnliche Anliegen haben.
- Schaue über den nationalen Tellerrand! Wenn VW-Arbeiter in Wolfsburg mit Streik drohen, macht das die Bosse nervös. Aber was wäre, wenn nicht nur in Deutschland, sondern auch in den VW-Werken in Tschechien oder der Slowakei die Bänder stillstünden? Instrumente zur Koordination gibt es bereits: die
Peter Dittmann ist eines der wenigen Gewerkschaftsmitglieder in meinem Bekanntenkreis. Er arbeitet im Berliner Büro eines Bundestagsabgeordneten und ist seit 2 Jahren Mitglied bei ver.di. Warum er eingetreten ist? »Unser Arbeitsleben ist von zunehmender Unsicherheit geprägt, Jobs von jungen Menschen sind fast nur noch befristet, es wird immer mehr Flexibilität gefordert. Gleichzeitig geraten die Löhne unter dem Argument der internationalen Konkurrenzfähigkeit immer mehr unter Druck. Damit die Interessen der Arbeitnehmer nicht unter die Räder kommen, braucht es starke Gewerkschaften«, schreibt er mir auf Facebook. Eben.
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