Prepper sind nur paranoide Spinner? Von wegen! Warum wir ihrem Beispiel folgen sollten
Sich für den Ernstfall zu wappnen, hat für Pär Plüschke wenig mit Bunkern, Waffen und Misstrauen gegenüber seinen Mitmenschen zu tun. Für den schwedischen Prepper geht es dabei um etwas anderes: Solidarität.
Eigentlich besteht Pär Plüschkes Job darin, mit Kindern und Jugendlichen Insekten zu suchen. Oder Vögel durch Ferngläser zu beobachten, um zu lernen, wie die Tiere durch den Winter kommen. Inzwischen ist er aber auch zu so etwas wie dem Aushängeschild für »solidarisches Preppen« geworden. Der Sozialpädagoge wohnt in einem Vorort von Stockholm und hat den Begriff in Schweden und darüber hinaus populär gemacht. Er hält Vorträge und Workshops, tritt in Fernsehsendungen auf und hat dafür nun seine Arbeitszeit an einer Naturschule reduziert. Was hat es damit auf sich?
Seinen Anfang genommen hat das Ganze bereits 2012, erzählt er im Videointerview. Damals hat er aus erster Hand erfahren, wie seine Nachbarschaft nach einem Großbrand in einem Mehrfamilienhaus zusammenhielt. Die Feuerwehr löschte den Brand, die Behörden stellten Notfallwohnungen zur Verfügung. Doch die rund 200 betroffenen Menschen standen ohne Kleidung für ihre Kinder, ohne Asthma-Spray oder Hygieneartikel da.
Nach nur einem Tag war das Gemeindezentrum, in dem unkomplizierte und direkte Unterstützung organisiert werden sollte, überflutet von Kleidung, Geld und Freiwilligen. »Das war sehr inspirierend«, sagt Plüschke. Nach diesem Erlebnis habe er sich mehr und mehr damit beschäftigt, wie Menschen mit Katastrophen umgehen – und wie sie sich solidarisch darauf vorbereiten können.
Richtig los ging es aber erst 2018: Nach einem Sommer mit schweren Waldbränden verschickte die schwedische Regierung ein Handbuch per Post an alle Haushalte. Darin wurde erklärt, was für den Notfall alles zu Hause vorhanden sein sollte: ein Vorrat an Wasser und Essen für mindestens 10 Tage, Medikamente, warme Kleidung, ein batteriebetriebenes Radio, um Informationen von Behörden erhalten zu können. Pär Plüschke wollte sich über dieses Handbuch austauschen, suchte über soziale Netzwerke nach anderen Interessierten und gründete die Gruppe »Preppa Tillsammans« (auf Deutsch: »Preppt zusammen« oder »Bereitet euch zusammen vor«).
Preppa Tillsammans geht davon aus, dass Krisen eintreffen. Krisen gehören zum Leben und zum Alltag dazu. Durch den Klimawandel und seine Folgen werden sie nicht weniger. Das weckt existenzielle Fragen: Wer möchte ich in einer Krise sein und wer möchten wir zusammen sein? Wie können wir einander beistehen, wenn etwas passiert? Unsere Antwort: Wir möchten dem lieber organisiert und einigermaßen vorbereitet entgegentreten als alleine und unvorbereitet.
Private Krisenvorsorge in Deutschland: mangelhaft
Laut der
Einer kürzlich vom
Vor diesem Hintergrund gilt nach wie vor: Die Erwärmung muss so gut wie möglich
Doch jede noch so gute Empfehlung nützt wenig, wenn sie nicht umgesetzt wird. Nur 30% der Bevölkerung hierzulande haben die empfohlene Menge an Trinkwasser und Lebensmitteln zu Hause,
Warum sind viele Menschen so schlecht vorbereitet?
Mehr als nur Einzelfälle: Die deutsche Prepperszene hat ein Problem mit Rechtsextremismus
Das hat wahrscheinlich mehrere Gründe. So erreichen die Informationen und Empfehlung des BBK sicher nicht die gesamte Bevölkerung. Hinzu kommt, dass der Mensch nicht von Natur aus gut darin ist, Risiken richtig einzuschätzen. So führen
Ein anderer Grund könnte das negative Bild sein, das dem Preppen und damit indirekt der Krisenvorsorge anhaftet.
Preppen leitet sich vom englischen Wort prepare ab und bedeutet eigentlich nur »sich vorbereiten«. Der Begriff ist seit Anfang der 2000er-Jahre geläufig und gewann vor allem in der Zeit nach der Finanzkrise 2008 an Popularität.
In den vergangenen Jahren machten in Deutschland ebenfalls mehrfach
Durch die Coronapandemie und die Querdenken-Bewegung kam dann noch mal eine ganz neue Gruppe Menschen mit dem Preppen in Berührung.
Geht Preppen also automatisch mit verschwörungsideologischem oder rechtsextremem Gedankengut einher?
Männlich, 40, Mittelschicht: Preppen als Lifestyle
Wie so oft lasse sich das nicht pauschalisieren, meint Julian Genner. Er ist empirischer Kulturwissenschaftler und forscht seit 2017 zu Preppern in Deutschland. Mit rund 100 von ihnen hat er in den letzten Jahren gesprochen, mit manchen in ausführlichen Interviews, ist selbst zu einigen Treffen gefahren und hat bei Überlebenstrainings mitgemacht. Dort begegnetem ihm überwiegend Männer, um die 40, häufig Väter. »Die meisten meiner Gesprächspartner ordnen sich sowohl sozial als auch politisch der Mitte zu«, erzählt er im Videointerview. Preppen sei bei ihnen Ausdruck davon, sich gegen einen möglichen Abstieg absichern zu wollen. Es gehe um das Gefühl, etwas tun zu können.
Mit der Vorratshaltung, wie sie die eigenen Großeltern betrieben haben und die Prepper gern als Vorbild anführen, hat das für Julian Genner allerdings wenig zu tun: »Vorräte anzulegen war damals nicht optional, sondern es gehörte zur alltäglichen Lebensführung. Vor 50 Jahren hatte der Supermarkt abends nicht bis 10 Uhr offen. Meine Großmutter hat noch selbst Joghurt gemacht, im Garten geackert und Tomaten für den Winter eingelegt – und sie war froh, als sie das alles nicht mehr musste.« Für Genner ist Preppen eher ein Lifestyle oder gar ein Hobby.
Wir leben in einer Überflussgesellschaft, in der nur wenige Leute ums Überleben kämpfen müssen. Trotzdem beschäftigen wir uns exzessiv damit. Aber der Überlebenskampf, den man in apokalyptischen Serien wie The Walking Dead oder in Reality-Formaten wie 7 vs. Wild sieht und auf den sich viele Prepper vorbereiten, hat nichts mit der Realität von Menschen zu tun, die auf der Flucht sind; die in einer Erdbebenkatastrophe in Pakistan ihr Haus verloren haben; die im Kongo in einem Bürgerkriegsgebiet leben oder die im Libanon in einem zerbröselnden staatlichen System leben.
Bei den Preppern, mit denen er gesprochen hat, gehe es immer um einen spektakulären Zusammenbruch der Gesellschaft, beispielweise
In diese Vorstellung passen Szenarien wie beispielsweise Corona oder der Klimawandel allerdings nicht hinein – denn beides sind Krisen, in denen keine plötzliche, sondern eine graduelle Veränderung stattfindet, und die nur gesellschaftlich angegangen werden können. Kein Wunder also, dass seine Gesprächspartner die Klimakrise nicht wirklich als Bedrohung ansehen.
Ganz zentral sei laut Genner bei vielen Preppern der Verdacht, dass nicht nur Behörden im Zweifelsfall versagten und man auf sich allein gestellt sei, sondern dass die anderen, unvorbereiteten Menschen zu Plünderern mutierten. Als würde es nach einer Katastrophe automatisch jede:r gegen jede:n gehen.
Krisen können das Beste im Menschen hervorholen
Dieses Menschenbild hält der Realität allerdings nicht stand. Am Mythos, dass Menschen in Notsituationen ausschließlich egoistisch handeln, ist nicht viel dran. Ja, es gibt diejenigen, die nach einer Katastrophe nur auf sich selbst schauen. Aber der größere Teil der Menschen hilft anderen, so gut es geht.
Forschende der Universität Sussex und Brighton analysierten beispielsweise nach den
Beispiele wie diese finden sich überall auf der Welt: Sei es nach dem Tsunami im Indischen Ozean 2004, dem Hurrikan Katrina in New Orleans 2005 oder der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021. In ihrem Buch »A Paradise Built in Hell« sammelt die US-amerikanische
Über die Frage, wie wir die Erfahrungen nach Krisen in den Alltag retten, kannst du hier einen ganzen Essay von Juliane Metzker aus dem Jahr 2020 lesen:
»Wir brauchen keine verängstigten Menschen – wir brauchen vorbereitete Menschen«
Womit wir wieder bei Pär Plüschke wären. Schreckt die Bezeichnung »solidarisches Preppen« die Menschen nicht trotzdem ab, eben weil sie so negativ vorbelastet ist? »Solidarisches Preppen klingt für viele Leute wie ein Oxymoron, weil die beiden Sachen auf den ersten Blick nicht zusammenpassen. Tatsächlich macht es der Begriff leichter, darüber zu diskutieren. Natürlich könnten wir es auch ›gemeinsame Krisenbereitschaft‹ oder Ähnliches nennen. Aber das ist nicht sehr sexy und weckt wenig Interesse, oder?«, schmunzelt der Sozialpädagoge.
Er ist zu Gast in Fernsehsendungen, demnächst hält er einen Vortrag für das Rote Kreuz,
Empfehlungen wie in der Broschüre der schwedischen Regierung oder wie sie das BBK gibt, hält er für sinnvoll: »Im weitesten Sinne ist auch Preppen an sich solidarisch. Denn je besser du vorbereitet bist und auf dich selbst aufpassen kannst, desto mehr können sich Behörden und Co. in einem Notfall um diejenigen kümmern, die nicht dazu in der Lage sind.« Sei es, weil sie älter sind, krank sind oder schlicht nicht die finanziellen oder räumlichen Möglichkeiten dazu haben, Vorräte anzulegen.
Seit den ersten Treffen von Preppa Tillsammans 2018 hat sich einiges in Schweden verändert. Das politische Klima ist rauer geworden: Das Land hat inzwischen die zweithöchste Rate an Schusswaffengewalt in Europa,
Seit Januar gebe es die Anweisung, dass sich die Schwed:innen auf einen Krieg vorbereiten sollen, erzählt Plüschke. »Das hat sehr vielen Leuten große Angst gemacht – was ich sehr kontraproduktiv finde. Wir brauchen keine verängstigten Menschen, wir brauchen vorbereitete Menschen. Und die Gefahr eines Krieges ist auch nicht wirklich größer geworden.«
Vorbereitet zu sein – individuell und in der Gruppe –, ist ein bisschen wie den Sicherheitsgurt anzulegen, wenn du ins Auto steigst. Du machst es nicht, weil du akut Angst hast, sicher einen Unfall zu bauen.
Bei Schussverletzungen entscheiden 5 Minuten über Leben und Tod
Für welche Krisen ist Plüschke denn konkret vorbereitet? Oder um im Bild zu bleiben: Welche Sicherheitsgurte hält er für sinnvoll? Dafür gebe es keine einheitliche Antwort, die für alle Menschen passe. Denn wie wahrscheinlich ein bestimmtes Katastrophenereignis und wie vulnerabel man ist, hängt maßgeblich davon ab, wo und wie man wohnt. Und diese Rahmenbedingungen können sich immer wieder ändern.
So hätte vor ein paar Jahrzehnten wohl niemand geglaubt, dass im Vorzeigeland Schweden einmal
Vor 2 Jahren war er als Erster vor Ort, als ein junger Mann in der Nähe seiner Wohnung erschossen wurde. Er setzte sich zu ihm und rief den Notruf, doch der junge Mann starb, bevor die Rettungskräfte eintrafen.
Eine Woche später arrangierte er auf Wunsch der Freund:innen des Verstorbenen einen Workshop mit einer Trauma-Krankenschwester. Sie brachte ihnen bei, wie man die Blutung bei einer Schussverletzung stoppt. »Das war eine heilende Erfahrung: etwas Bedeutungsvolles aus einem so sinnlosen Tod zu machen«, sagt Plüschke. Danach hat er sich selbst zu einem sogenannten »Stop the Bleed«-Instrukteur ausbilden lassen und gibt nun auch dazu regelmäßig Workshops. Gemeinsam mit anderen hat er dafür den Verein
Zulauf bekämen sie von ganz unterschiedlichen Menschen: 15-Jährige, deren Freund:innen schon einmal angeschossen wurden; Mitarbeiter:innen von Kirchen, Unternehmen und Restaurants; Eltern.
Menschen kommen zu unseren Workshops, um dazu beizutragen, die Gegend sicherer zu machen. Indem wir einander als Alliierte sehen. Nach dem Motto: Wenn dir etwas passiert, werde ich dir zu Hilfe kommen. Wenn mir was passiert, dann kommst du mir zu Hilfe.
Erst kommt die Beziehung, dann das Preppen
Dieser Blick auf Gemeinschaft und das Aufpassen aufeinander ist die vielleicht wichtigste Säule beim solidarischen Preppen. Habe ich ein vertrauensvolles Verhältnis zu meinen Nachbar:innen? Weiß ich überhaupt, wer hinter der Tür gegenüber lebt? Welche Bedürfnisse gibt es in meiner Nachbarschaft, in meinem Viertel? Welche Fähigkeiten kann ich im Notfall einbringen?
Der Politikwissenschaftler und Direktor der Security and Resilience Studies an der US-amerikanischen Northeastern Universität, Daniel Aldrich, bricht es beim
Wie kann das in der Praxis aussehen? Wo doch vor allem in Städten viele ihre Nachbar:innen – wenn überhaupt – nur flüchtig kennen und
Anruf bei Milena Glimbovski. Die Unternehmerin gründete unter anderem den Berliner Unverpacktladen »Original Unverpackt« sowie den Verlag hinter dem Achtsamkeitskalender »Ein Guter Plan«. Schon seit Jahren beschäftigt sie sich mit der Klimakrise, ist aktivistisch unterwegs. Im vergangenen Jahr erschien
Preppen sei für sie kein Lifestyle, kein Lebensinhalt, kein Hobby. »Ich habe die empfohlenen Vorräte und Co. zu Hause, weil ich es als vernünftig und sinnvoll ansehe.« Sie wünscht sich, dass mehr Menschen über das Thema sprechen, es normalisieren und sich – mit den direkten Nachbar:innen, im Viertel oder im Stadtteil – bei der Vorbereitung zusammentun. Wie fängt man das am besten an?
Glimbovski selbst ist in den letzten 4 Jahren 3-mal umgezogen und hat jedes Mal nach einer gewissen Zeit Kontakt gefunden und Freundschaften vor Ort aufgebaut. Ihrer Erfahrung nach geht es nicht bloß darum, übers Preppen zu sprechen, sondern zunächst einfach Beziehungen aufzubauen. Das braucht Zeit. Was viele aber unterschätzen würden: dass man Leute kennenlernen kann, indem man um Hilfe bittet oder Hilfe anbietet.
Wenn die Beziehung aufgebaut ist, kann ich im zweiten Schritt ansprechen, dass ich mich mit Krisenvorsorge beschäftige. Erzählen, dass ich es wichtig finde, sich zu informieren und vorzubereiten. Fragen: Wisst ihr, in was für einer Gegend wir wohnen?
Mit den Menschen im eigenen Umfeld in Kontakt zu treten und ein freundliches Miteinander zu schaffen, macht Nachbarschaften aber nicht nur in Krisen resilienter. Gemeinschaft kann Solidarität in allen Lebensbereichen schaffen.
In einem zweiten Artikel zur Krisenvorsorge wird es noch einmal konkreter darum gehen, was du für den Notfall zu Hause haben solltest, was du nicht brauchst und wie du Schritt für Schritt vorgehst.
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily