Erschöpft vom Internet? So machst du es für dich besser
Onlinefrust? Das Gefühl von »Digital Fatigue« kommt immer häufiger vor. Eine Anleitung für mehr Zufriedenheit online.
Bei den Themen Bildschirmzeit und ausufernde Internetnutzung denken viele Menschen vor allem an Jugendliche. Dabei haben die Probleme schon lange alle erreicht:
So lange ist der oder die durchschnittliche Erwachsene in Deutschland derzeit online. Das ergab die repräsentative Studie
Während der Pandemie stieg die Onlinenutzung an, da Menschen aufgrund der Kontaktbeschränkungen vor allem digital Kontakt halten konnten. Nach der Pandemie bildetet sich die exzessive Onlinenutzung jedoch nicht zurück, sie verstärkte sich sogar – besonders unter Digital Natives, also jenen Menschen zwischen 18 und 39 Jahren, die mit dem Internet aufgewachsen sind –, so die Studie.
Und noch etwas förderte sie zu Tage:
- 41% der befragten Digital Natives möchten sich aus sozialen Netzwerken zurückziehen.
- 37% der Nutzenden über 39 Jahren möchten generell weniger im Internet sein und mehr persönliche Kontakte pflegen.
Was die Befragten in der Studie angeben, ist symptomatisch und zieht sich als Meinung durch Foren, Memes und Social Media: Das Internet ist zwar verflixt nützlich, wird aber auch immer mehr als störend, ablenkend und lähmend empfunden.
Sind wir den endlosen Möglichkeiten des Internets gegenüber müde geworden? Und ist es eine Lösung, sich dem Internet komplett zu entziehen?
Hank Green, der bekannte US-amerikanische Videoblogger, Autor und Wissenschaftsvermittler, hat einen anderen Ansatz. Im Youtube-Video »The Internet Needs to Change« legte er Ende März 2024 ein zentrales Problem des heutigen Internets offen: Hocheffektive Algorithmen bestimmen zu großen Teilen, welche Inhalte aus einer überwältigenden Vielfalt wir online sehen –
Das algorithmisch empfohlene Internet […] ist nicht dafür gemacht, mich glücklich zu machen. Algorithmen sind nicht, was ich möchte. Sie sind dafür gemacht, mich möglichst lange auf der Webseite (und generell online) zu halten.
Green ist bei Weitem nicht der Erste, der sich kritisch über das heutige Internet und dessen Funktionsweisen äußert. Doch seine fundamentale Kritik erklärt, warum immer mehr Menschen immer länger im Internet sind und dabei unzufriedener werden.
Greens Forderung im Videotitel, dass sich das Internet verändern muss, wird nicht eintreffen. Dafür funktioniert das Konzept zu gut. Anstatt darauf zu warten, dass sich »das Internet« verändert, erscheint es also logischer, bei uns selbst anzufangen.
Willkommen im Internet! Schaue dich um! Alles, was dein Gehirn erdenken kann, kannst du hier finden. Nicke einfach oder schüttele den Kopf, und wir machen den Rest. – Comedian Bo Burnham, »Welcome to the Internet« aus dem Album »Inside«
Wikipedia gegen Youtube – ein böser Vergleich
2 scheinbar ähnliche Wege, sich die Abendstunden um die Ohren zu hauen, die unterschiedlicher kaum sein könnten:
Seit Januar 2001 bietet Wikipedia als freie Enzyklopädie das Wissen der Welt in 339 Sprachen an, zusammengetragen und kuratiert von den Nutzenden selbst. Die Artikel sind so verständlich formuliert und (meist) gut belegt, dass man hier beim Stöbern und Lernen Stunden bis spät in die Nacht zubringen kann. Dies ist bis heute ein Trend, der sich »Late Night Wikipedia Binge« nennt. Man klickt dafür einfach innerhalb der Artikel auf neue Verweise oder kehrt zur Übersicht zurück, wo ein kuratierter Artikel des Tages und eine »Schon gewusst«-Liste auf Wissenshungrige warten. Doch selbst wenn der Schlaf leidet, hat man am Ende immerhin etwas gelernt und
Machen wir an dieser Stelle einen direkten Vergleich mit einem anderen Urgestein des Internets: Youtube.
Die Video-Plattform, auf der auch Greens Kritik erschien, ersetzt seit 2005 immer mehr das passive Berieselungsmedium schlechthin, das traditionelle Fernsehen. Viele Videos sind sehr unterhaltsam, sodass Nutzende auch hier beim Zuschauen ihre Zeit bis spät in die Nacht zubringen können. Dies ist bei der Videoplattform allerdings besonders stark ausgeprägt: Mehr Menschen dürften durchschnittlich viel mehr Zeit auf Youtube als auf
Das liegt vor allem daran, dass hier Algorithmen Inhalte maßschneidern und empfehlen. Und zwar nach dem Motto: »Immer mehr vom Selben«. Davon profitiert in erster Linie die Plattform, die sich über Werbung und ein Premiummodell finanziert. In zweiter Linie profitieren die Menschen, die diese Videoinhalte herstellen – auch wenn diese schädlich sind und etwa Trends wie Magersucht promoten.
Deswegen musste das Unternehmen hinter Youtube, Google LLC, nach anhaltender Kritik gegensteuern.
Hier verfängt Greens Kritik, der in seinem Beitrag auch implizit Youtube meint. Denn während auf Wikipedia die eigene Neugier beim Stolpern über Hyperlinks die Zeit kostet, sind es auf Youtube vor allem die Algorithmen, die Inhalte empfehlen – und je nach Einstellung sogar direkt abspielen (Autoplay).
Anders gesagt: Hirn aus und Unterhaltung an.
Algorithmen und passives »Consumer Mindset« statt aktiver Neugier. Profitieren tun davon vor allem die Anbietenden. Das ist im Kern das, was Green mit seiner Kritik meint und was »Digital Fatigue« auslöst. Doch Youtube, das immerhin noch von vielen intelligenten und lohnenswerten Inhalten getragen wird (nicht zuletzt Hank Greens Kanälen Vlogbrothers oder Scishow), ist bei Weitem nicht das Ende dieses Trends.
Wo es noch viel schlimmer ist: Digitale Spiele für Smartphones
Wie weit manche Unternehmen bereit sind zu gehen, zeigt der Bereich der Smartphone-Spiele. Hier steht nur bei sehr wenigen Spielen die Unterhaltung der Nutzenden im Vordergrund. Stattdessen dominieren aggressive Aufmerksamkeitsspiralen, Einlogg-Erinnerungen und Glücksspiel-Loot-Mechaniken. So werden Nutzende in Abhängigkeitsverhältnisse und teils konsument:innenfeindliche sowie intransparente Bezahlmodelle gedrückt.
Kein Wunder, dass Menschen mit »diesem Internet« immer unzufriedener sind. Höchste Zeit, dass wir uns unsere Onlinezeit zurückholen. Eine Anleitung für mehr Zufriedenheit.
In 3 Schritten zu mehr Zufriedenheit online
Einfach die Geräte ausschalten und weniger online sein – das kommt wohl den meisten Menschen als einfache Lösung für das Problem sofort in den Sinn. Natürlich kann eine Phase des rigorosen Abschaltens – Digital Detox genannt – dabei helfen, schlechte Gewohnheiten zu erkennen und erst mal zu unterbrechen. Mein Kollege Felix Austen hat dies selbst ausprobiert und ist bis heute überzeugt:
Doch sich dem Internet dauerhaft zu entziehen, ist alles andere als einfach (und in manchen Bereichen gar nicht möglich) in einer Zeit, in der immer mehr Inhalte digital werden. So könntest du etwa auch kein Perspective Daily mehr lesen. Also, was tun?
Sehr vereinfacht könnte man eine Lösung für mehr Zufriedenheit online mit »mehr Wikipedia, weniger Youtube« beschreiben. Denn Wikipedia zeigt gut, dass auch exzessive Onlinenutzung nicht zu Unzufriedenheit führen muss. Anders gesagt: Mehr oder weniger Zeit online, darauf kommt es nicht unbedingt an, sondern viel mehr darauf, wie wir diese Zeit gestalten und ob wir auf Unternehmen setzen, die unsere Zeit im Netz respektieren.
Das sagt etwa auch Amanda Maiwald, die Mitgründerin des deutschen Internetunternehmens Complori. Das Unternehmen bringt Jugendlichen über spielerische Onlinekurse das Programmieren bei. Auch sie nimmt wahr, dass sich das Internet verändert hat – aber nicht nur zum Schlechteren: »Ich finde, man muss das differenziert betrachten. Viele Menschen und vor allem Jugendliche konsumieren passiv im Internet. Doch das Internet bietet auch heute die Möglichkeiten, selbst kreativ und gestalterisch aktiv zu werden.«
Maiwald ist im Gespräch hoffnungsvoll, dass Menschen diese neue Herausforderung der besseren Gestaltung des Internets meistern können. Ihre Quintessenz: »Es kommt darauf an: Was mache ich da? Und wieso?« Aus unserem Gespräch nehme ich einige Lektionen mit:
- Konsumiere aktiv, nicht passiv
Viele Internetangebote sind heute darauf ausgelegt, dass wir möglichst viel Zeit mit ihnen verbringen – und im besten Fall »bingen«, also unkontrolliert und passiv konsumieren. Wenn wir uns das klarmachen, können wir dagegenhalten und die Angebote besser nutzen. Denn algorithmische Empfehlungen sind auch nicht per se schlecht und echte Neugier ein guter Führer durch das Internet. Um aktives Konsumieren zu stärken,
Tipp: Respektvoller Umgang mit unserer Aufmerksamkeit heißt auch, dass wir zumindest erahnen können, ob ein Inhalt für uns relevant ist. Ist dessen Aufmachung aber so verrätselt, dass du dies nicht abschätzen kannst, und stammt nicht aus einer Quelle, der du trotzdem vertraust, lohnt sich der Inhalt meist nicht. - Folge Nutzer:innen-kuratierten Inhalten statt Algorithmen
Internetangebote, die primär über Algorithmen funktionieren, fördern immer das Ringen um Aufmerksamkeit und damit auch problematische Inhalte, da diese nicht gezielt kontrolliert werden. Das trifft auf Yotube wie auch auf soziale Medien wie Facebook oder Twitter/X zu. Denn, ob ein Inhalt zufrieden macht oder aufregt,
Tipp: Das ist auch die Lösung von Hank Green, der mit seinem Bruder, dem Autor und Aktivisten John Green, einen neuen Newsletter »We’re here« (Wir sind hier) verschickt, dessen Inhalte von den Brüdern selbst kuratiert werden und Lösungen gegen »World Suck« (frei übersetzt: »Das Schlechte in der Welt«) aufzeigen. - Nutze deine Zeit online für dich selbst
Was dir online schadet, erkennst du meist leicht daran,
Tipp: Selbstwirksamkeit kann vieles bedeuten: selbst kreativ werden, bei Wikipedia mitschreiben, einen eigenen Onlineblog führen, selbstgedrehte Lehrvideos hochladen oder nur etwas Neues lernen. Wieder ist hier die eigene Neugier die beste Ratgeberin.
Dann steigt auch die Zufriedenheit online. Und Zahlen wie 71 Stunden pro Woche sind gar nicht mehr so erschreckend, sondern voller Potenzial.
Titelbild: Sinitta Leunen - CC0 1.0