In den letzten 12 Monaten hat knapp jeder fünfte Arbeitnehmer in Deutschland aus demselben Grund darüber nachgedacht, seinen Job zu kündigen: wegen Denn: »Der versteht mich einfach nicht!« Es klafft eine Lücke zwischen Führungspersonal und Basis.
Und in der Politik? Der oft gehörte Vorwurf gegenüber Regierungsvertretern macht vor keiner Ländergrenze halt. Er ist nicht nur an Parlamentarier gerichtet, sondern generell an alle Menschen, die Macht haben.
»Seltsamerweise musste ich sofort mit einem unguten Gefühl an Trump daran denken, wie gefährlich Macht in den falschen Händen ist und dass diese Macht mir Sorgen macht.«
ist allerdings oder des unterschiedlichen Alltags. Es lässt sich auch nicht mit dem gern verschrienen »System« begründen, sondern mit etwas viel Banalerem: unserer Biologie.
Denn Macht verändert unser Gehirn und Verhalten ganz automatisch. Das ist am Werk: Wenn wir Macht bekommen, verlieren wir genau das gewisse Etwas, das uns zur Macht verholfen hat. Ja, auch dir würde es so ergehen oder es ist dir vielleicht sogar schon so ergangen. Nur wenn wir das erkennen und akzeptieren, können wir erfolgreich etwas dagegen tun. Und dafür brauchen wir die Anderen.
Macht: Die Energie der Gesellschaft
Aber was genau ist »Macht«?
Macht ist die Fähigkeit, andere Menschen zu beeinflussen; sie entsteht mit der Kontrolle über wertvolle Ressourcen und der Fähigkeit, zu belohnen und zu bestrafen.
Diese zeigt, dass wir ständig und überall von Machtfragen umgeben sind. Der britische Philosoph und Mathematiker hat das bereits im Jahr 1938 mit einer Metapher auf den Punkt gebracht:
Bertrand Russell (1872–1970)
Bertrand Russell, hier 1938, gilt auch als einer der Begründer der analytischen Philosophie. –
Quelle:
Wikimedia Commons
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Ob wir also wollen oder nicht: Die Frage der Macht – wer hat hier gerade Einfluss auf wen? – schwingt immer mit, wenn mindestens 2 Menschen in Austausch treten. Das macht das Thema omnipräsent, aber auch schwer greifbar. Um die vielfältigen Sichtweisen auf Macht zu zeigen, habe ich meine Kollegen im Büro gefragt, welche Assoziationen der Begriff »Macht« in ihnen auslöst. Einige der Antworten habe ich als Zitate im Text eingebaut.
»Bei Macht muss ich direkt an ältere Männer denken, die diese unbedingt haben wollen.«
Um unser Verständnis von Macht zu verbessern, untersuchen Wissenschaftler wie der amerikanische Psychologieprofessor wie Macht Menschen verändert. In den letzten 2 Jahrzehnten haben sie dabei so einiges herausgefunden.
Macht verändert Frau und Mann gleichermaßen. 2 prominente Leinwand-Beispiele sind die Chefredakteurin der Frauenzeitschrift Runway Miranda Priestly (gespielt von Meryl Streep) im Kinofilm »Der Teufel trägt Prada« (2006) und der Werbefachmann und Frauenheld Don Draper (gespielt von Jon Hamm) aus der TV-Serie »Mad Men« (2007–2015). –
Quelle:
Fig. 1 by University of California
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Beschwipst von der eigenen Macht
Dabei geht es nicht immer um das Verhalten von Firmenbossen, Präsidenten oder Diktatoren, sondern ganz allgemein um Menschen, die sich in alltäglichen Situationen entweder mächtig oder machtlos fühlen. Um Versuchsteilnehmer in eine dieser Gefühlslagen zu versetzen, hilft ein einfacher Trick: Das reicht aus, um das Gefühl wieder auszulösen, und verändert das eigene Verhalten.
Wie also verändert Macht unser Verhalten? Ein Blick auf die Studienergebnisse offenbart die dunklen Seiten des menschlichen Charakters. Macht macht Menschen:
hemmungsloser: Das zeigt sich beispielsweise in einer erhöhten Wahrscheinlichkeit, und im Essverhalten. Wer sich mächtig fühlt,
krimineller: Menschen mit Macht Auch im Straßenverkehr brechen sie häufiger die Regeln. Je das Auto,
rüpelhafter: Das lässt sich beispielsweise im Gespräch und dem Verhalten gegenüber Kindern beobachten. Menschen mit Macht tun und bedienen sich freigiebiger am Süßigkeitenglas, dessen verbleibender Inhalt für Kinder des benachbarten In Organisationen gehen 3 von 4 rüden Verhaltensweisen,
weniger risikobewusst: Macht fördert das Gefühl, unverletzlich zu sein, sodass Risiken weniger riskant erscheinen und die Lust an Spekulationen steigt.
egoistischer: Wer Macht hat, hört mehr auf seine
weniger Hier liegt der Kern des Gefühls begraben, dass »die da oben« »mich hier unten« nicht verstehen. Macht erschwert es, und zu erkennen. Sie verringert auch Je weniger jemand in der Lage ist, individuelle Unterschiede im Gegenüber wahrzunehmen, desto mehr verlässt er sich
»Macht assoziiere ich eher mit der negativen Ausprägung von Einfluss und Missbrauch.« egal ob es um das eigene Handeln oder die Beurteilung des inneren Zustands eines anderen Menschen geht. Sie sorgt sogar dafür, dass wir uns – auch weil wir mit steigender Macht aufhören, und dadurch mit ihnen zu fühlen. Wer nicht mehr lacht, wenn andere lachen, keine Anspannung verspürt, wenn andere nervös sind, geht auf Distanz und gibt sich selbst grünes Licht für egoistisches Verhalten.
Summa summarum trifft diese Beschreibung ziemlich genau auch auf oder Patienten mit bestimmten traumatischen Hirnverletzungen zu: Sie stellen ihre eigenen Interessen in den Mittelpunkt, verlassen sich ausschließlich auf die eigene Intuition und zeigen kein Mitgefühl. Auch die Ergebnisse dass die Unterschiede zwischen Machthabenden und Machtlosen Sie liefern die neurologische Basis des Macht-Paradoxes, das darin besteht, dass wir nach dem Erreichen einer Machtposition einige der Fähigkeiten verlieren, die uns zu ihr verholfen haben.
Wer bekommt Macht?
Es ist viel sicherer, gefürchtet als geliebt zu sein.Niccolò Machiavelli (1469–1527), italienischer Diplomat und Philosoph
Der italienische Diplomat, Politiker und Philosoph Niccolò di Bernardo dei Machiavelli wird oft auch als Vater moderner Politikwissenschaften bezeichnet. –
Quelle:
Santi di Tito
gemeinfrei
Denn auch wenn vielerorts vorherrscht, dass Macht vor allem etwas mit Angst, Einschüchterung und Unterwerfung zu tun habe, zeigen Langzeituntersuchungen erfolgreicher Machthaber ein anderes Bild. wenn sie:
empathisch sind: Die besseren Zuhörer sind auch langfristig die erfolgreicheren Machthaber. Wer Fragen stellt und sich des Gegenübers annimmt, erhält nicht nur Macht, sondern
Werte vertreten: sind die tugendhaften als die, die sich besonders häufig danebenbenehmen und soziopathische Tendenzen an den Tag legen, indem sie zum Beispiel das Leid anderer ignorieren. Auch wenn es darum geht, neue Gesetze einzuführen, überzeugen die Reden derjenigen Senatoren stärker, die sich auf Werte wie Gerechtigkeit und Mitgefühl beziehen.
aufgeschlossen sind: Offenheit und Neugier für neue Ideen sorgen dafür, dass Menschen nach »oben« klettern.
»Ich denke, Liebe kann mächtig sein, weil sie Loyalität bedingt.«
Mit anderen Worten: Wer das öffentliche Wohl erweitert, erhält Macht. Das erscheint aus evolutionstheoretischer Sicht durchaus sinnvoll. Denn es ist die Aufgabe der Mächtigen, das Überleben und Wohl aller sicherzustellen. Auch das lässt sich wiederum auf neurologischer Ebene beobachten.
Parallel untersuchen Wissenschaftler wie Dacher Keltner, welche Machthabenden langfristig »erfolgreich« sind und waren. Mit Blick auf das größte Vermächtnis führt dabei im Vergleich der amerikanischen Präsidenten Thurlow Weed, amerikanischer Journalist und Politiker,
Sein Geist ist gleichzeitig philosophisch und pragmatisch. Er sieht jeden, der zu ihm kommt, hört alles, was man ihm zu sagen hat, spricht frei mit jedem, liest alles, was ihm geschrieben wird; aber denkt und handelt eigenständig und für sich selbst.Thurlow Weed über Abraham Lincoln vor dessen Präsidentschaft
Aus dieser Einschätzung spricht vor allem eins: die Nähe zu den Menschen. Empathie.
Die Analysen zeigen auch: Die weniger kollaborativen Machthaber hinterlassen ein geringeres Vermächtnis oder sorgen dafür, dass im Nachgang Aufräumarbeiten stattfinden müssen, wie es bei der letzten Bush-Administration war und wahrscheinlich auch nach dem aktuellen US-Präsidenten der Fall sein wird. Gleiches gilt eine Ebene »tiefer« bei den untersuchten US-Senatoren.
Mit anderen Worten: Menschen wie Putin, Trump, Orban und Co. mögen hervorragend darin sein, kurzfristig Macht an sich zu reißen und auszuüben. Sie werden aber nicht in der Lage sein, und (nationale) Langzeitinteressen zu verfolgen. Hinzu kommt ein potenziell geschädigter Ruf auf internationalem Parkett.
Höchste Zeit also, die Machthabenden auf diese Erkenntnisse aufmerksam zu machen und jeden Bürger zu rekrutieren, um sie immer wieder dran zu erinnern.
Der erste Baron Acton hieß eigentlich John Emerich Edward Dalberg-Acton und war ein englischer Historiker, Politiker und Autor. –
Quelle:
Allen & Co.
public domain
Sämtliche Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Macht nicht immer verdirbt und korrumpiert. Die »Nebenwirkungen der Macht« wie die verringerte Fähigkeit, die Perspektive anderer einnehmen zu können, scheint keine bewusste Entscheidung zu sein, sondern automatisch zu passieren. Zum Teil geschieht das aus nachvollziehbaren Effizienzgründen; wir sind Die Gefahr besteht darin, den Moment zu verpassen, wenn aus gesteigerter Effizienz Gleichgültigkeit und Arroganz werden. schließlich von missbrauchter Macht und es gibt Individuen, die besonders anfällig dafür sind.
Klar ist aber mittlerweile auch, dass Macht zunächst ein mentaler Zustand ist, in den sich jeder über eine einfache Manipulation versetzen lässt und der dann die entsprechenden Nebenwirkungen zeigt.
Sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld kommen wir in Situationen, in denen wir Macht haben. Mit 3 Übungen können wir beginnen, uns dem Macht-Paradox zu entziehen:
Paradox Auch wenn wir nicht verhindern können, was Macht mit unserem Gehirn macht, können wir uns bewusst dagegen entscheiden, uns mächtig zu fühlen – und so das Macht-Paradox durchbrechen. Gerade weil das manische Gefühl, unbesiegbar zu sein, besteht der erste Schritt darin, sich dieses Gefühls bewusst zu werden. Oft unterschätzen Menschen ihre Macht und den Einfluss, den sie auf andere haben. Wer sich gerade als »Master of the Universe« fühlt, kann sich sicher sein, dass es an der Zeit ist, einen Schritt zurückzutreten.
Empathie trainieren: Empathisches Zuhören lässt sich trainieren. Wer aktiv zuhört, Rückfragen stellt und Anerkennung zeigt, wird schnell feststellen, dass sich Gesprächspartner anders verhalten, als wenn das Gespräch beiläufig und rüpelhaft geführt wird. Vorgesetzte, die empathisch mit ihren Mitarbeitern kommunizieren, können sich an einem weniger gestressten, innovativeren und seltener kranken Team erfreuen.
Dankbarkeit zeigen: Wer dankbar für seine Rolle – und die damit verbundene Macht – ist und den Menschen um sich herum respektvoll begegnet, bleibt diesen stärker verbunden. Ein einfaches »Dankeschön!« des Vorgesetzten steigert die Produktivität der Mitarbeiter. Anerkennung sorgt nicht nur für mehr Sicherheit beim Gegenüber, sondern auch für innovativeres Verhalten.
Wollen wir das Macht-Paradox durchbrechen, müssen wir also die positiven Fähigkeiten, die die Macht uns entzieht, erhalten oder wiederherstellen. Um »die da oben« dabei zu unterstützen, müssen wir sie daran erinnern, was es bedeutet, empathisch und dankbar zu sein. Erfolgreiche Mächtige zeigen, wie das aussehen kann: Winston Churchill hatte dafür beispielsweise seine Frau Clementine. Sie schrieb ihm: Indra Nooyi, CEO von Pepsi, bekommt dabei Hilfe von ihrer Mutter, die sie »erdet«. Am Tag der Berufung in den Aufsichtsrat schickte sie ihre mächtige Tochter zunächst zum Milchholen und »Lass deine verdammte Krone in der Garage!«
Maren hat in Neurowissenschaften promoviert, weil sie unser Denkapparat so fasziniert. Die schlechte Nachricht: Wir sind weit davon entfernt, unser Gehirn zu verstehen. Die gute Nachricht: Unser Gehirn ist veränderbar, und zwar ein Leben lang. Wahrnehmungen, Gewohnheiten und Entscheidungen sind also offen für unsere (Lern-)Erfahrungen. Und damit auch für die Erkenntnis: Ich habe mich getäuscht!
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