Dieser Text könnte dich verunsichern. Und das wäre richtig gut so
Warum die Erde nicht um die Sonne kreist und du am Erdrutschsieg von Labour zweifeln solltest. Ein Text für alle kritisch Denkenden und Wahrheitssucher:innen.
Wem können wir heute eigentlich noch glauben?
Dem Internet sicher nicht.
Dabei sollten wir doch alle Informationen der Welt in der Hosentasche tragen und jederzeit Antworten finden. Aber das potenziell mächtigste Informationswerkzeug unserer Spezies ist längst zu einer Quelle der Unzuverlässigkeit geworden.
Soziale Medien sind fraglos die schlimmsten Teile davon.
Da kommt die Entwicklung künstlicher Intelligenz gerade recht, die uns doch dabei helfen könnte, an gute und richtige Informationen zu kommen? Weit gefehlt. KI-generierte Antworten von Google etwa empfahlen Nutzenden,
KI-Anwendungen fluten das Internet mit ihren Inhalten und machen es uns schwer, zwischen Realität und Täuschung zu unterscheiden.
Deshalb müssen wir uns immer mehr auf unser kritisches Denken verlassen.
Aber können wir das?
3 Lektionen und 3 Werkzeuge für alle Wissenssuchenden.
Warum die Wahl in Großbritannien nicht das Ergebnis hat, das dir erzählt wird
Es war lange im Vorfeld klar, wie die Wahl in Großbritannien diesen Monat ausgehen würde: Die Tage der skandalbehafteten Regierung der konservativen Tories waren gezählt. Am 4. Juli wurde Premierminister Rishi Sunak abgewählt. »Für den Regierungschef ist es mehr als nur eine Wahlschlappe, es ist eine Demütigung«, ordnet die Zeitung Die Welt ein – das schlechteste Ergebnis der Tories ihrer Geschichte.
Das klingt nett – aber stimmt das?
Schauen wir uns die nüchternen Zahlen an.
So weit, so ein klarer Erdrutschsieg. Doch nicht so schnell.
Labour vereint 33,8% der Stimmen auf sich, stellt nun aber 64% aller Abgeordneten im Unterhaus – wie kann das sein?
Ein »in die Schranken verwiesener Populismus« sieht anders aus.
Schauen wir noch genauer hin: Bei der UK-Wahl ist vor allem eine Zahl auffällig: Die historisch niedrige Wahlbeteiligung von 60%. Die erklärt, warum Labour insgesamt nur 9,6 Millionen Stimmen erhielt – das sind 6,25% weniger als 2019, wo die Wahl noch als »Katastrophe« für die Partei gewertet wurde. Das Ergebnis kann daher vor allem auch als Beleg für zunehmende Politikverdrossenheit im UK generell gesehen werden.
Hier sind Narrative am Werk. Der Begriff stammt aus den Sozialwissenschaften und beschreibt Erklärmuster, die die Welt auf bestimmte Weise interpretieren. Sie werden als objektiv dargestellt, sind aber gefärbt von gewissen Wertevorstellungen und Perspektiven. Der Brexit als »Befreiungsschlag von der EU« war so ein Narrativ. Oder das Narrativ der politisch erfolgreichen »charismatischen Populist:innen« zur Zeit von Boris Johnson. Auch der »Bregret«, also das Bereuen des Brexits, gehört dazu.
Werden neue Narrative etabliert, passiert das über die Breite: Je häufiger Politiker:innen ein solches Narrativ wiederholen, je mehr Zeitungen und Posts auf Social Media es aufgreifen, desto mehr setzt sich das Erklärmuster durch.
Du bist umgeben von Narrativen. Misstraue ihnen und schaue immer auf die Zahlen
Und natürlich sind Narrative nicht
Doch die Wahrheit ist immer komplexer, als es Narrative vorgeben. Wer wirklich auf der Suche nach Wahrheit ist, tut also gut daran, Narrativen grundsätzlich misstrauisch gegenüberzustehen und alle Zahlen zu bedenken.
Weit gefehlt.
Warum die Erde nicht kugelförmig ist und auch nicht um die Sonne kreist
Dass unser Planet eine Kugel ist und um die Sonne kreist, dürfte von vielen Menschen als Fakt angesehen werden. Wir alle kennen einen Globus und haben schon mal ein Modell des Sonnensystems in der Schule gesehen.
Falsch sind diese visuellen Repräsentationen auch nicht – nur eben nicht 100%ig korrekt, wenn man es ganz genau nimmt.
Fangen wir mit der Form der Erde an. Anders als ein Globus vermuten lässt, ist unser Planet nicht perfekt rund. Schon Isaac Newton erkannte vor 300 Jahren, dass die Erde durch die Fliehkraft nicht kugelförmig sein kann, sondern am Äquator gewölbt und an den Polen
Die Form nennt sich »Rotationsellipsoid«, vergleichbar mit einer rundlichen, aber leicht gedrückten Kartoffel.
Doch auch dieses Bild ist nicht ganz korrekt.
Aber der kreist doch immerhin noch um die Sonne … oder?
Oder?!
Nun, auch hier gibt es eine einfache, allgemein akzeptierte Erklärung, die wir alle kennen, und eine präzisere Berichtigung.
Und wenn wir es ganz, ganz genau nehmen wollen, dann bewegt sich auch die Erde gemeinsam mit der Sonne um das Zentrum der Milchstraße.
Okay, das klingt pedantisch. Denn diese präzisen Erklärmuster brauchen wir für unseren Alltag so gut wie nie. Dennoch ist es wichtig, sich klarzumachen, dass fast immer hinter einer einfachen Antwort eine komplexere Erklärung wartet, die der Wahrheit etwas näher kommt – und dass wir bei vielem, was wir zu wissen glauben, nur unterschiedliche Grade von Vereinfachungen kennen.
Auf die Feinheiten hinzuweisen, wird besonders dann wichtig, wenn es zu Diskussionen um diese Erklärmuster kommt. Aktzeptiere, dass vieles, was du weißt und gelernt hast, eine Vereinfachung ist, hinter der mehr Komplexität wartet
Provokative Beispiele gefällig? Bitte schön.
So verstehst du die Welt besser
Um über diese Aspekte zu diskutieren, etwa weil sie zum politischen Streitgegenstand geworden sind, muss man aber von der einfachen auf die komplexere Ebene wechseln – was manchen Menschen Unbehagen bereitet.
Dieses Unbehagen spüren wir übrigens alle, je nachdem, um welche Themen es geht. Wollen wir wetten? Hier sind einige, die du vielleicht nur mit Mühe akzeptierst:
Vielleicht bist du gerade auf deine eigenen Vorurteile gestoßen und willst es lieber nicht so genau wissen. Kannst du natürlich, denn Perspective Daily hat zu diesen unbequemen Wahrheiten eigene Texte, von »Warum du deinem Geschichtsbuch nicht trauen kannst« bis zu »Warum Objektivität im Journalismus eine Fata Morgana ist«.
Wenn du aber ein echter Wahrheitssucher oder Wahrheitssucherin bist, hast du sicher bis jetzt verinnerlicht, Narrativen zu misstrauen, akzeptiert, dass du vieles nur als Vereinfachung kennst und bist nun ein Stück weit verunsichert.
Hervorragend!
Denn diese grundsätzliche Skepsis schützt dich vor vielen Informationsfallstricken im Internet – von Fake News bis zu grobem Bullshit.
Dann kannst du die Tools richtig nutzen, die dir das Internet bereitstellt. Denn auch im Zeitalter der Desinformation ist das Internet nicht völlig verloren (das wäre auch so ein pessimistisches Narrativ), sondern nach wie vor eine gute Chance, Sachverhalte zu durchdringen und echtes Wissen anzusammeln.
Hier sind 3 gute Tipps dazu:
- Nutze Chatbots … richtig: Ja, Chatbots wie ChatGPT sind nützlich, obwohl sie Informationen halluzinieren und manchmal Unwahrheiten von sich geben. Mit deiner grundsätzlichen Skepsis (und einem Faktencheck über sichere Quellen) kannst du die Ergebnisse, die die KI ausspuckt, auch richtig einordnen. Sie können dir als Grundlage dienen, mit der du dann in eine echte Recherche einsteigen kannst.
- Wikipedia ist dein Freund: Wikipedia ist die größte frei verfügbare Wissenssammlung der Menschheit. Natürlich kommen echte Wissenssuchende nicht an ihr vorbei. Denn viele Artikel sind sehr gut recherchiert und gut belegt, emsig editiert und ausdiskutiert durch leidenschaftliche Beitragende. Natürlich weißt du auch jetzt, dass dir Wikipedia zwar Zusammenhänge erklären kann, aber meist bei simplen Erklärmustern verbleibt. Hier sind Quellen und weiterführende Links unter dem Wikipediaeintrag deine besten Freunde. Mit ihnen kannst du Informationen überprüfen und mehr Kontext erhalten. Mache dir zudem blinde Flecken der Onlineenzyklopädie klar – von fehlenden Frauenbiografien bis hin zu merkwürdiger regionaler Gewichtung auf Nordeuropa und Nordamerika.
- Finde einen Wissensvermittler deines Vertrauens: In Originaltexten und Studien zu recherchieren ist wichtig, doch wir haben nur selten die Zeit, dies zu tun. Deshalb müssen wir Sekundärquellen von Wissen finden, denen wir vertrauen können – am besten unterhaltsam geschrieben, um deine Neugier wachzuhalten, und mit Transparenz, falls du doch einmal den Ursprung nachrecherchieren willst. Wir bei Perspective Daily bemühen uns darum, genau das für dich zu sein. Doch es gibt viele andere großartige Kanäle, vom Wissenschaftsmagazin »IFL Science« über nachdenkliche Podcasts wie »Sternstunde Philosophie« bis hin zu selbstkritischen Youtube-Wissenskanälen wie »Crash Course«. Nur solltest du auch ihnen gegenüber einen Rest Skepsis behalten.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily