Die wenigsten wissen: Die Pro-Kopf-Emissionen fallen seit über 10 Jahren
Mit schlauen Grafiken zeigt Datenanalystin Hannah Ritchie, wo wir beim Klimaschutz und bei anderen Umweltproblemen schon viel erreicht haben. Oder wusstest du, dass du vielleicht viel mehr konsumierst als deine Großeltern – und trotzdem viel weniger Treibhausgase verursachst?
Was nur die wenigsten wissen, ist, dass die Welt den Höhepunkt der Emissionen pro Kopf bereits überschritten hat, und zwar schon vor einem Jahrzehnt.
Wir sind ganz nahe dran.
In den 1960er- und 70er-Jahren stiegen die Emissionen schnell an, dann wieder in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren. Aber in den letzten Jahren ist dieses Wachstum sehr viel langsamer geworden. Von 2018 bis 2019 sind die Emissionen kaum noch gestiegen. Und im Jahr 2020 sind sie infolge der Coronapandemie sogar gesunken. Ich bin optimistisch, dass wir den Höhepunkt der globalen Emissionen in den 2020er-Jahren erreichen können.
Wer stößt die meisten Treibhausgase aus?
Wenn wir den Höchstwert und dann die Reduktion von Emissionen erreichen wollen, müssen wir wissen, wo sie überhaupt herkommen. Wer ist dafür verantwortlich? Das wirkt jetzt wie eine recht simple Frage, eine einfache Antwort gibt es aber nicht. Eins und eins zusammenzuzählen ist hier nicht die Schwierigkeit, die notwendigen Zahlen dafür habe ich alle parat. Das Problem ist, sich darauf zu einigen, was »verantwortlich« eigentlich bedeutet. Es gibt so viele Kennzahlen, die wir für einen Ländervergleich verwenden können, und man ist sich stets uneins, welche sich davon am besten eignen.
Geht es darum, wie viele Emissionen jedes Land pro Jahr oder pro Kopf ausstößt? Und was ist mit der historischen Verantwortung der Länder? Sollten wir alle Emissionen im Verlauf der Zeit miteinbeziehen? Und dann ist da noch das heikle Thema Handel: Auf wessen Emissionskonto geht es, wenn zum Beispiel Deutschland etwas kauft, was in China hergestellt wurde? Letztendlich gibt es nicht die eine »richtige« Antwort.
Es hilft, diese Zahlen einzuordnen.
Die Ungleichheit wird hieran schon deutlich. Indien ist für 7 Prozent der Emissionen verantwortlich, dort leben aber auch 18 Prozent der gesamten Weltbevölkerung. In den USA mit ihren 14 Prozent Emissionen leben jedoch nur 4 Prozent der Weltbevölkerung. Es ist fast das direkte Spiegelbild des gesamten afrikanischen Kontinents, auf dem 17 Prozent der Weltbevölkerung leben, wo aber nur 4 Prozent der Emissionen verursacht werden. Und die Unterschiede werden noch extremer, wenn man die einzelnen Länder betrachtet und ihre Emissionen pro Kopf vergleicht.
Das Bild ändert sich ebenfalls stark, wenn wir die historische Verantwortung der einzelnen Länder betrachten. Dazu addieren wir alle Emissionen eines Landes seit dem Jahr 1750. Dann liegen die USA mit einem Anteil von 25 Prozent an den weltweiten Emissionen weit vorne, gefolgt von der EU mit 17 Prozent. China rutscht auf den dritten Platz ab, da es nur halb so viel wie die USA verursacht hat. Indien liegt mit einem Anteil von gerade einmal 3 Prozent sogar noch weiter hinten.
Diese Perspektivwechsel können nützlich sein. Doch wenn es beim Klimawandel ständig um gegenseitige Schuldzuweisungen geht, nimmt das kein Ende. Man streitet sich nicht wirklich über die Zahlen, sondern darüber,
Wer reicher ist, sorgt für mehr Emissionen – doch das ist nur die halbe Wahrheit
Einige Länder in Subsahara-Afrika tragen fast nichts zu den weltweiten Emissionen bei. Im Tschad stößt eine Person im Schnitt nur 0,06 Tonnen CO2 pro Jahr aus. Sie verursacht also in einem
Jahr so viel Emissionen wie ein durchschnittlicher US‑Amerikaner in nur eineinhalb Tagen. Wer keinen Zugang zu fossilen Brennstoffen, Elektrizität, einem Auto oder zu Industrieprodukten hat, hat auch einen extrem kleinen CO2-Fußabdruck.
Mit zunehmendem Wohlstand ist der Zugang zu diesen Dingen jedoch vermehrt möglich, und unsere Emissionen steigen. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn es gibt unter den reichen Ländern große Emissionsunterschiede. Kultur, Verkehrsinfrastruktur und welche Energiequelle wir nutzen, das alles spielt eine große Rolle. Der Lebensstandard in Schweden ist genauso hoch wie in den USA, wenn nicht sogar höher – dennoch stößt ein Schwede im Schnitt nur ein Viertel der Emissionen des durchschnittlichen Amerikaners aus und halb so viel wie der durchschnittliche Deutsche. Andererseits haben einige Länder mit mittlerem Einkommen, wie beispielsweise China und Südafrika, inzwischen viele reichere Länder in Europa bei den Pro-Kopf-Emissionen überholt.
Und das liegt nicht nur daran, dass die reichen Länder ihre Emissionen in andere Länder ausgelagert haben.
Schweden und Frankreich mit ihrem hohen Anteil an Wasser- und Atomkraft haben sehr kohlenstoffarme Stromnetze. Sie verursachen keine massiven Verkehrsemissionen wie die USA. Das gute Leben muss nicht auf Kosten des Klimas gehen.
Nachhaltiger als meine Oma: Viele Länder haben ihre Emissionen bereits reduziert. Eine Mail von meiner Oma zu bekommen ist eins der kleinen Dinge im Leben, die mir die größte Freude bereiten. Meine Oma ist Ende achtzig und schafft es halbwegs, ein Tablet zu bedienen. Sie beherrscht grundlegende Funktionen wie Fotos anschauen oder Mails schicken. Sie hat weder ein Smartphone noch einen Laptop oder eine Smartwatch. Mein Opa lehnt jede moderne Technologie ab – außer Fernsehen. Das Leben der beiden ist noch immer fast so wie vor ein paar Jahrzehnten.
Beim Klimawandel gibt es daher eine Art Kluft zwischen den Generationen. Viele finden, das Problem sei die Lebensweise der Jugend: Wir verbringen den ganzen Tag mit energiefressenden Geräten, ziehen in dicht bebaute Städte ohne Gärten oder Grünflächen, kaufen einen Haufen Zeug, das wir dann nicht reparieren, wir rationieren unser Essen nie und verschwenden zu viele Lebensmittel. Dennoch ist mein CO2-Fußabdruck weniger als halb so groß wie der meiner Großeltern, als sie so alt waren wie ich. Denn als sie in den Zwanzigern waren, verbrauchte die durchschnittliche Person im Vereinigten Königreich 11 Tonnen CO2 pro Jahr. Jetzt sind es unter 5 Tonnen. Der Unterschied zwischen mir und der Generation meiner Eltern ist ebenso groß. Von den 1950er- bis zu den 1990er-Jahren haben sich die Emissionen im Vereinigten Königreich nur wenig verändert. Erst danach, also zu meinen Lebzeiten, sind die Emissionen drastisch zurückgegangen.
Kaum zu glauben, nicht wahr? Wie kann mein Lebensstil heute nachhaltiger sein als der in den Fünfzigerjahren? Und dabei bin ich wohl kaum sparsamer als meine Eltern, eher sogar verschwenderischer. Ich drehe schneller mal die Heizung auf, nutze elektrische Geräte über längere Zeit – und trotzdem verbrauche ich sehr viel weniger Energie und sorge für weniger Kohlenstoffemissionen.
Das verdanke ich der Technologie. 1900 speiste sich fast die gesamte Energie im Vereinigten Königreich aus Kohle, in den 1950er-Jahren waren es noch immer über 90 Prozent. Mittlerweile steckt hinter weniger als 2 Prozent unserer Energie Kohle, und die Regierung hat zugesagt, bis 2025 ganz aus der Kohle auszusteigen. Dort, wo die Kohleenergie aufkam, ist sie schon fast ausgestorben, wurde durch andere Energiequellen ersetzt: Gas, Kernkraft, und jetzt befinden wir uns in der Übergangsphase zur Wind- und Sonnenenergie sowie anderen erneuerbaren Quellen.
Das bedeutet, dass wir für jede Energieeinheit, die wir verbrauchen, sehr viel weniger CO2 ausstoßen. Aber nicht nur das hat sich verändert, wir verbrauchen auch insgesamt viel weniger Energie. Der Pro-Kopf-Energieverbrauch ist seit den 1960er-Jahren um etwa 25 Prozent gesunken. Jahr für Jahr wurden unsere Geräte effizienter. Zuerst waren es Verbesserungen bei den Energiewerten von Haushaltsgeräten, dann ersetzte man ineffiziente Leuchtmittel. Schließlich kamen die doppelt verglasten Fenster und die Isolierung von Häusern, um zu verhindern, dass die Wärme nach draußen entweicht. Als ich ein Kind war, war unser Fernseher – wir hatten »nur« einen – ein riesiger Kasten, der zwei Meter tief zu sein schien. Der Bildschirm war so klein, dass man ganz nah heranrücken musste, um etwas zu sehen. Unser Auto war ein Spritfresser, aber nicht so einer wie die heutigen SUVs. So etwas hätten sich meine Eltern nie gekauft. Nein, wir hatten einen Gebrauchten, eine richtige Mühle. Ineffizient ohne Ende, mit heulendem Motor, man spürte richtig, wie er überhitzte, und der Verbrauch pro gefahrenem Kilometer war gigantisch.
Dank der enormen technologischen Fortschritte verbrauchen wir heute viel weniger Energie als früher, obwohl wir scheinbar einen viel extravaganteren, energieintensiveren Lebensstil pflegen. Die Vorstellung, dass ein kohlenstoffarmes Leben automatisch spartanisch sein muss, ist einfach falsch. Im Vereinigten Königreich verursachen wir pro Kopf heute etwa so viel Emissionen wie jemand in den 1850er-Jahren. Ich stoße dieselbe Menge an Emissionen aus wie meine Urururgroßeltern, habe dabei aber einen viel, viel höheren Lebensstandard.
Wie im Vereinigten Königreich gehen auch in den meisten anderen reichen Ländern die Emissionen rasch zurück. In den USA und Deutschland sind die Pro-Kopf-Emissionen seit den 1970er-Jahren um ein Drittel gesunken. In Frankreich sind sie um mehr als die Hälfte zurückgegangen und in Schweden um fast zwei Drittel.
Und doch sind sich nur sehr wenige Menschen darüber bewusst, dass die Emissionen am Sinken sind. Kürzlich machte einer meiner Kollegen, der Klimawissenschaftler Jonathan Foley, eine Umfrage unter seinen Followern
Tausende Follower versuchten ihr Glück. Zwei Drittel der Teilnehmenden wählten a) oder b). Nur 19 Prozent tippten auf die richtige Antwort d). Kein Wunder, dass viele denken, dass wir geliefert sind.
In vielen Ländern wuchs die Wirtschaft bei gleichzeitigem Emissionsrückgang – und zwar nicht, weil die Emissionen ins Ausland ausgelagert wurden
Wenn ich erwähne, dass die Emissionen der reichen Länder zurückgehen, kommt meist die Antwort: »Die reduzieren ja nicht wirklich ihre Emissionen, sondern lagern sie in andere Länder aus.« Da CO2-Emissionen normalerweise dem Land zugeschrieben werden, in dem sie entstehen, müssen sich die reichen Länder wohl die Zahlen schönrechnen, um eine gute Figur zu machen. Wenn sie also China, Indien, Indonesien oder Bangladesch dazu bringen können, für sie zu produzieren, müssen sie diese Emissionen nicht in ihrer eigenen Bilanz aufführen. Damit würden zwar die reichen Länder gut dastehen, dem Klima brächte es aber überhaupt nichts. Denn dem Klima ist es egal, ob das CO2 in China oder Großbritannien ausgestoßen wird, es kommt nur auf die Gesamtmenge an.
Die Auslagerung von Emissionen bietet berechtigten Grund zur Sorge. Aber zum Glück ist hier die Geschichte noch nicht zu Ende.
Im Vereinigten Königreich ist das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf seit 1990 um etwa 50 Prozent gestiegen (inflationsbereinigt). Die inländischen Emissionen sind um die Hälfte zurückgegangen, während die verbrauchsbedingten Emissionen – also die, die das Auslagern berücksichtigen – um ein Drittel gesunken sind. Es stimmt also nicht, dass das Vereinigte Königreich alle seine Emissionen ins Ausland verlagert hat. Es gibt reale Emissionssenkungen, unabhängig davon, ob sie im Inland oder international erfasst werden. Das gilt für die meisten reichen Länder. In Deutschland sind sowohl die im Inland ausgestoßenen als auch die verbrauchsbedingten Emissionen um ein Drittel zurückgegangen, das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist um 50 Prozent gestiegen. In Frankreich sind die verbrauchsbedingten Emissionen um ein Viertel gesunken, und das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist um ein Drittel gestiegen. In den USA sind die Emissionen seit 2005 um ein Viertel gesunken, und zwar sowohl im Inland als auch bei Berücksichtigung von Auslagerung.
Diese Informationen schaffen es selten in die Schlagzeilen.
Oftmals werden
Titelbild: Sergio de Paula | Collage Claudia Wieczorek - copyright