Deshalb entscheiden Pappschilder nicht unsere Wahl
Die Tage der Wahlplakate sind gezählt. 4 Alternativen für die Partei von morgen – und eine Nacht-und-Nebel-Aktion.
Berlin-Mitte, weniger als einen Monat vor der Bundestagswahl 2017. In der Hauptstadt findet sich kaum eine Ecke ohne Wahlwerbung. Angela Merkel wünscht sich ein »Deutschland, in dem wir gut und gerne leben«. 5 Meter weiter findet Christian Lindner, dass »Schulranzen die Welt verändern«, und Martin Schulz begnügt sich am folgenden Laternenpfahl damit, seinen Namen ins Gedächtnis zu rufen. Und am Pfahl danach. Und danach.
Einen Tag später sind viele Werbebotschaften in Berlin verschwunden – Wochen bevor der Wahlkampf vorüber ist. Über Nacht wurden Hunderte von ihnen
Kein schlechter Zeitpunkt – denn bald dürfte der Schilderwald aus bedruckter Pappe der Geschichte angehören. Und dafür wird es auch höchste Zeit!
Wahlplakate überzeugen Wähler mit Botschaften? Falsch!
Wie viele Wahlplakate hast du heute schon gesehen?
Entziehen kannst du dich ihnen jedenfalls nicht. Vor der Bundestagswahl beherrscht Wahlwerbung die deutschen Straßen und öffentlichen Plätze. Allein auf dem 15-minütigen Weg in die Redaktion
Die Antwort des
- … transportieren keine Botschaft! Parteien drucken nichtssagende Botschaften auf Pappe und Papier – wohlklingend formuliert und gefällig designt von
Man könnte damit sagen wollen, dass es für den Informationsgehalt irrelevant ist, ob die Vorder- oder aber Rückseiten sichtbar sind.
- … überzeugen keine Wähler! Diesen Punkt stellen Studien aktuell infrage – zumindest, wenn man an politische Meinungsbildung und unentschlossene Wähler denkt. Das Marktforschungsinstitut
Man könnte mit Richard von Weizsäcker fragen, was eigentlich der Unterschied zwischen Mitwirkung an der politischen Willensbildung (Artikel 21 GG) und Einflussnahme auf die öffentliche Meinung (§ 1 ParteiG) ist.
Und dann wären da noch die Druckkosten. Die trägt über die Parteienfinanzierung auch der Steuerzahler. Allein diesen Bundestagswahlkampf gab die CDU
Das macht der Schilderwald wirklich mit dir
Warum die Parteien trotzdem an den Wahlplakaten festhalten, erklärt Einfach so. In dem Künstlernetzwerk sind Psychologen und Neurowissenschaftler vertreten, die sich intensiv mit der Wirkungsweise von Werbung in der Politik
Die Werbung ist so häufig, dass sie einen Effekt hervorruft, der
Der eigentliche Zweck der Plakate ist ohnehin ein anderer und baut auf diesen 2 Effekten auf:
- Repetition Effect: Die Wiederholung ein und desselben Inhalts erhöht die Erinnerung daran. Im Englischen sagt man: »Repetition gets the message across.« Doch sehr häufige Wiederholung führt auch dazu, dass die Aufmerksamkeit für einzelne Inhalte abnimmt. Obwohl wir sie ausblenden, wirken sie aber weiter – nur eben nicht als
- Mere Exposure Effect: Etwas häufig wahrzunehmen erzeugt Vertrautheit und verstärkt zwangsweise eine positivere Bewertung. Doch um Fremdwähler auf die eigene Seite zu ziehen, reicht das nicht aus – der Effekt tritt nicht auf, wenn die Bewertung beim
Sind Wahlplakate also doch nicht Papier von gestern, sondern eine wertvolle Stütze unserer Demokratie und Mittel gegen Nichtwähler?
Damit macht man es sich zu leicht. Schließlich rechtfertigt das alles nicht die Wahlkampfführung, wie sie aktuell passiert. Man könnte mit demselben Argument schließlich auch 6 Wochen vor der Wahl genauso viele Plakate aufstellen, die einfach neutral zur Wahl aufrufen – ganz ohne Parteien.
Während wir im Internet gewohnt sind, uns mit
Doch die aktuelle Wahlkampfführung hat auch einen negativen Effekt beim Bürger: Sie erzeugt Widerwillen und Wut. Und das nimmt zu.
Ab einem gewissen Punkt von psychischem Druck gibt es eine Trotzreaktion. In der Psychologie nennt man das ›Reaktanz‹.
Tatsächlich ist Wahlplakate beschädigen oder beschmieren heute ein
Die Wahl als Kampf um die Köpfe und den öffentlichen Raum, mit psychologischen Tricks und notfalls mit Gewalt? Da drängt sich die Frage auf: Wie lässt sich besser, friedlicher und umweltschonender werben?
4 Alternativen zum Schilderwald – für die Partei der Zukunft
Ein Blick in die USA gibt 4 Antworten, wie man auch mit deutlich weniger Plakaten
- Persönlicher Wahlkampf: Die letzten beiden US-Präsidenten, Barack Obama und Donald Trump, punkteten vor allem durch persönliche Auftritte. Das ist gut für den Wähler, denn auf einem Podium und an der Haustür geht es um politische Inhalte. Der persönliche Kontakt sorgt für Vertrautheit – ein wertvolles Gegenmittel gegen das Gefühl, »die da oben« würden
- Fernseh-Wahlkampf: In den USA sind TV-Duelle mittlerweile Tradition. Doch in Deutschland gibt es dieses Jahr nur ein einziges zwischen Angela Merkel und Martin Schulz am 3. September – die Bundeskanzlerin
Zeitgemäß zur Wahl animieren? Ein Aufruf der IG-Metall aus dem Jahr 2013 macht’s vor. Gerade bei jungen Wählern wurde er zum Youtube-Hit.
- Digitaler Wahlkampf: Nur die Grünen geben nach Eigenaussage mittlerweile einen »großen Teil« des gesamten Budgets
- Social-Media-Kampagne: Donald Trumps Twitter-Account macht es vor: Ein Muss für die Partei der Zukunft ist der Kampf um soziale Medien. In Deutschland beherrschte hier die AfD lange Zeit das Feld – zumindest hat sie mehr Anhänger als
- Neue Probleme am Horizont: »Weg vom Plakat, hin zum Internet«, ist auch die Prognose der Forscher der Universität Hohenheim, die sich seit Jahren mit
Das alles zeigt, dass Plakatwerbung in der heutigen Form angezählt ist. Auch die deutsche Politik bewegt sich langsam raus aus dem Schilderwald. Kaum jemand dürfte traurig darüber sein.
Dieser Artikel gehört zu unserer Reihe »Deine Wahl 2017«. Du willst mehr zum Thema lesen? Klicke hier!
Mit Illustrationen von Janina Kämper für Perspective Daily