Wohnen ist in Deutschland Luxus. Das war nicht immer so
In seinem Buch »Nicht für alle« zeigt Politikwissenschaftler Patrick Schreiner, warum der Sozialstaat in Deutschland derzeit schwächelt. Und wer mit aller Kraft verhindern will, dass er zu alter Stärke findet. Lies heute im Auszug das Kapitel zum Thema »Wohnen«.
Hans-Otto Kraus ist Wohnungsmanager der alten Schule, seit einigen Jahren im Unruhestand. Als studierter Architekt war er lange Technischer Geschäftsführer in verschiedenen kirchlichen und kommunalen Wohnungsunternehmen, zuletzt bei der GWG Städtische Wohnungsgesellschaft München. Noch heute kann er den Wohnungsbau nicht lassen – und baut eine kleine Wohnungsgenossenschaft mit auf.
Sein Interesse am gemeinwohlorientierten Bauen habe auch mit seiner Kindheit zu tun, so Kraus: »Ich bin in Schwabach bei Nürnberg aufgewachsen, in einer Siedlung für Flüchtlinge und Kriegsversehrte, wie es damals hieß. Es waren alles Sozialwohnungen. Das war meine Kindheit, meine soziale Prägung, in einer gemischten Bewohnerschaft.« Als Kind habe er sich da sehr wohlgefühlt. »Aufgrund der Wohnsituation, wir waren zehn Kinder, hielten wir uns vorwiegend auf der Straße und den Freiflächen auf«, so Kraus, »dort hatten wir unsere Kontakte, dort spielten wir. Es war immer knapp mit dem Platz im Haus – die Mutter war froh, wenn wir aus dem Haus waren. Wir schliefen in Stockbetten zu viert in einem Zimmer mit minimaler Möblierung.« So habe er erlebt, wie wichtig das Wohnen für soziale Integration sei, für die soziale Stimmigkeit in einer Stadt beziehungsweise in einem Quartier.
Hinzu komme, dass sein Vater damals Technischer Geschäftsführer beim Evangelischen Siedlungswerk in Bayern gewesen sei. Bei dem Unternehmen hat Kraus später als dessen Nachnachfolger selbst zu arbeiten begonnen. »Auch er war Architekt«, erzählt Kraus. »Ich habe ihm als Kind immer über die Schulter gesehen, wenn er zu Hause Pläne gezeichnet hat. Es hat mich fasziniert, dass daraus später richtige Gebäude geworden sind. Mit sechzehn oder siebzehn Jahren stand für mich der Entschluss fest, selbst Architekt zu werden.« Sein Interesse am sozialen Wohnungsbau habe sich dann im Studium entwickelt, zum Beispiel durch die Beschäftigung mit der »Borstei« in München.
Mieten in Deutschland: Wenige Gewinner, viele Verlierer
Wohnungen schützen nicht nur vor Kälte und Unwetter. Häuser sind mehr als ein bloßes Dach über dem Kopf. Sie sind Lebensmittelpunkt und schaffen ein soziales Umfeld.
2018 gab es in Deutschland fast 42 Millionen Wohnungen, Einfamilienhäuser mitgerechnet. Etwas weniger als die Hälfte davon waren selbstgenutzt, also von den Eigentümerinnen und Eigentümern bewohnt. Etwas mehr als die Hälfte waren Mietwohnungen. Im europäischen Vergleich ist das recht viel. Der Anteil vermieteter Wohnungen sinkt hierzulande allerdings seit Jahren.
Titelbild: Julian Stollmeier - CC0 1.0