Klimaschutz schadet der Wirtschaft? 7 Thesen, warum das falsch ist
Wohlstands- und Jobverlust wegen Klimaschutzmaßnahmen – davor fürchten sich fast 40% der Deutschen. Warum wir das so wahrnehmen und warum ein Festhalten am Status quo viel gefährlicher ist.
Wer der öffentlichen Debatte in Deutschland lauscht, könnte meinen, unserem Wohlstand stehe vor allem eines im Weg: Klimaschutz. Egal ob Heizungsdebatte oder Agrardiesel – immer wieder sprechen wir darüber, wie Klimaschutzmaßnahmen unser Leben angeblich verschlechtern. Klimaschutz heißt für die meisten Menschen Verzicht, für den man sich auf Kosten des Wohlstands und der Wirtschaft entscheiden muss.
Eine
- Knapp 4 von 10 Bürger:innen befürchten, dass die Energiewende den Wohlstand in Deutschland gefährdet. 4 von 10 sind zudem der Meinung, die Verkehrswende sei wirtschaftsschädigend.
- 25% der Bürger:innen befürchten Jobverluste durch die Energiewende. Bei der Verkehrswende sind es rund 40%.
Wer diese Ängste hat, ist laut Studie weniger bereit, wichtige Maßnahmen zu unterstützen – selbst wenn eine große Mehrheit der Deutschen die Klimakrise grundsätzlich als Bedrohung ansieht. Das ist ein Problem: Denn Klimaschutz gelingt nur dann, wenn eine Mehrheit bereit ist, ihn
Es gilt also, die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen.
Das möchte ich mit diesem Text tun. Ich frage mich: Inwiefern sind diese Sorgen berechtigt? Woher kommen sie? Und was kann der Klimaschutz daraus lernen? Eines wird deutlich: Klimaschutz und Wohlstand schließen sich nicht grundsätzlich aus – auch wenn uns Klimabremser:innen das glauben machen wollen.
1. Die Klimakrise belastet uns stärker als die schärfste Klimapolitik
Eines vorab: Die Klimakrise wird uns viel stärker belasten als die schärfste Klimapolitik. Doch wer ist dabei »wir«? Die ärmsten und am wenigsten für den Klimawandel verantwortlichen Länder und Personengruppen leiden schon heute am stärksten.
Laut Weltwirtschaftsforum wird der Klimawandel bis 2050 weltweit bis zu
Nichts ist teurer als eine ungebremste Klimakrise […] – nicht nur ökonomisch, sondern auch sicherheitspolitisch, gesundheitlich, gesellschaftspolitisch, persönlich.
2. Die Angst vor Verlusten in der Gegenwart verschleiert unseren Blick für zukünftige Gewinne
Dass das nicht so richtig verfängt, liegt an unserer Psychologie. Wir tun uns schwer damit, bei Kosten-Nutzen-Rechnungen Kosten ausreichend zu berücksichtigen, die erst in ferner Zukunft anfallen. Wissenschaftler:innen bezeichnen das als Verlustaversion, die bedingt, dass wir viel empfindlicher auf jetzige Verluste reagieren als auf zukünftige Gewinne.
Eine Lobby aus rechten Parteien, wirtschaftlichen Verbänden, alternativen Medien und radikalen Einzelpersonen nutzen diese psychologische Disposition, um gezielt Ängste zu schüren. Das jüngste Beispiel dafür ist FDP-Verkehrsminister Volker Wissing, der Anfang April mit Fahrverboten am Wochenende drohte, um das Klimaschutzgesetz der Ampel-Regierung zu
Unter Klimabremser:innen ist diese Taktik weit verbreitet. Sie lenken so von den Schäden ab, die der Klimaschutz verhindert, und leugnen die Möglichkeit einer Politik, die Klimaschutz und soziale Vorteile kombiniert.
3. Die Politik muss den Rahmen vorgeben, um Klima und Wirtschaft zu vereinen
Wissings Behauptung war falsch. Zu keiner Zeit waren Fahrverbote ein ernsthaftes Szenario. Es gibt zig andere Möglichkeiten, um die Emissionen im Verkehrssektor zu senken, die nicht so einschneidend sind. Klar ist jedoch, dass wir manch eine Gewohnheit ändern müssen, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen.
Viele Deutsche nehmen das als Wohlstandsverlust wahr. Das liegt vor allem an unserer etablierten ökonomischen Denkweise. Wir assoziieren Wohlstand mit unserem Kontostand. Die Annahme: Je mehr Güter und Dienstleistungen wir uns leisten können, desto besser geht es uns. Unsere Wirtschaft muss daher
Nun kann eine unbedachte Klimaschutzpolitik tatsächlich kurzfristig das Wirtschaftswachstum hemmen oder verringern, da emissionsintensive Aktivitäten entweder eingeschränkt oder teurer werden.
Ein Beispiel dafür ist die
Felix Ekardt, Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig, betont jedoch, dass die
4. Das größte Risiko ist das Festhalten am Status quo
Gleichzeitig kann sich Klimaschutz ökonomisch auszahlen. Wenn etwa Unternehmen neue
Laut Jan Wiesenthal, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung, ist es für deutsche Unternehmen ein Muss, da mitzuhalten. »Wenn wir das verschlafen, werden andere Standorte wichtiger«, sagt er. Wie schnell das gehen kann, spürte die Solarbranche in der Vergangenheit, und spürt es derzeit wieder: Da Unternehmen aus China den europäischen Markt mit Solarmodulen zu Dumping-Preisen fluten, fürchten deutsche Hersteller:innen, vom Markt verdrängt zu werden. Sie fordern daher
Gleichzeitig zeigt eine
5. Wir brauchen ein neues Maß für Wohlstand
Allerdings ist unsere Logik – Wachstum gleich Wohlstand –
Warum das so schwierig ist, wird am Beispiel der Elektromobilität deutlich: E-Autos haben zwar keine Verbrennungsmotoren, dafür aber Batterien, deren Produktion mit immensen Emissionen sowie dem Einsatz von seltenen Erden und Metallen verbunden ist. Zudem ändern E-Autos nichts an der benötigten Infrastruktur: Auch sie brauchen Straßen, Parkplätze, Autohäuser, Tankstellen, Waschanlagen, Werkstätten. Unterm Strich schaden also auch E-Autos dem Klima, wenn wir nicht gleichzeitig unser Mobilitätsverhalten ändern.
Wir brauchen also
Was macht ein gutes Leben aus? Das ist eine sehr wichtige Frage, die wir diskutieren müssen.
Wie der Abschied vom Wachstum gelingen könnte, ohne dass Tausende Menschen ihre finanzielle Sicherheit verlieren, erforscht die sogenannte
6. Klimaschutz kostet einige Jobs – und schafft viele neue
Laut Bertelsmann-Studie befürchten rund 25% der Deutschen Jobverluste durch die Energiewende. Bei der Verkehrswende sind es sogar rund 40%.
Letzteres liegt auch daran, dass die Verkehrswende häufig auf eine reine Antriebswende reduziert wird, also den Umstieg von Verbrenner- auf Elektromotoren. Unterschiedlichen Studien zufolge verlieren wir hier zwischen
Jedoch geht es bei der Verkehrswende um mehr als nur den Abschied vom Verbrennungsmotor. Wenn Menschen ihr Mobilitätsverhalten ändern und der öffentliche Nahverkehr ausgebaut wird, entstehen neue Jobs in der Organisation, Logistik, Überwachung oder dem Infrastrukturaufbau. Mit
Auch in der Energiewende beobachten Expert:innen, dass Arbeitsplätze verloren gehen, aber auch neue entstehen. Der Bergbau wird im Zuge des Kohleausstiegs zum Beispiel ganz verschwinden. Einer
7. Das eigentliche Problem ist der Fachkräftemangel
Daraus folgt laut Holzmann eine ganz andere Sorge als die des Klimaschutzes als »Jobkiller«: Der Mangel an qualifizierten Fachkräften könnte die Umsetzung der Energie- und Verkehrswende möglicherweise bremsen.
Beispiel Öffentlicher Nahverkehr: Um die Pariser Klimaziele einzuhalten, wollen Bund und Länder die Fahrgastzahlen bis 2030 im Vergleich zu 2019
Allerdings verzeichnen nicht alle Qualifikationsbereiche, Sektoren und Regionen unterm Strich einen Zuwachs. Um Arbeitnehmer:innen in diesen Bereichen den Übergang zu erleichtern, müssen Politik und Unternehmen Umschulungsmöglichkeiten anbieten und Standortwechsel erleichtern. Die EU bezeichnet das als
Dafür fließen viele Gelder. Allein die Braunkohleregionen rund um die Lausitz erhalten
Zu einem gerechten Übergang zählt auch, dass die neuen Jobs faire Arbeitsbedingungen und Löhne gewährleisten. In der Realität geht das jedoch nicht immer auf: So deckte eine
Angesichts dieser Erfahrungen überraschen die folgenden Zahlen nicht:
Ob Klimaschutz kurzfristig der Wirtschaft schadet, hängt also davon ab, wie ihn Politik und Wirtschaft gestalten. Klar ist jedoch: Die Klimakrise gefährdet unsere Lebensgrundlagen. Wohlstand, eine florierende Wirtschaft und letztlich ein gutes Leben werden in Zukunft ohne Klimaschutz kaum möglich sein.
Redaktionelle Bearbeitung: Felix Austen
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