Die Bundesregierung nimmt den Klimaschutz nicht ernst genug. Das Damals musste die Ampelkoalition ihr Klimaschutzgesetz umfassend anpassen. Das Urteil gilt als wegweisend in der Rechtsprechung, die Klimafragen betrifft.
Bald könnte die Regierung wieder auf der Anklagebank sitzen. Denn die renommierte Umweltjuristin, Anwältin und Richterin Roda Verheyen plant gemeinsam mit und Greenpeace Deutschland eine neue Verfassungsbeschwerde, die sich auf die Klimapolitik der Bundesregierung richtet. Das Besondere: Jeder Mensch, der in Deutschland lebt, kann sich daran beteiligen.
Baro Vicenta Ra Gabbert arbeitete und unterrichtete bereits während ihres Jurastudiums zu der Schnittstelle von Klima und Recht. Seit Juni ist sie Vorstandssprecherin für das Thema sozialökologische Gerechtigkeit bei Greenpeace Deutschland und aktuell für die Kommunikation über die Zukunftsklage zuständig. Im Interview erklärt sie, worum es bei der Klage genau geht, was es bringt, wenn sich möglichst viele Menschen anschließen, und wieso wir künftig immer mehr Klimaklagen sehen dürften.
Maria Stich:
Lass uns mit den Grundlagen starten. Wer kann generell eine Verfassungsbeschwerde einreichen?
Baro Gabbert:
Die Verfassungsbeschwerde kann »von jedermann« beim Bundesverfassungsgericht eingereicht werden, also von jeder Person, die sich in ihren Grundrechten verletzt sieht. Das steht in unserem Grundgesetz. Es gibt dort auch keinen Anwalts- oder Anwältinnenzwang. Die Verfassung sieht also eigentlich ein sehr zugängliches Verfahren für die Bevölkerung vor.
Und in welchen Fällen kann ich mich an das Bundesverfassungsgericht wenden?
Baro Gabbert:
Zum Beispiel, wenn ein Gesetz erlassen wird, durch das man sich in seinen Grundrechten unangemessen benachteiligt oder verletzt fühlt. Oder umgekehrt, wenn in einem bestimmten Themenbereich zu wenig oder gar keine Gesetzgebung passiert und man deswegen der Meinung ist, in seinen Grundrechten verletzt zu sein.
Um was geht es genau bei der aktuellen »Zukunftsklage«, wie ihr sie nennt?
Baro Gabbert:
Die Zukunftsklage hat 3 Hauptanträge mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten. Im ersten geht es um das »Ambitionsniveau« der deutschen Klimaschutzziele – also welche Ziele sich Deutschland setzt, wann klimaneutral zu sein. Hier sagen wir, die bisherigen Ziele Deutschlands, die auch im Klimaschutzgesetz stehen, sind nicht auf dem Pfad des Pariser Klimaschutzabkommens. Da muss Deutschland ambitionierter werden, sich also ausreichend Ziele setzen.
Der zweite Punkt betrifft die Neugestaltung des Klimaschutzgesetzes, die der Bundespräsident vor wenigen Wochen unterschrieben hat. Statt konkreter Maßnahmen und Sofortprogramme bei Verfehlungen der Sektorziele gibt es nach dem neuen Gesetz künftig nur Prognosen und vielleicht weitere Maßnahmen auf Grundlage von Klimaschutzprogrammen, die auch bisher nicht ausreichend umgesetzt wurden. Dadurch wurde das Gesetz massiv aufgeweicht. Das halten wir für verfassungswidrig und fordern, dass es zurückgenommen wird.
Und drittens?
Baro Gabbert:
Da geht es im Kern um sozial gerechten Klimaschutz.
Wenn man ernst nimmt, wozu wir uns im Pariser Klimaschutzabkommen völkerrechtlich verpflichtet haben und dass wir nur übrighaben, ist absehbar, dass dieses Budget ziemlich bald verbraucht ist. In den Sektoren, die es nicht schaffen, sich zu transformieren, führt es dazu, dass in ein paar Jahren eine Vollbremsung – so hat es das Bundesverfassungsgericht genannt – erfolgen müsste. Das wird höchst ungerecht werden. Speziell der Verkehrssektor hängt seinen Klimazielen massiv hinterher.
Was könnte eine solche Vollbremsung konkret bedeuten?
Baro Gabbert:
Stellen wir uns vor, das Budget ist aufgebraucht und es gibt plötzlich ohne großen Vorlauf ein Verbrennerverbot, weil man kaum noch andere Optionen hat. Das trifft die Menschen am härtesten, die jetzt schon auf ÖPNV angewiesen wären und keinen haben, also vor allem in ländlichen Regionen. Es trifft auch Menschen ganz hart, die nicht genug Geld haben, sich dann mal eben ein E-Auto zu kaufen. Und es trifft die Menschen, die vulnerabel sind, weil sie auf Individualverkehr angewiesen sind, zum Beispiel Menschen mit Krankheiten oder Menschen mit Behinderung. Das heißt, es hängt die Menschen ab, die jetzt schon ganz oft vergessen werden.
Bei der Klage von 2021 ging es auch schon darum, dass die Bundesregierung zu wenig für den Klimaschutz tut. Worin liegt jetzt der zentrale Unterschied zu damals?
Baro Gabbert:
2021 ging es um noch größere, grundsätzlichere Fragen. Wir wussten vor der Entscheidung damals nicht einmal, ob das Klima grundrechtlich geschützt ist und das Erreichen der Pariser Klimaschutzziele verfassungsrechtlich bindend. Das war davor nicht höchstrichterlich geklärt. Deshalb war noch unklar, ob es überhaupt möglich ist, eine Verfassungsbeschwerde für Klimaschutz einzureichen. Darum nun wissend und darauf aufbauend argumentieren wir jetzt unter anderem, dass es auch Maßnahmen braucht, um die verfassungsrechtlichen Klimaschutzziele zu erreichen.
Was wichtig ist: Wir legen nicht Verfassungsbeschwerde auf bestimmte Maßnahmen ein. Wir sagen zum Beispiel nicht, dass ich ein Grundrecht darauf habe, dass eine Bushaltestelle direkt vor meiner Haustür gebaut wird oder Ähnliches. Die Verfassung gibt nur den Rahmen vor, in dem sich die Gesetzgebung bewegen muss. Auszugestalten und demokratisch auszuhandeln, wie genau die Maßnahmen aussehen, ist dann Aufgabe der Politik.
Du hast vorhin gesagt, prinzipiell kann jede Einzelperson eine Verfassungsbeschwerde einlegen. Greenpeace und Germanwatch sind aber doch keine Einzelpersonen.
Baro Gabbert:
Ob Verbände in Form einer Verbandsklage Verfassungsbeschwerde einlegen können, ist gerade tatsächlich juristisch ziemlich umstritten. Bei der Zukunftsklage handelt es sich aber nicht (nur) um eine klassische Verbandsklage. Es sind vor allem auch viele Einzelpersonen als Beschwerdeführende beteiligt. Und wir haben es sogar noch mal größer gemacht: Wir ermöglichen es allen in Deutschland lebenden Menschen ab 14 Jahren,
Wie kann man sich der Klage anschließen?
Baro Gabbert:
Bis zum 31. August kann man sich auf der Website www.zukunftsklage.de mit Name und Adresse anmelden und bekommt eine Vollmacht per Post zugeschickt. Wenn man sich entscheidet, Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht einlegen zu wollen, schickt man diese Vollmacht unterschrieben an uns zurück. Roda Verheyen, die den Prozess führt, vertritt dann gemeinschaftlich alle Beschwerdeführenden.
Macht es einen Unterschied, ob sich 1.000 Leute anschließen oder 10.000? Ist es umso wahrscheinlicher, dass die Klage erfolgreich ist, je mehr Menschen mitmachen?
Baro Gabbert:
Da muss man differenzieren. Das Gericht entscheidet nach dem Grundgesetz und um Grundrechte zu schützen. Und das wird es – davon bin ich überzeugt – bei einer Person genauso machen wie bei 50.000. Gleichzeitig macht es natürlich für jedes Individuum einen Unterschied, ob er oder sie für seine Rechte in Karlsruhe einstehen möchte oder nicht.
Das Recht kann wie ein sehr sperriges Mittel wirken, das mit großen Vorbehalten und Hindernissen behaftet ist. Wir wollen es Menschen nahebringen, sie ein bisschen an die Hand nehmen und sagen: »Wenn du das Gefühl hast, dass du in deinen Rechten durch die politischen Entscheidungen oder diese Gesetzesänderungen betroffen bist, dann übernehmen wir den bürokratischen Aufwand, ein bisschen Denkarbeit und die Logistik drum herum, damit du das mit uns durchsetzen kannst.«
Ich glaube, darin liegt ein ganz großer demokratischer und rechtsstaatlicher Wert, der das Verständnis unseres Systems stärken kann und hoffentlich wird.
Ist es für das Gericht nicht überfordernd, wenn so viele Menschen Verfassungsbeschwerde einlegen?
Baro Gabbert:
Die Frage, ob es nicht besser wäre, wenn weniger Menschen Verfassungsbeschwerde einlegen würden und die Richter:innen dann weniger Arbeit hätten, kommt sehr häufig. Aber es geht uns gar nicht darum, dem Gericht möglichst zu gefallen. Sondern es geht darum, dass sich Menschen in ihren Rechten betroffen sehen und Beschwerde einlegen können. Genau das ist Aufgabe des Bundesverfassungsgerichtes. Es wird dazu in der Lage sein, das gut zu managen – auch davon bin ich überzeugt.
Zunächst entsteht gar nicht so viel mehr Aufwand: Es wird nicht für jede:n Beschwerdeführende:n eine neue Argumentation geschrieben. Und wir warten unter anderem auch deshalb bis nach dem August, weil dann die digitale Einreichung von Verfassungsbeschwerden möglich ist. Das heißt, wir schicken nicht Tausende von einzelnen Papieren, sondern bereiten es als ein gesammeltes PDF auf.
Außerdem sitzen dort mit die besten Jurist:innen unseres Landes, die dazu da sind, das Grundgesetz anzuwenden und Grundrechte zu schützen. Sie haben auch in der Vergangenheit nicht aus politischen oder administrativen Befindlichkeiten entschieden. Ihre Entscheidung wird nicht davon beeinflusst, wie viel Verwaltungsaufwand sie mit sich bringt.
Wie lange dauert es in der Regel bis zu einem Urteil? Können wir noch in dieser Legislaturperiode damit rechnen?
Baro Gabbert:
Der ganze Prozess des Bundesverfassungsgerichtes kann sehr, sehr lange dauern. Es dauert zunächst, bis das Gericht überhaupt entschieden hat, ob die Beschwerde zur Annahme zugelassen wird oder nicht. Dafür müssen die Menschen im Gericht viele 100 Seiten an Beschwerdeschrift lesen. Über 90% der Beschwerden, die dort eingehen, werden gar nicht zur Entscheidung angenommen.
Im nächsten Schritt können Bundesregierung und Bundestag dazu Stellung nehmen, bevor die Richter:innen ein Urteil erarbeiten und schreiben. Bei der Beschwerde 2021 war es über 130 Seiten lang. Da wird sehr genau und gründlich gearbeitet. Deswegen dauert es meist mehrere Monate bis Jahre. Letztes Mal waren es ungefähr 1,5 Jahre und das war eher schnell.
Urteile des Verfassungsgerichtes sind bindend. Aber wie kann man sicherstellen, dass die Urteile auch wirklich umgesetzt werden? Das Urteil 2021 war doch sehr eindeutig und trotzdem wurde das Klimaschutzgesetz mit der aktuellen Novelle nun sogar abgeschwächt.
Baro Gabbert:
Was man nicht vergessen darf: Nach der Entscheidung 2021 ist in so rasanter Geschwindigkeit, wie ich sie noch nie vorher bei einem Gesetzgebungsprozess gesehen habe, das Klimaschutzgesetz direkt angepasst und verbessert worden. Das ist nicht einfach verpufft, sondern da ist wirklich was passiert.
Dass man sich jetzt entschieden hat, in der Architektur des Gesetzes herumzupfuschen, ist ein fatales Zeichen. Es gibt keine Verfassungsgerichtspolizei oder ähnliches, die dann vor Bundestag und Bundesregierung steht. Dieses ganze Konstrukt basiert auf einem gewissen Vertrauen zwischen den Institutionen. Darauf, dass man zuhört, wenn das oberste Verfassungsorgan etwas entscheidet und wenn Gerichte etwas entscheiden.
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat die Bundesregierung erst letztes Jahr noch einmal ausdrücklich Das hat der Bundesregierung nicht gepasst und dann ändern sie einfach das Recht, auf dem die Entscheidung basiert … Das hat einen Beigeschmack, den ich aus demokratischer und rechtsstaatlicher Sicht extrem schwierig finde und durch den viele Menschen Vertrauen verlieren. Da sehe ich die Politik in der Verantwortung, es gar nicht so weit kommen zu lassen.
Aber wenn es so weit kommt, haben wir die Option, eben noch mal Verfassungsbeschwerde einzulegen. Das ist genau das, was wir jetzt machen.
Wenn man immer und immer wieder klagen muss: Hat sich das Instrument der Klimaklagen inzwischen vielleicht einfach abgenutzt?
Baro Gabbert:
Im Gegenteil. Je drastischer die Klimakrise wird, desto mehr gebietet das Recht, dagegen vorzugehen. Das Problem geht ja nicht einfach weg. Klagen sind ein zentraler Bestandteil eines demokratischen und rechtsstaatlichen Aushandlungsprozesses für gesellschaftliche Probleme.
Aber natürlich sollten wir nicht auf ewig hin und her korrigieren. Dafür fehlt die Zeit. Für eine selbstbewusste Politik ist es fast peinlich, wenn sie sich Jahr um Jahr höchstrichterlich bei solchen Zukunftsthemen korrigieren lassen muss. Eigentlich würde es ihr sehr viel besser zu Gesicht stehen, wenn sie ein sinnvolles Gesamtkonzept vorlegen würde. Wenn sie Gesetze so schreiben würde, dass sie die Infrastruktur und Und solange das nicht so ist, braucht es eben die Beschwerden.
Wie viele Menschen haben sich der Beschwerde schon angeschlossen?
Baro Gabbert:
Genaue Zahlen wollen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht nennen. Doch so viel kann ich sagen: Allein heute sind wieder 12 Postkisten mit Anträgen bei uns eingegangen von Menschen, die sich uns anschließen möchten.
Was ich sehr schön finde, ist, dass das Wissen über die Beschwerde bislang nicht über die klassischen medialen Kanäle seinen Weg zu den Menschen findet; sondern dass Menschen anderen Menschen davon erzählen, von denen sie wissen, die machen sich auch Sorgen, die fühlen sich auch betroffen und fühlen sich ohnmächtig. Und dieser Ohnmacht möchten sie irgendwas entgegensetzen, was reale Konsequenzen mit sich bringt.
Die Info ist durch Whatsapp-Gruppen geschickt und auf Social Media geteilt worden. Leute haben die Formulare mit ihren Omas am Kaffeetisch ausgefüllt, die wissen wollten, was sie noch für ihre Enkel tun könnten. Das hat etwas sehr Selbstwirksames und Verbindendes. Menschen in ganz Deutschland übernehmen generationsübergreifend Verantwortung füreinander. Daran sollten sich unsere Politiker:innen ein Beispiel nehmen.
Die Klimakrise ist eine Ressourcenkrise. Wasser, fruchtbarer Boden, bewohnbarer Lebensraum – all das wird immer ungleicher auf der Welt verteilt sein, je stärker sich die Erde erhitzt. Maria fragt sich: Wie können wir Ressourcen künftig klüger und gerechter nutzen? Nicht nur materielle, sondern auch persönliche. Also: Wie können einzelne Menschen etwas in der Welt bewegen?