Können wir spüren, welche Nahrung der Körper braucht? Ich habe es ausprobiert
Zurück zu einem natürlichen Umgang mit Essen und nur dann essen, wenn wir wirklich hungrig sind: Das Konzept des intuitiven Essens verspricht genau das, ganz ohne Diät. Was dahintersteckt und ob es funktionieren kann.
Die Sache mit dem Essen könnte so einfach sein: Unser Körper braucht Energie und Nährstoffe – und wir sorgen für Nachschub. Und wenn die Reserven wieder aufgefüllt sind, hören wir auf zu essen. Ganz einfach also – eigentlich. Wären da nicht die ganzen Dinge, die wir im Laufe unseres Lebens über das Essen gelernt haben.
Dass man seinen Teller leer isst. Dass man gut essen muss, um groß und stark zu werden. Je mehr, desto besser. Oder dass man, meistens etwas später, die Portionen lieber mal ein bisschen kleiner halten sollte, damit Hüften und Bauch nicht zu groß werden. Dass es für gute Noten ein Eis gibt und Schokolade gegen Schmerzen hilft, egal ob diese vom aufgeschürften Knie kommen oder vom Liebeskummer. Dass es nichts Tröstlicheres gibt, als es sich mit viel Essen vor dem Fernseher gemütlich zu machen, wenn man einsam ist. Wir haben auch gelernt, was zusammengehört: Popcorn und Kino, Weihnachten und Gans, Stress und Schokolade.
Und manchmal eben auch: Essen und schlechtes Gewissen. Und als wäre das nicht genug, versucht uns die Nahrungsmittelindustrie mit Leckereien wie Donuts oder Pommes zu ködern, denen wir kaum widerstehen können. Zu fett, zu süß, zu salzig.
Zurück zu einem natürlichen Umgang mit Essen
Wäre es da nicht schön, wieder zurück zu einem natürlichen Umgang mit Essen zu finden? Wieder zu lernen, den Signalen des eigenen Körpers zu vertrauen, und ihm das zu geben, was er wirklich braucht? Dann zu essen, wenn wir wirklich hungrig sind? Ohne schlechtes Gewissen genießen zu können? Das Konzept des intuitiven Essens verspricht genau das.
Mitte der 90er-Jahre wurde es von den kalifornischen Ernährungswissenschaftlerinnen Elyse Resch und Evelyn Tribole entwickelt, um Amerikaner:innen vom Diätplan-Terror zu entlasten. Verbotene Lebensmittel gibt es beim intuitiven Essen genauso wenig wie Schuldgefühle. Was zählt, sind der bewusste Genuss und die Fähigkeit, Hunger- und Sättigungssignale des Körpers wahrzunehmen und angemessen darauf zu reagieren.
Aber funktioniert das wirklich? Ich möchte es ausprobieren: Eine Woche lang nur essen, wenn ich Hunger habe; alles, worauf ich Lust habe, und so lange, bis ich satt bin. Zwar habe ich, anders als die ursprüngliche Zielgruppe, noch nie eine Diät gemacht. Aber mein bisheriges Konzept, so viel Sport zu treiben, dass ich mir über die Ernährung keine Gedanken machen muss, kommt langsam an seine Grenzen.
Das schlechte Gewissen nach der Schokolade kenne ich durchaus. Auch kommt es vor, dass ich mich auf der Suche nach kulinarischer Zufriedenheit von süß zu salzig zu süß durch den Abend futtere, ohne dass echter Hunger der Grund dafür sein kann. Es gibt in meinem Essverhalten also noch Luft nach oben in Sachen Natürlichkeit, Selbstwahrnehmung und Achtsamkeit. Und zugegeben: Die Aussicht auf eine Woche Schlemmen ohne Grenzen ist verlockend.
Was das angeht, nimmt mir Cornelia Fiechtl gleich zu Beginn unseres Telefonats den Wind aus den Segeln: »Wenn ich nur sage, dass ich jetzt alles esse, wann ich will, endet das oft in der kompletten Enthemmung und es gibt jeden Tag Pizza und Eis. Intuitives Essen ist aber so viel mehr«, betont die Psychologin mit dem Schwerpunkt Essverhalten und Körpergefühl.
- eine gesunde Beziehung zur Ernährung zu entwickeln,
- sich aus Selbstfürsorge zu ernähren, um sich mit Energie und Nährstoffen zu versorgen,
- nur das zu essen, was man verträgt,
- Freude an Bewegung zu entwickeln,
- an den eigenen Emotionen in Bezug auf das Essen zu arbeiten.
In ihrer psychologischen Praxis in Wien beobachtet Cornelia Fiechtl seit rund 20 Jahren
Die meisten wollen einfach nicht mehr, dass Essen so viel Raum in ihrem Leben einnimmt. Sie wollen, dass dieser Stress endlich aufhört.
Tatsächlich setzen Diäten den Körper gehörig unter Druck: Die fehlenden Kalorien führen dazu, dass er vermehrt das Stresshormon Kortisol ausschüttet, welches das Herz schneller schlagen lässt und
Habe ich wirklich Hunger?
Wie schwer genau das auch ohne Diäterfahrung sein kann, merke ich bei meinem Selbstversuch. Schon beim ersten Frühstück bin ich unsicher: Habe ich wirklich Hunger oder würde ich jetzt nur aus Gewohnheit essen, weil ich nun mal mit meiner Familie am Frühstückstisch sitze? Ich spüre in mich hinein und bin verunsichert: Ist das jetzt Hunger oder bin ich einfach nur müde? Woran erkenne ich eigentlich, ob es an der Zeit ist, etwas zu essen? Am Nachlassen meiner Konzentration, an Gereiztheit oder daran, dass mein Magen knurrt? Was genau passiert im Körper, wenn wir Hunger haben?
Hunger und Sättigung sind noch nicht komplett verstanden
Tatsächlich hat auch die Wissenschaft die komplizierten Vorgänge rund um Hunger und Sättigung längst nicht komplett verstanden. Dafür sind diese perfekt aufeinander abgestimmten biochemischen und autonom-nervösen Prozesse in unserem Körper viel zu komplex. Klar ist: Die Steuerungszentralen für Hunger und Sättigung befinden sich im Hypothalamus.
Diese Hirnregion ist für die meisten automatisch ablaufenden, lebenswichtigen Regulationsprozesse im Körper mitverantwortlich. Hier laufen die für unseren Energiehaushalt wesentlichen Informationen aus dem Körper zusammen und es werden – je nach Bedarf – Hunger- oder Sättigungshormone produziert, die wiederum Verhalten anstoßen. Jagen zum Beispiel oder Einkaufen gehen.
Diese Informationen aus dem Körper spielen dabei eine Rolle:
Wie hoch ist der Blutzuckerspiegel?
Sinkt die Konzentration von Glukose im Blut, schüttet die Bauchspeicheldrüse weniger Insulin aus. Dieses Hormon ist dafür zuständig, den Zucker aus dem Blut in die Körperzellen zu transportieren, wo er zur Energiegewinnung genutzt wird. Ist der Insulinspiegel hoch, wird weniger Fett verbrannt. Außerdem schüttet unser Fettgewebe das Sättigungshormon Leptin aus. Es bewirkt im Hypothalamus, dass unser Appetit gezügelt wird. Ein niedriger Insulinspiegel im Blut signalisiert dem Gehirn hingegen: Achtung, Energieabfall, wir brauchen Nachschub!
Wie voll ist der Magen?
Wie viel Nahrung wir aufnehmen, messen im Magen-Darm-Trakt winzige Detektoren, unter anderem sogenannte Mechanorezeptoren. Mithilfe von Hormonen geben sie dem Hypothalamus ständig Rückmeldung darüber. Sinkt der Füllstand des Magens, schlägt er mithilfe des Hungerhormons Ghrelin Alarm. Sinkt der Ghrelin-Wert im Blut, setzt ein Sättigungsgefühl ein.
Welche Nährstoffe wurden aufgenommen?
In Magen, Darm und Leber messen sogenannte Chemorezeptoren, wie viele Nährstoffe wir über unsere Nahrung aufgenommen haben,
Können wir uns Hunger- und Sättigungsmechanismen bewusst machen?
Wie Hunger, Sättigungsgefühle und andere Signale aus dem Körperinnern von uns wahrgenommen und verarbeitet werden,
Verantwortlich für dieses Bewusstwerden ist die Inselrinde, eine Hirnstruktur unterhalb des Schläfenlappens, nicht viel größer als eine 2-Euro-Münze. In ihr werden die Signale aus dem Körper auch emotional verarbeitet und mit höheren kognitiven Funktionen verknüpft.
Warum erkenne ich nicht, ob ich wirklich hungrig bin?
Warum aber fällt es mir so schwer, zu erkennen, ob ich wirklich hungrig bin? Und geht das nur mir so? »Viele Menschen nehmen ihre natürlichen Hunger- und Sättigungssignale kaum noch wahr«, berichtet Beate Herbert. »In unserer heutigen Welt mit ihrem Überfluss an Nahrungsmitteln haben das viele verlernt.« In einer Studie konnte sie gemeinsam mit Kolleg:innen beobachten, dass die Fähigkeit zur Innenwahrnehmung von Mensch zu
»Wie gut Menschen Völlesignale ihres Magens wahrnehmen können, kann man erfassen, indem man ihnen zum Beispiel Wasser zu trinken gibt«, erklärt sie. In ihrer Studie ließen Herbert und ihre Kolleg:innen Proband:innen unter kontrollierten Bedingungen so lange Wasser trinken, bis sie angaben, eine Sättigung zu spüren. Außerdem ermittelten sie mithilfe eines
Wieder auf die Signale des Körpers hören
Die Grundidee des intuitiven Essens, die Hunger- und Sättigungssignale des Körpers wieder mehr zu beachten, unterstützt Beate Herbert ausdrücklich: »Ich persönlich bin davon überzeugt, dass man die Wahrnehmung verhaltensrelevanter körperlicher Signale wie von Hunger und Sättigung durchaus verbessern kann. Obwohl zur Wirksamkeit des intuitiven Essens dringend noch weitere, fundiertere Studien
Die Vorstellung, dass wir auch spüren können, welche Nährstoffe genau unser Körper gerade braucht, sieht Herbert allerdings skeptisch. »Der Körper sagt nicht: Ich brauche Eiweiß«, stimmt Cornelia Fiechtl zu. »Aber man kann lernen zu unterscheiden: Brauche ich jetzt mehr Energie oder brauche ich eher etwas anderes?« Durch einen bewussteren Umgang mit Essen könne man zum Beispiel die Lernerfahrung machen, dass ein Joghurt im Sommer Kühlung verschaffe.
Tatsächlich kann auch ich mit der Zeit immer besser einschätzen, wann ich wirklich Essen brauche und wann ich nur aus Gewohnheit essen würde. Und ich merke: Regelmäßige Essenszeiten sind durchaus sinnvoll. Halte ich sie nicht ein, endet das meist kurze Zeit später in Heißhungerattacken. Ohnehin ist es im Familienalltag für mich schwer vorstellbar, dass jeder einfach irgendwann isst und der Tisch als regelmäßiger Treffpunkt für alle wegfällt. Essen hat auch viel mit Gesellschaft und Austausch zu tun.
»Essen ist eine eigene Tätigkeit«
Gleichzeitig versuche ich beim Essen jetzt ganz genau darauf zu achten, wann ich satt bin. Um das zu erreichen, rät Cornelia Fiechtl, sich für die Mahlzeiten bewusst Zeit zu nehmen.
Essen ist ja eine eigene Tätigkeit. Wir sind aber oft so getrieben, dass wir dabei alles Mögliche nebenher machen und gar nicht spüren, dass wir bereits satt sind.
Ich fühle mich ertappt. Tatsächlich sind für mich Mahlzeiten, wenn ich dann doch mal alleine esse, eine willkommene Gelegenheit, mich mit meiner Zeitung oder online auf dem Laufenden zu halten. Und das soll ich jetzt aufgeben? Zum Glück sieht Cornelia Fiechtl das nicht so streng: »Es muss ja nicht sofort ins Extreme kippen, sodass man jeden Tag in völliger Stille isst.« Für den Anfang könne man auch beim Lesen immer wieder eine Pause einlegen, um einen Bissen zu essen.
»Die Erfahrung zeigt, dass es für viele am Anfang schwierig ist, ausschließlich zu essen. Nach einer Weile finden es die meisten aber toll, weil sie plötzlich wieder wahrnehmen, wie etwas schmeckt und wann sie satt sind.«
Auch ich bin erstaunt, wie schnell ich satt bin. Meistens esse ich deutlich kleinere Portionen, wenn ich mich voll darauf konzentriere. Ich merke aber auch: Es gibt Momente, in denen ich Essen gewohnheitsmäßig mit anderen Tätigkeiten kombiniere. Zum Beispiel, wenn ich es mir mit Kaffee, Schokolade und Zeitung gemütlich mache. Ich ahne, dass das Essen dann wenig mit Hunger zu tun hat. Tatsächlich scheint es viel mehr meine Art zu sein, mich für meine getane Arbeit zu belohnen. Ein Problem?
Essen ist immer emotional
Cornelia Fiechtl gibt Entwarnung: »Wenn ich gestresst bin und ein Stück Schokolade hilft mir in diesem Moment, ist das doch in Ordnung.« Dass Schokolade dabei helfe zu entspannen, lasse sich ja schon rein
Wenn es aber meine ständige Strategie sei, mit Stress umzugehen, sollte ich mich damit beschäftigen und schauen, warum ich so oft gestresst sei und welche anderen Lösungen es gebe. Denn auch das sei Teil des Konzepts des intuitiven Essens: sich seinen Emotionen zu stellen,
»Grundsätzlich ist Essen immer emotional«, stellt Cornelia Fiechtl aber klar und nennt die Geburtstagstorte oder das Weihnachtsessen als Beispiele dafür, wie wir Essen mit Gefühlen verknüpfen. »Problematisch wird es dann, wenn man Essen dazu nutzt, unangenehme Gefühle zu unterdrücken oder abzuschwächen, anstatt die
Wer regelmäßig aus Einsamkeit, Frust oder Langeweile esse oder sogar zu »binge eating« neige, solle dieses Essmuster auf jeden Fall mit psychotherapeutischer Hilfe angehen. »Wenn man in einem solchen Fall ohne psychotherapeutische Anleitung versucht, intuitiv zu essen, kann das gefährlich werden«,
Mein persönlicher Endgegner: Chips
Die nächste Herausforderung in meinem Selbstversuch sind Chips, meine persönlichen Endgegner im Kampf gegen exzessives Essen. Nach dem Motto »Den Feind erst gar nicht ins Haus lassen!« kaufe ich sie schon seit Jahren nicht mehr ein. Aber zum intuitiven Essen gehört auch, dass es keine Verbote geben soll. Also bringe ich vom nächsten Einkauf eine bunte Auswahl mit.
Moralisch unterstützt werde ich dabei von Cornelia Fiechtl. Sie erklärt:
Wenn man sich bestimmte Lebensmittel ganz verbietet, besteht die Gefahr, dass sie dadurch noch interessanter werden. Dann bekommt man einen Heißhunger und überisst sich, wenn sie mal verfügbar sind.
Besser sei es, einen gesunden Umgang damit zu lernen, sie bewusst zu genießen und sich immer wieder zu fragen: Will ich das jetzt essen? Ich probiere genau das und merke ganz deutlich: Ich will! Und während ich noch in mich hineinspüre und überlege, wie viel ich jetzt davon essen möchte, hat mein Mann den Rest der Tüte aufgegessen und sagt: »Bitte nicht mehr kaufen.«
Gerät das intuitive Essen hier an eine Grenze?
»Das Frontalhirn und die Intuition müssen gute Freunde werden«
»Chips sind ein ganz klassisches Beispiel für einen supernormativen Reiz«, erklärt Heike Melzer. Die Neurologin und ärztliche Psychotherapeutin hat diesen starken Belohnungsreizen ein ganzes Buch
»Die Nahrungsmittelindustrie knackt unseren archaischen Code«
Am Beispiel der Chips bedeutet das: Da wir im Laufe der Evolution gelernt haben, dass salziges, fettiges und kohlenhydrathaltiges Essen einen schnellen Energie- und Nährstoffschub verspricht, mit dem wir unser Überleben sichern können, ist es uns nur schwer möglich, von extrem fettigen, salzigen Chips mit ihren vielen Gewürzen und Geschmacksverstärkern
»Die Nahrungsmittelindustrie knackt bewusst unseren archaischen Code«, erklärt Heike Melzer. »Da hat die Intuition keine Chance, da brauchen wir Verstand.« Das Frontalhirn und die Intuition müssten deswegen gute Freunde werden. Und was rät sie mir in Bezug auf Chips? »Nicht ins Haus holen.«
Beate Herbert sieht das ähnlich: »Bei diesen und anderen hochverarbeiteten, chemisch veränderten und mit Zusatzstoffen versehenen Produkten handelt es sich nicht um natürliche Lebensmittel.« Sie verwirrten unseren Körper nur und brächten die Hunger- und Sättigungswahrnehmung völlig durcheinander.
»Es geht hier ja um etwas völlig anderes: um Belohnung. Also weniger um die Frage, ob ich satt bin, als vielmehr darum, ob ich zufrieden bin«, erklärt sie. »Dass man so achtsam ist und zu essen aufhört, weil man satt ist, ist hier ein sehr hoher Anspruch. Daran scheitere ich selbst auch oft, obwohl ich das entsprechende Hintergrundwissen habe.« Lebensmittel wie Chips als Selbstschutz gar nicht erst zu kaufen, hält sie daher für einen guten Weg.
Wenn wir über die Sättigung hinaus essen, verlernen wir die Signale unseres Körpers
Das Problem mit dem ungezügelten Schlemmen ist auch: Wenn wir immer über unsere Sättigung hinaus essen, verlernen wir, dieses Signal wahrzunehmen. Außerdem bringt eine einseitige, ungesunde Ernährung mit zu viel Fett und Kohlenhydraten das komplizierte Regulationssystem rund um Hunger und Sättigung durcheinander. Von stark übergewichtigen und
Das Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) warnt daher, dass intuitives Essen für übergewichtige oder stark übergewichtige
Ganz so weit möchte Beate Herbert nicht gehen:
Ich denke, jeder kann davon profitieren, wenn er oder sie stärker auf die eigenen, körperlichen Veränderungen als auf äußere Reize hört.
Allerdings sollten sich übergewichtige und adipöse Menschen beim intuitiven Essen unbedingt von Psycholog:innen oder anderen ausgewiesenen Fachleuten anleiten lassen. Das Gleiche gelte unbedingt für Menschen mit Essstörungen, deren Körper- und Selbstwahrnehmung ebenfalls stark beeinträchtigt sei. Für Menschen mit Erkrankungen wie Diabetes, die eine bestimmte Ernährungsweise nötig machten, eigne sich intuitives Essen gar nicht. Und: Man dürfe sich vom Konzept des intuitiven Essens nicht versprechen, dass man abnehme. »Das kann sogar nach hinten losgehen«, warnt sie.
Essen als Selbstfürsorge
Das ist vermutlich ein Grund dafür, dass die Vertreter:innen des intuitiven Essens, das ursprünglich zum Abnehmen
Außerdem spielt in letzter Zeit eine gesunde Ernährung in dem Konzept eine größere Rolle. »Natürlich braucht es beim intuitiven Essen auch Ernährungskompetenz«, sagt Cornelia Fiechtl. Für sie ist das Wissen über gesunde Ernährung einer der Grundpfeiler des Konzepts. Es lehne eben nur einen dogmatischen Zugang mit strengen Verboten ab.
Zum intuitiven Essen gehört also auch die Frage: Welches Essen tut meinem Körper gut und macht mich richtig satt? Vor allem sind das Gemüse und Vollkornprodukte, die mit ihrem hohen Gehalt an Ballaststoffen dafür sorgen, dass Magen und Dünndarm gedehnt werden. Sie haben eine geringere Energiedichte, enthalten also pro Gramm weniger Kalorien als beispielsweise Pommes oder Burger. Bei diesen besteht die Gefahr, dass wir uns überessen, weil die Mechanorezeptoren im Magen erst melden, dass wir satt sind, wenn wir bereits sehr viele Kalorien aufgenommen haben.
Vollkornprodukte wirken sich aus einem weiteren Grund positiv auf unsere Sättigung aus: Sie lassen den Blutzucker nicht so rasch in die Höhe schnellen wie Lebensmittel aus Weißmehl oder gar Süßigkeiten. Dadurch wird auch Insulin nur allmählich ausgeschüttet, wodurch wir nicht so schnell wieder in den Unterzucker gelangen und Nachschub brauchen. Sie halten uns also sehr viel länger satt und zufrieden. Hungerattacken bleiben aus.
Das merke ich auch bei meinem Selbstversuch. Zu Beginn habe ich vormittags alle 2 Stunden Hunger. Also stelle ich mein Frühstück um und esse statt Brot mit Käse Vollkornporridge mit geriebenem Apfel und etwas Zimt. Das Ergebnis ist erstaunlich lecker. Vor allem aber bin ich zum ersten Mal seit Jahren den ganzen Vormittag über satt und zufrieden.
Mein persönliches Fazit aus einer Woche intuitivem Essen kann sich also durchaus sehen lassen: Ich kann besser einschätzen, ob ich wirklich hungrig bin, und an den Vormittagen konzentrierter arbeiten, weil ich mir die häufigen Wege zum Kühlschrank spare.
Weil ich bewusster esse, genieße ich es mehr und bekomme schneller mit, wenn ich satt bin. Einfach nur ohne weitere Ablenkung zu essen, fühlt sich für mich aber immer noch seltsam an. Und vor allem: Chips kommen bei mir nach wie vor nicht ins Haus – außer zur EM vielleicht.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily