Ist das wirklich »smart«?
Du schaust jeden Tag durchschnittlich 150 Minuten auf dein Smartphone. Nimm dir 9 Minuten Zeit, darüber nachzudenken, was das mit dir macht!
Fortschritt geht schnell – manchmal zu schnell. Um das zu verdeutlichen, beantworte dir ehrlich eine einfache Frage: Was ist das Letzte, was du abends aus der Hand legst, und das Erste, was du nach dem Aufwachen anfasst?
Wahrscheinlich nennst du als Antwort einen Gegenstand, den es vor 12 Jahren noch gar nicht gab und ohne den sich viele Menschen heute verloren fühlen: das Smartphone. Gleichzeitig fragen sich immer mehr Menschen, wann der kleine Mini-Computer im Hosentaschenformat wirklich unser Leben bereichert und wann er uns nur Zeit stiehlt oder ablenkt.
Vielleicht ist »für oder gegen das Smartphone« aber die falsche Formulierung. In diesem Text geht es nicht darum, sich dafür oder dagegen zu entscheiden, sondern das Smartphone so zu nutzen, dass es seinem Namen gerecht wird – also »smart«.
1. Das macht das Smartphone mit dir
»Jetzt wirst du mir sicher einige schreckliche Fakten über Smartphones erzählen, richtig?«
Beginnen wir mit etwas Lustigem, dem weltweiten Phänomen von Passanten, die beim Spazierengehen auf ihr Smartphone starren und dabei fast gegen Fahrräder oder Laternenpfähle laufen. Es gibt sogar einen Begriff dafür, der im Jahr 2015 zum deutschen Jugendwort des Jahres gewählt wurde:
In London gab es deshalb kurzzeitig gepolsterte Laternenpfähle, um achtlose Smartphone-Nutzer vor Unfällen zu schützen.
Das Ganze war allerdings nur eine
Eine noch kuriosere Aktion gab es im Jahr 2014 in China in der Millionenstadt Chongqing. Dort wurde
»Das trifft auf mich nicht zu. Ich mache so etwas nicht.«
Auch der Smartphone-Gehweg war kein ernst gemeinter Stadtplanungs-Vorschlag, sondern sollte nur auf
Die Risiken sind bekannt. Da muss man sich schon die Frage stellen, ob wir noch die volle Kontrolle über unsere Smartphone-Nutzung haben. Wie häufig interagierst du etwa pro Tag mit deinem Smartphone?
»Ich schaue pro Tag höchstens 5–10 Mal auf mein Smartphone, denke ich.«
Der deutsche Durchschnitt liegt bei 53 Mal. Die Zahl stammt aus der vielbeachteten, noch laufenden
Die Lage ist also ernst. Während das Smartphone mit all seinen Reizen immer mehr Lebensbereiche erobert, holt die Forschung langsam auf und Psychologen erforschen, was die tägliche Smartphone-Nutzung mit uns anstellt. Dabei entdecken sie die Schattenseiten der mobilen Digitalisierung. Wir sind nun mal die ersten Menschen in der Geschichte unserer Spezies, die ganz selbstverständlich so ein Gerät in der Tasche haben und damit jederzeit mit dem Internet verbunden sind – ein
2. Ist das wirklich »smart«, was du da machst?
»Bei so vielen unterschiedlichen, nützlichen Apps verbringt man ganz logisch viel Zeit mit dem Smartphone.«
Heute ist es für viele Menschen völlig normal geworden, das Smartphone überall zu nutzen – im Bus, im Bett und sogar auf der
Navigationssysteme, Fahrplan-Apps, Nachschlagewerke wie Wikipedia, die Kamera für jede Gelegenheit und die eingebaute Taschenlampe – alles nützlich, keine Frage. Sie jederzeit dabei zu haben, gibt uns ein gutes Gefühl. Wir sind auf alles vorbereitet.
Durchschnittlich verbringen wir 2–3 Stunden pro Tag mit unseren Apps. Doch am häufigsten nutzen wir dabei nicht smarte Lösungen, um den Weg nach Hause zu finden oder Dinge nachzuschlagen, sondern lassen uns unterhalten.
»Ich brauche meine sozialen Apps, um in Kontakt zu bleiben und informiert zu sein!«
Also soziale Medien, Sofortkommunikation und Internet-Fernsehen. Dazurechnen müssen wir noch die Gesamtzahl aller digitalen Spiele, die zusammen locker unter die Top 4 kommen. Dass sie so beliebt sind und so viel Zeit verbrauchen, hat aber weniger mit der Qualität der Inhalte zu tun. Fast alle erfolgreichen Apps nutzen folgende 3 Techniken, um unsere Aufmerksamkeit zu gewinnen und zu halten:
- Instant Gratification: Wenn du lieber einen Kinotrailer oder ein Katzenbild anklickst, als deine tägliche Arbeit zu erledigen, dann geht es um
- Gamification: In den beliebtesten Smartphone-Apps erhältst du spielerisch direktes Feedback für deine Handlungen – Smileys, Daumen hoch. Das belohnt die eigene Handlung, befriedigt unser Bedürfnis nach Bestätigung und weckt spielerisch den Wettbewerbsgedanken.
- Infinity Apps: Erfolgreiche Apps schaffen ihre Inhalte nicht selbst, sie verwalten nur die Inhalte, die die Nutzer selbst beitragen. Damit bieten sie nahezu
3. Das Märchen vom Multitasking
»Ich nutze mein Smartphone meist nur nebenbei.«
Dass wir unser Smartphone jederzeit dabeihaben, ermöglicht uns, es jederzeit aus der Tasche zu ziehen und andere Aktivitäten zu begleiten. So können wir immer und überall die neuesten Updates einsehen und erreichbar sein. Smartphone beim Spazierengehen, Smartphone beim Baden, Smartphone beim Familienbesuch.
Doch effektives Multitasking ist ein Mythos. Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften zeigen: Unser Gehirn kann die Aufmerksamkeit effektiv nur auf eine Aufgabe fokussieren.
Apropos Aufmerksamkeit: Kannst du zählen, wie häufig die Bälle bei diesem Spiel zwischen den weiß angezogenen Spielern hin- und hergepasst werden? Wenn du die Lösung hast, klicke
Anders formuliert: Wenn wir unsere Aufmerksamkeit ganz auf eine Sache lenken, verpassen wir alles andere.
Aber wie wichtig kann die Information einer solchen Push-Nachricht schon sein? Und könnte sie nicht auch warten?
Die Antwort lautet meist »nein«. Denn Push-Nachrichten machen noch etwas anderes mit uns: Sie etablieren Gewohnheiten. Bald schauen wir ganz automatisch nach, ob das Smartphone gerade
4. Weißt du eigentlich, was du verpasst?
»Ich nutze das Smartphone nur, wenn ich gerade nichts anderes zu tun habe.«
Die Smombies vermehren sich schnell: Auch auf Familienfeiern und beim Treffen mit Freunden wird ständig auf das Smartphone gestarrt oder einander mal »schnell was auf Youtube« gezeigt. Und plötzlich sitzen alle mit ihren Geräten da und sind nicht mehr zu 100% beim eigentlichen Anlass – ganz wie die Multitasking-Forschung belegt.
Auch auf andere Menschen können wir uns nur voll und ganz einlassen, wenn wir nicht parallel auf einen Mini-Bildschirm tippen. Dazu passiert das echte Leben in Echtzeit – alles Digitale ist auch später
»Ich will ja gar nicht draufschauen. Aber wenn einer damit anfängt, dann darf ich doch wohl auch!«
Schlimmer noch: Hier kommt eine neue Gruppendynamik ins Spiel. Jeder ist immer online. Zückt der eine das Smartphone, werden alle anderen daran erinnert und ziehen ebenfalls ihr Gerät aus der Tasche und verabschieden sich damit geistig vom Gespräch. Das wiederum zwingt die anderen, darauf zu warten, bis das Gegenüber wieder teilnehmen möchte. Kommunikation wird so zu einem bruchstückhaften Wartespiel.
5. Niemand will, dass du dein Smartphone wegwirfst
»Ich lass mein Smartphone trotzdem nicht daheim!«
All diese Forschungsergebnisse gehören zur Schattenseite der Digitalisierung. Doch es geht nicht darum, nun das Smartphone nie wieder anzuschalten. Bei der »smarten« Nutzung geht es nicht darum, wieder mit einer Straßenkarte aus Papier im Rucksack herumlaufen und Telefonzellen aufsuchen zu müssen. Wir müssen auch keine radikale Digital-Diät machen oder einen Monat lang ohne Bildschirm leben, um uns etwas zu beweisen. Es geht nicht darum, dir ein schlechtes Gewissen einzureden, wie du dein Smartphone nutzt. Immerhin hast du auf diesen Artikel geklickt, weil du kritisch mit deinem eigenen Konsum umgehen wolltest.
Stattdessen sollten wir das Smartphone als das begreifen, was es ist: ein nützlicher Gegenstand mit enorm vielen Funktionen – den wir gezielt nutzen können. Basierend auf den Studienergebnissen, können dir die folgenden 5 Tipps dabei helfen, eine neue Perspektive auf deinen Taschencomputer zu bekommen und einen Umgang mit ihm zu finden, mit dem du am Ende vielleicht zufriedener bist:
- Der Smartphone-Plan: Wir nutzen unser Smartphone kaum für smarte Apps. Um dir dein Verhalten klarzumachen, schreib in 3 kurzen Stichworten auf, was du an einem Smartphone nützlich findest und was du damit gern machst. Dann gehe damit deine tatsächlich installierten Apps durch – was nicht passt, ist ein guter Kandidat zum Deinstallieren.
- Nutzungs-Check: Smartphones verleiten uns dazu, dass wir uns mit ihnen beschäftigen. Überprüfe dich selbst, wie sehr du mittlerweile daran gewöhnt bist. Schalte das Smartphone für einen Abend aus (schau auch nicht auf einen anderen Bildschirm und leg das Smartphone außerhalb deiner Sichtweite ab). Zähle dabei, wie häufig du währenddessen an dein Smartphone denkst.
- Inhalte-Check: Erfolgreiche Apps locken mit Gamification und Instant Gratification, haben aber selten wirklich interessante Inhalte. Schaue dir etwa die letzten 10 Posts bei sozialen Medien oder in einem Gruppen-Chat deines Messengers an. Wie viele davon enthielten Informationen, auf die du wirklich nicht verzichten könntest?
- Push-Nachrichten verbannen: Vor allem Push-Nachrichten lenken uns ab und fragmentieren unsere Aufmerksamkeit. Versuch sie mal für eine Woche ganz auszuschalten. Jede App hat so eine Funktion, manchmal gut im Menü versteckt. Dann verbanne alle Apps mit
- Smartphone-freie Zonen ausrufen: Manche Räume sind nicht für Smartphones geeignet, etwa das Steuer eines Autos oder eine Party mit Freunden. Definiere für dich solche Zonen und sprich sie mit Familienmitgliedern und Mitbewohnern ab. Vielleicht ist zu Hause der beste Platz für das Smartphone nicht der Nachttisch, sondern ein »Parkplatz« außerhalb des Schlafzimmers.
Und versuche heute Abend vor dem Schlafengehen mal, etwas anderes als dein Smartphone in der Hand zu haben.
Titelbild: Clem Onojeghuo - CC0 1.0