Trump und die Kugel: Entscheidet ein Foto die US-Wahl?
Wir erklären dir, was nach dem Attentat auf den Ex-US-Präsidenten jetzt passiert. 4 Perspektiven auf ein Land im Ausnahmezustand.
Am 13. Juli 2024 steht der ehemalige US-Präsident Donald Trump auf einer Wahlkampfbühne in der Nähe der Kleinstadt Butler im Bundesstaat Pennsylvania.
Die Kugeln schlagen in der Menge ein. Ein anwesender Feuerwehrmann
Fast eine Woche ist das Attentat nun her und schon jetzt kann man absehen, welchen Einfluss dieses ikonische Bild auf die USA haben wird.
In diesem Text zeigen wir dir 4 Perspektiven auf ein Land im Ausnahmezustand.
Visual History: Warum ein Foto Trump als Held verewigt
Das Foto nach dem Attentat ist Donald Trumps ganz großer Coup im Wahlkampf – vielleicht seines Lebens. Denn die Person Donald Trump war in der öffentlichen Wahrnehmung der USA stark angeschlagen:
Doch seit dem 13. Juli dürfte das mit Sicherheit anders sein. Verantwortlich dafür ist das Foto mit Faust und Flagge. Um das zu verstehen, müssen wir uns klarmachen, dass Bilder eine eigene politische Macht haben, wenn sie nur mit Zeitgeschichte verbunden und ikonisch
Das Bild erzählt von einem Helden der amerikanischen Geschichte, der sich nicht unterkriegen lässt. Es kann passieren, was will, sogar ein Attentat. Er steht im Mittelpunkt unter der amerikanischen Fahne, die diese ganze Szene beglaubigt und glorifiziert. Es ist ein Bild, das eine ungeheure Aura ausstrahlt. Die Aura des unbesiegbaren Helden.
Das Besondere an diesem Foto: Es ist nicht gestellt, sondern spontan entstanden. Der Medienprofi Trump und der Fotograf zeigen hier den richtigen Riecher für visuelle Weltgeschichte. Für Trumps Selbstinszenierung ist das Bild ein Wendepunkt. Denn es verleiht ihm spontan Eigenschaften, die in den USA unter Politikern sehr geschätzt sind: Unbeugsamkeit, Stärke, Patriotismus und Heldenmut. Ob das alles zutrifft, ist dabei irrelevant –
Politisch sind solche Bilder in den USA Gold wert, weiß auch die deutsch-amerikanische Politologin Cathryn Clüver.
Die Rolle der Medien hierbei kann man durchaus kritisieren, wenn Journalist:innen etwa ungefiltert die Ikonografie weitertragen. Autorin Sibylle Berg bringt es auf den Punkt:
Gewalt und US-Politik: Welche Auswirkungen hat das Attentat wirklich auf den Wahlkampf?
Für Donald Trump ist das überlebte Attentat erst mal ein Wahlkampfgeschenk. Denn seine bildhafte Stärke und Entschlossenheit erhöhen ihn in Kontrast zu seinem Kontrahenten Joe Biden, der offensichtlich zunehmend mit seinem Alter kämpft.
Dazu stört die Gewalt gegen Trump auch Bidens Wahlkampfstrategie, die darauf ausgerichtet ist, den Republikaner als Gefahr für die Demokratie zu kennzeichnen. Das ist natürlich auch begründet, immerhin zeugten Trumps Reaktionen beim Sturm auf das Kapitol in Washington 2021 von Verachtung für demokratische Prinzipien,
Dennoch verliert die Biden-Kampagne mit dem Attentat einiges an Stärke; denn die Demokraten müssen Selbstreflexion in ihrer Wortwahl üben und die Republikaner greifen nun demokratische Erzählungen auf, die sie lange Zeit nicht anerkennen wollten: die Tatsache, dass gewalthaltige Rhetorik und Polarisierung echte Gewalt nähren.
»Wir müssen ihn ins Fadenkreuz nehmen.« – Präsident Joe Biden, wenige Tage vor dem Attentat. Für diese Worte hat er sich mittlerweile entschuldigt.
Die Republikaner können sich nun leicht in eine Opferrolle zurückziehen,
»Es war Gott allein, der das Undenkbare verhinderte.« – Donald Trump auf Truth Social
Entscheidet ein Attentat automatisch eine Wahl? Alleine natürlich nicht.
Klar ist vor allem eines: Während das Trump-Lager nach dem Attentat zusammenhält, ist es der interne Streit um die Eignung des alternden Joe Biden (und auch seine Sturheit, weiterzumachen), die der demokratischen Seite schadet und in den Medien ausgeschlachtet wird. Um es mit Comedian John Steward zu sagen:
Medienrauschen: Wovon das Attentat ablenkt …
Eine Woche nach dem Attentat sind die US-Medien weiterhin voll von Trump und der Tat. Wie bei allen Attentaten wird dabei vor allem dem Täter viel Aufmerksamkeit geschenkt. Dabei spielen auch Trumps MAGA-Influencer:innen und Kulturkampfmedien eine Rolle, die nun vehement versuchen, die Situation auszuschlachten, zu inszenieren und immer mehr Spins für die eigene Sache zu verbreiten.
Viele gute Gründe sprechen jedoch dafür, genauer auf das Ziel und Opfer – Donald Trump – zu schauen. Der kann mit der Tat nämlich gut von Skandalen ablenken, die ihm sonst schaden würden. 2 Beispiele:
- Trumps Verbindungen zum Project 2025: Der rechtsextreme Thinktank Heritage Foundation brachte das »Project 2025« heraus, eine Art politisches Drehbuch, das auf 887 Seiten die ersten 180 Tage einer zweiten Amtszeit von Donald Trump skizziert, die darauf ausgelegt sind, die US-Demokratie auszuhöhlen und
- Fragwürdige Entscheidungen im Trump-Verfahren: Ablenken kann das Attentat auch davon, dass das Strafverfahren gegen Donald Trump in Florida in der Dokumentenaffäre eingestellt wurde. Der ehemalige US-Präsident war dort wegen der illegalen Aufbewahrung von geheimen Dokumenten und der Behinderung der Ermittlungen angeklagt. Richterin Aileen Cannon war von Trump selbst ernannt worden und stand unter massiver Kritik,
»Wir befinden uns im Prozess der zweiten amerikanischen Revolution, die unblutig bleiben wird, wenn die Linke es zulässt.« – Kevin Roberts, Präsident der Heritage Foundation
Statt über diese Skandale zu berichten, ist die Medienlandschaft nun beherrscht vom Attentat, den üblichen Spekulationen um den
Mythenbildung: Ein Attentat, 100 Verschwörungsideen
Komplett wäre die Einordnung des Attentats nicht, ohne auf die zahlreichen Verschwörungsmythen einzugehen, für die es eine Steilvorlage ist. Dass überhaupt Verschwörungserzählungen passieren, ist erwartbar – man denke nur an das Kennedy-Attentat.
Insbesondere nach Großereignissen verbreiten sich sehr schnell Verschwörungserzählungen: In einem Informationsvakuum liefern sie vermeintliche Erklärungen und die Bestätigung bestehender Feindbilder – so auch jetzt bei dem […] Attentat auf Donald Trump am vergangenen Wochenende.
Tatsächlich bleiben viele Fragen erst mal ungeklärt, vor allem: Wie konnte der Secret Service den Attentäter in nächster Nähe nicht entdecken? Wieso ließen es die Sicherheitskräfte zu, dass sich Donald Trump bei akuter Bedrohungslage aus der Deckung für ein Foto befreite?
Es wird Monate brauchen, das Attentat restlos aufzuklären, und am Ende wird sehr wahrscheinlich, wie so oft, »menschliches Versagen« stehen.
Im Vergleich mit dem Kennedy-Attentat wirkt das Trump-Attentat aber anders, denn es trifft auf bereits existierende Verschwörungserzählungen um Donald Trump, die es scheinbar bestätigt. In den rechtsextremen Verschwörungsnarrativen von QAnon ist Donald Trump ein Volksheld, der gegen einen angeblichen »Deep State« der USA einen »David gegen Goliath«-Kampf führt und sich nicht einschüchtern lässt. Der Staat habe Trumps vergangene Wahl manipuliert, genauso wie die Gerichtsverfahren gegen ihn – und nun Angst, dass der wahre Präsident wieder zurückkehre. (Kurze Erinnerung, dass das alles unbelegbarer und oft widerlegter Unsinn ist.)
Hier passt das Attentat leider perfekt als Puzzlestück hinein. »Die Beweggründe des Schützen gegen Trump sind völlig egal«, bestätigt auch Politikwissenschaftlerin und PD-Gastautorin Natascha Strobl. »Die erzählte Wahrheit zählt, nicht die faktische Wahrheit.« Und bis mehr über den Schützen bekannt ist, ist diese erzählte Wahrheit längst auserzählt. Wie das aussehen könnte, zeigt dieser Tweet des MAGA-nahen Kommentators Benny Johnson bereits einen Tag nach dem Attentat eindrucksvoll:
Es ist destillierte Polarisierung, ein »Wir gegen die«. »Sie haben versucht, Ihn zu ERMORDEN.« Wer »sie« sind, bleibt eine Leerstelle, beliebig anpassbar für jedes Feindbild. Es beginnt also eine mühsame Arbeit für ernst zu nehmende Journalist:innen, immer wieder zu differenzieren, damit diese Verschwörungsmythen nicht zu politischen Narrativen werden, die am Ende siegen.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily