Das große Buddeln – Warum unser Sand knapp wird
Von keinem Rohstoff verbrauchen wir so große Mengen, wie von Sand und Kies. Um unsere Häuser und Straßen zu bauen, graben wir Landschaften um, tragen Strände ab und zerstören die Umwelt. Es wird Zeit, dass wir stattdessen unsere Städte recyceln.
Die meisten von uns sehen beim Blick aus dem Fenster Straßen und Häuser. Der Kenner sieht Asphalt und Beton. Der größte Rohstoffvorrat, den es in Deutschland gibt: das anthropogene Lager. So bezeichnen Wissenschaft und Wirtschaft alles, was der Mensch in Stadt und Land verbaut hat, allem voran Gestein wie Sand und Kies, 2 Grundzutaten von Beton. Weil wir immer weiter bauen, werden die Probleme, die die Förderung dieser Gesteine mit sich bringen, immer drängender. Dadurch wird das anthropogene Lager selbst zur Rohstoffquelle: Das Recycling alter Gebäude und Straßen beginnt, sich zu lohnen.
Die Menge an Baumaterial, die sich allein in Deutschland über die Jahre angehäuft hat, ist gewaltig: Rund
Sand reist nicht gern
Es sind Menschen wie Bernhard Brameier und sein Sohn Daniel Brameier, die für Nachschub sorgen. Der 62-Jährige betreibt seit über 3 Jahrzehnten einen Baustoffhandel in der Nähe von Münster; sein 28-jähriger Sohn übernimmt in ein paar Jahren. Im Hof des Betriebs liegen meterhohe Haufen Sand, Kies und Bauabfälle, ordentlich sortiert nach Korngröße und Beschaffenheit. Vor allem Privatleute fahren vor und schaufeln ihre künftige Garagen-Auffahrt oder das Fundament ihres neuen Garten-Pavillons auf den Anhänger.
Den Hauptumsatz machen Vater und Sohn aber mit ihrer Sandgrube, die ein paar Kilometer weiter zwischen Wald und Wiesen liegt. 120.000 Tonnen Sand heben sie hier im Jahr aus. Für 5 Euro die Tonne rieselt er direkt aus den großen, rostigen Trichtern auf die Ladeflächen der Lkw, die unter ihnen hindurchfahren. Noch rund 2 Jahrzehnte gebe die Grube Sand her. »Mein Sohn muss sich dann nach einer neuen umschauen«, sagt Bernhard Brameier und stemmt die Hände in die Seiten seiner anthrazitfarbenen Latzhose.
Wie schnell die Transportkosten von Sand seinen eigentlichen Wert übersteigen, macht ein simpler Vergleich deutlich: Sand und Kies vom Rhein, der gerade mal gute 100 Kilometer entfernt fließt, kostet bei den Brameiers schon um die 20 Euro pro Tonne – zu teuer für Großabnehmer. Die 15 Euro Preisunterschied zwischen dem örtlichen Sand und dem vom Rhein kommen in erster Linie durch die Transportkosten zustande – vor allem Diesel und Personal. Sein hohes Gewicht entzieht den Sand dem globalen Handel.
Deshalb müssen die riesigen Mengen Baustoffe, aus denen wir Wolkenkratzer und Betonwüsten gießen, möglichst in der Nähe der Baustellen gefördert werden. Das ist auch der Grund dafür, dass Sand und Kies, anders als Öl, Kupfer oder Weizen, nicht an der Börse gehandelt werden.
Verglichen mit dem Bauboom in Asien gleicht der deutsche Bausektor aber einem Spiel im Sandkasten. Schon heute liegen 7 der 10 größten Metropolregionen in Asien.
Das Perlfluss-Delta in China im Wandel: 1973 und 2003. Hier wohnen heute in einer Megastadt, die aus Städten wie Guangzhou, Dongguan und Zhongshan zusammengewachsen ist, je nach Grenzziehung zwischen 60 und 120 Millionen Menschen. Quelle: NASA – CC BY
Die Sand-Mafia
Während der Abbau in Deutschland überwacht wird und die Behörden so die Möglichkeit haben, das Geschäft möglichst umweltverträglich zu gestalten, verläuft es andernorts oft chaotisch und unüberschaubar. Die Berichte und Geschichten von illegalem Sandabbau aus Ländern wie Indien, Sierra Leone oder Marokko ähneln sich: Um den Beton-Hunger der wachsenden Städte
Die Behörden sind oft machtlos: Wir bauen doppelt so viel Sand ab, wie die Natur nachliefern kann.
Verbote umgehen die Rohstoff-Händler in mafiöser Manier;
So weichen die Sandhändler auf ein neues Vorkommen aus: den Meeresgrund. Schiffe ziehen in Küstennähe ihre Kreise und saugen Sand vom Grund, aber auch Biotope wie Korallenriffe und alles, was dort kreucht und fleucht. Erreichen die Gräben, die sie hinterlassen, eine gewisse Tiefe, rutscht Sand von den vorgelagerten Küsten und Stränden nach; wieder erodiert der Lebensraum von Mensch und Tier. Das hat auch politische Konsequenzen:
Boom-Metropole Hanoi
Städte, die im Landesinneren wachsen, sind aufgrund der hohen Transportkosten auf Baustoffe aus nahegelegenen Gruben angewiesen. Wie Sand- und Kiesabbau in Boom-Städten ganze Landstriche prägen, weiß Peter Wirth. Der Geograph koordiniert das
»Die Steine werden gesprengt, das macht viel Lärm und verursacht Vibrationen im Boden«, erzählt Wirth. »Beim Brechen der Steine zu Kies entsteht viel Staub, der sich als grauer Schleier auf das dicht besiedelte Umland legt. Meistens sind auch die Landwirtschaft und die Wasseraufbereitung in den Dörfern betroffen, deren Zuläufe verschmutzt oder ganz abgeschnitten werden.« Die gesamte Oberfläche über dem begehrten Gestein werde beseitigt und mit ihr die fruchtbaren Böden und das Leben darauf. »Die Arbeit in den Steinbrüchen wird zum Teil von Wanderarbeitern, zum Teil von der örtlichen Bevölkerung erledigt«, sagt Wirth. Da der Verdienst vergleichsweise hoch sei, seien die Jobs relativ beliebt – trotz schlechter Arbeits- und Lebensbedingungen.
Der 4-Punkte-Plan
4-mal schon ist Wirth nach Hanoi und Hoa Binh gereist. Das Problem mit den Steinbrüchen beschreibt er als allgegenwärtig: »Wenn man von irgendeinem Standort aus in die Umgebung schaut, sieht man kaum eine Stelle, wo nicht schon mal irgendwas abgebaut worden ist. Das unterstreicht, dass einfach ein Gesamtkonzept fehlt.«
Ein Chaos, in dem an allen Ecken und Enden gearbeitet wird, teils mit Baggern, teils mit Spitzhacken. Kein Stein bleibt auf dem anderen. »Die Behörden haben fast keine Übersicht über den Abbau. Sie sammeln zwar viele Daten, es ist derzeit aber kaum möglich, aus den Zahlenbergen schlau zu werden.« Es sei ein Kinderspiel, an Abbau-Lizenzen zu gelangen, die Abgaben seien zu gering und Rücklagen kaum vorhanden. Die Gemeinden würden für die bleibenden Schäden so gut wie nicht kompensiert.
Was also tun? Die Wissenschaftler vom Marex-Projekt haben zusammen mit Wissenschaftlern und Verwaltungsmitarbeitern aus Vietnam einen 4-Punkte-Plan aufgestellt, um das Gruben-Gewirr in sozial- und umweltverträgliche Bahnen zu leiten:
- Umwelt-Monitoring: Die Behörden sollen überblicken können, was eigentlich vor sich geht: Wer baut wann, was und wo ab? Die gesammelten Daten sollen so aufbereitet werden, dass die Verwaltung sie auch nutzen kann, um Trends abzulesen und Veränderungen rechtzeitig zu bemerken. Nur wer versteht, was eigentlich vor sich geht, ist in der Lage, die Abläufe sinnvoll zu verbessern.
- Saubere Produktion: Bergbaufachleute vom Marex-Projekt beraten die Unternehmen und erklären, welche Abbau-Techniken am jeweiligen Standort am sinnvollsten eingesetzt werden können. Das erhöht die Effizienz, die Qualität der Abbau-Produkte, die Sicherheit der Mitarbeiter, aber auch die Chance einer fachgerechten Sanierung nach Ende des Abbaus.
- Materialfluss: Das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage wird ermittelt, sodass nur die Kies- und Sandmengen abgebaut werden, die auf den Baustellen tatsächlich benötigt werden. Dafür und um den anfallenden Bauschutt vorherzusehen, entwickeln die Projekt-Teilnehmer ein Computerprogramm für die Behörden und die Bauindustrie.
- Management: Damit alle Beteiligten aus Wirtschaft und Politik miteinander ins Gespräch kommen, bauen die Marex-Beteiligten eine Kooperations-Plattform auf, auf der Themen, Ziele, Zeitrahmen und Regeln vereinbart werden. Dort können sich Akteure aus den Bergbau- und Bausektoren Hanois miteinander austauschen. Sie soll die Zusammenarbeit aller Beteiligten verbessern.
Das Marex-Projekt steht noch am Anfang. Im September 2015 ging es los, bis Ende 2018 soll zu jedem der 4 Punkte ein Leitfaden entstehen, an dem sich alle Beteiligten orientieren können. Entscheidend dabei sei es laut Wirth, nicht einfach deutsche Standards und Abläufe zu übertragen, sondern sie gemeinsam mit den Menschen vor Ort zu entwickeln. Nur so könnten die Maßnahmen später auch in den vietnamesischen Verhältnissen funktionieren.
Vom Marex-Projekt soll am besten ganz Asien profitieren.
So hofft Wirth, den bevorstehenden Boom umweltverträglicher zu gestalten. Er will sicherstellen, dass das Hanoi der Zukunft einmal zu dem der Vergangenheit passt, das er im Laufe der Zeit zu schätzen gelernt hat: »Hanoi hat etwas, was viele andere asiatische Städte nicht mehr haben: eine sehr kompakte Altstadt im französischen Kolonialstil. Das habe einen besonderen Reiz. In Peking, Seoul oder Tokyo hat man fast alle alten Strukturen außer Tempeln und Schreinen beseitigt.«
Aber er hat noch mehr vor: Vom Marex-Projekt soll nicht nur Hanoi profitieren, sondern am besten ganz Asien. Die Erfahrungen darüber, wie Sandabbau in umwelt- und menschenfreundlichen Bahnen ablaufen kann, sollen auch anderen Städten Südostasiens zugutekommen. Ziel sei es, die neue Software, die Planungstools und Erfahrungswerte so zu gestalten, dass weite Teile übertragbar seien.
Der Schatz im Schutt
Egal, wie gut der Umbau geplant ist: Mit den Städten dieser Welt wachsen auch die Berge an Bauschutt. Stellt sich die Frage: Können wir kaputte Straßen und marode Häuser nicht wiederverwerten?
Mit dieser Frage im Kopf haben eine Handvoll Wissenschaftler im vergangenen Jahr eine Kartierung des anthropogenen Lagers in Deutschland angefertigt. Sie haben massenhaft Zahlen und Daten ausgewertet, um herauszufinden, welche Stoffe wie oft in Deutschland verbaut sind.
Das Ergebnis sind die eingangs genannten 26 Milliarden Tonnen – oder 6 1/2 Chiemseen.
Downcycling ist zwar besser als gar keine Wiederverwendung, von einem intakten Stoffkreislauf kann aber keine Rede sein. Ursächlich für diese Abwärtsspirale ist die Tatsache, dass es heute nicht möglich ist, Beton zu wirtschaftlichen Bedingungen in seine Bestandteile zu zerlegen. Nach heutigem Stand der Technik bedeutet Recycling: Große Schredder zerkleinern die Brocken in Steine, die dann aufgehäuft werden;
Ähnlich wie beim Monitoring in Vietnam ist auch beim Recycling entscheidend, zunächst genau zu wissen, welcher Sand wo liegt und wo er bald gebraucht werden könnte. Deshalb ist die Kartierung des anthropogenen Lagers der erste wichtige Schritt, damit wir in Zukunft möglichst viel altes Material wieder verbauen können, anstatt immer mehr Land umzugraben.
Bis das Recycling soweit ist und die Brameiers ihre Kiesgrube stilllegen müssen, wird es dauern. Aber selbst, wenn wir es einmal schaffen, all unsere Bauwerke wiederzubeleben und auf frischen Sand zu verzichten; Sohnemann Daniel wird die Arbeit nicht ausgehen. Er hat bereits eine herkömmliche Recycling-Anlage auf dem Betriebsgelände, die große Steinbrocken zertrümmert. Und das wird wohl noch eine ganze Zeit lang als Recycling durchgehen.
Titelbild: Steve Johnson (bearbeitet) - CC BY-SA 3.0