Die 4 größten Mythen über die Vermögensteuer – und warum sie Unsinn sind
Eine neue Studie zeigt, dass uns die ausgesetzte Vermögensteuer bisher 380 Milliarden Euro gekostet hat – damit wäre Klimaschutz kein Problem. Doch die Debatte um die Wiedereinführung ist in Deutschland ein heißes Eisen. Was du darüber wissen musst und was wir gewinnen könnten.
Bill Gates ist dafür. Warren Buffett, der legendäre Investor und Multimilliardär, ist dafür. Sogar
Die besagte Befragung fördert ein erstaunlich kritisches Bewusstsein unter den Teilnehmenden zutage. So befürworten 74% eine höhere Besteuerung von Vermögen, um die Krise der stark gestiegenen Lebenshaltungskosten zu lindern und öffentliche Dienstleistungen zu verbessern.
Auch die Mehrheit der Menschen in Deutschland, nämlich 62%, sprechen sich für die Wiedererhebung der Vermögensteuer aus.
Bezeichnend: Etwa 1/3 der Menschen hierzulande sind gegen die Vermögensteuer, obwohl sie mit sehr großer Wahrscheinlichkeit gar nicht von einer solchen betroffen wären, auch wenn es hierzulande mit knapp einer Million Millionär:innen eine sehr hohe Zahl von Hochvermögenden gibt.
Über die Hälfte der privaten Vermögen in Deutschland (60%) wurden durch Erbschaften oder Schenkungen erzielt.
Die aktuell besonders intensiv diskutierten Modelle für eine »Reichensteuer« setzen erst bei viel größeren Vermögen an, sodass die Chefärztin und der Rechtsanwalt von nebenan nicht um ihre Sportwagen fürchten müssten. Stattdessen geht es um diejenigen, die eine ganze Sammlung davon haben. Und dazu noch eine Yacht und einen Privatjet, der sie zum Hafen fliegt.
Wie kann es sein, dass sich in Deutschland angesichts dieser Zahlen und Fakten dennoch keine Mehrheiten für einen faireren Anteil der Superreichen aussprechen? Der Grund dafür sind Mythen und gefährliches Halbwissen, befeuert von den Lobbyorganisationen der Superreichen und vereinzelten politischen Verantwortlichen,
Das Ergebnis lässt sich in den Kommentarspalten eines jeden Artikels zum Thema beobachten,
Höchste Zeit also, die 4 größten Mythen über die Vermögensteuer einer kritischen Prüfung zu unterziehen – und die beliebtesten Scheinargumente zu entlarven.
Mythos 1: Die Vermögensteuer trifft den Mittelstand
Der Vorwurf
Steuern auf Reichtum bedrohen den bescheidenen Wohlstand, den sich fleißige Menschen mit ihren eigenen Händen erarbeitet haben. Wer eine Immobilie in guter Lage besitzt und dort ungestört seinen Ruhestand verbringen möchte oder einen gut laufenden mittelständischen Betrieb führt, läuft Gefahr,
Die Fakten
Wer von der Steuer betroffen wäre, hängt stark von deren Ausgestaltung ab. Die muss politisch nach demokratischen Prinzipien ausgehandelt werden. Die bis 1996 erhobene Steuer startete ab einem Vermögen von knapp 60.000 Euro. Im Bundestagswahlkampf 2021 hat beispielsweise die Linkspartei vorgeschlagen, ab 1 Million Euro zu starten.
Die aktuell diskutierten Konzepte für eine »Reichensteuer« starten erst in 2-stelliger Millionenhöhe, es gibt aber auch Modelle, die sich allein auf Milliardär:innen beschränken. So oder so: Selbst die gut verdienenden Bürger:innen sind meilenweit davon entfernt, sich um Eigenheim oder Ersparnisse Sorgen machen zu müssen.
Das Schlüsselwort, das Kritiker:innen der Vermögensteuer hier gerne unter den Tisch fallen lassen, lautet »Freibetrag«. Hiermit kann festgelegt werden, dass Vermögen bis zu einem bestimmten Betrag gar nicht angetastet werden. Auch Vermögen, das in kleinen und mittleren Betrieben steckt, kann zusätzlich über einen Freibetrag geschützt oder sogar ganz ausgenommen werden.
Hier ein einfaches Beispiel, um das Konzept des Freibetrags zu verdeutlichen: Nehmen wir an, der Freibetrag liegt bei 2 Millionen Euro. Das bedeutet, dass die ersten 2 Millionen Euro eines Vermögens nicht besteuert werden. Wenn du also ein schickes Haus im Wert von 1 Million Euro dein Eigen nennst, du mit dem eigenen kleinen Boot in den Urlaub fährst und dazu noch ein prall gefülltes Aktiendepot im Wert von ein paar Hunderttausend Euro pflegst, würde dich die Steuer noch immer nicht treffen.
Besitzt aber jemand 3 Häuser, 2 Boote und ein noch größeres Portfolio im Wert von 3 Millionen Euro, würde eine Steuer anfallen – aber nicht auf alles, sondern nur auf die 1 Million, die den Freibetrag übersteigt. Der Armut anheimfallen würde eine so aufgestellte Person durch eine Vermögensteuer wohl kaum.
Wenn man nicht bei 2 Millionen, sondern erst bei 100 Millionen Euro startet, erledigt sich auch der letzte Teil des Mythos. Die Chefärztin gibt von ihrem Gehalt (sprich Einkommen) für Steuern und Abgaben bereits mehr als die Hälfte ab.
Beim Superreichen, der sein Geld für sich arbeiten lässt (sprich Vermögen, aus dem Einkommen erzielt wird), sieht das in den meisten Ländern der Welt und auch in Deutschland anders aus.
Hier erfährst du alles über die Geschichte der Vermögensteuer in Deutschland. Und darüber, wie die Regierung Kohl sie aus zweifelhaften Gründen hat auslaufen lassen:
Mythos 2: Die Vermögensteuer schadet der Wirtschaft
Der Vorwurf
Wird öffentlich über die Vermögensteuer diskutiert, dauert es nicht lange, bis Wirtschaftsverbände Sturm laufen.
Die Fakten
Dieser Mythos hat einen wahren Kern, denn ein gut laufender mittelständischer Betrieb mit ein paar Dutzend Angestellten kann schnell mehrere Millionen wert sein und sollte durch eine Vermögensteuer nicht übermäßig belastet werden. Nun zum Aber: Für viele der größeren Familienunternehmen ist das schon heute nicht der Fall, wenn man die in Mythos 1 beschriebenen Gestaltungsspielraum durch Freibeträge entsprechend nutzt.
Zur Wahrheit gehört eben auch: Die letzten 3 Jahrzehnte waren goldene Jahre für Superreiche in Deutschland. Ende der 1990er-Jahre wurde die Vermögensteuer ausgesetzt und wenig später die Steuer auf Unternehmenseinkommen halbiert sowie der Spitzensteuersatz gesenkt. Diese Maßnahmen sind Kinder des neoliberalen Zeitgeistes. Das Versprechen: Wenn es den Reichen besser geht, investieren sie ihre Gewinne und kurbeln so die Wirtschaft an. Das Geld, das sich an der Spitze konzentriert, würde dann in die unteren Schichten »durchsickern« und am Ende hätten alle etwas davon.
Von dem Versprechen ist wenig geblieben: Zwar sind gerade die Top 100 der Reichsten durch die Steuergeschenke noch viel reicher geworden und haben ihr Vermögen um 460 Milliarden Euro gesteigert (siehe Diagramm in der Einleitung).
Aber: »Jetzt wird es Zeit, umgekehrt zu schauen, ob die Reichen ihren Teil der Vereinbarung eingehalten haben und das Geld auch im Sinne der Gesellschaft investiert haben. Ich habe da starke Zweifel. Wir haben Immobilienmilliardäre mit hohen Rücklagen, aber zu wenig bezahlbare Wohnungen, wir haben mehr Fabriken für große Verbrennerautos, als die Welt vertragen kann, und gerade da, wo das öffentliche Interesse am größten ist, also bei Infrastruktur oder Bildung, sind die Investitionslücken am größten«, sagt Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit.
Die hinter dem falschen Versprechen stehende ökonomische »Trickle-Down-Theorie« wurde in der Zwischenzeit auch wissenschaftlich widerlegt.
Alle wissenschaftlichen Erkenntnisse und Infos zu diesem Mythos findest du hier:
Mythos 3: Die Vermögensteuer kostet mehr, als sie bringt
Der Vorwurf
Die Vermögensteuer ist ein bürokratisches Monstrum, das in der Praxis nicht funktionieren kann. Da lassen wir es am besten gleich ganz! Das sagte erst kürzlich Justizminister Marco Buschmann (FDP) in etwa so, als er darauf angesprochen wurde, dass die Mehrheit der Deutschen für die Wiedereinführung sei: »Die Vermögensteuer ist als abstraktes Konzept eine beliebte Idee. In der Praxis frisst der komplexe Bewertungsaufwand (Was ist ein Gemälde wert? Und was die vererbte Vase?) die Erträge daraus auf«, so der Minister.
Die Fakten
Richtig ist: Es gibt unterschiedliche Berechnungen zu den Kosten einer Vermögensteuer. Pauschal zu unterstellen, dass es sich auf keinen Fall für die Allgemeinheit lohnen würde – vor allem, ohne dabei auf wissenschaftliche Untersuchungen einzugehen –, ist nicht einwandfrei.
Christoph Trautvetter kennt den Forschungsstand zu dieser Frage genau. Er sagt: »Diese pauschale Behauptung ist unseriös. Es gibt mehrere Studien, die die Kosten schätzen. Das Ergebnis hängt sehr stark von der Grundlage ab.
Hier erkläre ich, warum ein Schleier der Unwissenheit über den Milliardenvermögen der Bundesrepublik liegt und die Erhebung einer Steuer darauf in der Lage wäre, ihn zu lüften:
Mythos 4: Die Vermögensteuer ist leicht zu umgehen und führt zu Steuerflucht
Der Vorwurf
Selbst wenn die anderen Mythen alle auf tönernen Füßen stehen: Am Ende wandern die Reichen einfach ab oder verschieben ihr Vermögen ins Ausland, dann hat die Allgemeinheit gar nichts mehr davon.
Die Fakten
Zur Drohkulisse, dass sich Superreiche einfach von einem Tag auf den anderen in Länder wie die Schweiz absetzen könnten, wenn sie stärker besteuert würden, sagt Trautvetter: »Tatsächlich haben wir in Deutschland sehr wirksame Gesetze, die genau das verhindern. Die meisten Menschen kennen sie aber schlicht nicht.« Ein wichtiges Instrument sei etwa die »Wegzugsbesteuerung«, die im langen Kampf gegen Steuervermeidung bereits 1972 eingeführt und seither stetig nachgeschärft wurde. »Die Wegzugsbesteuerung sieht vor, dass Menschen, die mit sehr viel Vermögen aus Deutschland wegziehen wollen, an der Grenze einmalig eine Steuer auf alles hierzulande erwirtschaftete Geld zu entrichten haben.«
Trautvetter hat mit seiner Kollegin und Co-Autorin der Studie »Keine Angst vor Steuerflucht« Michaela Alka beispielhaft ausgerechnet, wie viel die BMW-Erbin und Multimilliardärin Susanne Klatten im Falle eines Wegzugs zahlen müsste. Dieser Schritt würde sie 30% ihres Vermögens kosten, also schätzungsweise 6,5 Milliarden Euro.
Laut Christoph Trautvetter kommt es aber fast nie so weit. Schon vor Einführung der Wegzugsbesteuerung 1972 hätten nur ganz wenige Menschen aufgrund der damals noch anfallenden Vermögensteuer das Land verlassen. Das hat einen einfachen und dennoch plausiblen Grund: Reichtum speist sich nicht nur aus Zahlen auf Konten und Depots, sondern aus Kontakten, lokalem politischen Einfluss und dem kulturellen Umfeld. Und diese ganzen Verknüpfungen drohen verloren zu gehen, wenn man daheim die Zelte abbricht.
Schließlich gibt es selbst für die, die die deutsche Besteuerung in der Vergangenheit auf illegalen Wegen über anonyme Schweizer Bankkonten und Briefkastenfirmen in Panama umgangen haben, eine passende Antwort des Gesetzgebers.
Warum Überreichtum eine Gefahr für die Demokratie ist, habe ich hier im Interview mit dem Demokratie- und Staatstheoretiker Alexander Thiele herausgearbeitet:
Eine Vermögensteuer zum Wohle der 99,9%
Zweifelhafte Vorannahmen, fragliche Datengrundlagen und erstaunlich gute Gesetze, um Steuervermeidung zu verhindern: Bei genauerer Betrachtung bleibt von den größten Mythen rund um die Vermögensteuer nur wenig übrig.
Werden die irrationalen, bewusst gestreuten Ängste in Teilen der Bevölkerung abgebaut, fällt es den politischen Entscheider:innen möglicherweise leichter, den Willen der Mehrheit der Deutschen umzusetzen. Wenn du zu dieser Mehrheit gehörst, kannst du hier eine Petition von Oxfam unterzeichnen, die eine Vermögensteuer auf EU-Ebene fordert.
Am Ende bleibt dann die Frage, was eine Vermögensteuer leisten soll: Soll sie die dringend benötigten Mehreinnahmen für die öffentliche Hand einbringen, die dann in Kitas, Schulen und Infrastruktur fließen (auch eine solche Zweckbindung ließe sich politisch festlegen)? Oder soll sie ein Instrument sein, um Vermögensungleichheit dauerhaft abzubauen?
Fakt ist: Baustellen haben wir genug. So drohte erst kürzlich das Klimaanpassungsgesetz der Bundesregierung aufgrund des selbstauferlegten Sparzwangs zu scheitern. Dabei werden die Kosten für Klimaschutz und -anpassung mit den Jahren kontinuierlich steigen.
Laut einer Studie des Umweltministeriums könnten die Folgen der Klimakrise Deutschland bis 2050 bis zu 910 Milliarden Euro kosten.
Vieles ist denkbar, doch muss auch klar sein: Je aggressiver die Steuer konzipiert wird, desto größer wird der politische Widerstand der Lobby der Superreichen zwangsläufig werden.
Das verringert zwar nicht die hohe Vermögenskonzentration, sorgt aber immerhin dafür, dass die Lücke weniger schnell wächst und dass Milliardäre ähnlich viel an die Gemeinschaft abgeben, wie es die Chefärztin schon jetzt tut.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily