Bullshit gehört keine Bühne
Im ZDF-Format 13 Fragen geht es bei der Sendung zu Männerbildern drunter und drüber. Kein Wunder! Woran es lag und was besser gewesen wäre.
Manche Menschen in diesem Land sorgen sich um eine Verweichlichung der Männlichkeit.
Was diese Menschen damit meinen: Männer hätten es heute sehr schwer. Vor allem der ominöse Feminismus gängele und verunsichere das einst starke Geschlecht. Der Feminismus mache aus »echten Kerlen« dann einen »Schlaffi, der Augenbrauen zupfen geht und über Männerzeitschriften brütet, damit er sein Leben und seinen Alltag bewältigen kann«.
Im Übrigen sind es Formulierungen von Markus Frohnmaier aus dem Jahr 2017, einem Politiker der im Kern rechtsextremen AfD, der mittlerweile keinen Hehl aus seiner extremistischen und xenophoben Gesinnung macht. Seitdem ist diese Leitidee – die »Vertuntung der Gesellschaft«, wie Frohnmaier es nennt – zu einem beliebten Narrativ der neuen Rechten geworden. Denn diese präsentiert auch gleich eine
Influencer und Lifecoaches für »echte Kerle« breiten sich im Internet rasant aus und erzählen jungen Männern, wie sie wieder »Alpha« werden können. Dass diese ganze Terminologie auf einem groben Missverständnis wölfischer Rudelrollen basiert – also einem angeblich durchsetzungsfähigen Alphawolf, der den Ton angibt –, über
Der unbestrittene Star dieser neuen »Manosphere« und ihrer Männerbilder ist Andrew Tate, ein ehemaliger Kickboxer,
Spätestens jetzt sollte klar sein, dass es sich bei der Manosphere nicht um harmlose Männerfreunde handelt, sondern um ein Puzzlestück der Ideologie der Neuen Rechten, die damit versucht, gezielt junge Männer in typisch
Oder aber sie bieten dieser Ideologie eine Bühne …
Was bei 13 Fragen schieflief und wie das Format Konstruktivität missversteht
Konstruktiv soll die Sendung »13 Fragen« sein, die seit 2020 als Debattenformat von ZDFkultur ausgestrahlt wird. Im Kern ist der Aufbau immer derselbe: Unter einer übergeordneten »Konfliktfrage« werden 6 Teilnehmende in 2 unterschiedliche Positionen (»Ja« und »Nein«) aufgeteilt. 13 Fragen lang diskutieren diese miteinander und versuchen ihre Standpunkte klarzumachen. Am Ende schlagen die beiden Seiten einen Kompromiss vor. Stimmen Teilnehmende Aussagen der anderen Seite zu, können sie einen Schritt aufeinander zu machen, um sich im besten Fall in der Mitte zu treffen. Das wirkt versöhnlich, heißt aber nicht, dass die Mitte zwischen 2 Standpunkten auch ein sinnvoller Kompromiss ist.
An dieser Stelle gibt es das wohl einzige Lob dieses Kommentars: Eine Talksendung, bei der nicht nur gesellschaftliche Debatten und öffentliche Polarisierung abgebildet werden, sondern eine Suche nach Kompromissen im Mittelpunkt steht, ist eine gute Idee. Dafür gab es 2022 etwa den Deutschen Fernsehpreis. »Raus aus der Blase, rein in den Austausch!« klingt als Slogan super.
Nur funktioniert das Format stellenweise eben nicht so, wie von den Machenden im Hintergrund gedacht. Vor allem, wenn man denen eine Bühne bietet, die sich dem Format der Sendung verweigern. So passiert zuletzt in der Folge: »Männer zu weich geworden? Moderne vs. traditionelle Männlichkeit«. Allein die Fragestellung ist provokativ und bedient – trotz Fragezeichen – schon ein Narrativ.
Auftritt: Manosphere-Influencer und Fitness-Coach Spiros Anastassiadis. Bereits in den ersten 10 Minuten haut er eine Aussage raus, die die ganze Sendung aus dem Konzept bringt: »Wir [Männer] haben nur ein Vorbild. Ihr kennt es alle. Andrew Tate.« Die Moderatorin Salwa Houmsi fragt sichtlich irritiert nach: »Das einzige?« Anastassiadis bejaht: »Es gibt keine anderen Vorbilder heute«, sagt er und wischt Tates Straftaten und Sexismus beiseite. »Spielt keine Rolle.«
Um klarzumachen, wie absurd dieses Argument ist: 4 Milliarden Männer leben auf diesem Planeten. Und von all diesen, darunter Politiker, Sportler, Musiker, Schauspieler, Künstler und Influencer, soll kein einziger sonst Vorbild für junge Männer heutzutage sein? Man möchte schreien!
Andere Teilnehmende sind sichtlich entsetzt. Die Moderatorin geht schnell darüber hinweg, um die Debatte am Laufen zu halten. Der Bullshit darf im Raum stehenbleiben – wie ein Störfaktor. Im Nachgang wird Andrew Tates Name noch oft in der Sendung fallen. Anastassiadis hat die Debatte sichtlich beeinflusst und – wie man an den Reaktionen merkt – deutlich erschwert, konstruktiv aufeinander zuzugehen.
Hier passiert etwas, was dem Repertoire der Neuen Rechten ähnelt: Mit Provokationen und offensichtlichem Bullshit eine Diskussion an sich reißen und aus dem Ruder laufen lassen. Einige Maßnahmen dafür finden sich auch in dieser Folge 13 Fragen wieder:
- Mit Unveränderlichem argumentieren: Als der ruhig argumentierende und kenntnisreiche Psychotherapeut Josef Aldenhoff über Suizidraten, Alkoholismus und psychologischen Druck unter Männern spricht, schleudert Anastassiadis ihm »Guten Morgen, so funktioniert die Welt!« entgegen.
- Niemals in die Verteidigung gehen: Bei einer eskalierenden Gesprächsführung geht es nicht um das Argument, sondern um eine starke Gesprächsposition. So kontert Anastassiadis etwa, auf männliche Gewalt und Frauenhass angesprochen, dass die Schuld dafür bei der Gegenseite, also zu weicher Männlichkeit sowie dem Feminismus, zu suchen
- Kontrolliere die Debatte: Gern hätte man mehr von den anderen Gäst:innen gehört, etwa vom differenziert argumentierenden Autor Tobias Haberl, der offen fragt, warum wir überhaupt extreme Männlichkeitsbilder gegeneinander ausspielen müssen – und damit den Aufbau der Folge selbst infrage stellt. Doch er hat für seine Argumente keinen Raum. Alle sind nur bemüht, die eskalierende Debatte wieder einzufangen –
Anstatt über Männerbilder diskutieren die Teilnehmenden am Ende über Selbstverständliches, dass etwa Andrew Tate nicht zu Vergewaltigungen aufrufen sollte. Die Diskussion ist gelaufen. Anastassiadis’ Verharmlosung von Andrew Tate hat das Gespräch vergiftet. Man fragt sich unweigerlich, was noch alles herausgeschnitten wurde.
Als am Ende der Minimal-Kompromissvorschlag im Raum steht, den Satz »Frauen sind auch Menschen« anzuerkennen, beginnt Anastassiadis daraufhin vom »physischen Recht« von Männern über Frauen zu sprechen. Da bricht die Moderatorin die Sendung endlich ab.
War das jetzt konstruktiv?
Natürlich nicht.
Anastassiadis darf sich zu Recht als »Sieger« der Debatte sehen, die er selbst zum Entgleisen gebracht hat. Auf Instagram verlinkt er die Folge für seine Manosphere-Follower mit den Worten »viel Spaß«. Antwort der Fanbase in den Kommentaren: »Sehr stark!«
Das 13-Fragen-Studio ist zur Bühne für Bullshit, Provokationen und extreme Positionen degradiert worden, auf der Anastassiadis seine Ideologie – worauf sein Geschäftsmodell als Coach und Influencer aufgebaut ist! – bekannter macht. Schlimmer noch, er konnte sie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen platzieren, bezahlt von unser aller GEZ-Gebühren. Das finden seine Fans natürlich gut.
Und das Format 13 Fragen muss sich einem Sturm der Empörung stellen, da mitgemacht zu haben. Youtuber:innen liefern im Nachgang Einordnungen:
Allerdings hat die eskalierte Folge dem Format 13 Fragen auch Aufmerksamkeit beschert. Selbst entsetzte Youtube-Reaktionen, Dislikes und sogar dieser Kommentar hier sind eben Interaktion mit Content – und Interaktionen sind viel wert in unserer Aufmerksamkeitsökonomie. Doch den Machenden hinter der Sendung hier die Kalkulation mit der Eskalation vorzuwerfen, wäre zynisch. Es wirkt viel mehr so, als habe man einen Gast und seine Ideologie entweder nicht richtig recherchiert – oder massiv unterschätzt.
Was das Produktionsteam von 13 Fragen daraus mitnimmt?
Ich habe ihnen dazu 6 Fragen gesendet.
Wie kam es zu der Idee, Spiros Anastassiadis einzuladen?
Haltet ihr die Entscheidung auch im Nachgang weiterhin für richtig?
Hat euch der Hergang der Sendung in irgendeiner Weise überrascht?
Glaubt ihr, dass es generell sinnvoll ist, auch extreme Ideologien wie die Manosphere in diesem Format abzubilden?
Wenn ja, wo zieht ihr die Grenze bei der Auswahl dieser Ideologien?
Was erhofft ihr euch, ist der konstruktive Effekt des Formats bei kontroversen Themen?
Seht ihr diesen konstruktiven Effekt bei der Sendung vom 05. Juni 2024 erfüllt?
Statt Antworten gab es eine Stellungnahme der ZDF-Pressestelle:
Das Format ›13 Fragen‹ ermöglicht es, sich zu brisanten gesellschaftlichen Fragen eine differenzierte Meinung zu bilden. Dafür werden gezielt sehr unterschiedliche Positionen präsentiert. Die Position von Spiros Anastassiadis bildet in der Debatte um die Frage, wie Männlichkeit heute verstanden werden kann, eine in der Tat extreme Haltung ab. Einige seiner Aussagen, etwa zu Andrew Tate, wurden von der Redaktion mithilfe von weiterführenden Informationen als Texteinblendung begleitet. Die Aussagen bleiben zudem nicht unwidersprochen stehen: Die lebhafte Diskussion und die Kritik anderer Gäste bilden ein starkes Kontra zu den von Spiros Anastassiadis formulierten Ansichten. Auch die Diskussion der Nutzerinnen und Nutzer im Kommentarbereich unter dem YouTube-Video verdeutlicht, dass das behandelte Thema konstruktiv und differenziert diskutiert wird.
Wie ein echtes konstruktives Debattenformat aussehen könnte
Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass eine konstruktive Debatte zu jedem Thema möglich ist – nur eben nicht mit allen und über alles. Und dafür liefert das Format 13 Fragen genügend andere Beispiele:
- In einer anderen Folge zu »Homöopathie: Placebo Effekt auf Kosten der Krankenkasse?« durften teilnehmende Homöopathie-Befürworter
- In der Folge »Body Positivity: Toxischer Hype oder echtes Empowerment?« muss sich ein Mediziner dafür rechtfertigen, erklärt zu haben, dass Adipositas für Körper und Psyche gesundheitsgefährdend sein kann.
Wie können wir so etwas verhindern und wie müsste ein echtes Debattenformat aussehen, das konstruktiv ist und Gemeinsamkeiten und Lösungen findet? Hier sind aus meiner Sicht als konstruktiver Journalist 5 – eigentlich recht logische – Punkte als Rezept:
- Auswahl von Themen: Produktionsteams von Debattenformaten haben eine Verantwortung, die Themen sinnvoll zu setzen und nicht nur gegensätzliche Positionen aufeinanderprallen zu lassen. Denn nicht alle Positionen sind gleichwertig und nicht zwischen allen kann man einen Kompromiss finden – noch sollte man das. Sonst landet man bei
- Selektion der Redner:innen bei der Vorrecherche: Eine gute Vorrecherche und Vorgespräche helfen dabei, die Diskussion im Studio zu schützen. Personen, die überprüfbare Fakten vehement anzweifeln oder gern mit Bullshit argumentieren, gehören einfach nicht in ein konstruktives Debattenformat. Grenzwertig sind Personen, die ihr Geschäftsmodell auf einer bestimmten Argumentation oder Ideologie aufbauen –
- Live-Faktenchecks: Nachträgliche Faktenchecks – um die sich etwa auch das 13-Fragen-Team bemüht – sind gut, aber kaum wirksam. Ein konstruktives Debattenformat sollte falsche Argumente nicht erst nachträglich entzaubern (und sich darauf verlassen, dass Zuschauende die eingeblendeten Texttafeln lesen), sondern live vor Ort. Das schützt die Dynamik der Debatte und gibt Fake Facts keinen Raum. In Zeiten des Internets sollte eine schnelle Recherche möglich sein. Noch besser wären Expert:innen im Raum, die nur dafür da sind und sonst nicht mitargumentieren.
- Starke Moderation: Manchmal passiert es eben doch, dass eine Person stört und eine Debatte verzerrt oder droht, sie ganz entgleisen zu lassen. Hier muss sich eine starke Moderation einbringen, Gesagtes einordnen und sich notfalls auch argumentativ einmischen. Das ist nicht Aufgabe der Studiogäste, der Youtube-Kommentarspalte oder Reaktionsvideos. Hier muss man natürlich die bequeme »Wir zeigen nur, was ist«-Position verlassen und für bestimmte Werte einstehen – Wissenschaftlichkeit, Demokratiebejahung und Ächtung von Diskriminierung und Extremismus sollten mindestens dazugehören.
- Klare Gesprächsregeln: Es gibt viele rhetorische Tricks und logische Fehlschlüsse, die einer Debatte schaden oder das Ergebnis verzerren können. Nur die wenigsten Menschen sind ausgebildet, diese zu vermeiden – und manche sind sogar ausgebildet, diese aktiv zu nutzen. Hier müssen sich alle Teilnehmenden ernsthaft bemühen, Regeln und den konstruktiven Geist einer Diskussion einzuhalten. Und sie müssen von der Moderation im Zweifelsfall immer wieder darauf hingewiesen werden.
Titelbild: Collage, Foto: Andrej Lišakov - CC0 1.0