5 Einblicke, die dir helfen, den Osten Deutschlands besser zu verstehen
Wir stehen vor 3 Landtagswahlen, die vielen Menschen Angst machen. Doch Ostdeutschland ist viel mehr als Rechtsruck und Regierungsmisstrauen.
Was ist nur im Osten los?
Gleich 3 Bundesländer im Osten Deutschlands stehen vor historischen Landtagswahlen. Zum ersten Mal seit der NS-Zeit könnte eine rechtsradikale und im Kern demokratiefeindliche Partei stärkste politische Kraft werden.
Die aktuellen Wahlumfragen machen vielen Menschen große Sorgen.
Und da ist sie wieder, die alte Mauer in den Köpfen – im Westen verbunden mit einem abschätzigen Blick auf »die da drüben«. Die Chance ist groß, dass in wenigen Tagen wieder die alten Ressentiments hervortreten, von einer
Wir wollen dir heute dabei helfen, zu verstehen, wie die Menschen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ticken. Denn es gibt auch differenzierte, ehrliche und erhellende Einblicke in die ostdeutsche Gesellschaft.
Hier sind 5 davon, die gerade für dieses Wahlwochenende wichtig sind.
1. Podcast: »So war das im Osten«
Der Mauerfall ist fast 35 Jahre her. Menschen, die heute in Ostdeutschland aufwachsen, haben die DDR nie selbst erlebt. Doch sind sie geprägt von ihren Eltern und den Mythen rund um das Leben in einem »anderen Deutschland«. Dort, im »ersten sozialistischen Saat auf deutschem Boden«, war angeblich vieles besser als in der BRD – keine Kriminalität, keine Wohnungsnot, dafür viel soziale Gerechtigkeit und zwischenmenschlicher Zusammenhalt. Als »antifaschistischer Staat« hätte es dort auch gar keinen Antisemitismus geben können. Das sind aus Sicht der Geschichtswissenschaft romantische Verklärungen, die sich hartnäckig bis heute halten. Wie war es wirklich? Diese Frage rückt der Zeit-Podcast in den Mittelpunkt. Es geht um den Alltag in der DDR, wie man arbeitete, lebte und die Freizeit verbrachte. Und wie man über sich und den Rest der Welt dachte. Dabei kommen viele Menschen zu Wort, die sich erinnern – etwa ein DDR-Schauspielstar, eine Lehrerin oder ein Oppositioneller, der mittendrin war, als in Leipzig die
2. »Freiheitsschock: Eine andere Geschichte Ostdeutschlands von 1989 bis heute«
Der Mauerfall war für viele Menschen im Osten vor allem eines: ein Freiheitsschock. Das meint der Historiker und Publizist Ilko-Sascha Kowalczuk, einer der renommiertesten deutschen Experten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur. Kowalczuk, der selbst 22 Jahre in einem DDR-treuen Elternhaus in Ostberlin aufwuchs, nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er über das Ende des Staates spricht. In seinem neuen Buch »Freiheitsschock: Eine andere Geschichte Ostdeutschlands von 1989 bis heute« räumt er mit Vorurteilen auf – etwa einer angeblichen Russlandnähe, die sich bis heute im Osten erhalten habe. Vielen Ostdeutschen war das Russische damals eher verhasst. Wie sollte sich da irgendwas bis heute fortgesetzt haben? Oder dem angeblichen Ruck einer Friedlichen Revolution, der 1989/90 durch die DDR gegangen sei und die Mauer zu Fall brachte. Den meisten sei es um Wohlstand gegangen, attestiert der Historiker. Und viele hätten die vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl versprochenen »blühenden Landschaften« dann auch erwartet. Kowalczuk erklärt, wie durch das nicht eingelöste Versprechen eine tiefe Enttäuschung entstanden ist, die heute in einer
Hier findest du das Buch bei C.H. Beck. Mehr zum Blick der Geschichtswissenschaft auf den Mauerfall und danach? Ich habe hier ein Interview dazu geführt:
3. Politische Kampfzone: Neonazis gegen Antirassist:innen
Es ist das Jahr 2016 und der westdeutsche Journalist David Ehl reist durch Deutschland. Nicht gefiltert durch Medien, sondern hautnah will er die Menschen kennenlernen, die hier leben. Ein Land, »in dem sich die politischen Lager immer unversöhnlicher gegenüberstehen« und »in dem die Landtagswahlen in drei Bundesländern zu einem kollektiven Aufschrei ausarten«, schreibt er schon damals. Es war die Zeit von Pegida, in der Rassismus aufbrodelte, und klar wurde, dass es einige
Hier findest du die Recherchereise bei Correctiv. Für Perspective Daily schrieb er im selben Jahr vor dem Eindruck seiner Reise den Artikel: »Die Mauer muss weg – diesmal richtig!«
4. Abgehängt und ohne Zukunft? Jung sein im Osten
Diese Zukunftsperspektive ist wichtig, um den Osten heute verstehen zu können. Und um zu verstehen, warum die Suche nach Sündenböcken, sei es Bundespolitik oder Migration, hier politisch so andockt. Denn es droht nicht weniger als eine zusammenbrechende Infrastruktur, die junge Menschen entweder vertreibt oder die Dableibenden Zuflucht in einer ostdeutschen Identität suchen lässt. Inklusive trotziger Heimatliebe, nostalgischer Trends und Vorurteile gegenüber dem Westen. Wie das genau aussieht, zeigt derzeit eine 6-teilige Filmreihe von ZDF.reportage. Der erste Teil, »Jung im Osten. Wie wir wirklich leben«, ist jetzt in der Mediathek frei verfügbar.
Hier findest du die Doku in der ZDF-Mediathek.5. Warum wir akzeptieren sollten, dass der Osten anders bleibt
Steffen Mau wurde in Rostock geboren, ist Soziologe und Teil des Sachverständigenrates für Integration und Migration. Seit Jahren beschäftigt er sich mit der Frage, ob die deutsche Gesellschaft wirklich gespalten ist. »Nein«, sagt er. Ost und West stünden sich nicht mit fundamental unterschiedlichen Weltbildern unversöhnlich gegenüber – und doch gebe es historisch gewachsene Unterschiede, die wir nicht ignorieren dürften. Die BRD habe im Westen ein anderes Erbe hinterlassen als die DDR im Osten, so Mau. Während für Westdeutsche die Wiedervereinigung längst abgeschlossen ist, so ist sie in den Köpfen vieler Ostdeutscher zentral für die eigene Identität. In seinem neuen Buch »Ungleich vereint. Warum der Osten anders bleibt« beschreibt er diese Unterschiede, ohne damit spalten zu wollen. Vor allem manifestiere sich das Erbe der DDR in einem anderen Verständnis von Demokratie, so der Soziologe. Im Osten habe man schmerzhaft gelernt, Institutionen zu misstrauen und Demokratie auf der Straße zu leben, in Protesten und Bürger:innenbewegungen. Und genau diese würden von Rechtsextremen aktuell instrumentalisiert, von Pegida bis hin zu den Coronaprotesten. Maus Lösungsvorschlag setzt genau hier an. »Warum nicht mehr Bürgerräte wagen?«, fragt der Soziologe und zeichnet damit einen Weg für mehr Demokratievertrauen über erlebte politische Selbstwirksamkeit.
Hier findest du das Buch beim Suhrkamp-Verlag. Mehr zu Bürgerräten? Unsere Autorin Katharina Wiegmann hat an einem Bürgerräte-Experiment teilgenommen und berichtet, wie diese funktionieren.
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