Sind junge Menschen verweichlicht? Wir wollen verstehen, was wirklich mit ihnen los ist
Die Zahl psychischer Erkrankungen junger Menschen ist in den letzten Jahren immer weiter angestiegen. Woran liegt das? Unsere Autorinnen – selbst 27 und 31 – versuchen mithilfe einer Psychologin, Antworten zu finden.
Wir gehören zu 2 Generationen, über die es in letzter Zeit wenig Hoffnungsvolles zu lesen gibt: Lara, Jahrgang 1992, ist Teil der sogenannten »Generation Y« und Maryline, Jahrgang 1997, eine Vertreterin der »Generation Z«.
Statistiken und Meldungen über Menschen in unserem Alter lesen sich aktuell beunruhigend. 2 Beispiele:
- Psychische Erkrankungen: Innerhalb von 15 Jahren haben die stationären Behandlungen junger Patient:innen mit psychischen Krankheiten und Verhaltensstörungen zugenommen.
Weil wir selbst zu eben den »Generationen« gehören, um die es geht, haben wir uns gefragt: Wie erleben wir die Menschen in unserem Alter und Umfeld? Klicke hier, um unsere Antworten zu lesen.
Maryline:
»Ich bin in den letzten 8 Jahren insgesamt 14-mal umgezogen: Wegen meines Studiums, überteuerten WG-Zimmern oder kurzzeitigen Untermietverträgen, meiner Partnerschaft und dem Berufsbeginn. Immer wieder musste ich mich neu einleben, fühlte mich oft einsam, da meine Familie und Freund:innen weit weg leben. Ich wusste lange nicht, was ich im Leben überhaupt will. Mit dem Coronalockdown fiel ich dann in ein tiefes Loch.
Die Diagnose: Depression, soziale Ängste und bis dahin unerkanntes
Lara:
»Mit Anfang 30 erlebe ich, wie viele Menschen ›meiner Generation‹ Kinder bekommen. Es sind mehr, als ich erwartet hatte. Für einige, mich eingeschlossen, ist es ein ›trotz allem‹. Trotz der Sorgen um Sicherheit, Wirtschaft und Klimawandel und immer mit der Frage im Hinterkopf: Wie kann es weitergehen, wie lebenswert wird die Zukunft? Einige setzen sich dafür ein, dass diese besser wird (und verzweifeln teilweise daran), andere scheinen sich in dieser Phase vor allem ins Private zurückzuziehen.
Auch hier gibt es genug Probleme, die gelöst werden wollen: Finde ich einen Kitaplatz? Ist mein Job nach der Elternzeit noch da? Für Engagement – etwa in der Politik – bleibt da wenig Zeit. Andere sind beruflich extrem eingespannt, wollen Karriere machen. Ist das ichbezogen? Oder eine Frage von Kapazitäten?
Auch in meinem engen persönlichen Umfeld gibt es einige Menschen, die psychisch erkrankt sind – die meisten davon allerdings schon nach der Schulzeit oder während der Ausbildung. Ich selbst bin nicht betroffen, trotzdem frage ich mich: Warum geht es scheinbar immer mehr jungen Menschen so?«
Die (oft negativen) Erklärungsansätze: Die Jungen sind verweichlicht, zu ichbezogen, strengen sich nicht genug an. So beschrieb beispielsweise der Personalberater Heiner Thorborg junge Menschen in einem
Andere betonen hingegen, dass man jungen Menschen nicht richtig zuhöre, ihre Sorgen nicht ernst genug nehme. Die Anforderungen und Zukunftsbedrohungen, die junge Menschen heute bewältigen müssten, seien immens groß.
So auch Beate Wilken: Sie denkt nicht, dass junge Menschen weniger belastbar sind als die Generation ihrer Eltern. Die Psychologische Psychotherapeutin hat in ihrer Praxis in Münster schon viele junge Leute behandelt, die auf dem Weg ins Erwachsenenleben psychisch erkrankt sind.
In den vergangenen Jahren, bereits vor Beginn der Coronakrise, kamen immer mehr Menschen zwischen 20 und 30 Jahren mit Erschöpfungszuständen zu ihr. Und zwar derart stark ausgeprägt, wie Wilken es zuvor nur bei Menschen ab 50 Jahren aufwärts gesehen hatte, etwa nach jahrelanger Überlastung im Beruf oder in der Familie.
Oft sei diese Erschöpfung mit starken Selbstzweifeln und Zukunftsängsten, bei vielen Betroffenen auch mit Depressionen und anderen psychischen oder psychosomatischen Störungen verbunden gewesen.
Wilken fragte sich: Was verbindet diese jungen Menschen? Was trägt – über individuelle Faktoren hinaus – dazu bei, dass viele von ihnen psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen müssen? Zum Teil lässt sich diese Entwicklung damit erklären, dass psychische Probleme heute mehr Beachtung finden als früher, sie ernster genommen werden. Doch das kann nicht alles sein.
Die klassische Psychotherapie beschäftigt sich primär mit dem einzelnen Individuum und schaut, welche individuellen Faktoren es gibt, die erklären, warum ein Mensch eine psychische Erkrankung entwickelt. Wenn sich aber psychische Störungen in einer bestimmten Altersgruppe häufen oder gar kontinuierlich zunehmen, dann kann es nicht nur am Individuum liegen. Dann müssen auch gesellschaftliche Faktoren und Einflüsse eine Rolle spielen.
In ihrem Buch »Burnout mit 25? Junge Erwachsene zwischen Optimierungsdruck, Dauerkrisen und Zukunftsangst« fasst sie die Erkenntnisse zusammen. Wir haben die Psychotherapeutin in ihrer Praxis in Münster getroffen und mit ihr über mögliche Auslöser für die aktuelle Situation gesprochen.
Die folgenden 5 Probleme, die Wilken ausführlich in ihrem Buch beleuchtet, haben uns geholfen, zu verstehen, was mit »unseren Generationen« los ist – und sie zeigen Ansätze für mögliche Lösungen:
Problem 1: Optimierungsdruck, Perfektionismus und Beschleunigung
Sie konkurrieren bereits früh um gute Noten, Abschlüsse, Ausbildungs- und Studienplätze: Schon von der Grundschule an werden sie in ihren Leistungen miteinander verglichen und beginnen dann auch, sich selbst mit anderen zu vergleichen. Ob sie es wollen oder nicht. Das berichten zahlreiche Betroffene, mit denen Beate Wilken gesprochen hat.
»Für viele wird aus dem eigenen Wunsch, gute Leistungen zu erbringen, der Zwang, stets gut sein zu müssen, sich keine Fehler erlauben zu dürfen. Und gleichzeitig spüren junge Menschen, wie unmöglich es ist, dieses Ziel zu erreichen«, erklärt die Psychotherapeutin.
Ich stehe unter einem enormen Druck, mein Leben ›hinzukriegen‹. Den richtigen Job zu finden, nebenbei das Studium zu absolvieren, sozial engagiert und eingebunden zu sein.
Aber ist das wirklich anders als früher? Forschungsergebnisse deuten zumindest darauf hin:
Das Ergebnis: Perfektionismus war unter den befragten Studierenden im Jahr 2016 deutlich ausgeprägter als 1989. Die jungen Menschen hatten höhere Erwartungen an sich selbst und andere, hatten aber auch den Eindruck, dass die Gesellschaft, ihre Familie und ihr soziales Umfeld mehr von ihnen verlangten und erwarteten.
Besonders der sogenannte »gesellschaftlich vorgegebene Perfektionismus« sei gestiegen, was den beiden Psychologen zufolge eng mit psychischen Störungen wie Ängsten und Depressionen verbunden sei. »Auch deutsche Soziolog:innen betonen, dass der Optimierungsdruck in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen hat«, sagt Wilken.
Diese Entwicklung führen Curran und Hill vor allem auf das neoliberale Wirtschaftsmodell zurück, das sich ab den späten 1970er-Jahren immer weiter verbreitete.
Eltern befeuerten diesen Optimierungsdruck häufig, wenn auch mit guter Absicht: »Sie erhoffen sich für ihre Kinder ein Leben in finanzieller Sicherheit und sehen den Weg dahin in guten Schulnoten, Abitur und einem erfolgreichen Studium«, sagt Wilken. Aber auch die Schule, Gleichaltrige und Medien trügen maßgeblich dazu bei, welche Erwartungen junge Menschen an sich stellten – und dass sie resignierten, wenn sie dem nicht gerecht werden könnten.
Problem 2: Soziale Vergleiche und Selbstvermarktung durch Soziale Medien
Besonders Soziale Medien erhöhen heute den Druck auf Heranwachsende: Sich online mit anderen zu vergleichen und zu bewerten, gehört für viele Menschen zum Alltag – und der Anspruch, »sich gut zu vermarkten«, dringt bis ins analoge Leben.
»Diese Vergleichs- und Bewertungskultur kann gerade bei jungen Menschen nicht nur zu Erschöpfung führen, sondern auch zu massiven Beeinträchtigungen ihres Selbstwerterlebens: Denn es gibt auf Social Media immer die perfekten Anderen, denen das Leben besser zu gelingen scheint«, sagt Wilken.
Das hat reale Folgen:
Problem 3: Überforderung durch unbegrenzte Möglichkeiten
»Ihr habt Glück, heute so viele Möglichkeiten zu haben. Das gab es bei uns früher nicht.« Solche Sätze hören junge Menschen immer wieder.
»Die junge Generation hat heute so viele Wahlmöglichkeiten wie nie zuvor. Nichts ist mehr vorbestimmt – der Beruf, den sie wählen, der Ort, an dem sie leben wollen, der gesamte Lebensstil. Mit dieser Wahlfreiheit entsteht der Druck, die ›richtige‹ Entscheidung treffen und die Verantwortung für Fehlentscheidungen selbst tragen zu müssen«, erklärt Wilken.
Dabei fehlt oft die Orientierung: Um auf dem Arbeitsmarkt mithalten zu können, müssen junge Menschen flexibel sein. Dazu zählt auch, in teure Städte zu ziehen oder befristete Arbeitsverträge anzunehmen. So arbeitete im Jahr 1991 beispielsweise noch jede achte jüngere Frau und jeder elfte jüngere Mann in einem befristeten Beschäftigungsverhältnis.
Problem 4: Finanzielle Sorgen
Der Lebensstandard meiner Eltern wird für mich nie erreichbar sein. Ein Haus haben, mit 63 in Rente gehen können, durch die Welt reisen … An den Punkt wird meine Generation nicht kommen. Mieten sind kaum bezahlbar und Eigentumswohnungen oder gar Häuser werden wir uns von unseren Gehältern nicht leisten können. Währenddessen wird alles teurer.
»Auch die Altersvorsorge beschäftigt viele junge Menschen, ihnen ist nicht klar, ob es angesichts des demographischen Wandels überhaupt noch eine Rente in der heutigen Form geben wird und wie sie mit einem niedrigen Gehalt jetzt schon privat Geld für die Zukunft zur Seite legen sollen«,
Problem 5: Real gewordene Dystopien: Klimakatastrophe, Coronakrise, Ukrainekrieg, Rechtsruck …
»Die letzten Jahre erschienen geradezu surreal: wie eine real gewordene Dystopie«, erklärt Wilken. »Dadurch stehen junge Menschen in Deutschland heute einer Zukunft gegenüber, die unsicherer scheint als je zuvor.«
Die Liste der Krisen und Katastrophen der letzten Jahre ist lang:
- Klimakrise,
- Coronapandemie,
- steigender Rechtsruck in Deutschland und Europa,
- Krieg in Europa und im Nahen Osten,
- Wirtschaftskrise und Inflation.
»Wie soll man da als junger Mensch optimistisch bleiben? Viele drohen an der Last dieses ›Dauerkrisenmodus‹ zu zerbrechen«, sagt Wilken.
Kein Wunder: Im Minutentakt erhalten wir heute Informationen über aktuelle Geschehnisse auf der ganzen Welt auf unser Smartphone – durch Chatnachrichten, soziale Medien oder Push-Benachrichtigungen.
Dabei bekommen besonders die negativen Meldungen viel Aufmerksamkeit und verbreiten sich rasend schnell.
Konstruktiver Journalismus ist ein Mittel, das gegen diese Entwicklung wirken kann. Um mehr Menschen Zugang dazu zu verschaffen, bietet Perspective Daily seit Kurzem auch Gruppen-Abos an – etwa für Schulen. Klicke auf das Banner, um mehr zu erfahren:
Manche vermeiden in der Folge die Auseinandersetzung mit diesen Krisen, bewusst oder unbewusst, um sich selbst vor Überforderung zu schützen. Andere engagieren sich in der Klimabewegung und versuchen, nachhaltig zu leben.
Angesichts der Krisen unserer Zeit lastet ein großer Druck auf jungen Menschen, aktiv werden zu müssen. Manche haben ein ständig schlechtes Gewissen, nicht genug für die Rettung der Welt zu unternehmen. Manche entwickeln diesbezüglich sehr hohe, perfektionistische Ansprüche an sich, die sie überfordern können.
Gleichzeitig merken sie, dass das allein nicht ausreicht und sie vieles nicht selbst in der Hand haben. Während der Coronapandemie hat sich dieses Gefühl bei einigen weiter verstärkt.
Seit der Pandemie hat sich eine innere Taubheit in mir ausgebreitet, die ich bisher noch nie gefühlt habe. Auch wenn ich vorher vielleicht mal unglückliche Phasen hatte, wusste ich immer tief in mir drin, dass ich einen Ausweg finde, und es hat mir immer Spaß gemacht, von der Zukunft zu träumen. Dieser große Aspekt meiner Persönlichkeit ist sehr viel kleiner geworden.
2 Jahre hatten junge Menschen kaum »reale« Kontakte, die Schulen, Unis, Mensen und Bibliotheken waren geschlossen, es gab keine Sport- und Freizeitangebote, keine Partys, Konzerte oder Spieleabende, kein Kino und keine Reisen.
Klar: Auch ältere Erwachsene erleben die aktuellen Krisen mit – und resignieren zeitweise. Doch für Heranwachsende ist der Umgang mit diesen Krisen und existenziellen Bedrohungen noch einmal deutlich schwieriger. »Ab 30 hat man häufig gewisse Konstanten in seinem Leben, zum Beispiel eine abgeschlossene Ausbildung, ein regelmäßiges Gehalt, eine Wohnung, eine Partnerschaft. Aber gerade zwischen 20 und 30 ist noch so viel offen: Was ist überhaupt meine Identität? Was sind meine Lebensziele? Was will ich beruflich machen? Werde ich das schaffen? Wenn ich noch gar nicht weiß, wo es bei mir im Leben hingeht, und auch noch in keiner Form finanziell und sozial abgesichert bin, ist es schwer, nicht ein starkes Bedrohungserleben zu entwickeln und die Zuversicht für mein Leben zu bewahren«, erklärt Wilken.
Ohnmachtsgefühle oder »niemand hört zu, nichts passiert«
All diese Herausforderungen treffen Jugendliche und junge Erwachsene auf andere Art und Weise, als sie ältere Menschen treffen. Welche Reaktionen das hervorruft, hängt auch davon ab, wie die Betroffenen sozialisiert wurden, in welchem Umfeld sie leben und wie ihre wirtschaftliche Situation aussieht. Gemeinsam haben viele junge Menschen aber eines: Sie fühlen sich nicht gehört.
Das Gefühl, nichts an der eigenen Situation ändern zu können, kann zu Resignation und Hoffnungslosigkeit beitragen.
»Statt ihre bisherigen Leistungen und die immensen Belastungen, die sie in unserer Leistungs- und Optimierungsgesellschaft zu tragen haben, anzuerkennen und zu sehen, welche Zukunftsbedrohungen sie erwarten, schallen ihnen im öffentlichen Diskurs oft pauschalisierende Vorurteile entgegen. Dass sie ›nicht belastbar‹ und ›zu verwöhnt und privilegiert aufgewachsen‹ seien«, erklärt Wilken.
Was hilft dagegen?
So kannst du junge Menschen unterstützen!
»Tatsächlich gibt es viele ältere Menschen, denen gar nicht bewusst ist, unter welchem immensen Druck junge Menschen heute stehen. Es ist ihnen nicht bewusst, dass die jüngeren Generationen in unseren demokratischen Institutionen kaum vertreten sind und dringend Unterstützung brauchen«, sagt Wilken. Das zu ändern, ist ein erster, wichtiger Schritt.
Das kannst du als älterer Mensch tun (falls du es nicht ohnehin schon machst):
- Statt junge Leute als verweichlicht abzustempeln, versuche, dich in ihre Lage zu versetzen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen.
- Hinterfrage deine Werte und deinen Lebensstil. Schau, wie du nachhaltiger leben kannst. Werde politisch aktiv und vertrete (auch) die Bedürfnisse junger Menschen.
- Setze dich für mehr Generationengerechtigkeit bei allen politischen Entscheidungen ein.
- Vielleicht bist du in einer leitenden Position in Wirtschaft, Gesellschaft oder Politik tätig. Nutze deine Privilegien, um dringend notwendige Maßnahmen anzustoßen.
- Unterstütze Initiativen und Projekte, die sich bereits jetzt für eine nachhaltigere und sozial gerechte Welt einsetzen.
Ohne Verständnis und Unterstützung der »Älteren« wird sich die Situation junger Menschen kaum nachhaltig verbessern. Zu groß ist der Einfluss unserer Elterngenerationen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft.
Gleichzeitig ist es wichtig, sich auch als junger Mensch aktiv für Veränderung einzusetzen – denn um aus dem Ohnmachtsgefühl herauszukommen, ist es wichtig, zu realisieren, dass ich selbst etwas tun kann.
»Das beste Mittel gegen empfundene Angst und Hilflosigkeit ist, selbst aktiv zu werden, indem man sich engagiert, politisch aktiv wird oder den eigenen Lebensstil ändert. Es ist wichtig, zu verstehen: Ich kann vielleicht nicht das große Ganze beeinflussen, aber ich tue meinen Teil«, sagt Wilken. Dabei hilft auch die Verbundenheit zu anderen Menschen, die ähnliche Werte und Ziele teilen.
Selbstwirksamkeit zu üben, ist eine Strategie, die helfen kann. Es gibt aber noch weitere Strategien zur »Selbsthilfe«. Klicke, um mehr darüber zu erfahren:
Hilfe zur Selbsthilfe
So wichtig es ist, dass sich etwas grundlegend ändert: Jungen Menschen, die jetzt akut betroffen sind und unter der aktuellen Situation leiden, hilft das wenig.
- Teile deine Ängste und Sorgen anderen mit und erfahre, dass du damit nicht allein bist.
- Distanziere dich von überhöhten Erwartungen und dem Druck, immer perfekt sein zu müssen.
- Übe dich in Selbstakzeptanz: Akzeptiere deine Stärken und Schwächen und entwickle deine eigenen Kriterien, nach denen du dich selbst und andere beurteilten möchtest.
- Kultiviere Selbstfürsorge und Auszeiten: Nimm dir Zeit für dich, gönne dir Ruhepausen, pflege Beziehungen und finde eigene Kraftquellen – etwa Bewegung, Aufenthalte in der Natur, Entspannung oder genügend Schlaf.
- Gehe bewusst mit Medien um: Vermeide Überforderung, schalte Push-Nachrichten aus, lösche Apps und definiere Smartphonezeiten.
- Mache dir deine Bedürfnisse klar: Beziehe die Frage »Was tut mir wirklich gut?« in Entscheidungen ein und lerne achtsam, mit deinen Bedürfnissen umzugehen.
Wilken betont, dass auf individueller Ebene Achtsamkeits- und Resilienztrainings hilfreich sein könnten. Bei schweren Leidenszuständen sei eine Psychotherapie wichtig. All das könne aber nur ein Teil der Lösung sein.
»Die Rolle, insbesondere der Psychotherapie, kann es nicht sein, die Menschen nur noch immer weiter an krankmachende gesellschaftliche Bedingungen anzupassen und sie ökonomietauglich zu machen«, sagt sie.
Bei allem Engagement für gesellschaftliche Veränderungen sei es wichtig, auch immer wieder unbeschwerte Momente zu genießen. »Ein Stück weit ist die Verdrängung der Krisen gesund für die Psyche. Ich kann nicht den ganzen Tag die Welt retten, mich politisch engagieren oder gegen Ungerechtigkeiten zur Wehr setzen«, sagt Wilken.
Jeder jungen Person, die ihr Leben in der heutigen Welt irgendwie hinkriegt, gilt mein großer Respekt. Ich finde, es ist verdammt schwer, in dieser Zeit überhaupt ins Leben zu starten, einen guten Weg für sich zu finden, tragfähige Beziehungen aufzubauen, die Zuversicht nicht zu verlieren.
Die jungen Leute, mit denen sie gesprochen habe, seien nicht weniger belastbar als Ältere und keinesfalls »verweichlicht« gewesen. »Ich würde mir eine breite gesellschaftliche Diskussion zu dem Thema wünschen: Welche Aspekte unserer Gesellschaft tragen dazu bei, dass immer mehr junge Menschen psychisch erkranken? Und wie können wir sie bei der Gestaltung einer für sie lebenswerten Zukunft unterstützen?«
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily