So habe ich mir ein »zweites Gehirn« gebaut, um mein Leben besser zu organisieren
Nichts vergessen und alles schnell finden: Seit einigen Monaten nutze ich ein einfaches System, um die wichtigen Daten und Informationen aus meinem Leben besser zu speichern und zu organisieren. So funktioniert es.
»Dazu habe ich letztens etwas Spannendes gelesen, wo war das nur?«
»Wie wollte ich das noch mal mit der Steuererklärung machen? Ich bekomme es nicht mehr zusammen …«
»Gestern beim Spazierengehen, da hatte ich so einen guten Einfall, wie ich das Problem auf der Arbeit löse. Aber ich kann mich einfach nicht erinnern.«
Kommt dir der ein oder andere Gedanke bekannt vor?
Wahrscheinlich schon, denn inzwischen bestreiten wir fast alle Bereiche unseres Lebens mit digitalen Informationen:
- Für die meisten von uns bilden nicht mehr Rinder, Ländereien und im Garten verbuddelter Schmuck von Oma das materielle Vermögen, sondern Konten und Depots, angezeigt durch Zahlen und Graphen auf dem Display.
- Kontakt zu Freunden und Familie halten wir über Messenger am Handy; mit Kolleg:innen chatten wir und halten Videokonferenzen ab.
- Unsere Arbeit verrichten viele von uns am PC. Was früher Hammer, Säge und Messer waren, sind heute Maus und Tastatur.
Informationen spielen eine bestimmende Rolle, wir nutzen zahllose Geräte und Programme, um ihrer Herr zu werden. Und doch gelingt es uns oft nicht, die für uns wichtigsten Informationen so abzulegen, dass wir jederzeit finden, was wir suchen. Und sie uns vielleicht sogar dabei helfen, mehr zu erreichen, größere Aufgaben besser zu bewältigen. War das nicht einst das Versprechen des Personal Computers?
Bedenke ich, wie wenig Zeit und Mühe ich in der Vergangenheit darin investiert habe, meinen digitalen Arbeitsraum in eine durchdachte Struktur zu bringen, ist das allerdings kein Wunder. Meine bisherigen Bemühungen bestanden eher aus kurzlebigen Schnellschüssen: Hier ein neues Tool installiert, das ich keine 3-mal geöffnet habe, da ein hastig abgelegtes Lesezeichen oder Dokument, das in meinen Ordnerkatakomben verrottet. Desktop, Downloadordner und E-Mail-Postfach glichen eher einer Mülldeponie als einem geordneten Schreibtisch.
Doch inzwischen gehört der digitale Friedhof der Vergangenheit an: Seit einem halben Jahr organisiere ich die digitalen Komponenten meines Lebens mit einem System: meinem »zweiten Gehirn«.
Wie dieses »Hirn« funktioniert, wo mir die Umsetzung gut und weniger gut gelingt – und natürlich auch, wie du ein »zweites Gehirn« konstruieren kannst, darum geht es in diesem Text.
Der genetische CODE des zweiten Gehirns
Das ›second brain‹ ist ein digitales Notizbuch, in dem du alle wichtigen Informationen aus deinem Leben speicherst, sortierst und aus dem du sie jederzeit wieder abrufen kannst.
Ein einfaches Notizbuch also, in dem du Abschnitte, Unterabschnitte und Seiten anlegst, in denen du alle relevanten Infos deines Lebens ablegst. Das können Texte in Form von Listen, Tabellen oder Absätzen sein. Auch Bilder, Links, Grafiken oder Videos können hier unterkommen. Klingt erst mal ziemlich einfach! Und genau darin liegt die Stärke des Konzepts, das übrigens nicht auf meinem Mist gewachsen ist, sondern das der US-Amerikaner Tiago Forte konzipiert hat (siehe Kasten).
Das Besondere am
- Capture (Einfangen): Zunächst sammelst du die Informationen ein. Das können Ideen sein, die dir beim Spazierengehen in den Kopf schießen und die du im Handy, auf einer Serviette oder anschließend am PC notierst. Es kann ein Zitat oder eine Passage aus einem Artikel sein, der dir interessant erscheint. Es kann der Screenshot eines Social-Media-Posts sein, bei dem du dich schlapp gelacht hast, oder die Quintessenz eines Romanes, den du gerade zu Ende gelesen hast. Es können Gedankenstützen zur Steuererklärung sein, die dir das Unterfangen im nächsten Jahr deutlich erleichtern werden. Es können alle möglichen wichtigen oder schönen Infos aus deinem Privatleben oder dem Job sein. Wenn man nach einem universellen Kriterium sucht, das eine Info dafür qualifiziert, im second brain zu landen, dann ist es laut Tiago Forte dieses: Die Information muss Resonanz in dir auslösen!
An dieser Stelle zum ersten Mal der Hinweis, auf den ich auch später noch mal eingehen werde: Es gibt hier kein richtig oder falsch, sondern verschiedene Wege. Was für dich funktioniert, findest du am besten heraus, indem du es ausprobierst und ein wenig herumexperimentierst. Eine Leitfrage, die dabei hilfreich ist: Kann ich diese Information in Zukunft noch mal verwenden? - Organize (Organisieren): Die vielleicht wichtigste Säule des second brains ist die Art, wie die Informationen in der Notiz-App organisiert werden, nachdem wir sie eingefangen haben. (Mehr zur Notiz-App später.) Dabei werden die Informationen nicht etwa nach Themenbereichen sortiert, wie es viele von uns intuitiv machen (also Arbeit, Geld, Fahrrad, Gedichte, Psychologie, …). Nein, stattdessen landen in unserem digitalen Gehirn alle Infos in einer von 4 Kategorien, die nach ihrer Dringlichkeit geordnet sind. Diese Säule nennt sich PARA. Wofür PARA steht und wie es funktioniert, dazu kommen wir gleich.
- Distill (Destillieren): Die Schlafforschung hat in den vergangenen Jahren viele Erkenntnisse gewonnen,
Genau das tun wir auch beim Destillieren in unserem zweiten Gehirn: Wir sichten die Notizen, die wir in der Vergangenheit angelegt haben, und verfeinern sie, indem wir Passagen markieren oder umformulieren. Alte Gedanken, die nicht mehr zu uns sprechen oder an Aktualität verloren haben, werfen wir hinaus. Wir sortieren Infos in neue Ordner um, kombinieren Ähnliches und Doppeltes. Ein hilfreicher Leitsatz: Am besten hinterlassen wir keine Notiz so, wie wir sie vorgefunden haben, sondern immer ein bisschen besser. Besser bedeutet in diesem Fall: Nützlicher für unser zukünftiges Ich, wenn es wieder hier aufkreuzt. - Express (Ausdrücken): Zu guter Letzt wollen wir etwas anfangen mit unseren Notizen. Unser digitales Gehirn ist schließlich kein Selbstzweck, sondern soll uns dabei helfen, die Aufgaben in unserem Leben zu bewältigen und Probleme zu lösen. Wir können unsere Gedanken aus der Vergangenheit heranziehen und die Präsentation oder den Workshop für die Arbeit basteln, anstatt jedes Mal bei null anzufangen. Wir stellen im Nu unseren Wissensstand vom Ende der letzten Steuererklärung her, wenn wir mit der nächsten anfangen. Oder wir haben Fotos all der schönen Einrichtungsideen parat, die uns in den letzten 12 Monaten über den Bildschirm geflimmert sind, wenn wir unserem eigenen Zuhause eine kleine Hygge-Kur verpassen wollen. Wenn wir mal unsicher sind, wie wir unsere Infos sortieren, ist folgende Leitfrage unser Nordstern: Wie kann ich die Infos so sortieren, dass ich sie künftig am besten für den Zweck nutzen kann, für den ich sie abspeichere?
Ein gutes Beispiel dafür, wie diese Reise der Informationshäppchen ablaufen kann, ist dieser Text. Ich beschäftige mich seit 6 Monaten mit dem System. Ich habe die Bücher und Blogeinträge von Tiago Forte und anderen Menschen aus dem Bereich gelesen. Ich habe selbst viel mit dem System herumexperimentiert, mich mit anderen Nutzer:innen dieses Systems ausgetauscht und immer wieder nachjustiert und ausgewertet, was für mich funktioniert. Dabei habe ich stets Notizen gemacht und sie destilliert. Als ich nun mit der Arbeit an diesem Text begonnen habe, habe ich diese Notizen innerhalb von 10 Minuten durchforstet und daraus ein umfassendes Gerüst für diesen Artikel gebastelt.
Uff. Das waren jetzt eine Menge Informationen. Vielleicht fragst du dich, wo du anfangen sollst? Einen Absatz weiter unten beschreibe ich in 3 praktischen Schritten, wie du konkret loslegen kannst. Falls dir schon ein wenig der Kopf schwirrt, lies am besten dort weiter. Zum PARA-Abschnitt kannst du später zurückkehren. Das solltest du aber auch tun, denn PARA ist ganz zentral für das second brain. Generell ist das second brain keine Angelegenheit, die du in einem Rutsch umsetzen kannst. Falls du also wirklich Interesse daran hast, es mal auszuprobieren, solltest du hin und wieder mal hierher zurück und zu den anderen im Text verlinkten Quellen kommen, um noch mal ein wenig nachzulesen.
Die 4 Ebenen deines second brains: Das PARA-System
Nun zoomen wir rein auf das O aus der vorangegangenen Liste: Organisieren. Die Frage ist, wie genau wir all unsere Notizen sortieren. Dafür gilt im second brain wie erwähnt
- In den Projekten landet alles, womit wir uns aktuell beschäftigen. Projekte zeichnen sich dadurch aus, dass sie einen abgesteckten zeitlichen Rahmen und ein klares Ziel bzw. ein klares Ende haben. In der Arbeit könnte es die Suche nach Personal und die Besetzung einer offenen Stelle sein. Privat ist es vielleicht die Anschaffung eines Lastenrades, der Bau eines neuen Bücherregals oder eine Reise mit den Studienfreund:innen.
- Für Bereiche sind wir andauernd, ohne ein absehbares Ende verantwortlich. Die Ordnung unserer Finanzen gehört dorthin, genau wie Fragen unserer Gesundheit, Kita- oder Schulthemen oder auch ein dauerhaftes Engagement in einem Verein.
- In die Ressourcen wandern allgemeine Informationen, die wir spannend finden und künftig gerne noch mal verwenden wollen. Personenbezogene Daten haben hier allerdings nichts verloren. Hier können Rezepte stehen, die uns gefallen, interessante Zitate, Infos über Länder, die wir gerne mal bereisen würden usw. Eine Eselsbrücke, die mir hier hilft: Informationen, die ich problemlos öffentlich in einem Blogpost veröffentlichen könnte, sind Ressourcen. Infos über meine Steuererklärung sind persönlich – und gehören daher in die Bereiche.
- Im Archiv landet alles aus den 3 vorangegangenen Ordnern, was wir dort nicht mehr benötigen. Vor allem Projekte, die wir abgeschlossen haben, verschieben wir regelmäßig hierher.
Der klare Vorteil dieser Anordnung ist, dass alle Informationen, die wir für das Projekt oder die Aufgabe, die gerade vor uns liegt, benötigen, am selben Ort ruhen. Genau das ist schließlich der Zweck dieser Ordnung. Unser zweites Gehirn darf dabei natürlich in Schwung bleiben und so wandern die Info-Bausteine in den Ordnern umher, wie wir sie brauchen. Um beim Beispiel dieses Textes zu bleiben: Für den Start dieses Artikels habe ich mir alle Infos aus den Notizen zum Buch, die in meinem Ressourcen-Ordner lagen, sowie alle Gedanken aus dem Bereich »Gewohnheiten & Wissensmanagement« herausgezogen und in einen neuen Projektordner gelegt.
Das Schöne an PARA ist, dass es auch für andere Programme als dein second brain funktioniert. Mehr dazu erfährst du hier!
PARA
Nun ist ein gut funktionierendes Gehirn eine feine Sache – doch ohne die Unterstützung einiger anderer Organe könnte es seinen Aufgaben nur leidlich gerecht werden. So ist es auch mit unserer digitalen Schaltzentrale: Sie lebt in stetigem Austausch mit einem kleinen Ensemble an nützlichen Programmen, die die meisten von uns ohnehin nutzen. Ich spreche von E-Mail-Programmen, einer App für To-do-Listen, einem digitalen Kalender, den Lesezeichen im Browser und der Ordnerstruktur auf dem Rechner oder in der Cloud. Je nach Bedarf können weitere Programme hinzukommen. Das wunderbare am PARA-System ist, dass wir es auf die meisten dieser Programme übertragen können.
Und das sollten wir sogar tun. Denn unser (echtes) Gehirn erstellt sich eine Art digitale Karte der Räume, durch die wir uns bewegen. Das gilt auch für die virtuellen Gänge unserer Ordnerstrukturen. Da hier die 3-dimensionale Komponente fehlt, fällt es unserem Hirn ohnehin etwas schwerer, die Datei am Ende eines langen Ordnerpfades zu verorten. Doch wenn wir zu allem Übel nun auch noch in unserer Notiz-App, in unserer Cloud, in unseren Lesezeichen oder sonst wo völlig unterschiedliche Strukturen wählen, muss sich unser »erstes« Gehirn unnötig viele Karten abspeichern. Wechseln wir bei der Arbeit zwischen verschiedenen Programmen, müssen wir uns jedes Mal neu orientieren.
Setzen wir hingegen in allen Programmen auf dieselbe Struktur, wissen wir sowohl auf der Festplatte, bei den Lesezeichen oder auch in unserer Notiz-App sofort und intuitiv, wo wir die relevanten Daten für die Steuererklärung oder die Reisevorbereitungen finden.
In meinen Programmen sieht das beispielsweise so aus:
Ein gängiger Fallstrick: Meinen Erfahrungen nach ist vielen beim Einstieg ins PARA-System unklar, welche Art an Information nun zu den Projekten und welche zu den Bereichen gehört. Und das ist auch kein Wunder, denn die Grenzen zwischen den beiden Ebenen sind fließend. Trotz der oben genannten Definitionen gibt es immer wieder Themen, die in beiden Ordnern Sinn ergeben. Beispiel Steuererklärung: Meine Finanzen sind klar als Bereich definiert und die zugehörigen Notizen wären hier gut aufgehoben. Zugleich erfüllt die Steuererklärung für ein bestimmtes Jahr auch alle Kriterien eines Projektes: Ich verfolge ein klares Ziel – die Abgabe der Erklärung bzw. die Rückerstattung der zu viel gezahlten Steuern – und nach einem bestimmten Datum ist das Thema beendet.
Auch hier gilt: Es gibt keine falsche Zuordnung, probiere einfach aus, was für dich besser klappt. Für mich nimmt die Steuererklärung nicht viel Hirnschmalz oder Zeit in Anspruch, daher brauche ich daraus kein eigenes Projekt zu formen. Wer sich weiterhin schwer damit tut, kann sich an eine einfache Regel halten: Wir sortieren alles möglichst weit oben in der PARA-Hierarchie. Was also zu den Projekten passt, ist ein Projekt. Wenn es kein Projekt ist, fragen wir uns, ob es ein Bereich ist. Wenn es auch nicht zu dieser Kategorie gehört, kommt es zu den Ressourcen. Nach dieser Regel wäre meine Steuererklärung ein Projekt!
In 3 Schritten zum second brain
Super, du hast bis hierher durchgehalten, obwohl das schon ein ganz schöner Brocken Theorie war. Jetzt willst du endlich wissen, wie du selbst am besten zu deinem zweiten Gehirn kommst? Diese 3 Schritte helfen dir dabei:
- Zuerst brauchst du eine geeignete Notiz-App. Aber Moment: Tun es nicht auch ein paar Word-Dokumente? Klar, im Prinzip ginge das. Man kann auch einen Kalender in Excel anlegen oder eine To-do-Liste im E-Mail-Postfach verwalten. Macht man aber nicht, denn dafür gibt es deutlich besser geeignete Programme. Notiz-Apps sind also einfach genau dafür entwickelt worden, viele Infobausteine, wie wir sie hier haben, gut zu sortieren, zu verschieben und zu kombinieren. Die Tools bieten zahlreiche praktische Funktionen, die die Nutzung einfacher und komfortabler machen. Möchtest du ein »zweites Gehirn« konstruieren, führt an einer Notiz-App erst mal kein Weg vorbei.
Ich selbst nutze von Beginn an - Starte mit einem freien Kopf – und einer freien Arbeitsfläche! Hast du dir eine neue Notiz-App installiert, kannst du beginnen, dein PARA-System aufzubauen und zu füllen. Möchtest du das System auch in deiner Ordnerstruktur oder in den Lesezeichen nutzen, sieht es aber meist anders aus, denn hier verstecken sich bestimmt eine Menge mumifizierte Dateien. An der Stelle habe ich eine klare Empfehlung, die Wunder wirkt – gerade wenn dein Desktop, deine Lesezeichen usw. eher nach Kraut und Rüben aussehen: Lege dir zunächst den »Archiv«-Ordner an – und schiebe dann alles, wirklich ALLES, am Stück hier hinein.
Dann atme einmal durch und genieße die Leere auf deinem Desktop! 🧘🏽♀️
Im Folgenden legst du die anderen Ordner (Projekte, Bereiche und Ressourcen) an. Dann erstellst du Ordner für deine wichtigsten Projekte und Bereiche. Moment!
Nimm dir an dieser Stelle ein paar Minuten Zeit und nutze die Gelegenheit: Du kannst dir richtig Gedanken machen, was eigentlich gerade deine Projekte sind. Vielleicht ist das auch der Moment, ein Projekt, das du schon lange mit Bauchschmerzen vor dir herschiebst, zu beerdigen.
Dasselbe gilt für die wichtigsten Bereiche in deinem Leben: Wofür trägst du andauernd Verantwortung? Die Finanzen? Das Auto? Eine gesundheitliche Einschränkung? Jetzt machst du Inventur.
Dann ziehst du die Dokumente, die du für deine Projekte und Bereiche brauchst, aus dem Archiv-Ordner. Sei im Zweifel sehr wählerisch und hole dir erst mal nur das Allerwichtigste in dein second brain. Falls später was fehlt, kannst du es immer noch aus dem Archiv angeln. Dort ist alles sicher verwahrt – aber die Datenrelikte nehmen dir nicht mehr den Überblick und blockieren weder dein Sichtfeld noch deine Gedanken. - Jetzt brauchst du eine gewisse Routine, mit der du deine Ordner durchforstest, ausmistest und up to date hältst. Dein echtes Hirn braucht jede Nacht 8 Stunden Schlaf, um Ordnung ins Dachstübchen zu bringen – also nimm auch du dir mindestens einmal pro Woche einen festen Zeitpunkt, an dem du deine Notizen ordnest und sortierst. Ich selbst starte Montagmorgen mit einer großen Wochenübersicht, in der ich nicht nur meine Notiz-App, sondern auch meine Task-App auf Vordermann bringe.
4 Kniffe, die mir ungemein geholfen haben
Gerade zu Beginn war ich schwer motiviert und begeistert von meinem zweiten Gehirn. Ich habe gespürt, wie mir die klare Struktur hilft und das dumpfe Gefühl, immer irgendwie noch etwas vergessen zu haben, langsam aus meinem Kopf wich.
Doch die vielen Infos zum second brain, vor denen sicher auch dieser Beitrag strotzt, sind nicht einfach auf Anhieb aufzunehmen. Über Wochen bin ich wieder und wieder zu Quellen zurückgekehrt und habe mir neue Kniffe und Ideen stückchenweise herausgepickt, sie umgesetzt und ausprobiert. Vielleicht funktioniert das auch für dich; dranbleiben lohnt sich. Dabei kannst du neben diesem Text auch in den vielen Links und Büchern stöbern, die ich in diesem Text verlinkt habe.
Zum Schluss möchte ich noch 4 Kniffe teilen, die mir bei der Umsetzung geholfen haben. Auch mir selbst bläue ich immer wieder ein:
- Lasse deine Perfektion draußen! Es fängt bei der Wahl der richtigen Notiz-App an. Weiter geht es mit der Frage, ob die Steuererklärung nun auf die Ebene der Bereiche gehört oder doch ein Projekt ist. Schließlich die Frage, ob der Link zu dem Buch, das man sich vielleicht kaufen möchte, besser bei den Lesezeichen aufgehoben ist oder in der Ressourcen-Abteilung im Notizbuch. Noch einmal: Für viele Entscheidungen beim Aufbau eines digitalen Ordnungssystems wie dem second brain gibt es kein Richtig und Falsch – sondern eben so oder so.
Eine Antwort auf die Frage, was nun besser funktioniert, findest du nicht, indem du stundenlang darüber brütest, sondern indem du es ausprobierst. Das heißt nicht, dass du dein zweites Gehirn nicht wohlüberlegt aufziehen kannst und sollst. Aber wenn du an einer Entscheidung hängen bleibst, beiße dich nicht fest, sondern lenke den Fokus auf den nächsten Schritt und komme mit etwas mehr Erfahrung und Abstand noch mal zurück. Du wirst sehen, so schwer – und wichtig –, wie sie manchmal scheinen, sind die meisten Entscheidungen nicht. - Notizen sammeln und sortieren gehören strengstens getrennt! Gerade zu Beginn ist es ebenso schwer zu entscheiden, welche Art an Infos es wert sind, notiert zu werden. Wir müssen uns erst ein wenig darin schulen, die »Resonanz« zu hören, von der Tiago Forte spricht. Zu Beginn kostet es genug Willenskraft und Aufmerksamkeit, diese Notizen anzulegen.
Damit ich mir im Moment des Notierens nicht auch noch den Kopf darüber zerbrechen muss, wo eine Notiz, ein Lesezeichen oder eine neue Aufgabe gut aufgehoben sind, wandern sie erst mal in eine Inbox. Für Dateien haben Desktop und Downloadordner diese Funktion. Später, mit etwas Abstand und der nötigen Ruhe, sortiere ich die Notizen dann ein – oder gleich wieder aus. Die Inbox ist also nichts anderes als das Kurzzeitgedächtnis unseres second brains. - Arbeite analog mit Stift und Papier, wenn es dir liegt! Ein digitales Notizbuch hat viele Vorteile: Die Infos sind auf vielen Geräten verfügbar, wir können sie (fast) nicht verlieren, wenn sie in der Cloud liegen. Zudem lassen sie sich flexibel editieren, markieren, durchsuchen und vernetzen. Doch ein Stück Papier und ein guter Stift haben für viele von uns noch immer einen ganz eigenen Wert.
Beides lässt sich gut kombinieren: Neben meinem Bett liegt ein Notizbuch, worein ich am Abend Gedanken notiere, die ich vor dem Schlafengehen noch loswerden möchte. In Besprechungen nehme ich gerne einen Zettel mit, auch bei Telefonaten führe ich meist von Hand Notizen. Und unterwegs bekomme ich manchmal auch einfach gerade nichts anderes in die Hände als eine Serviette, um eine fixe Idee festzuhalten. Die wichtigsten Vermerke aus der analogen Welt übertrage ich dann regelmäßig in mein digitales Notizbuch; wenn ich faul bin, fotografiere ich sie einfach ab und lege das Foto in die Inbox. - Ergänze dein second brain mit anderen Organen – und nutze diese sinnvoll! Ein gesunder Geist ruht in einem gesunden Körper. So ist das auch mit unserem second brain: Es braucht eine Umgebung, worin es florieren kann. E-Mails gehören ins E-Mail-Postfach, Links in die Lesezeichen, Aufgaben in die Task-App und Termine in den Kalender. Klingt einfach – und doch nutzen wir viele Programme ganz anders, als sie gedacht sind. Da ist seit Wochen eine als ungelesen markierte E-Mail im Posteingang, weil wir vor dem Antworten noch etwas erledigen müssen. Eigentlich also eine Aufgabe. Oder ein Word-Dokument, worin sich Links zu tollen Podcasts tummeln, die wir irgendwann hören wollen. Eine Sache für die Lesezeichen oder noch besser: die Podcast-App.
Worauf ich hinaus will: Mache dir einen klaren Plan, wofür die Programme gedacht sind, die du regelmäßig nutzt, und wofür du sie in dein Leben geholt hast. Der Plan darf sich natürlich auch mal ändern – aber du solltest dich an deinen Plan halten. Denn wenn alle deine Tasks abgehakt sind, kannst du dir sicher sein, dass du keine Aufgabe vergessen hast und dass keine E-Mail mehr auf Antwort wartet, wenn dein Posteingang leer ist. Und der Rest: Gehört ins second brain!
Wie viele Gelehrte der Vergangenheit hielt Johann Wolfgang von Goethe seine Unmengen an Wissen, die er gesammelt, verknüpft und in seinen Werken zu Neuem kombiniert hat, in dicken Notizbüchern fest. Darin kritzelte er wild herum, schnitt Passagen aus, um sie an anderer Stelle wieder einzufügen, und manifestierte so seine Gedanken und Ideen.
Vielleicht täusche ich mich, aber ich stelle mir vor, wie dieses Genie vor den Möglichkeiten einer digitalen Notiz-App, wie sie heute in jedem Handy steckt, auf die Knie gefallen wäre, hätte er diese zu Lebzeiten zu sehen bekommen.
Wir müssen ja nicht gleich einen »Faust« verfassen. Aber die digitalen Programme bieten uns die Chance, das Wissen, woraus heute ein großer Teil unseres Lebens besteht, besser zu organisieren. Nutzen wir die Chance mit Hirn. Oder besser: mit 2 Hirnen.
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily