Diese 6 Bücher lesen wir im Sommer
Sommer, Sonne, Lesezeit. Mit diesen Empfehlungen hast du genug Stoff für heiße Tage am See und lange Sommerabende im Park.
Nachdem wir diesen Sommer vor allem Herbst- und Frühlingstage hatten, wird es nun endlich wieder richtig warm. Und was gibt es Besseres, als bei solchem Wetter ein gutes Buch am See, auf dem eigenen Balkon oder im Urlaub am Strand zu lesen?
Wir verraten dir unsere 6 liebsten Sommerlektüren, die zum Nachdenken anregen – aber auch zum Verweilen einladen und vor allem dazu ermutigen, etwas Neues zu wagen.
Große Fragen und ein bisschen Kitsch: »25 letzte Sommer«
von Lara MalbergerNormalerweise überlege ich recht lange, welches Buch ich als nächstes lese. Diesmal war es anders: Ich hatte schlicht vergessen, ein Buch für den Kurzurlaub einzupacken, in den ich mich gerade auf den Weg machte. Im Buchladen am Bahnhof griff ich daher spontan nach einem Buch und überflog den Einband: »25 letzte Sommer«, das klang nach nachdenklich leichter Sommerlektüre auf 170 Seiten. Genau richtig für ein paar Tage am Meer. Ich beschloss, dem Buch eine Chance zu geben.
In der Geschichte von Stephan Schäfer treffen 2 auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Menschen aufeinander: Der Erzähler – ein Manager, getrieben von Alltagsstress und To-do-Listen – begegnet Karl, einem Kartoffelbauern mit riesigem Bücherregal und strikten Mittagsschlafregeln.
Die beiden verbringen den Nachmittag und auch den nächsten Morgen zusammen. Dabei konfrontiert Karl den Erzähler mit einem einfachen Fakt: Die Zahl der Sommer, die wir erleben, ist begrenzt. Ungefähr 25 rechnet er sich selbst noch aus. Über diese eigentlich simple Feststellung kommen die beiden ins Gespräch: Wenn wir doch wissen, wie begrenzt unsere Zeit ist, warum verbringen wir dann so viel davon mit der Arbeit, statt mit Menschen und Dingen, die uns wirklich wichtig sind? Wie schaffen wir es, unsere Träume zu verwirklichen? Und wie finden wir überhaupt heraus, was uns wirklich wichtig ist?
Zugegeben: Das klingt pathetisch bis kitschig – und wahrscheinlich ist es das auch. Inwieweit sich die Lebensrealität eines wohlhabenden Managers auf den Rest der Bevölkerung übertragen lässt, könnte man ebenfalls infrage stellen. Vielleicht hätte ich das Buch sogar aus diesen beiden Gründen aussortiert, wenn ich es nicht so schnell ausgewählt hätte.
Nach der Lektüre bin ich aber froh über meine schnelle Entscheidung. Denn trotz allem hat mir die Geschichte gefallen. Neben der sommerlichen Wohlfühlatmosphäre, die das Setting des Buches schafft, regen die Fragen dazu an, selbst mal wieder über das eigene Leben zu philosophieren – etwas, wofür im Stress des Alltags wenig Raum bleibt.
Stephan Schäfer: 25 letzte Sommer. park x ullstein, 176 Seiten, 22 Euro.
Gute Mädchen, Bitches und Powerfrauen: »Toxische Weiblichkeit«
von Katharina WiegmannEmotionale Kälte, Gewalt, ungesundes, risikoreiches und
Da war es nur eine Frage der Zeit, bis auch toxische Aspekte von »Weiblichkeit« auf dem Seziertisch landen. Das hat Autorin Sophia Fritz verstanden und nähert sich dem Thema – zum Glück! – aus einer feministischen Perspektive. Auch um »in ihrem Ego gekränkten Männern« zuvorzukommen, wie sie in einem
Toxische Weiblichkeit ist die Performance einer Unterordnung, hinter der sich doch der Versuch, Macht und Kontrolle zu erringen, verbirgt.
Aber worin äußert sie sich denn nun, die toxische Weiblichkeit?
Das illustriert Sophia Fritz anhand von 5 Rollen, die Frauen im Patriarchat zugeschrieben werden: das »gute Mädchen«, das es immer allen recht macht und bloß nicht anecken will; die »Powerfrau«, der nichts zu viel wird und die nie Hilfe braucht; die sich kümmernde »Mutti«; das sich als hilflos inszenierende »Opfer«, und schließlich die kühle, berechnende »Bitch«.
Fritz erzählt auch anhand ihrer eigenen Biografie, wie sich Frauen diese Rollen aneignen, um andere emotional zu manipulieren oder sich über sie zu erheben: »Als Frau greife ich statt Machogehabe eher auf die Rolle der fürsorglichen Mutter oder des netten Mädchens von nebenan zurück, um meine Interessen durchzusetzen.«
Sophia Fritz ist schonungslos in ihrer Analyse, gegenüber sich selbst und anderen Frauen. Das sorgt für viele Aha-Momente, die man gern an sich heranlässt, weil es ihr gelingt, strukturelle Machtverhältnisse nicht aus dem Blick zu verlieren. Ihr Buch ist jedoch kein Appell, alle Rollen abzustreifen und sich doch einfach selbst zu empowern (wie die »Powerfrau« wohl fordern würde!). Denn so einfach ist es nicht.
Aber manchmal gibt es eben doch die Möglichkeit, zu gehen oder zu unterbrechen, wenn jemand dazu ansetzt, etwas zu
Sophia Fritz: Toxische Weiblichkeit. Hanser Berlin, 192 Seiten, 22 Euro.
Ein Klassiker über einen ungleichen Kampf: »Der alte Mann und das Meer«
von Felix AustenNormalerweise stellen wir in unseren Bücher-Teamtexten neuere Veröffentlichungen vor. Doch mir ist vor Kurzem ein Buch in die Hände gefallen, das zwar schon über 70 Jahre alt ist, aber 2014 sein Comeback gefeiert hat und für mich die perfekte Sommerlektüre ist.
»Der alte Mann und das Meer« ist das wohl berühmteste Werk des US-amerikanischen Autors Ernest Hemingway. Es erzählt von einem Fischer, der auf seine alten Tage mehr vom Ruhm und den Erinnerungen an vergangene Zeiten als von seinem Fang lebt. Schon seit vielen Wochen kehrt er unverrichteter Dinge vom Meer zurück. Nur der Junge von nebenan versorgt ihn mit dem Nötigsten, ein paar Mahlzeiten und Gesellschaft.
Doch da draußen, in den Tiefen unter dem Horizont, schwimmt der größte und schönste
Der Kampf des alten Mannes liest sich rasant wie eine Fahrt auf einem Speedboot. Hemingways Worte sind scharf wie das Schwert des Marlins. Sie schaffen Bilder von glitzernden Wellen und salziger Meeresluft, die so klar sind wie das Wasser vor Kubas Küsten. Das Abenteuer des alten Mannes ist dabei nicht nur die Parabel auf den Menschen, der die Natur bezwingt. Es ist auch eine Geschichte, die vom Kreislauf des Lebens und der Natur handelt, in dem Fisch und Mensch gleichermaßen schwimmen.
Hemingway verlässt die physische Ebene in seiner Erzählung nur selten, doch so oder so lässt sie viele Deutungsebenen zu. So kann man beim Lesen innehalten und den eigenen Gedanken hinterhersegeln. Oder auf dem Ruderboot des alten Mannes bleiben – ein kurzer, intensiver Rausch, der perfekt zu Strand, Sommer und Sonne passt, ist die Lektüre garantiert.
Ernest Hemingway: Der alte Mann und das Meer. Rowohlt Taschenbuch, 160 Seiten, 12 Euro.
Ein mutiges Mädchen, das sein Leben in die Hand nimmt: »Paradise Garden«
von Maryline BoudotBillie träumt oft vom Meer. Dabei kann sie sich nicht erinnern, jemals dort gewesen zu sein. Die 14-Jährige wohnt mit ihrer Mutter Marika in einer 1-Zimmer-Wohnung einer Hochhaussiedlung. Am Monatsende reicht das Geld meist nur noch für Nudeln mit Ketchup. Die alleinerziehende Mutter versucht, ihrer Tochter trotzdem ein weitgehend unbeschwertes Leben zu ermöglichen: Tagsüber putzt sie, abends arbeitet sie in einer Bar und nachts schläft sie auf einer Luftmatratze im Wohnzimmer.
Trotz der prekären Situation sind Mutter und Tochter glücklich. Sie haben eine sehr liebevolle und innige Beziehung und brauchen für ihr Glück nur einander. Als Marika eines Tages bei einem Gewinnspiel eine hohe Summe Geld erhält, ist beiden sofort klar: Sie fahren ans Meer.
Am Tag der Abreise kommt es jedoch ganz anders: Billies Großmutter aus Ungarn steht vor der Tür. Sie ist krank und will bei der kleinen Familie unterkommen, um in Deutschland eine bessere ärztliche Versorgung zu erhalten. Marika hatte lange Zeit keinen Kontakt zu ihrer eigenen Mutter, ihr Verhältnis ist sehr schwierig. Als die beiden sich wieder streiten, verliert Billie das Fundament, das sie zum Leben braucht. Auf der Suche nach Halt flieht sie von zu Hause – mit einem neuen Ziel: Sie will ihren unbekannten Vater finden und herausfinden, warum sie so oft vom Meer träumt.
Ich habe das Buch von Elena Fischer verschlungen. Billie hat sofort mein Herz erobert. Obwohl sie erst 14 Jahre alt ist, wirkt sie oft älter, da sie in ihren jungen Jahren schon erkannt hat, was im Leben wirklich zählt. Ich habe so mit Billie mitgefühlt, dass stellenweise sogar einige Tränen geflossen sind.
Das Buch macht Mut, das eigene Leben in die Hand zu nehmen. Deshalb – und weil es sich so einfach liest – ist es eine schöne Sommerlektüre. Und das Ende ist gar nicht mehr so traurig – versprochen.
Elena Fischer: Paradise Garden. Diogenes, 352 Seiten, 23 Euro.
Eine Revolution in Bildern: »Frau, Leben, Freiheit«
von Maria StichEine Exil-Iranerin, die ihre Heimat vor 30 Jahren verlassen hat, schreibt ein Buch über den Iran – kann das gut gehen? Und ob! Marjane Satrapi wurde im Jahr 2000 mit ihrem autobiografischen
Trauriger Anlass für das Buch ist der Tod von Jina Mahsa Amini am 16. September 2022. Die junge Frau starb durch Schläge der iranischen Sittenpolizei, weil sie ihr Kopftuch »falsch« getragen hatte.
Ihr Tod löste im ganzen Land eine Welle des Protests aus. Diese Welle wuchs zu einer feministischen Revolution an, die von den Männern unterstützt wurde. Eine Weltpremiere!
»Frau, Leben, Freiheit« gehört eindeutig nicht in die Kategorie »leichte Sommerlektüre«. Dafür spiegelt das Buch die brutale Realität zu ehrlich und ungeschönt wider. Aber die einzelnen Kapitel sind einerseits kurz genug, um sie häppchenweise zu verdauen. Andererseits steckt in den Geschichten so viel Kraft und Kampfgeist, der einen spüren lässt: Die Menschen im Iran geben nicht auf!
Marjane Satrapi (Herausgeberin): Frau, Leben, Freiheit. Übersetzt von Hainer Kober, Regina Keil-Sagawe und Sarah Pasquay. Rowohlt, 272 Seiten, 34 Euro. Die digitale Ausgabe in persischer Sprache ist kostenlos über diesen Link verfügbar.
Mütter, die per Post kommen, und tote Ratten beim Nachbarn: »Das Paket«
von Julia TappeinerEigentlich passiert in diesem Buch nicht viel. Na ja, abgesehen davon, dass die Protagonistin eines Tages ein Paket vor ihrer Tür entdeckt, aus dem ihre Mutter springt. Nistet sich ihre Mutter wirklich in der Wohnung der Icherzählerin ein oder doch nur in ihren Gedanken? Realität und Fantasie verschwimmen immer wieder in »Das Paket«. Ansonsten gibt es wenig Handlung in dem neuen Roman der kolumbianischen Autorin Margarita García Robayo.
Im Vordergrund steht vielmehr die Innenwelt der Erzählerin. Die junge Werbetexterin, die nebenher Romane schreibt, erinnert sich an ihre lieblose Kindheit mit einer Mutter, die nicht wusste, was sie mit ihren Töchtern anfangen soll. Auch ihre Nachbarin scheint nicht zu wissen, wohin mit ihrem Sohn, wenn sie zur Arbeit muss. Die Icherzählerin kommt zu dem Schluss: Ich will mir keine Kinder leisten!
Ich habe schon zwei Arbeiten, für die eine werde ich bezahlt, für die andere – die mir schwerer fällt und mir sehr viel besser gefällt – nicht. Ich könnte nicht noch einen dritten Job annehmen, erst recht nicht, wenn er unbezahlt wäre.
Die meiste Zeit verbringt die junge Kolumbianerin auf der Terrasse ihrer Wohnung und reflektiert über viele Dinge, die die Generation der Jahrtausendwende prägen: Arbeitsverhältnisse, die zwar häufig flexibel, aber auch prekär sind. Die Tendenz, sich durch soziale Medien »eine Welt zurechtzuzimmern, die mit Leuten bevölkert ist, die so denken wie man selbst«.
Ihre Gedanken verpackt sie in Metaphern, deren Bilder sie aus ihrer Umgebung zieht. Die Sprache ist schnörkellos, man liest sich schnell durch die rund 240 Seiten.
Als Kind der 90er-Jahre habe ich mich in vielen Beobachtungen wiedergefunden. Oft war ich aber auch genervt von der Schwere und Abgebrühtheit ihrer Beobachtungen. Manchmal musste ich aber auch schmunzeln. Zum Beispiel, als die Protagonistin dabei ertappt wird, wie sie vom Balkon der Nachbarin flüchtet, wo sie eine tote Ratte beseitigen wollte. Wie sie dahin gekommen ist und was danach passiert – lest es selbst.
Margarita García Robayo: Das Paket. dtv, 240 Seiten, 24 Euro.
Titelbild: Toa Heftiba - CC0 1.0