»Wenn wir die Gesellschaft wirklich verändern wollen, müssen wir eine Dafür-Bewegung gründen«
Krisen bekämpfen und eine lebenswertere Zukunft schaffen: Die »Omas for Future« haben einen Ansatz, der alle mitnimmt.
9. September 2024
– 9 Minuten
Gehen wir bald unter, wie die alten Römer?
Diese Frage geistert alle Jahre wieder durch die Medien.
Die Faszination für Untergangsszenarien kommt nicht von ungefähr. Auch unsere Gesellschaft zeigt viele und steht vor enormen Umwälzungen. Denn gerade jetzt müssen wir die Weichen für eine lebenswerte Zukunft stellen. Die Klimakrise wartet nicht. Und so lesen sich solche Artikel wie drastische Mahnungen, doch noch die Kurve zu kriegen.
Doch das mit dem »Mahnen« funktioniert so offenbar nicht. Davon können die Klimaaktivist:innen der letzten Jahre ein Lied singen. Vor allem junge Menschen waren bei der Fridays-for-Future-Bewegung aus Angst und Wut auf die Straße gegangen. Sie haben gemahnt, protestiert und viel Aufmerksamkeit in den Medien erhalten – und wurden von Echter gesellschaftlicher Wandel lässt auf sich warten.
»Warum müssen eigentlich immer die jungen Leute die Welt retten?«, fragte sich Cordula Weimann. Die Unternehmerin, Autorin und Seniorin gründete 2019 die Initiative »Omas for Future«. Sie soll die Generation 50+ bei gesellschaftlichen Veränderungen für eine lebenswertere Zukunft mit ins Boot holen. Dabei mahnen die Senior:innen nicht nur – sie packen an. In über 80 Regionalgruppen vernetzen sie Senior:innen, informieren niedrigschwellig über Umweltthemen, fördern lokalen politischen Wandel und geben Alltagslösungen an die Hand, um nachhaltiger zu leben.
Wie das geht und warum dieser Ansatz das sein könnte, was wir auf dem Weg zu einer besseren Welt wirklich brauchen, darüber hat Cordula Weimann nun ein Buch geschrieben. Der Untertitel: »Handeln! Aus Liebe zum Leben«. Ich habe mit ihr darüber gesprochen.
Dirk Walbrühl:
Du erzählst in Interviews oft von dem Moment, als du dich entschieden hast, loszulegen: ein Spaziergang mit einem deiner Enkel. Was denken deine Enkelkinder heute von ihrer Oma, die für sie und eine bessere Zukunft kämpft?
Cordula Weimann:
Die kennen vieles davon ja schon. Unsere Enkel fliegen nicht, sondern werden alle im Lastenrad groß. Hier bei uns wird frisch und vegetarisch/vegan gekocht und bewusst eingekauft. Wir flicken unsere Klamotten. Handys gibt es erst, wenn die Kinder aufs Gymnasium gehen, und der Fernseher steht im Abstellraum. Da leben die Kleinen und ihre Eltern schon sehr bewusst.
Du skizzierst eine Lebensrealität, die vielen heute eher fremd ist. Ist das das Umdenken, um das es dir geht?
Cordula Weimann:
Ich beschäftige mich in meinem Buch auch mit den Wechselwirkungen von Gesundheit, Lobbyismus, chemischer Industrie, Landwirtschaft und Großindustrie. Unsere Gesundheit wird für Geld geopfert. Das alles ist viel größer als »nur« der Klimawandel. Unsere Zukunft sieht in vielen Bereichen schlecht aus. Weil in unserer Welt die Menschen der Wirtschaft dienen und nicht mehr die Wirtschaft den Menschen. Daraus entstehen viele Probleme – das hängt alles zusammen.
Das hat ja auch die Klimabewegung erkannt. Was können hier die »Omas for Future« beitragen?
Cordula Weimann:
Ich fange mal vorne an in unserem Entwicklungsprozess und unserer Botschaft – weil die ist durchaus anders. Denn überall in Deutschland werden die Demos für das Klima leiser. Warum?
Weil sie im Kern gegen etwas sind?
Cordula Weimann:
Der weise Harry Lehmann, der mit mir »Omas for Future« gegründet hat und lange Jahre beim Umweltbundesamt war und mit Größen wie Willy Brandt gearbeitet hat, sagte zu mir: Machen wir eine Protestbewegung gegen etwas, sind wir nach 3 Jahren weg. Das weiß er aus der Friedensbewegung und aus der Antiatombewegung. Wenn wir wirklich eine Gesellschaft verändern wollen, müssen wir eine »Dafür-Bewegung« gründen.
Wie könnte das aussehen?
Cordula Weimann:
Nun, wir müssen den Menschen nicht nur die Bildung mitgeben darüber, was sie konkret tun können, sondern auch sagen, wie es sich in der Zukunft lebt.
Also eine konkrete Zukunftsvision …
Cordula Weimann:
Ich habe den Unterschied direkt erfahren im Gespräch mit älteren Frauen. Die sagten: »Ich ertrage das nicht mehr, diese Infos. Ich kann doch nichts tun!« Das passiert, wenn man Menschen erklärt, was gerade passiert, die sich bisher nicht damit beschäftigt haben. Jetzt auf einmal kriegen sie den Weltuntergang präsentiert und sind völlig überfordert damit, landen in einer Ohnmacht.
Du beschreibst damit, wie »Mahnungen« im schlechtesten Fall wirken können – das hat ja auch etwas mit Schuldempfinden und Abwehrreflexen zu tun, oder?
Cordula Weimann:
Natürlich wollten die nicht die Erde zerstören. Aber bis gestern war das okay, was sie gemacht haben. Das ist das Problem. Da ist es einfacher, nicht hinzuhören oder offen für Zweifler:innen zu werden. Ich habe den Frauen dann ganz genau gezeigt, was sie selbst tun können – wie viel jede:r Einzelne über den eigenen Lebensstil Einfluss hat. Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) hat ja endlich zugegeben, dass wir nur durch Verhaltensänderungen 25% am CO2-Ausstoß ändern können. Denn wir Bürger:innen sind doch der dritte große Hebel in unserer Gesellschaft neben Politik und Wirtschaft.
Da brauchen wir eine Bewusstseinsschulung, um die Menschen bei der Problematik mitzunehmen – und zwar nicht nur die Kinder. Egal ob UNESCO oder BUND, die stürzen sich bei der Klimaaufklärung auf die Kinder und die Schulen. Doch bis die so weit sind und aktiv werden können, hat sich die Zukunft unserer Erde schon entschieden. Das ist fatal!
Hier kommen dann die Omas und Opas ins Spiel?
Cordula Weimann:
Richtig. Denn wer die Zukunft maßgeblich mitentscheidet, ist die Generation 50+ – ganz einfach, weil wir mittlerweile 58% der Wähler:innen in diesem Land sind. Und bei diesen 58% gibt es einen großen, eher stillen Teil. Das sind die Frauen meiner Generation. Warum sind sie bisher still? Weil sie so erzogen wurden: Politik ist Männersache. Das steckt noch in den Köpfen drin. Und das, obwohl Frauen viel eher in systemrelevanten Berufen arbeiten und besser vernetzt sind. Die wissen gar nicht, wie wichtig sie sind!
Was erwartet Senior:innen, die sich euch anschließen?
Cordula Weimann:
Wir zeigen ihnen, was sie selbst anders machen können – und was sie verändern können, direkt bei sich im Ort. Dafür kriegen sie von uns Informationen. Wir schulen sie und machen Mut. Ich habe von einer Seniorin mal einen Dankesbrief bekommen. In dem stand: »Was ich in den letzten 3 Jahren gelernt habe …
Das könnte man Empowerment nennen oder Selbstwirksamkeit. Warum klappt es auf diese Weise besser, etwas zu verändern, als durch Demos?
Cordula Weimann:
Ich glaube, das ist ganz normal, dass die Jugend demonstriert. Es ist ihr Recht, die Alten anzuklagen und für die eigene Zukunft zu kämpfen. Doch die Alten reagieren dann eben erwartbar ablehnend. »Haltet mal schön die Klappe!« Solange ich gegen etwas protestiere, lade ich auch zu gesellschaftlichem Widerstand ein. Das muss die Jugend aushalten können, verflixt noch mal! Das haben die 68er doch auch alles schon erlebt. Und ich fürchte, einige Jugendliche geben da zu schnell auf. Schließlich sind wir gerade in einer Krise.
Genau genommen ist es nicht irgendeine Krise, es ist ja die größte Krise, die die Menschheit je hatte – auf allen Ebenen: Klimakatastrophe und Extremismus, der noch mal wie ein Beschleuniger wirkt, Gesundheitssektor, Schulsektor, Arbeit, visionslose Politik … wir haben ja noch viel mehr als die Klimakrise.
Und wie kommen wir aus diesen Krisen wieder raus?
Cordula Weimann:
Das ist es ja. Wir brauchen jemanden, der oder die aufzeigt, wo es langgeht, und sagt: »Ja, es ist gerade unangenehm, aber ich weiß, was zu tun ist.« So wie Hidalgo in Paris, Gehl in Kopenhagen oder auch London, Barcelona, Gent, Utrecht … Und wenn er oder sie das überzeugend macht, gehen die Menschen mit und packen an. Das versuchen wir ein Stück weit.
Aufbruchstimmung und ein »Wir schaffen das!« herrschen ja nicht gerade in Deutschland … mangelt es an Ideen?
Cordula Weimann:
Ja, und dabei müssten wir dafür nur über die Grenze schauen und von unseren Nachbarn lernen. Was machen die anders? In vielen Ländern Europas wohnen die glücklichsten Menschen der Welt. Was die besser machen, ist auch klar: Die sind weiter in einer grüneren, einer gesünderen, einer lebenswerteren und dem Menschen gerechteren Zukunft. Das alles ist mir früher gar nicht klar gewesen. Ich selbst habe als Unternehmerin 40 Jahre lang in diesem System gearbeitet, war Teil von »Höher, schneller, weiter«. Irgendwann lag ich dann mal auf meiner Gartenliege und steckte mit dem Kopf tief in der Ohnmacht.
Heute weiß ich etwa, wie es in Kopenhagen zugeht, wo meine Tochter lebt. Die reißen mittags keine Beutel mit Tütensuppen auf. Da werden 80.000 Essen für Kantinen und Kindergärten frisch und ökologisch gekocht. Das hatte zur Folge, dass sich im Umland von Kopenhagen jetzt lauter Ökobetriebe angesiedelt haben. Denn die haben jetzt Abnehmer und das Ganze ist kostenneutral. Dann noch all die Radwege, Fußgängerzonen. Das geht alles.
Aber wie haben sie das gemacht? »Umweltschutz« und »klimaneutrale Stadt«? Diese Begriffe haben die nicht benutzt, sondern immer nur gesagt: »Wir möchten eine lebenswerte Stadt für Menschen.« Das ist die Kernbotschaft auch in meinem Buch: Der erforderliche Bewusstseinswandel besteht darin, den Mensch in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns zu stellen, nicht die Wirtschaft. Dass das geht, können wir von anderen in Europa lernen.
Und das zieht – sogar parteiübergreifend.
Selbst bei einem Christian Lindner?
Cordula Weimann:
Ich lasse mich von denen nicht belehren, diesen Lindners und Co. Die saßen in der Schulbank neben mir und ich hatte bessere Noten. Das sind oft selbstverliebte Machos, die wenig spüren. Wir Frauen 50+ können das, was sie und die Politik im Allgemeinen der Jugend absprechen bei vielen Themen wie zum Beispiel dem Klima, auf Augenhöhe mit denen besprechen und Veränderungen fordern.
Wie können gerade Senior:innen helfen, diese Zukunft zu erreichen?
Cordula Weimann:
Wir werden heute so subtil mit Informationen und Werbung gefüttert, die im Endeffekt alle dasselbe sagen. Dass Konsum das Wichtigste ist und uns gefälligst glücklich macht. Unternehmen wollen unsere Bedürfnisse an ein Produkt koppeln. Das ist Brainwashing pur. Wir Senior:innen wissen noch, dass es früher anders war. Und deshalb müssen wir für ein Umdenken auch nicht mit der Vergangenheit brechen – sondern uns nur erinnern.
In der Stadt bei den Bauernprotesten kam mir ein dicker Lkw entgegen, vorne drauf ein großes Schild: »Ohne mich bleibt dein Kühlschrank leer.« Und ich dachte nur: Irrtum, junger Mann! In meiner Kindheit gab es dich überhaupt nicht. Und der Kühlschrank war immer voll, weil meine Mama nämlich das Gemüse und alles zu essen vom Markt und von Bauern aus dem Umland geholt hat. Dann wurde frisch gekocht und wenig weggeschmissen. Die Restmülltonne musste nur alle 4 Wochen auf die Straße.
Wir brauchen uns nur erinnern, dass so was auch möglich war. Das ist der Punkt: Die Wegwerfgesellschaft schadet nicht nur der Umwelt, sie macht uns auch nicht glücklich. Wenn ich mit älteren Frauen spreche und frage: »Früher, wie war das?«, dann fangen sie an zu erzählen und merken selbst, dass uns dieser wertschätzendere Umgang mit den Produkten zufriedener und dankbarer gemacht hat.
Das sind ja sehr emotionale Botschaften. Könnte das ein neuer Fokus für die Klimabewegung sein: statt Wissenschaft und Wachrütteln mehr Emotionen und konkrete Visionen?
Cordula Weimann:
Wissenschaft erreicht den Menschen nicht. Schließlich wissen wir wissenschaftlich schon lange, was auf uns zukommt. Dabei hat die Wissenschaft die Pflicht, das, was sie erkannt hat, so zu formulieren, dass die Steuerzahlerin, die das bezahlt hat, auch verstehen kann. Das war das Problem bisher: eine Wissenschaft, die im Elfenbeinturm sitzt, und eine wütende Jugend. Jetzt geht es nicht mehr ums Wachrütteln, sondern darum, die Krise zu heilen und die Menschen dafür mitzunehmen.
Hast du da einen Tipp, auch für uns Journalist:innen, die mehr tun wollen, als nur den Untergang zu beschwören?
Cordula Weimann:
Ja, denn Slogans und Bilder sind wichtig. Es geht beim Retten des Klimas nicht um »Verzicht«. Das lese ich viel zu häufig. Wir müssten »verzichten, um die Erde zu schützen«. Dabei ist es doch ganz anders: Wir verzichten doch alle schon heute auf eine bessere Zukunft, auf eine grünere Erde, auf gesünderes, lebenswerteres Leben. Wir könnten schon viel glücklicher leben – so wie andere Länder. Wir brauchen Visionen und Visionäre, die auch das Rückgrat haben, das anzupacken und zu ändern.
Dirk ist ein Internetbewohner der ersten Generation. Ihn faszinieren die Möglichkeiten und die noch junge Kultur der digitalen Welt, mit all ihren Fallstricken. Als Germanist ist er sich sicher: Was wir heute posten und chatten, formt das, was wir morgen sein werden. Die Schnittstellen zu unserer Zukunft sind online.