Das ist die Geschichte der beliebtesten Droge der Welt. Wahrscheinlich bist auch du gerade drauf
Nahezu überall auf der Welt greifen die Menschen zu einem Aufputschmittel, das uns wacher, konzentrierter und leistungsfähiger machen soll. Woher unser Kult ums Koffein kommt und welche Schattenseite er hat.
Es ist ein ganz normaler Morgen in Äthiopien, irgendwann um das Jahr 850 nach Christus. Der Ziegenhirte Kaldi macht sich im Unterholz mit seiner Herde auf die Suche nach schmackhaftem Futter für seine bärtigen Schützlinge.
Während einer Rast beobachtet Kaldi etwas Ungewöhnliches: Anstatt ruhig an der ein oder anderen Pflanze zu knabbern, verhalten sich einige Ziegen viel lebhafter als sonst und beginnen freudig und energiegeladen über Stock und Stein zu hüpfen.
Kurz zuvor hatte Kaldi beobachtet, wie die euphorischen Tiere von einem Strauch mit leuchtend roten Beeren genascht hatten. Und so entschließt er sich kurzerhand, es ihnen gleichzutun – um sich nur wenig später in den Reigen der tanzenden Tiere einzureihen. Voller Begeisterung über dieses unbekannte Gefühl bringt er die Beeren zum nächstgelegenen Gotteshaus.
Doch die ansässigen Mönche teilen seine Begeisterung nicht: Bei den offensichtlich verzauberten Beeren müsse es sich zweifellos um Teufelswerk handeln. So schleudern sie die roten Früchte voller Abscheu ins Feuer. Doch kurz darauf erfüllt ein sinnlicher, kraftvoller Duft den Raum, der die Anwesenden in seinen Bann zieht. So beginnt die Geschichte des Siegeszuges des Kaffees …, die leider erfunden ist.

Zahllose Legenden wie diese von »Kaldi und den tanzenden Ziegen« ranken sich um die Ursprünge der meistkonsumierten psychoaktiven Substanz der Welt: Koffein. Das ist kein Wunder, denn wir Menschen lieben den Stoff. Schätzungsweise
Auch wir Deutschen lieben den Koffein-Kick: Hierzulande schüttet jede:r Erwachsene pro Jahr durchschnittlich 162 Liter des Wachmachers in sich hinein –
Diese Liebe ist kein Zufall: Das enthaltene Koffein ist nicht nur eines der ältesten Mittel, das Menschen nutzen, um in Schwung zu kommen, sondern auch eines der wirksamsten und am besten verträglichen.
Einige Historiker:innen wie der
In diesem ersten Teil meiner Miniserie zum Thema erfährst du, wo unser Koffein-Kult seinen Anfang nahm, wie die Droge die Welt für immer veränderte – und welche Schattenseiten unsere Gier nach Energie für Hunderttausende Menschen hat.
Der Ursprung – Tanzende Ziegen oder das Stärkungsmittel aus dem Jemen
Die Legende des Ziegenhirten Kaldi ist nur eine von mehreren Geschichten, die sich Menschen über den Ursprung ihres geliebten Aufputschmittels erzählen. Einige spielen in Äthiopien, andere auf der arabischen Halbinsel, etwa im Jemen. Diese Geschichten werden erzählt, weil es wenig gesichertes Wissen über die Entdeckung der stimulierenden Pflanze gibt.

Doch in den Mythen steckt oft ein Quäntchen Wahrheit. Historiker:innen sind sich relativ einig darüber, dass der Strauch namens Coffeeae mit seinen wundersamen Beeren (die auch als Kirschen bezeichnet werden) das erste Mal in Äthiopien genutzt wurde. Von dort aus ist es ein kurzer Weg über das Rote Meer in die arabische Welt, wo nach einiger Zeit erste Kaffeehäuser entstanden.
Schriftlich wird Kaffee erstmals im 9. Jahrhundert von dem persischen Arzt Rhazes (865–923) erwähnt, der von einem Stärkungsmittel aus dem Jemen schreibt. Von dort gelangen die Bohnen per Schiff aus dem Hafen Al Mukha (heute wird diese Stadt Mokka genannt) über Ägypten bis nach Syrien und verbreiten sich ab dem 13. Jahrhundert im osmanischen Reich bis an die Grenzen Europas, wo das Aufputschmittel aber erst Jahrhunderte später Fuß fasst.
Mit dem Kaffee, wie wir ihn heute kennen, hat das Ganze allerdings erst mal wenig zu tun. In Äthiopien werden Blätter und getrocknete Beeren ähnlich wie Tee mit heißem Wasser aufgegossen und getrunken. Im osmanischen Reich werden die getrockneten Samen aus den Beeren (streng genommen handelt es sich um Samen, nicht um Bohnen) geröstet, gemahlen und mit Wasser aufgekocht. Auf die Idee, dem Gebräu Milch und Zucker beizumischen, kommen die Französ:innen dann erst einige Jahrhunderte später.
Wie im Rausch – Der Treibstoff der Aufklärung heißt Koffein
Im Jahr 1650 kommt es in England zu einem besonderen Ereignis, welches das gesamte Abendland nachhaltig verändern sollte: In Oxford eröffnet das erste Kaffeehaus der westlichen Welt. 1652 folgt das »Virginia Coffee-House« in London als ein weiteres von vielen, die bald besonders rund um die dortige Börse wie Pilze aus dem Boden schießen.
Zunächst treffen sich vor allem Geschäftsleute in den neuen Etablissements, um dort das neue Getränk zu konsumieren. Für eine wachsende Zahl von Menschen wird die Droge ein täglicher Begleiter. Die Gäste lesen und diskutieren, angetrieben vom Koffein, über die Nachrichten des Tages, über Politik, Wissenschaft, Religion, Handel, Literatur und vieles mehr.

Doch angesichts dieser ungekannten Dynamik dauert es nicht lange, bis die Staatsmacht auf den Plan tritt. Dabei ist es weniger die Droge selbst, die der britischen Krone Sorgen bereitet, als die um sie entstehende Kultur. Hier gedeiht revolutionäres Potenzial und visionäres Gedankengut –
Viele Kaffeehäuser entwickeln schnell thematische Schwerpunkte. Schon bald ist die Rede von »Penny Universities«, also Orten, an denen man vormals exklusives Wissen erlangen und weiterentwickeln kann. Wo sonst kann man zum Preis eines Heißgetränks den großen Denkern der Zeit wie zum Beispiel Isaac Newton lauschen?
Und was ist mit Tee?
England ist gemeinhin als Nation der Tee-trinker:innen bekannt. Zu dieser wurde sie jedoch erst, nachdem der sogenannte Kaffeerostpilz 1875 im heutigen Sri Lanka nahezu alle Kaffeesträucher vernichtet hatte und der Nachschub zum Erliegen kam. Tee enthält ebenfalls Koffein (Teein) und gilt neben Kaffee als größte Quelle von Koffein weltweit. Die Geschichte des Tees ist mindestens ebenso umfangreich wie die des Kaffees und würde hier den Rahmen sprengen.
Vor diesem Hintergrund ist der öffentliche Aufschrei riesig, als König Charles II. 1675 versucht, die vibrierenden Drogen-Hotspots kurzerhand zu verbieten. Der Widerstand formiert sich schnell und energisch, sodass der König nach nur 2 Tagen wieder zurückrudern muss. Mit den durch Stimulanzien aufgeputschten Massen will sich wohl selbst die Krone nicht anlegen.
»Ei, wie schmeckt der Coffee süsse« – Von der besoffenen zur aufgeputschten Gesellschaft
Es ist nicht allein der Verdienst der stimulierenden Wirkung des Kaffees, welche die Brit:innen fortan zu neuen wissenschaftlichen und kulturellen Höchstleistungen auflaufen lässt. Vorteile gehen auch damit einher, was das neue Aufputschmittel ersetzt. Denn je weiter sich das Heißgetränk in der Gesellschaft verbreitet, desto mehr drängt es das bisherige Getränk der Wahl zurück: Bier.
Dieses war zuvor ein täglicher Begleiter der Menschen, da es durch den Herstellungsprozess im Gegensatz zu Wasser weniger mir Krankheitserregern belastet ist. Auch wenn dieses Gebräu vom Alkoholgehalt mit heutigem Bier nicht vergleichbar ist, sorgte es nach dem üblichen Konsum von 2–3 Litern am Tag für einen Dauerrausch – mit den weithin bekannten Folgen.
Die Bier-Schenken sind im Gegensatz zu Kaffeehäusern laute, wilde Orte, an denen wohl eher die sprichwörtlichen Schnapsideen als Geistesblitze an der Tagesordnung sind.
Zu dieser kaum zu unterschätzenden Entwicklung schreibt
Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts waren die meisten Menschen in England ständig leicht oder sehr betrunken. Trinke Londons stinkendes Flusswasser auf eigene Gefahr. Die meisten Menschen bevorzugten Ale oder Bier. Die Ankunft des Kaffees löste einen Anbruch der Nüchternheit aus, der den Grundstein für ein wirklich spektakuläres Wirtschaftswachstum in den folgenden Jahrzehnten legte, als die Menschen zum ersten Mal klar dachten. Die Börse, die Versicherungsbranche und das Auktionswesen: All das erwachte in den Kaffeehäusern des 17. Jahrhunderts zum Leben und brachte Kredite, Versicherungen und Märkte hervor, die die dramatische Ausweitung des britischen Netzwerks des Welthandels in Asien, Afrika und Amerika ermöglichten.
Und ja, so wie auch Kinder zuvor täglich Bier konsumierten, gehen auch viele von ihnen nun zu Kaffee über – zu den Folgen für die Eltern findet sich allerdings kaum etwas in den Quellen.
Angesichts der zahlreichen positiven Entwicklungen, welche die neue Trenddroge mit sich bringt, dauert es nicht lange, bis sie sich auch in den Städten Kontinentaleuropas verbreitet und das gesellschaftliche Leben umkrempelt.
Dabei bildet auch der damals politisch stark zersplitterte deutschsprachige Raum keine Ausnahme. Ludwig van Beethoven pflegt eine Obsession für Kaffee und braute sich seine Tasse aus exakt 60 Bohnen, Johann Sebastian Bach komponiert im Jahr 1734 gar eine
Herr Vater, seid doch nicht so scharf!
Wenn ich des Tages nicht dreimal
Mein Schälchen Coffee trinken darf,
So werd ich ja zu meiner Qual
Wie ein verdorrtes Ziegenbrätchen.
Ei! wie schmeckt der Coffee süsse,
Lieblicher als tausend Küsse,
Milder als Muskatenwein.
Coffee, Coffee muss ich haben,
Und wenn jemand mich will laben,
Ach, so schenkt mir Coffee ein!

Doch nicht nur Eltern zeigen sich ob des Konsums des neuen, ausländischen Aufputschmittels kritisch, sondern auch die vielerorts noch immer herrschenden Monarchen. So wird auch dem preußischen Herrscher Friedrich dem Großen zunehmend mulmig zumute. So sehr, dass er 1777 ein Manifest für ein traditionelles deutsches Getränk veröffentlicht, das heute möglicherweise eher bayerisch als preußisch anmutet:
Es ist abstoßend zu bemerken, wie viel Kaffee meine Untertanen konsumieren und wie viel Geld dadurch außer Landes geht. Meine Leute müssen Bier trinken. Seine Majestät wuchs mit Bier auf, ebenso wie seine Vorfahren.
Gebracht hat es wenig: 4 Jahre später verbietet der König das Rösten von Kaffee und beschränkt es auf offizielle Regierungseinrichtungen. Um den Schwarzmarkt und illegale Rösterei zu bekämpfen, kommen speziell geschulte Beamte zum Einsatz,
Kaffee macht die Nacht zum Tag – Die Industrialisierung
Doch den Siegeszug des Kaffees können auch sie nicht aufhalten. Dieser verläuft parallel zu einem weiteren gewaltigen Umbruch: der industriellen Revolution. Sie beginnt in England und nimmt wenig später auch in Kontinentaleuropa und Nordamerika an Fahrt auf.
Das heißt natürlich nicht, dass das Aufputschmittel die Ursache der Revolution war. Doch ohne das neue Stimulans wäre sie in dieser Form eben auch nicht möglich gewesen. Zusammen mit der Einführung des künstlichen Lichts macht der Wachmacher Schichtarbeit und sogar
Somit entwickelt sich das einstige Getränk der Intellektuellen und Besserbegüterten nach und nach zur notwenigen Droge für das Heer an Fabrikarbeiter:innen, die ihr Pensum ohne Aufputschmittel kaum bewältigen können.
Das Koffein wird zum zweischneidigen Schwert: Auf der einen Seite begünstigt es die Aufklärung, hilft Wissenschaft und Kultur dabei zu erblühen; auf der anderen Seite ermöglicht es mehr Arbeit und Ausbeutung und schafft im Zuge dessen neues Leid für Mensch und Natur – und zwar über den gesamten Erdball verteilt.
Keine Heldengeschichte – Koffein und Kolonialismus
Auch für den Siegeszug des Kaffees in Europa gilt: Kein Rausch ohne Folgen. So stellt sich im Zuge der wachsenden Nachfrage nach Kaffeebohnen schon bald ein gnadenloser Wettbewerb um geeignete Anbaugebiete ein. Einerseits, um unabhängiger von den Lieferanten aus dem arabischen Raum zu werden, andererseits, um die enormen Profite abzugreifen, die der unstillbare Durst auf Kaffee verspricht.
Die Kaffeepflanze gedeiht am besten im sogenannten »Kaffeegürtel« rund um den Äquator, also vor allem in den Ländern, die wir heute als Globalen Süden bezeichnen. Es sind die Niederländer, die ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Versuche starten, Kaffeeplantagen in Indien anzulegen. Als sie damit scheitern, starten sie einen zweiten, erfolgreichen Versuch auf der Insel Java im heutigen Indonesien.
Der Handel läuft an und erweist sich bald als äußerst rentabel, sodass immer mehr Europäer ausschwärmen, um neue Anbaugebiete zu »erschließen«. 1723 sorgt ein einziger Kaffeepflanzensetzling dann dafür, dass der Anbau die Karibik erreicht. Der französische König Ludwig XIV. hatte diesen als Geschenk vom Bürgermeister von Amsterdam bekommen und entgegen allen Widrigkeiten in seine Kolonie auf Martinique schaffen lassen. Aus dieser einzelnen Pflanze sollten in den nächsten 50 Jahren 18 Millionen Kaffeebäume auf der karibischen Insel entstehen.
Zu dieser Zeit ist der Kolonialismus bereits in vollem Gange. Doch das neue Geschäft mit den Bohnen befeuert die Gier nach Land und den für die neuen Plantagen nötigen Arbeitskräften noch zusätzlich. Kaffee entwickelt sich neben Zucker, Baumwolle und Tabak schnell zu den gewinnträchtigsten Kolonialwaren. Vom Handel profitieren ironischerweise genau die Herrschenden, die zunächst kritisch gegenüber Kaffee eingestellt waren. Diese Bedenken dürften angesichts der riesigen Gewinne der Kolonialmächte England, Spanien, Frankreich, Portugal und der Niederlande bald vom Tisch gewesen sein.
Die Schattenseite – Sklaverei und Kaffee Hand in Hand
Dies wird durch zahllose versklavte Arbeiter:innen ermöglicht, die von Indonesien bis Lateinamerika die Plantagen bewirtschaften müssen. Vor allem Frankreich treibt dieses System der menschenverachtenden Ausbeutung voran: Ende des 18. Jahrhunderts kommen 2/3 des weltweiten Kaffees aus dessen Karibikkolonie St. Dominique – bis sich die versklavten Menschen gegen die katastrophalen Bedingungen erheben und im Zuge der haitianischen Revolution im Jahr 1791 die gesamte Insel niederbrennen und ihre Peiniger ermorden. 1804 entsteht hier Haiti, der
Abgelöst wird die Karibikinsel von Brasilien, wo die Portugiesen herrschen und Sklav:innenhandel sowie die Kaffeeproduktion aggressiv vorantreiben. Insgesamt werden schätzungsweise 4,5 Millionen versklavte Menschen aus Afrika in die Karibik verschleppt, weitere 3,2 Millionen ins heutige Brasilien. Zum Vergleich:
Das brasilianische Parlamentsmitglied Silveira Martins bringt das Ausmaß der Ausbeutung

Epilog
Zugegeben: Nach den launigen ersten Abschnitten dieses Textes sind die Schattenseiten des Kaffeekonsums eine ziemlich bittere Pille, die es zu schlucken gilt. Gern hätte ich die Geschichte ohne diese unbequeme Wahrheit weitererzählt, so wie es viele Artikel bei diesem Thema tun. Nicht selten werden diese von modernen Konzernen finanziert, die noch heute Milliarden mit unserer ungebrochenen Lust auf Kaffee und Koffein verdienen.
Ausblenden war für mich als Autor jedoch keine Option. Es muss klar werden: Der Genuss von Kaffee ist untrennbar verbunden mit diesem sehr dunklen Kapitel der jüngeren Geschichte. Einer Geschichte, die noch immer nicht abgeschlossen ist. Denn bis heute sind die Arbeitsbedingungen auf vielen Plantagen schlecht und sogar Kinderarbeit ist nach wie vor verbreitet – auch wenn die Kaffeeriesen alles dafür tun,
Das nicht zu verdrängen und den eigenen Konsum kritisch zu hinterfragen, ist ein Anfang. Wer es sich leisten kann und möchte, kann dann beim Einkauf auf das
Im nächsten Teil erfährst du, wie Koffein im 20. Jahrhundert zur weltweit am meisten konsumierten Droge aufstieg, welche elementare Rolle es für unser Wirtschaftssystem spielt – und ab wann dein eigener Konsum zum Problem werden kann.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily