Lösungen aus Afrika: elektrisch mobil ohne E-Autos
Auch Länder wie Kenia müssen CO2 einsparen. Findige Gründer nutzen hier günstigen erneuerbaren Strom, um voranzukommen. Davon profitiert nicht nur die Umwelt.
In der Rushhour am Nachmittag ist Nairobi genauso verstopft wie jede andere boomende Metropole des Globalen Südens: Auf dem Uhuru Highway stehen die Autos Stoßstange an Stoßstange. Meine einzige Möglichkeit, trotzdem halbwegs schnell ins Regierungsviertel zu kommen, ist ein Boda-Boda, also ein Motorradtaxi. Routiniert schlängelt sich mein Fahrer zwischen den Spuren hin und her, für ein paar Meter auf den Bürgersteig, dann wieder von ganz links nach ganz rechts. Ich ziehe unwillkürlich die Beine an, wenn es eng wird, und atme sowieso so wenig wie möglich, weil die Luft von alten und schadstoffausstoßenden Motoren verpestet wird.
Mein Boda-Boda nutzt nicht nur den knappen Platz auf der verstopften Straße effizient, es ist dabei auch noch eine wohltuend emissionsfreie Ausnahme: Statt Tank und Verbrennungsmotor verfügt es über Batterie und Elektromotor. In Nairobi kann man solche Elektro-Bodas bequem über die App eines weltweit tätigen und sehr bekannten Fahrdienstleisters buchen – und zwar sogar billiger als Benzin-Bodas. Denn während die Benzinpreise auch in Kenia den Steigerungen des Weltmarkts der letzten Jahre ausgeliefert sind, produziert das ostafrikanische Land jede Menge Strom aus
Auch wenn sie im qualmenden und stinkenden Berufsverkehr noch ein Nischendasein fristet: Elektromobilität ist in Ostafrikas Städten längst angekommen und ergibt dort nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch Sinn. Das ist auch Start-ups zu verdanken, die eigene afrikanische Lösungen entwickelt und zur Marktreife gebracht haben. Zwar braucht es Zeit, die Fahrzeugflotten ganzer Länder auszutauschen – aber auf den Straßen Nairobis habe ich gelernt: Die Zukunft gehört den Elektrischen. Experten auf dem Kontinent beobachten einen großen Trend – nicht in Richtung E-Autos, sondern hin zu kleineren Fahrzeugen.
Ökologisch und ökonomisch sinnvoll
Ein Samstagvormittag in Westlands, einem Shopping- und Büroviertel unweit des Zentrums der kenianischen Hauptstadt. Geräuschlos fährt Thomas Omao mit seinem Elektro-Motorrad auf den Parkplatz vor einer internationalen Pizza-Kette. Über dem Nadelstreifensakko trägt er eine leuchtend gelbe Warnweste, darunter einen Brustpanzer aus schwarzem Plastik, der ihn im Falle eines Crashs schützen soll. Omao war für die Sicherheit bei einer großen Entwicklungsbank zuständig, bis er Mitte 2023 das Motorrad kaufte.
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»Das hat meiner persönlichen Entwicklung einen großen Schub gegeben«, resümiert Omao: »Seitdem kann ich etwas Geld beiseitelegen.« Im Januar hatte er sogar genügend Geld zusammen, um ein zweites elektrisches Boda-Boda zu kaufen – so konnte er einen Freund anstellen, der nun genau wie Omao selbst Essen ausliefert.
Für Thomas Omao sind die elektrischen Motorräder nicht nur leichter zu fahren, sondern auch wesentlich kosteneffizienter als die Benzin-Variante: »Ich zahle 400 Kenya-Shilling (zur Zeit knapp 2,60 Euro) am Tag fürs Laden, das ist extrem günstig. Ein Freund von mir fährt ein Boda-Boda mit Benzin – er gibt 1.000 Shilling am Tag fürs Tanken aus. Du kannst dir also ausrechnen, wie viel ich im Vergleich zu ihm beiseitelegen kann.«
Wechselbatterien gegen Reichweitenangst
Omao nutzt dabei einen Dienstleister, der Ladestationen in der gesamten Stadt betreibt. Um das Prinzip zu demonstrieren, entriegelt er mit einem routinierten Handgriff die Batterie unterhalb des Motorradlenkers und zieht sie heraus. Zum Vorschein kommt ein länglicher schwarzer Quader mit Griff. Er trägt die Batterie zu einem weißen Spind mit Türen direkt neben der Pizza-Filiale, ähnlich einer Paketstation oder Schließfächern im Museum. Mit seinem Smartphone authentifiziert sich Omao an dem Spind und fordert eine volle Batterie an. Eine Tür öffnet sich. Er nimmt die neue Batterie heraus, verkabelt die alte zum Laden und schließt die Tür.
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5–6 Batteriewechsel führt er täglich durch. Jede Batterie hat eine Reichweite von 60 Kilometern, Omao hat immer einen Reserve-Akku dabei. Er nutzt den »Unlimited Swaps«-Tarif, also eine Flatrate. Nach kaum einer Minute ist die frische Batterie in seinem Motorrad angeschlossen. Er legt Warnweste und Schutzpanzer wieder an, schwingt sich auf den Sitz und fädelt sich in den Verkehr ein.
Sein
Dabei gebe es bei potenziellen Kund:innen auch noch Vorbehalte, sagt Felix Saro-Wiwa: »Am häufigsten nennen die Leute Reichweitenangst – deshalb haben wir so viele Tauschschränke aufgestellt. An einem beliebigen Punkt im Stadtgebiet ist man derzeit nie weiter als 3–4 Kilometer von einem Schrank entfernt.«
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Das Ziel sei, diesen Wert auf 2 Kilometer zu reduzieren – »dann ist man wirklich nah und hat eine Dichte, die mit der des Tankstellennetzes vergleichbar ist«, sagt Saro-Wiwa in britisch klingendem Business-Englisch. Er ist britisch-nigerianischer Doppelstaatler,
Das Konzept von ARC Ride – übrigens ein Akronym für »Affordable, Reliable, Clean«, also bezahlbar, zuverlässig, sauber – fußt vor allem auf der Wechselakku-Infrastruktur: Der Kern des Geschäftsmodells sind die inzwischen 80 Akku-Schränke in ganz Nairobi sowie die eigene Ride App für Batterie-Tauscher wie Thomas Omao. Man sieht sich mehr als Infrastruktur-Anbieter und weniger als Vertrieb für Elektromotorräder, die von ARC Ride konzipiert und größtenteils in Indien hergestellt werden. Nach Kenia werden dann halb fertige Boliden verschifft, denn wenn die Endmontage im Land passiert, erlässt die Regierung die Einfuhrzölle.
»Kenia ist ein Beispielland in der Region geworden«, sagt Saro-Wiwa. »Allmählich gibt es ein paar positive Regulierungen und Richtlinien, die das Wachstum der E-Mobilität fördern.« Zugleich bemängelt er, es gebe nicht genügend staatliche Unterstützung für Gründer, die eigene Start-ups an den Markt bringen wollten. »Ich finde nicht, dass es genug gibt, um es ihnen einfach zu machen.«
Scheitern gehört dazu
Und so gehört zum E-Mobilitätspioniergeist auch die durchaus reale Möglichkeit zu scheitern. Ein paar Tage vor dem Treffen mit Felix von ARC Ride habe ich gemeinsam mit Kolleg:innen in Mombasa einen weiteren Gründer besucht. Alijawaad Molu ist mit der Vision angetreten, die in der kenianischen Küstenmetropole allgegenwärtigen Tuk-Tuks zu elektrifizieren. In der Ursprungsversion der 3-rädrigen Motorrikschas knattert ein 2-Takt-Motor (der Name »Tuk-Tuk« ist durchaus lautmalerisch zu verstehen) unter der Rückbank – ich habe schon bei vielen Fahrten gedacht, wie viel angenehmer doch ein leiserer Antrieb wäre. In Indien,
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In Kenia wollte sie Alijawaad Molu mit seinem Start-up »Solutions Africa Ltd.« massentauglich machen. Wir stehen in einer Lagerhalle in einem Industriegebiet zwischen der denkmalgeschützten Altstadt und dem wirtschaftlich wichtigen Hafen von Mombasa, umgeben von Tuk-Tuks, die langsam Staub ansetzen. »Am Anfang hatten wir große Hoffnungen – also haben wir einen schönen, großen Showroom gemietet«, setzt Molu an. »Aber der Markt hat Elektromobilität nicht so leicht akzeptiert.« Anfangs rechnete Molu mit 5 Verkäufen pro Woche – aber immer noch stehen rund 25 der ursprünglich 35 Tuk-Tuks in seiner Lagerhalle. »Zum Glück haben wir nur einen Container bestellt – sonst würden wir jetzt auf einem riesigen Bestand sitzen.«
Eigentlich seien Elektro-Tuk-Tuks auch wirtschaftlich ein »No-Brainer«, rechnet der Geschäftsmann in US-Dollar vor: »Eine Tuk-Tuk-Batterie zu laden, kostet 2 Dollar. Ein Tuk-Tuk vollzutanken, kostet 10 Dollar. Du hast also 80% Ersparnis.« Einen Nachteil gibt er offen zu: Die Bleisäurebatterien seiner Tuk-Tuks sind fest verbaut. Und bei einer Ladezeit von
Nach seinen Erfahrungen mit »Solutions Africa Ltd.« meint Molu, in Kenia gebe es noch nicht genügend Lobby oder politische Anreize für Elektromobilität. So wünscht er sich eine günstigere Taxi-Lizenz für elektrisch betriebene Tuk-Tuks, um diese gegenüber ihrer knatternden Konkurrenz besserzustellen.
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Luft nach oben
So muss man auch in Kenia aufpassen, das punktuelle Wachstum wie bei ARC Rides in Nairobi nicht überzubewerten: Im Februar 2023 waren in Kenia gerade einmal
Doch nicht nur in Kenia, sondern in ganz Afrika gibt es Unternehmen und Initiativen, die diesen Anteil steigern wollen – ein paar Beispiele:
- Senegals Hauptstadt Dakar setzt auf Elektrobusse: Im Januar wurde das
- Uganda hat sogar einen staatlichen Automobilkonzern:
Eine geeignete Lade-Infrastruktur ist derzeit wohl die größte Hürde beim Ausbau der E-Mobilität in Afrika. So oder so haben Politiker in einigen Ländern inzwischen das Potenzial des Themas erkannt: Als Kenias Präsident William Ruto im September den ersten Africa Climate Summit ausrichtete,
Ein Beispiel für einen gewagten Schritt lieferte im Januar Äthiopien: Das Land will künftig überhaupt keine Gebrauchtwagen
Doch eines wird klar: Die Zukunft der Mobilität ist auch in Afrika elektrisch – und viele Start-ups auf dem ganzen Kontinent sorgen dafür, dass der Weg dorthin mit afrikanischen Ideen beschritten wird.
Titelbild: David Ehl - copyright