Wie Herr G. die Angst bezwang – und was du von ihm lernen kannst
Corona, Krisen, Katastrophen – Studien belegen, dass Menschen zunehmend von Ängsten geplagt werden. Der Berliner Filmemacher und Autor Thorsten Glotzmann hat sich seiner Angst gestellt und mithilfe von Psychologie und Philosophie Strategien gegen sie entwickelt.
Auf der abenteuerlichen Suche nach einer Therapeutin musste Herr G. zwei Widerstände überwinden. Einen inneren und einen äußeren. Wobei gar nicht so einfach zu entscheiden war, welcher der beiden schwieriger zu überwinden war. Der äußere Widerstand bestand schlicht darin, dass es in seiner Stadt für eine immer größere Zahl von Patient:innen zu wenig Therapieplätze gab.
Herr G. hatte von einem Freund eine ganze Liste von Therapeut:innen bekommen, die er der Reihe nach abarbeitete. Er telefonierte, schrieb E-Mails, immer und immer wieder mit dem gleichen Ergebnis, sofern er eine Antwort bekam: »Im Augenblick haben wir leider keinen Platz für Sie, tut uns leid! Sie können sich aber in die Warteliste eintragen.«
Es schien einfacher, in den begehrtesten Techno-Club der Stadt eingelassen zu werden, der für seine kompromisslosen Türsteher bekannt war, als einen Therapieplatz zu ergattern. Und ähnlich wie bei einem Techno-Club, vor dem sich an jedem Wochenende aufs Neue endlose Schlangen bildeten, kam es auch hier auf zwei Dinge an: Geduld und Glück.
Herr G. hat Angst

Klima, Krieg, Katastrophen. Menschen wie Herr G. sind wie gelähmt von ihrer Angst. Das Buch folgt Herrn G. bei seiner Reise durch Philosophie, Wissenschaft und Therapie, auf der er die Angst verstehen lernt – und sie am Ende bezwingt. Das Buch ist am 14.03.24 im Berlin Verlag | Piper erschienen.
Bildquelle: Berlin VerlagZumindest das Erste nicht unbedingt eine Stärke von Herrn G. Doch eines Morgens rief er Frau Dr. T. an, eine Verhaltenstherapeutin, die auf Angst spezialisiert war und – es war kaum zu glauben – noch einen Platz frei hatte.
Der innere Widerstand, den Herr G. in sich spürte, war gespeist aus Scheu, Scham und Skepsis – einer Skepsis, die wiederum einem falschen Bild von Therapie und vielleicht auch einem falschen Bild von Männlichkeit geschuldet war, aber auch einer Angst davor, fortan als »Patient« gebrandmarkt zu sein.
Als einer, der schwach und fragil war, noch dazu mental fragil. Einer, auf den womöglich kein Verlass mehr war, auf den die Leistungsgesellschaft nicht mehr zählen konnte, einer, der sich unproduktiv in seinen psychischen Problemchen wälzte, statt anzupacken und weiterzumachen.
Stimmte es nicht, dass man nach einer Therapie keine Berufsunfähigkeitsversicherung mehr bekam oder nur noch zu schwindelerregenden Tarifen? War das nicht der Beweis, dass ein Mensch in Therapie quasi schon nicht mehr als berufsfähig betrachtet werden konnte? Ein unkalkulierbares, nicht mehr versicherbares Risiko. Eine Therapie konnte so gesehen der Anfang vom Ende sein und Herrn G.’s Karriere zerstören.
Natürlich war das Unsinn. Ein Mensch, der sich auf eine Therapie einließ, war ein Mensch mit Einsicht, ein Mensch, dem etwas klar geworden war und der reif genug war, sich darum zu kümmern. Mutig war es, Probleme anzugehen, nicht: sie von sich zu weisen, wegzuschieben, in Betäubungsmitteln zu ertränken. Das kam für Herrn G. ohnehin nicht infrage: Alkohol war nichts als ein Katalysator seiner Ängste – nichts, aber auch wirklich gar nichts wurde besser, wenn er sich mit Drogen oder Tabletten aus der Welt schoss. Herr G. wollte sich nicht betäuben, er wollte klarer sehen.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily