Denkst du, ich bin arm dran?
Meine Familie und ich gehören zu den ärmsten 17% der Deutschen. So meistern wir unseren Alltag.
Wir sitzen zusammen am Abendbrottisch. Es gibt Kartoffeln und Spinat. Mein Freund erzählt von seinem Studienprojekt, ich berichte von meinem Praktikum und unser Sohn Jakob schwärmt von Dinosaurierspuren, die er im Kindergarten gefunden hat. Ihn beschäftigt gerade die Entstehung der Erde mit ihren unterschiedlichen Bewohnern. Klingt nach einem normalen Familienalltag. Dabei sind wir arm dran. Jedenfalls offiziell: Wir sind eine Familie mit geringem Einkommen und leben unter der
Das muss hart sein, mit so wenig Geld ein Kind großzuziehen. Du Arme.
Was schwingt in solchen Sätzen mit? Denkt man über mich, dass ich meinem Kind nichts zu bieten habe? Oder hat man Respekt vor mir, weil ich es trotz dieser Situation irgendwie hinbekomme, zu überleben? Ich bin auch mit wenig Geld zufrieden. Arm fühle ich mich nicht – obwohl ich es bin und auch so wahrgenommen werde. Wie passt das zusammen?
Über den Begriff
Und nicht nur das. Ich gehöre sogar
Wie kommen wir über die Runden?
Trotzdem kommen wir gut über die Runden. Diese Beträge gehen jeden Monat auf unserem Familienkonto ein:
- Meine Haupt-Einnahmequelle ist das
- Für Jakob bekommen wir jeden Monat 192 Euro
- Die Miete können wir dank
- Unterstützung der Familie: Mein Freund bekommt 600 Euro
- Die Stadt bezahlt für den Kindergarten
- Leistungen für
Sprichst du »Bürokratisch«?
Mit unseren Zuschüssen haben wir noch längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Der Geschäftsführer des
- Den
- Familienerholung: Die Sommerferien stehen an, aber die Familienkasse ist leer?
- Das Schulbedarfs-Paket soll sicherstellen, dass Kinder wie Jakob sich keine Buntstifte von ihren Klassenkameraden ausleihen müssen.
Dass ich von diesen Mitteln erst jetzt erfahre, zeigt mir, dass an der Kommunikation solcher Fördermittel noch einiges verbessert werden kann. Manchmal brauchte ich viel Glück, um Hilfe zu finden: Vor der Geburt meines Sohnes bekam ich
Um herauszufinden, was ich wo beantrage, brauche ich Geduld – und Zeit.
Ich sitze an einer Hausarbeit für die Uni, doch Behördengänge halten mich vom Nachdenken ab. Ich muss Wohngeld beantragen und mache mich auf den Weg zum Stadthaus, Fachbereich »Integration, Soziales und Bürgerengagement«. Für die Übernahme der Betreuungskosten wechsle ich zu »Kinder, Jugendliche und Familien«. Für BuT-Leistungen stelle ich mich bei den Sachbearbeitern des Gebiets »Soziales und Gesundheit« in die Schlange, bevor mein Weg zurück zur Uni führt: Ich muss noch zum BAföG-Amt. Das Formular enthält Worte, deren Bedeutung ich ausführlich recherchieren muss, bevor ich mein Häkchen setze. Wenn ich einen Fehler mache, bekomme ich am Ende womöglich kein Geld.
Bis ich alles beantragt und auch auf dem Konto habe, vergehen oft Monate. Dann fange ich an, den Folgeantrag auszufüllen.
»Manchmal reicht nicht mal ein Studienabschluss, um die Formulare zu verstehen« – Sebastian Heimann.
Um Hilfe beim Ausfüllen der Formulare zu bekommen, gibt es
Ich wünsche mir eine übergeordnete Anlaufstelle, bei der ich Leistungen beantragen kann, statt alle Dokumente über meine finanzielle Situation vielfach einzureichen. Dadurch müsste ich nicht jedes Mal aufs Neue meine Geschichte erzählen und hätte idealerweise eine feste Ansprechperson, die meine Situation kennt und von der ich erfahre, welche Mittel oder Projekte für mich infrage kommen. Sebastian Heimann vom Deutschen Familienverband schlägt vor, eine zentrale Online-Plattform für das Einreichen von Dokumenten zu schaffen.
Was heißt schon genug?
Trotz all dieser Hürden kommen wir mit dem Geld, das am Ende dabei rauskommt, gut zurecht. Dabei hilft uns auch unser Konsumverhalten. Bevor wir uns etwas kaufen, fragen wir uns: Was wollen wir? Und was brauchen wir?
Jakob braucht dringend neue Schuhe. Gummistiefel braucht er in jeder Größe doppelt, einmal für uns zu Hause und einmal für das Schuhregal im Kindergarten. Wir machen uns auf den Weg zur »Möwe«, einem
Zugegeben, es ist einfacher, in einen Laden zu gehen, in dem es immer Gummistiefel in allen Größen, Farben und Variationen gibt, doch
Schnäppchen aus dem Secondhandladen passen vielleicht nicht zum aktuellen Saisontrend – aber das ist mir auch nicht wichtig.
Ob man sich arm fühlt, hängt nämlich auch davon ab, mit wem man sich vergleicht. Verglichen mit Großverdienern in Designermode, die ihre Autos vor einem Haus mit Pool parken und mehrmals im Jahr nach Mauritius jetten, habe ich natürlich nicht viel.
Doch wenn ich mich mit Mittel- und Geringverdienern vergleiche – Moment mal, warum sollte ich mich überhaupt vergleichen? Die für mich relevante Frage ist doch eigentlich, ob die Bedürfnisse meiner Familie erfüllt sind.
Wenn ich mir diese Liste angucke, denke ich: Unser Leben ist alles andere als »arm«. Diese Liste deckt alles ab, was wir für ein erfülltes Leben brauchen.
Klar, einige Erleichterungen verdanke ich meinem Studentenstatus. Ich bin mir bewusst, dass ich zu einer relativ privilegierten Armutsgruppe zähle, denn natürlich gibt es
Und auch ich stoße an einige Grenzen. Für diese Dinge, die ich gern tun würde, bräuchte ich mehr Geld:
- Umweltfreundlicher und fairer Konsum: Ich greife nach der in Plastik eingepackten Paprika, die leider günstiger ist als die unverpackte.
- Altersvorsorge: Ich hätte später gern mehr Geld, falls die gesetzliche Rente nicht ausreicht. Aber davon, einen Bausparvertrag oder eine Lebensversicherung finanzieren zu können, bin ich weit entfernt.
- Ein Urlaub, der mehr kosten darf als ein Zeltplatz oder eine günstige Ferienwohnung, bleibt erst einmal auf dem Wunschzettel stehen.
Fühlt mein Sohn sich arm?
Ich weiß, warum ich mich trotzdem nicht arm fühle – aber wie ist das bei Jakob? Auch bei ihm kommt das Thema auf. Jakob hat eine Spardose, in der ein Haufen Cent-Stücke für ihn den Anschein erweckt, er besäße eine Menge Geld. Später will er sich davon ein Motorboot kaufen. Eins mit 10 Sitzen, damit auch Oma und Opa und ein paar Freunde mitfahren können. Eine genaue Vorstellung von Geld hat er nicht. Aber er weiß genau, dass wir nicht so viel davon haben wie eine Familie, in der beide Eltern arbeiten und ein eigenes Haus finanzieren können. Dass wir kein Eigenheim haben, findet Jakob manchmal schade. Aber nur, wenn er sich mit einer bestimmten Gruppe seiner Freunde vergleicht. Manchmal vergleicht er sich aber auch mit Kindern, die eine halbe Stunde laufen müssen, um an Wasser zu kommen. Als im Kindergarten das Thema
Titelbild: Katharina Lüth - copyright