Was du klickst, hat Konsequenzen. Warum das wichtig ist, erfährst du heute in unserem Podcast.
7. August 2017
– 6 Minuten
Janina Kämper
Du willst lieber lesen als hören? Dann findest du hier die Leseversion des Podcasts:
Es wird viel über Journalisten und Berichterstattung geredet. Lügenpresse, Vertrauenskrise – was haben wir an Medienkritik und Bashing nicht noch alles in den letzten Jahren gehört. Das hat Medienmacher in Bewegung gesetzt: neue Formate, mehr Debatten, all das soll die Medienwelt nahbarer und transparenter machen. Doch während auf der einen Seite viel passiert, viel entwickelt wird, bleibt auf der anderen Seite die Frage: Was macht eigentlich der Leser mit dem Angebot?
»Digitalisierung bedeutet eine fundamentale Umstrukturierung der Beziehung zwischen Leser und Journalist.« – Katherine Viner, Chefredakteurin von »The Guardian«
Sicher: Als Journalismus digital wurde, hat das viel für Redaktionen und Rezipienten verändert. Es gab Informationen meist nur in abgeschlossenen Formaten: in Zeitungen, Büchern und im Fernsehen. Wenn Leser oder Zuschauer Beiträge loben, etwas anmerken oder kritisieren wollten, dann mussten sie noch ganz klassisch einen Leserbrief losschicken und darauf hoffen, dass irgendwer in der Redaktion den auch liest und dann vielleicht veröffentlicht.
Zukunftsorientiert, verständlich, werbefrei. Dafür stehen wir. Mit Wohlfühl-Nachrichten hat das nichts zu tun. Wir sind davon überzeugt, dass Journalismus etwas bewegen kann, wenn er sowohl Probleme erklärt als auch positive Entwicklungen und Möglichkeiten vorstellt. Wir lösen Probleme besser, wenn wir umfassend informiert und positiv gestimmt sind.
Heute läuft das anders, besonders bei Online-Medien. Online rücken Journalisten und Leser immer näher zusammen. Artikel können in sozialen Netzwerken oder in eigenen Foren auf Nachrichtenseiten besprochen werden. Es gibt also direktes Feedback. Fand der Leser den Artikel gut, fand er ihn schlecht, fehlen ihm Informationen? Aber nicht alle Leser kommentieren,
Was neben mehr Kommentaren im Zeitalter des Online-Journalismus zudem neu ist, ist der Begriff der »Community«. Früher wurden Leser eher wie Kunden behandelt. Der Deal galt: Geld gegen Informationen. Heute gibt es die Community, weil neue mitgliederfinanzierte Start-ups entstanden sind – wie die Leser sehr stark in ihre Recherchen einbeziehen, konstruktive Online-Medien wie Perspective Daily, der niederländische und bald die Community, das sind nicht nur die, die kommentieren, sondern auch die, die mit ihren Klicks zeigen, was sie interessiert, oder die eigene Themen vorschlagen.
Um die Zusammenarbeit mit den Lesern und die Balance zwischen Journalismus und Community – darum soll es in unserem heutigen Podcast gehen. Dafür habe ich mir einmal Unterstützung aus unserer Redaktion geholt – von vor und hinter den Kulissen. Deshalb stehen bei mir Christine Knappheide und Marc Tiemann, beide in der Öffentlichkeitsarbeit, und Maren Urner, Gründerin von Perspective Daily und Autorin.
Christine, Öffentlichkeitsarbeit schwebt vielen auch als so eine Art Kundenbetreuung vor – ist das so oder wie geht ihr heute mit der Community um?
Christine Knappheide:
Wir versuchen wirklich jede E-Mail und jedes Telefonat persönlich zu beantworten. Denn gerade das Feedback von unseren Mitgliedern macht Perspective Daily zu dem, was es ist: eine Community.
Marc, du warst auch von Anfang an dabei und hast dich in der Öffentlichkeitsarbeit sofort um 12.000 Mitglieder gekümmert, die in der großen
von Perspective Daily im Frühjahr 2016 dazukamen. War das nicht ein Riesendruck, plötzlich so viele Menschen zu betreuen?
Marc Tiemann:
Natürlich ist es ein Riesendruck, aber auch aufregend. Von Anfang an hatte ich das Gefühl, dass ich die Mitglieder zwar nicht persönlich kenne, aber einen persönlichen Kontakt habe.
Maren, als Gründerin von Perspective Daily hattest du die Idee, ein mitgliederfinanziertes Online-Medium zu starten. Also auch eine ganz enge Leserbindung zu erzeugen. Warum?
Maren Urner:
Wir waren überzeugt, dass wir das ganze Wissen von unseren Mitgliedern in unsere Berichterstattung einbeziehen wollen. Natürlich schreiben unsere Autoren über die Themen, bei denen sie sich gut auskennen. Das heißt aber nicht, dass sie alles zu einem Thema wissen. Deswegen fragen wir bei den Mitgliedern nach: Wo kennt ihr euch besonders gut aus? Welche Themen brennen euch auf der Seele? Wo könnt ihr uns weiterhelfen?Maren Urner
Dass dieses Wechselspiel auch funktioniert, hat mit Akzeptanz und Respekt zu tun, den sich auf der einen Seite die Mitglieder und auf der anderen Seite die Autoren hinter die Ohren schreiben müssen.
Welche Rolle spielt das Mitglied in einer Community?
Maren Urner:
Häufig wird ja kritisiert, dass die Journalisten nicht verantwortungsvoll handeln. Aufgrund von dem, was du eingangs gesagt hast, fragen wir: Was ist denn eure Verantwortung?Maren Urner
Wir hatten in den letzten Wochen erste Diskussionen darüber, wie wir unsere Überschriften gestalten. Natürlich ist die Überschrift, mit dem kleinen Vorspann und dem Bild eine ganz wichtige Information, worüber sich entscheidet, ob möglichst viele Mitglieder und Nicht-Mitglieder einen Artikel anklicken und auch lesen oder eben nicht. Da experimentieren wir und sind auf das Feedback angewiesen. Versuchen aber auch ganz aktiv, unsere Perspektive zurückzuspielen.
Der Unterschied zwischen Perspective Daily und vielen anderen Nachrichtenseiten ist die Finanzierung. Eine durchschnittliche Online-Nachrichtenseite wird noch sehr stark über Werbung finanziert. Viele Klicks auf solche Seiten lässt die Werbeeinahmen steigen. Das ist bei uns nicht der Fall. Also könnte man argumentieren, dass es ganz egal ist, wie viele Menschen einen Artikel lesen. Das ist natürlich nicht so. Denn unsere Grundmotivation ist, dass wir einen größtmöglichen mit unseren Artikeln erzeugen wollen. Und der wird natürlich erhöht, je mehr Menschen sie lesen und teilen. Dafür kommt es auf unsere Mitglieder an, denn sie sind sozusagen die Verantwortlichen, dass möglichst viele Menschen den Artikel sehen und lesen können.
Marc Tiemann:
Zum Thema »Community« kann ich auch noch etwas sagen. Viele schreiben, dass sie es toll finden, was wir machen, und uns total gerne angestoßen haben. Aber wir bräuchten sie ja jetzt nicht mehr. Diese Mitglieder vergessen dann, dass wir auch nach dem erfolgreichen Crowdfunding nur von unseren Mitgliedern abhängig sind. Ein weiteres Feedback: Einzelne Positionen in unseren Artikeln würden einige Mitglieder verärgern.
Maren Urner:
Genau das landet dann auf den Computern und Schreibtischen der Autoren. Wir provozieren auch manchmal mit Absicht, um unsere Mitglieder aus ihrer eigenen – wie man so schön sagt – herauszulocken und über andere Perspektiven nachdenken zu lassen. Bei der Recherche versuchen auch wir Autoren, nicht die schwächsten Gegenargumente unseres Gegenübers aufzugreifen, sondern die stärksten. Um dann auch in der Lage zu sein, wirklich ernsthaft zu diskutieren.
Christine Knappheide:
Das Feedback unserer Mitglieder ist uns sehr wichtig, aber es ist auch eine gewisse Herausforderung, sich bei jeder E-Mail, bei jedem Telefonat auf ein neues Thema einzulassen. Mal funktioniert etwas nicht beim Einloggen, mal wird eine Meinung nicht geteilt. Das kann auch manchmal anstrengend sein, und in diesen Momenten wünsche ich mir immer, dass ein Perspektivenwechsel auf beiden Seiten passiert.
Wenn die Community viel Einfluss hat, wer entscheidet denn, was die Nachrichten von morgen sind: Die Mitglieder oder die Autoren?
Maren Urner:
Es ist natürlich ein Mix. Schon alleine, weil die Diskussionen unter den Artikeln häufig dafür sorgen, dass wir neue Ideen für den nächsten Beitrag entwickeln. Es wäre schwierig zu sagen, dass das nur die Autoren oder nur die Mitglieder bestimmen.
Die wichtigste Frage in den Nachrichten ist die der Relevanz. Was wir in vielen klassischen Medien häufig bemängeln, ist, dass es nicht so scheint, als ob die relevantesten Themen auf der Seite 1 landen. Sondern die Themen, die bestimmten Leuten gefallen oder Klickzahlen erzeugen. Denn gerade im Online-Bereich, der über Werbung finanziert wird, entscheidet der Klick, was morgen auf Seite 1 steht. Und dieser Verantwortung sollte sich jeder Leser bewusst sein.
Marc Tiemann:
Aus unserer Sicht ist das erste Jahr bei Perspective Daily sehr positiv verlaufen. Das Bewusstsein ist da. Das haben wir in den Diskussionen unter den Artikeln gesehen, die sehr konstruktiv geführt werden. Das gilt auch für den E-Mail-Verkehr und die Anrufe. Wir haben gemerkt, das Bewusstsein ist da und es geht auch online.
Der Anspruch an Journalisten und das Team eines Online-Mediums ist hoch, und das merken auch wir bei Perspective Daily jeden Tag. Digitalisierung schafft Zugang auf beiden Seiten, deshalb sollten Journalisten und Leser ihre eigenen Rollen in den Medien reflektieren.
Aber wir wollen nicht nur Selbstgespräche führen. Schreibe uns in den Diskussionen, auf Facebook und Twitter, in welcher Beziehung du dich heute zu der Berichterstattung und ihren Machern verstehst. Empfängst oder beeinflusst du bereits Informationen und Nachrichten?
Uns ist wichtig, in der Redaktion gemeinsam zu arbeiten: In der Regel wird jeder Artikel während seiner Entstehung mit 3–4 Autorinnen und Autoren aus dem Team besprochen. Es gibt aber auch Texte, die in einer noch engeren Zusammenarbeit entstehen oder womit wir uns als Redaktion geschlossen positionieren wollen. Diese Texte stehen dann für das ganze Team von Perspective Daily.