Das hilft wirklich gegen den Extremismus von rechts
Der deutsche Rechtsextremismus erlebt gerade eine beispiellose Reihe von Rückschlägen. Jetzt schalten sich auch Kirche und Verfassungsschutz ein. Entsteht hier das Rezept, das wirkt?
Es gehört zu unserer populistischen Gegenwart, dass viele Begriffe verschwimmen und umgedeutet werden. Ein zentraler Begriff sollte aber allen Deutschen 100% klar sein: Extremismus.
Das meint keine besonders scharfe und unbequeme Kritik an etwas. Es meint keine Ressentiments gegen bestimmte Teile der Gesellschaft oder »die« Politik. Es meint nicht einmal grundlegende Zweifel am System Demokratie oder dem Kapitalismus.
Was meint es dann?
Uneingeschränkte Toleranz führt mit Notwendigkeit zum Verschwinden der Toleranz. Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, wenn wir nicht bereit sind, eine tolerante Gesellschaftsordnung gegen die Angriffe der Intoleranz zu verteidigen, dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.
Kurz gesagt: Eine Demokratie muss Extremismus als Ultima Ratio auch bekämpfen, wenn sie überleben will. Wie schnell eine Demokratie abgeschafft werden kann, wissen wir in Deutschland nur zu gut.
Hier kommt die unschöne historische Rückblende:
Als die NSDAP im Jahr 1933 an die Macht kam – mit 33,1% der Stimmen und zunächst vom Koalitionspartner DNVP nicht ganz für voll genommen –, dauerte es nur knapp einen Monat bis zur Einschränkung der Presse-, Meinungs- und
Man muss diese Vergleiche ziehen, denn genau darum geht es, wenn Menschen dieser Tage über die AfD diskutieren, eine Partei, in der Rechtsextremismus in Deutschland ein neues politisches Zuhause gefunden hat und in der einzelne Mitglieder bereits öffentlich von der Abschaffung der Demokratie träumen.
Das glaubst du nicht?
Anfang Februar 2023 filmte in Potsdam ein ZDF-Fernsehteam die Rede des AfD-Landtagsabgeordneten Lars Hünich. Dabei sagte er wörtlich:
Wer diesen Extremismus belächelt, als inhaltslose »aggressive Rhetorik« abtut oder »Es wird schon nicht so kommen« denkt, begeht möglicherweise denselben Fehler wie die Deutschen vor rund 90 Jahren.
Viele Menschen wollen dieses Risiko nicht eingehen und protestieren seit Wochen öffentlich gegen die AfD.
Welche das sind, warum diese funktionieren und was noch fehlt, darum soll es in diesem Text gehen.
Die Kirche sagt: Extremismus ist nicht wählbar für Christ:innen
Die Proteste gegen rechts funktionieren deshalb, weil sie ein zentrales Narrativ der AfD infrage stellen: dass es in Deutschland eine schweigende Mehrheit gibt, die insgeheim mit der Partei sympathisiert. Dem erteilen Millionen Deutsche seit über einem Monat eine Absage –
Und noch jemand attackiert jetzt die Erzählungen der Rechten. Auftritt: Die Deutsche Bischofskonferenz. Bei ihrem Frühjahrstreffen in Augsburg diskutierte diese über Extremismus in Deutschland. In einer abschließenden Erklärung bekannten sie sich klar zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und erteilten der AfD eine unmissverständliche Absage:
Wir stellen heraus, dass rechtsextremistische Gesinnungen und Konzepte fundamental auf Ab- und Ausgrenzung ausgerichtet sind. Dabei wird die gleiche Würde aller Menschen entweder geleugnet oder relativiert. Ganz offenkundig steht diese Ideologie in scharfem Gegensatz zum christlichen Menschenbild, für das die Menschenwürde Ausgangs- und Zielpunkt darstellt.
Rechtsextreme Parteien und »solche, die am Rande dieser Ideologie wuchern« – die Bischöfe nennen dabei konkret die AfD –, könnten für Christ:innen daher kein Ort politischer Betätigung sein, so die obersten Religionswächter des katholischen Glaubens in Deutschland einstimmig. Und wer rassistisch oder antisemitisch daherrede, könne auch keinen Dienst in der katholischen Kirche tun – weder haupt- noch ehrenamtlich. Dass dies mehr als nur Worte sind, demonstrierte die katholische Kirche direkt danach, indem sie AfD-Abgeordnete vom jährlichen Michaelsempfang –
Diese Schärfe und Deutlichkeit sind ungewöhnlich. Es dürfte auch eine Lehre aus der Haltung der katholischen Kirche zur NS-Zeit sein, während der die Bischöfe zwischen Anpassung, Schweigen und vorsichtiger Opposition schwankten.
Die evangelische Kirche warnt schon länger vor der AfD. Die EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs bekräftigte dies nun erneut und nannte die Partei eine »Gefahr für die Demokratie«.
Die Reaktionen wirken panisch, denn das Verhältnis von Kirche und AfD ist angespannt und kompliziert. Namhafte AfDler:innen bekennen sich zum Christentum und werben mit dieser Identität um Anhänger:innen. Frei nach dem Motto: »Wir gehören zu den Guten.«
Wenn Politiker:innen und Journalist:innen von »inhaltlicher Entzauberung« reden, so haben die Bischöfe ihnen hier ein Beispiel geliefert, wie das gelingen kann.
Einen zweiten Rückschlag droht der AfD nun auf dem vielleicht wichtigsten Feld: bei der Gesamtbeurteilung durch den Verfassungsschutz, der schon einzelne Landesverbände für gesichert rechtsextrem erklärt hat.
Der Verfassungsschutz macht seinen Job
Um an die ersehnte Macht zu kommen und Deutschland nach den eigenen Ideen umzubauen, braucht die AfD politische Steigbügelhalter. Hier setzt das Konzept der »Brandmauer« ein, also das Versprechen, dass demokratische Parteien niemals einer extremistischen Partei zur Macht verhelfen, indem sie mit ihr koalieren. Doch genau diese Brandmauer ist in Deutschland brüchig, denn einzelne Politiker:innen verweisen immer wieder darauf, dass nicht die ganze AfD extremistisch sei.
Fakt: Die 3 Landesverbände der AfD in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie die AfD-Jugendorganisation »Junge Alternative« (JA) werden vom Verfassungsschutz als »gesichert rechtsextrem« eingestuft und beobachtet.
So etwa die ehemalige Linken-Politikerin und Parteigründerin Sarah Wagenknecht, die offenlässt, ob sie eine Zusammenarbeit mit der AfD ausschließt. Gegenüber der FR erklärte sie nun, sie werde »nicht mit Extremisten« zusammenarbeiten, doch Teile der AfD – wie etwa Alice Weidel – seien ja gar nicht extremistisch. »Viel wichtiger ist:
Letztes mag sogar stimmen. Doch es ist eine politische Nebelkerze, denn wirklich überprüfbar ist es nicht. Und Wagenknecht
Eine Partei ist eben nicht die Summe aus Einzelpersonen und Meinungen, sondern ein Machtgefüge, das sich ständig verändert. Die AfD radikalisiert sich fortschreitend, getrieben durch den von Björn Höcke angeführten ethnisch-völkischen Flügel der Partei. Das stellen Beobachter:innen der AfD seit Jahren fest. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) prophezeit: »Wir spüren, dass da mittlerweile ein verdeckter Krieg
Das könnte auch der Verfassungsschutz so sehen. Denn anders als die gesichert rechtsextremistischen Landesverbände Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen läuft die AfD insgesamt bisher nur als sogenannter »Verdachtsfall«. Ein Verdacht muss aber nicht zutreffen – und so kann die Partei genau das Narrativ bedienen, für das sich auch Sarah Wagenknecht entschieden und damit die Brandmauer untergraben hat: Es gebe eben noch Teile der Partei, mit denen man politisch arbeiten könne.
Laut Berichten der Süddeutschen Zeitung könnte dieses Feigenblatt demnächst passé sein. Denn ein Team des Bundesamts für Verfassungsschutz arbeitet laut Bericht der Journalist:innen seit mehreren Monaten an einem neuen Gutachten zur ganzen AfD – nur noch ein Urteil des
Damit wäre das Narrativ der »guten« und »bösen« Landesverbände vom Tisch. Es wäre die Klarheit, die sich viele Menschen in der Diskussion um ein AfD-Verbotsverfahren wünschen. Und die Einstufung hätte noch eine Konsequenz:
Auch für AfD-Funktionär:innen könnte das Ganze Konsequenzen haben. »Es kann jetzt bei Beamt:innen individuelle Prüfungen auf Verfassungstreue geben«, erklärt Anwalt Chan-jo Jun auf Youtube. So könnten einem Mitglied der AfD im Beamtendienst etwa Disziplinarmaßnahmen oder gar die Entlassung drohen. Auch für Angestellte könnte es bedeuten, dass ein engagiertes Eintreten für die AfD als Kündigungsgrund anerkannt würde.
Jun erwartet viele Gerichtsverfahren. Doch der Jurist hofft, dass allein die möglichen Konsequenzen manche Anhänger:innen zum Umdenken bewegen:
Das Urteil der Bischöfe und die Einstufung des Verfassungsschutzes der AfD als rechtsextrem könnten der Doppel-Wumms gegen den parlamentarischen Arm des deutschen Rechtsextremismus werden, den es braucht. Und vielleicht ist Deutschland tatsächlich gerade dabei, Maßnahmen gegen diese Form des Extremismus zu erarbeiten, die bisher keinem anderen Land gelungen sind.
Ideologische Wurzeln austrocknen
Nur die AfD als Problem anzusehen, greift viel zu kurz – das wissen alle Extremismus-Expert:innen. Extremismus erschöpft sich nicht in politischer Arbeit, sondern schlägt seine Wurzeln auf vielen Wegen tief in unsere Gesellschaft und bildet ein Ökosystem aus Akteuren, Ideen und Einfluss. Es ist im Kern eine gefährliche Ideologie, die man nicht mit einer symbolischen Geste oder einem Verbot bezwingt. Doch es regt sich etwas, auch auf anderen Ebenen:
Das rechtsextreme Magazin Compact fliegt aus vielen Bahnhofskiosks
Das Heftchen mit schwarzem Cover und rotem C fand man bisher an vielen Kiosks und Bahnhöfen. Der Name verspricht Freiheit und dürfte für viele Deutsche Einstieg in rechtes Gedankengut gewesen sein. Doch »Compact –
Tiktok sperrt den rechten Verschwörungspodcast Hoss & Hopf
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Immer mehr Wirtschaftsunternehmen sprechen von Rechtsextremismus als »Standortrisiko«
Die letzte gute Nachricht kommt aus der Wirtschaft. Denn dort stellen sich immer mehr Unternehmen gegen Rechtsextremismus. Die AfD halten immer mehr Unternehmen, die sich sonst nicht gern parteipolitisch äußern, für ein Standortrisiko.
Das alles zeigt: Der Wind hat sich gegen Rechtsextremismus gedreht.
Dass die AfD radikal, extremistisch, unchristlich sowie ein wirtschaftliches Risiko ist und deren Unterstützer ideologische Brandstifter sind, dürfte spätestens jetzt klar sein. Eine Neubewertung des Verfassungsschutzes könnte ihnen das letzte Feigenblatt nehmen. Die beispiellosen Massenproteste zeigen: Die Chancen stehen gut, dass Deutschland die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholt.
Die NSDAP hatte damals weniger Gegenwind.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily