Wenn du online dein Gesicht verlierst, lädst du ein neues hoch. Oder?
Als Sweetbunny42 lässt es sich frei surfen. Doch Facebook besteht auf Klarnamen und fordert ein einheitliches Ich. Wie gehen wir damit um?
Mark Zuckerberg ist eine wichtige Person im Internet. Er hat Facebook gegründet, das aktuell meistgenutzte soziale Netzwerk der Welt. Wenn er etwas sagt, dann hat das Gewicht; so etwa, als er im
Das kann man so sehen. Doch Zuckerbergs Vision für Facebook geht noch weiter und uns Nutzern an die Substanz – es geht um unser »Ich« im Netz. Randi Zuckerberg, Marks Schwester und ehemalige Marketing-Chefin von Facebook, brachte es auf den Punkt:
Der Satz ist aktueller denn je.
Blicken wir nach Amerika, wo Facebook seinen Stammsitz hat. Dort sucht die Obama-Regierung seit 2011 nach einer zentralen Lösung zur Verwaltung einer Nutzer-Identität im Internet – ganz amerikanisch in Kooperation mit führenden Firmen. Als erstes Unternehmen erfüllte Facebook einen Großteil der staatlichen »Niemand ist gezwungen. Aber es ist vor allem bequemer. Ich sehe da viele Entwicklungen sehr kritisch.« – Constanze Kurz vom Chaos Computer Club
Doch ist die Lösung einmal da, bietet sich das System natürlich auch für andere Länder
Auch in Deutschland greifen bereits viele Online-Dienste auf Facebook zurück, um uns beim Login zu identifizieren. Darüber hinaus speichert und verwaltet Facebook unsere Selbstdarstellung im Netz, unsere Online-Visitenkarte. Doch wenn eine einzelne Firma so viel Einsicht auf unsere
Der unbedarfte Nutzer mag nun fragen: »Warum ist das ein Problem?«
Das Internet ist keine Gartenfeier
Wir Benutzer verlagern immer mehr Bereiche unseres Lebens ins Internet – Kommunikation, Einkaufen, Hobbys. Damit das klappt, ist eine digitale Identität notwendig, die uns schützt und geschützt wird. »Im wirklichen Leben bin ich Lehrer und muss auf mein Außenbild achtgeben. Im Internet kann ich frei und anonym sein und mache, worauf ich Lust habe.« – Shoolsout21
In vielen Bereichen des Internets identifizieren wir uns dazu nicht mit unserem richtigen Namen, sondern per Benutzername, also mit einem
Pseudonyme sind die technische Umsetzung unseres Bedürfnisses, auch im globalen Internet privat zu sein und uns privat verhalten zu können – wie bei einem zufälligen Gespräch auf einer Party oder an der Bushaltestelle. Doch das Internet ist keine Gartenfeier, sondern weltweit öffentlich. Gerade hier hat Pseudonymität wichtige Vorteile:
- Schutz: Gefällt ein Teil der eigenen Identität im Internet nicht mehr, lässt sich ein Pseudonym abstreifen – ohne Konsequenzen für unser Offline-Leben oder das unserer
- Diskussionsfreiheit: Pseudonyme verändern unser Kommunikationsverhalten:
- Ungebundenheit: Unter einem Pseudonym sind wir nicht an soziale Faktoren wie Aussehen, Geschlecht oder Beruf gebunden. So lässt sich online die eigene Neugier uneingeschränkt ausleben – auch in Bereichen, in die wir uns im wirklichen Leben nicht trauen würden. So lässt sich online leicht mit unserer eigenen Identität
Es ist deshalb im Interesse aller Nutzer, dass Teile unserer digitalen Identität anonym und geschützt bleiben. Je weniger Daten dabei preisgegeben werden, desto sicherer sind wir. Das erklärt die Beliebtheit großer Online-Foren wie Reddit, das zum Registrieren außer einer E-Mail-Adresse keine Daten abfragt.
Spielverderber: Facebook
Zurück zu Facebook. Mark Zuckerberg will von Pseudonymen nichts wissen. Er gilt seit 2010 als Galionsfigur der
Diese Aussage verstand Zuckerberg wohl als programmatische Vorbereitung seiner Vision eines übergreifenden Identitäts-Dienstleisters. »Du hast eine Identität […] Zwei Identitäten zu haben, zeugt von einem Mangel an Integrität.« – Mark Zuckerberg (2010)
Damit spielte er das Angebot von Facebook als Kommunikationskanal, Identitäts-Spielraum und Online-Visitenkarte gegen das Bedürfniss der Benutzer nach Pseudonymität aus. Zuckerberg
Also: Nur noch eine Identität für alle? Mit seiner Meinung kommt Zuckerberg dem Klarnamen-Zwang im Internet autokratischer Länder wie China oder Russland jedenfalls
Constanze Kurz erklärt, was passiert, wenn die Trennung zwischen dem materiellen Leben und der Identität im Netz aufgehoben wird: »Das kann beispielsweise mit harten Konsequenzen für den eigenen Arbeitsplatz verbunden sein oder zu Zwangs-Outings führen. Eventuell hat man Fetische sexueller Natur. Wenn die öffentlich werden, kann das sehr unangenehm werden.«
Im Extremfall schützt ein Pseudonym sogar das eigene Leben. In Deutschland wirkt dieser Satz befremdlich. Ein Blick über das Mittelmeer genügt aber, um die politische Bedeutung zu verdeutlichen. So war im Jahr 2011 die unerkannte Kommunikation in Blogs und auch über Facebook ein wichtiger Stützpfeiler des Arabischen Frühlings.
»Wenn dir deine Freunde einen Spitznamen geben und du ihn gerne auf Facebook benutzen möchtest, solltest du das tun können.« – Mark Zuckerberg (2015)
Anonym und online wurden Proteste
Vielleicht hat Mark Zuckerberg auch deshalb etwas eingelenkt. Wahrscheinlicher ist aber, dass
Kann der »gläserne Bürger« eine Lösung sein?
Manche Bürger denken nicht an den Schutz ihrer digitalen Identität. Sie geben im Internet aus Gewohnheit und Bequemlichkeit einfach alles an und werden online freiwillig zum »Wir haben uns in unsere Rolle des ständigen Datengebers eingelebt.« – Constanze Kurz in »Die Datenfresser« (2011)
»gläsernen Bürger«. Selbst, wenn man Anbietern wie Facebook vertraut: Kann das gut gehen?
Es kann, muss aber nicht. Im Internet sind schließlich nicht nur Firmen und Kunden unterwegs. Wer Daten von sich allzu bereitwillig ins Netz stellt, riskiert dabei, das Opfer von Kriminellen zu werden. Wer beispielsweise auf Facebook angibt, wo er gerade in Urlaub ist, bestätigt Einbrechern damit, nicht daheim zu sein. Öffentliche Informationen über soziale Strukturen können als Türöffner für Betrugsversuche dienen – etwa durch eine falsche Nachricht von einem
Auch die eigene Identität ist nicht vor Online-Dieben sicher. Schon ein voller Name samt Geburtsdatum als öffentliche Informationen
Das musste Mark Zuckerberg erst kürzlich selbst spüren. Kriminelle kaperten durch gestohlene LinkedIn-Daten den Twitter-Account des Unternehmers. Sie hinterließen nur eine Textnachricht, »gehackt vom OurMine Team«, und verkündeten:
Das Beispiel von Zuckerberg zeigt: Niemand ist vor Identitäts-Diebstahl
Ausweg »Digitaler Selbstmord«?
Für viele Menschen wirkt die soziale Identität im Internet überfordernd – besonders auf Facebook mit den ständig tickenden Nachrichten und dem Druck, Daten von sich preiszugeben.
Jeder Nutzer hat selbstverständlich das Recht, sich der Selbstdarstellung im Internet zu entziehen. Die Idee ist so einfach wie radikal: Die eigene Facebook-Identität ganz abschalten. Man begeht quasi
»Das Risiko ist zu hoch und Facebook kostet viel zu viel Zeit. Außerdem gehören meine Daten nur mir. Man muss nicht jeden Quatsch mitmachen.« – ein Aussteiger
Opfer, die das Ziel von Hassbotschaften (Cyber-Mobbing) oder sexueller Belästigung sind, können sich so kurzfristig schützen. Doch wer seine öffentliche Identität aus dem Netz abzieht, spürt das früher oder später im privaten Leben.
Die Einschränkungen ohne Social-Media-Profil sind heutzutage bereits hoch:
Ob es das wert ist, muss jeder selbst für sich entscheiden – und auch weiterhin entscheiden können. Constanze Kurz ergänzt als Perspektive: »Die Politik muss die Freiheitsgrade offen halten für die, die das nicht wollen. Das wird in Zukunft ein Thema sein.«
Der »aufgeklärte Nutzer« als Lösung
»Ich finde das menschenfeindlich, wie man sich auf Identitäts-Plattformen vom Kind bis zum Greis profilieren muss. Ich sehe aber auch, dass das viele Leute praktisch finden und verurteile niemanden dafür.« – Constanze Kurz
Internet-Experten wie Constanze Kurz warnen zwar vor der Gefahr durch soziale Medien wie Facebook, doch auch sie wissen, dass viele Menschen gern in Zuckerbergs »digitalem Ökosystem« unterwegs sind, posten und liken.
Ihre Lösung: der aufgeklärte Nutzer. Constanze Kurz erklärt das anschaulich anhand einer jüngeren Netz-Generation, die mit einer eigenen digitalen Identität aufgewachsen ist: »Identitäts-Management machen die Jüngeren ganz automatisch. Die haben die ganze Diskussion um Privacy mitbekommen und wissen sehr genau, dass Eltern und Lehrer mitschnorcheln im Internet. Jugendliche googeln sich selbst und nehmen die Einstellungen so vor, dass das Bild entsteht, was sie möchten.«
Der aufgeklärte Nutzer weiß also genau, welche eigenen Daten von ihm im Netz zu finden sind, auf welchen Plattformen er sich bewegt und welches Außenbild er abgibt. Bei Facebook funktioniert das über die »Der Umgang mit der eigenen Online-Identität ist natürlich auch eine Bildungsfrage.« – Constanze Kurz
– ein Kompromiss zwischen digitaler Freiheit und Zuckerbergs Ein-Name-Politik.
Das erfordert Übersicht und kostet Zeit und Mühe. »Man muss sich mit dem Thema schon auseinandersetzen«, findet Kurz und gibt noch eine Perspektive mit, die Zuckerbergs große Identitäts-Pläne langfristig durchkreuzen könnte: »An Schulen habe ich gelernt, dass Facebook mittlerweile für alte Leute ist. Die Jugendlichen wechseln heute gemeinschaftlich, am liebsten dorthin, wo eben Lehrer und Eltern nicht sind – einige auch zu nicht-kommerziellen Alternativen.«
Mit Illustrationen von Lucia Zamolo
Mit Illustrationen von Lucia Zamolo für Perspective Daily