Wir tun es jeden Tag: bei der Arbeit, mit Freundinnen, Partnern, vielleicht sogar im Supermarkt, der Bahn oder mit Fremden im Internet. Wir führen Gespräche. Dafür, dass wir es so oft tun, geht es erstaunlich oft schief. Wir missverstehen uns, reden aneinander vorbei, hören uns nicht wirklich, obwohl wir durchaus gehört haben, was unser Gegenüber gesagt hat.
Doch es gibt auch diese anderen Momente. Gespräche, die uns ein bisschen glücklicher machen und tiefe Verbundenheit spüren lassen. Der US-amerikanische Autor Charles Duhigg meint: Kommunikation ist eine Superkraft. Und wir alle können sie lernen. Wie das geht, darüber hat er das im Juni 2024 auf Deutsch erschienen ist.
Im Video-Call zwischen Berlin und Kalifornien stellt er seine Fähigkeiten unter Beweis. Immer wieder stellt er Rückfragen, es wird schnell persönlich und am Ende frage ich mich, wie es passieren konnte, dass ich einem komplett Fremden gerade derart viel über mein Privatleben erzählt habe.
Wie auch du ein:e »Superkommunikator:in« wirst, was FBI-Agenten erfolgreich macht und warum selbst Charles Duhigg nicht jedes Gespräch gelingt, erfährst du in diesem Interview.
Katharina Wiegmann:
Erinnern Sie sich an ein Gespräch der letzten Zeit, das so richtig schiefgelaufen ist?
Charles Duhigg:
Trotz meiner größten Bemühungen gehen Gespräche mit meiner Frau manchmal schief. Erst neulich haben wir darüber gesprochen, ob wir umziehen wollen. Für mich war es ein emotionales Gespräch: Ich sagte ihr, was ich an unserem Wohnort mag und was nicht. Für meine Frau war es ein praktisches Gespräch. Im Moment wohnen wir in der Nähe ihrer Arbeit; würden wir umziehen, wäre es für sie schwierig, dorthin zu kommen.
Weil wir unterschiedliche Arten von Gesprächen geführt haben, haben wir uns nicht so gut verstanden, wie es ideal gewesen wäre. Aber das passiert immer wieder. Selbst wenn man ein Superkommunikator ist, heißt das nicht, dass jedes einzelne Gespräch gelingt. Es bedeutet, dass man die Fähigkeiten und Werkzeuge hat, um ein Gespräch gut zu gestalten, wenn es nötig ist.
Welche Fähigkeiten sind das?
Charles Duhigg:
Es gibt einen einfachen Weg, Superkommunikatoren in Ihrem Umfeld zu identifizieren. Wenn Sie einen harten Tag auf der Arbeit hatten, gibt es vielleicht diesen einen Menschen, mit dem Sie sprechen wollen. Jemand, der Ihren Tag aufhellt und dafür sorgt, dass es Ihnen sofort besser geht. Wenn Sie so jemanden im Kopf haben: Was macht diese Person, damit sich das Gespräch gut anfühlt?
Zuhören?
Charles Duhigg:
Wahrscheinlich stellt diese Person Fragen. Fragen, die sich auf Ihre Werte, Überzeugungen und Erfahrungen beziehen. Ihr Gegenüber oder die Person stellt Folgefragen, die zeigen, dass sie zuhört.
Ein Superkommunikator zeigt, dass er sich mit Ihnen verbinden will, dass Sie ihm wichtig sind. Dass er nicht nur am Drama interessiert ist, sondern daran, was Sie fühlen, erleben und wie Sie einen Weg nach vorn finden. Das sind Dinge, die dieser Freund vielleicht gar nicht als besondere Fähigkeit ansieht. Er denkt: Das ist doch einfach das, was gute Freunde machen.
Aber es sind spezielle Fähigkeiten, und wenn man sie einmal als solche erkannt hat, kann man sie überall anwenden. Dann können Sie mit Fremden im Bus genauso reden wie mit Ihrer besten Freundin.
Ist jede:r in der Lage, diese Fähigkeiten zu erlernen?
Charles Duhigg:
Ja! Jeder kann ein Superkommunikator werden. Und in irgendeinem Bereich sind wir das alle auch schon, oder? Jeder von uns hat einen Freund, bei dem wir immer wissen, was wir sagen müssen, damit wir ihn aufmuntern. Wir sind alle schon einmal in eine Besprechung gegangen und wussten genau, wie wir unsere Idee präsentieren müssen, um unsere Kolleginnen von unserem Standpunkt zu überzeugen. Die Fähigkeiten, die uns in diesen Momenten helfen, werden zur Gewohnheit, sobald wir sie als solche erkennen und üben.
»Stellen Sie tiefgründige Fragen!«
Aber wo und wie fangen wir damit an?
Charles Duhigg:
Superkommunikatoren stellen tiefgründige Fragen. Fangen Sie an, das zu üben. Eine tiefgründige Frage zielt auf unsere Werte, Überzeugungen oder Erfahrungen. Wenn Sie jemanden treffen, der Arzt ist, fragen Sie nicht: In welchem Krankenhaus arbeitest du? Fragen Sie: Was hat dich dazu gebracht, Medizin zu studieren?
Fragen Sie Menschen nicht nach Fakten ihres Lebens, sondern danach, wie sie über ihr Leben denken. Wenn wir uns das Ziel setzen, jeden Tag jemandem eine tiefgründige Frage zu stellen, bei dem wir das sonst vielleicht nicht tun würden – sei es ein Fremder, ein Elternteil oder eine Partnerin, dann wird das sehr schnell zur Das ist ein guter Anfang.
Der zweite Ansatzpunkt ist die Erkenntnis, dass es verschiedene Arten von Gesprächen gibt. Wenn wir ein Gespräch führen, denken wir oft, es ginge nur um eine Sache. Zum Beispiel darum, wohin wir nächstes Jahr in den Urlaub fahren oder was es zum Abendessen gibt. Aber eigentlich besteht jede Diskussion aus verschiedenen Arten von Gesprächen, die sich in der Regel in eine von 3 Kategorien einteilen lassen.
Welche Kategorien sind das?
Charles Duhigg:
Die erste Kategorie bilden praktische Gespräche, bei denen es darum geht, Entscheidungen zu treffen oder anstehende Probleme zu lösen. Der zweite Bereich sind emotionale Gespräche. Ich kann Ihnen erzählen, was ich fühle. Dann will ich nicht, dass Sie meine Gefühle als zu lösendes Problem behandeln oder mir sagen, Ich möchte eine Bestätigung. Die dritte Art von Gespräch ist das soziale darüber, wie wir in der Gesellschaft miteinander umgehen und welche sozialen Identitäten uns wichtig sind.
Alle 3 Arten von Gesprächen sind gut und legitim. Aber wir müssen dieselbe Art von Gespräch im selben Moment führen, um einander wirklich zu hören. Das bedeutet, dass ich aufmerksam sein muss: Ist mein Gegenüber gerade eher praktisch, emotional oder sozial eingestellt?
Was du tun kannst, damit Streit nicht eskaliert
Sollte das während einer Diskussion aktiv angesprochen werden? Wenn ich mich mit meinem Partner streite, ist es dann sinnvoll, zu sagen: »Hey, ich habe den Eindruck, dass ich gerade auf einer emotionalen Gesprächsebene bin und du auf einer praktischen?«
Charles Duhigg:
Ja, ich denke, das ist sehr sinnvoll. Meine Frau macht das oft mit mir. Sie sagt dann zum Beispiel: »Soll ich das Problem lösen oder soll ich nur zuhören?«
An amerikanischen Schulen wird Lehrern beigebracht, dass sie, wenn eine Schülerin oder ein Schüler mit einem Anliegen auf sie zukommt, fragen sollen: Willst du Hilfe, willst du eine Umarmung oder willst du, dass ich dir zuhöre? Das zielt auf die 3 Arten von Gesprächen ab. Was sie also wirklich fragen, ist: Was wünschst du dir von diesem Gespräch?
Ich möchte Sie etwas fragen: Worüber streiten Sie und Ihr Partner?
Vor Kurzem hatten wir einen Streit, der sich an einer banalen Sache entzündete: Wir hatten uns ein paar Tage nicht gesehen. Als er am Abend zu mir nach Hause kam, habe ich 3 Vorschläge für ein gemeinsames Abendessen gemacht. Keiner hat ihm zugesagt. Darüber habe ich mich unverhältnismäßig geärgert und das Ganze ist schnell in eine komplett andere Richtung eskaliert.
Charles Duhigg:
Was denken Sie, woran es gelegen hat?
Für mich war es wohl ein emotionales Gespräch. Ich hätte mir gewünscht, dass mein Partner mir erst mal zeigt, dass er sich freut, mich zu sehen. Und wertschätzt, dass ich schon über unser Abendessen nachgedacht und ihm unterschiedliche Optionen vorgeschlagen habe.
Charles Duhigg:
Und er war vermutlich verwirrt, weil er dachte: Das ist ein praktisches Gespräch. Keine der Optionen gefällt mir, wir sollten über andere Lösungen nachdenken.
In so einer Situation ist es wirklich hilfreich, eine Pause einzulegen und zu sagen: »Ich rege mich mehr auf, als ich will. Lass mich dir erklären, warum. Ich bin gerade emotional, ich möchte, dass du dich mehr freust, mich zu sehen, und es fühlt sich an, als würdest du die Arbeit nicht respektieren, die ich geleistet habe, um diese 3 Optionen für das Abendessen zu finden.«
Ich denke, wenn Sie das klar und deutlich sagen, dann weiß er, was zu tun ist, oder? Dann kann er sagen: »Oh, wir haben uns missverstanden.«
Streitigkeiten zwischen Paaren sind nicht nur bei uns, sondern generell eine Art von Gespräch, die besonders spannungsgeladen sein kann … Wie verhindert eine Superkommunikatorin, dass eine Diskussion entgleist?
Charles Duhigg:
Zum einen kann man das Gegenüber darauf einstimmen, dass ein schwieriges Gespräch bevorsteht. Sie könnten also sagen: »Ich möchte mit dir über etwas sprechen. Und ich glaube, dass es etwas unangenehm wird. Es könnte sein, dass ich etwas sage, das falsch rüberkommt und dich beleidigt. Dafür entschuldige ich mich im Voraus. Ich will dich nicht verletzen, aber mein Gehirn kann manchmal nicht mit meinem Gesprächstempo mithalten. Und wenn du etwas Falsches sagst, vergebe ich dir im Voraus.«
Was auch hilfreich ist: Legen Sie das Ziel des Gesprächs vorab fest. »Ich möchte mit dir über diese eine Sache reden, weil sie mich schon lange beschäftigt. Ich möchte, dass du hörst, wie ich mich fühle.« Oder: »Ich möchte darüber sprechen, weil ich denke, dass wir eine wichtige Entscheidung zu treffen haben und ich möchte, dass wir das gemeinsam tun.« Wenn Sie auf diese Art ein Ziel festlegen, sitzen Sie auf der gleichen Seite des Tischs wie Ihr Partner. Sie verfolgen ein gemeinsames Ziel.
»Niemand ist zu einem Gespräch verpflichtet«
Kann es wirklich Standardrezepte für gute Kommunikation geben, wenn wir als Menschen doch alle recht unterschiedlich ticken – und vielleicht auch unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was ein gutes Gespräch ausmacht?
Charles Duhigg:
Wenn man lesen lernt, heißt das nicht automatisch, dass man jedes Buch toll findet, oder? Ich mag vielleicht Science-Fiction und Sie mögen Liebesromane. Aber wenn man lesen kann, hat man zumindest theoretisch die Möglichkeit, jedes Buch zu lesen und zu verstehen, was auf den Seiten steht. Dann können wir die Entscheidung treffen, welches Genre wir bevorzugen.
Nicht jedes gute Gespräch sieht gleich aus oder ist aus demselben Grund gut. Gute Kommunikation baut aber immer auf derselben Handvoll Werkzeuge auf. Und wenn Sie wissen, wie Sie diese Fähigkeiten einsetzen können, können Sie mit anderen eine Verbindung aufbauen.
Diese Verbindung kann aber unterschiedlich aussehen …?
Charles Duhigg:
Genau. Für den einen besteht Verbindung darin, über Gefühle zu sprechen, Hoffnungen und Träume zu teilen. Für eine andere Person besteht Verbindung darin, gemeinsam Fußball zu schauen und eine Mannschaft anzufeuern. Verbindung sieht nicht immer gleich aus, aber die Fähigkeiten und Werkzeuge, die sie ermöglichen, haben alle Menschen gemeinsam. Und wir alle haben den Wunsch nach Verbindung.
Wann fühlt sich ein Gespräch für Sie gut an?
Charles Duhigg:
Der Sinn von Kommunikation ist neuronale Angleichung. Dass wir die gleichen Gedanken im gleichen Moment haben. Wenn das passiert, fühlen wir uns gut. Es ist ein Teil unserer Evolution, der uns dazu gebracht hat, uns mit anderen Menschen zu verbinden. Jedes Gespräch, in dem wir Verbundenheit mit einem anderen Menschen spüren, ist ein gutes Gespräch.
Was tue ich, wenn mein Gesprächspartner für einen konstruktiven Dialog nicht empfänglich ist?
Charles Duhigg:
Zunächst einmal: Man muss nicht mit jedem kommunizieren. Wenn ich in einem Taxi sitze, will ich vielleicht manchmal nur meine E-Mails checken und mich nicht mit dem Fahrer unterhalten. Das ist in Ordnung. Wenn ich einen Raum betrete und versuche, mich mit jemandem zu unterhalten, und die Person will das nicht, ist das ebenso in Ordnung. Niemand ist zu einem Gespräch verpflichtet.
Aber nehmen wir mal an, Sie wollen oder müssen ein Gespräch führen und merken, dass es Widerstand gibt. Das Beste, was Sie dann tun können, ist, eine Frage zu stellen, um damit zu zeigen, dass Sie bereit sind, zuzuhören.
Was, wenn die Person nicht antworten möchte?
Charles Duhigg:
Stellen Sie die Frage so, dass die andere Person sie beantworten möchte! Stellen Sie eine tiefgründige Frage. Möglicherweise glaubt Ihr Gegenüber nicht, dass Sie wirklich zuhören. Beweisen Sie es. Stellen Sie Folgefragen. Wiederholen Sie das, was Ihnen gesagt wurde mit Ihren eigenen Worten. Das bedeutet nicht, dass die andere Person sich auf jeden Fall öffnet, aber es ist Ihre beste Chance, sie dazu zu bringen.
»Manipulation funktioniert nicht«
Sie erwähnen in Ihrem Buch den FBI-Agenten Felix Sigala als ein Beispiel für einen Superkommunikator. Was können wir von ihm lernen?
Charles Duhigg:
Felix war sehr gut darin, auf authentische Art und Weise eine emotionale Verbindung aufzubauen. Wenn jemand etwas Aufschlussreiches, Interessantes oder Bedeutungsvolles sagte, erwiderte er dies oft, indem er etwas über sich selbst erzählte. Ein Gespräch, in dem eine Person etwas von sich preisgibt und die andere nicht, fühlt sich eher nach einem Interview als nach einem Gespräch an. Ein wichtiger Teil eines guten Gesprächs besteht darin, präsent zu sein und auch etwas von sich selbst mitzuteilen.
FBI-Agenten verfolgen mit ihrer Arbeit bestimmte Interessen, die sich nicht unbedingt mit denen ihrer Gesprächspartner:innen decken … An welchem Punkt wird Kommunikation zur Manipulation?
Charles Duhigg:
Ich würde das anders sehen. Nehmen wir eine Situation, die Felix mir beschrieben hat. Ein Mann hat sich mit einem Haufen gestohlener exotischer Tiere in einem Raum eingeschlossen. Früher oder später wird er herauskommen. Die Frage ist, wie. Entweder, er kommt von alleine raus, oder das FBI geht gewaltsam vor, bricht die Tür auf, verletzt möglicherweise ihn oder ein Tier. Wenn Felix also versucht, ihn zu überreden, sie freiwillig zu öffnen, weiß ich nicht, ob man von Manipulation sprechen kann. Es ist eindeutig im besten Interesse des Mannes und der Tiere, den Raum friedlich zu verlassen. Es geht nur darum, dem Mann zu helfen, das zu verstehen.
Der Punkt ist: Manipulation funktioniert nicht. Die meisten Menschen verstehen, wenn sie manipuliert werden, wenn jemand versucht, sie dazu zu bringen, etwas zu tun, das sie nicht wollen. Wirksamer ist es, Menschen zu helfen, die Situation wirklich zu verstehen, in der sie sich befinden.
»Wir können lernen, unsere Differenzen zu diskutieren«
Politische Debatten verlaufen zunehmend polarisiert. Könnte sich das ändern, wenn wir alle ein wenig an unserer Kommunikation arbeiten?
Charles Duhigg:
Sowohl in meinem Land als auch in Ihrem gab es doch oft Zeiten, in denen wir gut darin waren, schwierige Gespräche zu führen, meinen Sie nicht?
Oftmals funktioniert es am besten, wenn es wirklich wichtig ist. Ein Teil der Polarisierung, die wir gerade erleben, ist ein Luxus, weil die Welt inzwischen so wohlhabend und relativ friedlich ist. Was natürlich nicht heißt, dass überall Frieden herrscht. Aber wenn Sie in die Geschichte blicken, ist es wahrscheinlich schwer, vor 1945 einen Zeitraum zu finden, in dem so viele Jahre Frieden in Europa herrschte wie nach dem Zweiten Weltkrieg.
Ein Teil der Polarisierung, die wir im Moment erleben, ist ein Spiegelbild dessen, wie stabil wir geworden sind. Das heißt nicht, dass Polarisierung gut ist. Aber es bedeutet, dass wir lernen können, besser miteinander umzugehen, unsere Differenzen zu diskutieren und trotzdem friedlich zu koexistieren.
Als Politikwissenschaftlerin interessiert sich Katharina dafür, was Gesellschaften bewegt. Sie fragt sich: Wer bestimmt die Regeln? Welche Ideen stehen im Wettstreit miteinander? Wie werden aus Konflikten Kompromisse? Einer Sache ist sie sich allerdings sicher: Nichts muss bleiben, wie es ist.