Mehr Wälder, mehr Klimaschutz?! Nicht so schnell
Bäume helfen, klimaschädliches CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen. Sollten wir deshalb auf allen freien Flächen Wälder wachsen lassen? Oder können Wiesen das genauso leisten?
Könntest du dich mit einer Zeitmaschine ein paar Tausend Jahre zurück in die Vergangenheit versetzen, würdest du mit großer Wahrscheinlichkeit in einem Wald landen – egal von wo aus in Deutschland du gestartet bist. Denn bis zum Mittelalter waren über 90% der Fläche Mitteleuropas von Wald bedeckt. Genauer gesagt von Mischwäldern aus Eichen, Linden und Eschen, später zunehmend auch Buchen.
Nach und nach begannen die Menschen, Wald zu roden. Einerseits, um Platz für Äcker und Städte zu schaffen; andererseits, um das Holz für Schiffe, Häuser und Holzkohle zu nutzen. Heute sind rund 30% der Fläche Deutschlands von Wald bedeckt. Doch nur ein sehr kleiner Anteil ist »wilder« Wald, wie er zu Zeiten des europäischen Urwalds anzutreffen war. Stattdessen überwiegen Wirtschaftswälder mit
Langsam wandelt sich aber das Bewusstsein: Wälder sollen nicht mehr (nur) möglichst viel Ertrag abwerfen, sondern uns unter anderem bei der Klimakrise aus der Patsche helfen – indem sie CO2 aus der Atmosphäre ziehen und im Idealfall langfristig speichern.
Aber welche Rolle spielen eigentlich andere Flächen wie Wiesen und Weiden in der Klimakrise? Wie viel Kohlenstoff speichern sie im Vergleich zu Wäldern? Sollten wir auf allen freien Flächen wieder Wälder wachsen lassen? Diese Fragen haben uns so oder so ähnlich Mitglieder von Perspective Daily in der Vergangenheit öfter gestellt.
Zwar klingen die Fragen simpel. So leicht und klar zu beantworten, sind sie aber leider nicht.
Was ist der Status quo?
Sowohl im Klimaschutzgesetz des Bundes als auch in der
Bereits heute sind in Vegetation und landwirtschaftlich genutzten Böden rund 18,3 Milliarden Tonnen CO2 gespeichert. »Zum Vergleich: Eine solche Menge Kohlendioxid hat Deutschland in den 23 Jahren von 2000 bis 2022 emittiert. Deswegen haben Land- und Forstwirtschaft eine hohe Verantwortung, die großen, in Boden und Vegetation gespeicherten Kohlenstoffmengen durch eine nachhaltige Nutzung zu sichern und, wo möglich, zu mehren«,
Aktuell liegt dieses Ziel allerdings in weiter Ferne. So ist die Landnutzung derzeit im Gegenteil eine Quelle von Treibhausgasemissionen, wenn auch eine kleine. Mit den bislang geplanten Maßnahmen, etwa der Aufforstung in geschwächten Wäldern, könnten ab 2027 nur 0,2 (statt der angestrebten 25) Millionen Tonnen CO2-Äquivalente gebunden werden. Das
Doch gehen wir noch mal einen Schritt zurück: Wie viel Fläche in Deutschland wird derzeit eigentlich wie genutzt?
Mit knapp der Hälfte machen landwirtschaftliche Flächen den größten Anteil der rund 360.000 Quadratkilometer Deutschlands aus, gefolgt von Wäldern mit rund 1/3. Siedlung und Verkehr beanspruchen 14,5% der Fläche. Der Rest verteilt sich auf Gewässer, Tagebaue und sogenanntes Unland – also nicht nutzbare Flächen wie Felsen, Dünen oder große Böschungen.
Innerhalb Deutschlands sind die Waldflächen sehr unterschiedlich verteilt. So sind nur 11% Schleswig-Holsteins bewaldet, wohingegen bis über 40% von Rheinland-Pfalz und Hessen mit Bäumen bedeckt sind.
Auch landwirtschaftliche Fläche ist nicht gleich landwirtschaftliche Fläche. So waren im Jahr 2023 rund 28% davon keine Äcker, sondern sogenanntes
Was speichert mehr CO2: Wald oder Wiese?
Im Boden ist Kohlenstoff in Form von lebender und toter Biomasse gespeichert. Hier spielen zum Beispiel Wurzeln und Pflanzenreste eine Rolle. Überirdisch ist das Treibhausgas in Pflanzen gespeichert, die es zum Wachstum nutzen. Je langlebiger die Pflanzen, desto besser.
Wie viel Kohlenstoff einzelne Flächenarten genau speichern oder verursachen, lässt sich aber nicht pauschal sagen. Denn das hängt unter anderem von der Bodenart und -qualität des konkreten Standorts ab sowie davon, welche Pflanzen darauf wachsen, wie gesund sie sind und auf welche Art die Flächen bewirtschaftet werden.
Hier ist eine Übersicht. Die Zahlen stammen aus der
- Äcker: In Ackerböden sind bis zu 96 Tonnen Kohlenstoff pro Hektar gebunden. Je ungestörter die unteren Bodenschichten sind, die viel Kohlenstoff speichern, und je größer die intakte Humusschicht, desto besser kann der Boden Kohlenstoff langfristig binden. Theoretisch können auch die Pflanzen, die Landwirt:innen überirdisch anbauen, als Kohlenstoffsenke gesehen werden. Auch sie binden ihn. Allerdings handelt es sich dabei in der Regel um 1-jährige Pflanzen. Diese binden zwar kurzfristig Kohlenstoff, geben ihn aber bei der Verfütterung an Tiere oder Menschen schnell wieder ab. Sie sind damit Teil eines biologischen, kurzgeschlossenen Kreislaufs, der für den Klimaschutz eine vernachlässigbare Rolle spielt. Gleichzeitig entstehen im Ackerbau unter anderem durch Düngung und das Bearbeiten des Bodens neue Emissionen.
- Grünland: Boden von Grünland speichert bis zu 135 Tonnen Kohlenstoff pro Hektar – also deutlich mehr als Ackerböden. »Das heißt, man sollte nicht unbedacht Grünland in Ackerland umwandeln. Denn dann wird ein großer Schub Kohlenstoff freigesetzt«, erklärt Bernhard Osterburg. Osterburg hat Agrarwissenschaften mit Schwerpunkt auf Ökonomie studiert und arbeitet seit mehr als 25 Jahren in der Bundesforschung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, im jetzigen Thünen-Institut. Er leitet dort die Stabsstelle Klima, Boden, Biodiversität, die die Forschungsergebnisse der Thünen-Fachinstitute zusammenführt. Insbesondere die Haltung von Wiederkäuern wie Schafen, aber vor allem Rindern verschlechtert die Kohlenstoffbilanz von Grünland.
- Wälder: Der Vorrat von Kohlenstoff in Waldböden liegt mit rund 100 Tonnen pro Hektar zwischen Äckern und Grünland. Dafür nehmen Bäume über viele Jahrzehnte – bis sie ausgewachsen sind – große Mengen Kohlenstoff auf, speichern ihn und vergrößern so den überirdischen Pool an Kohlenstoff. Nach einer Anlaufphase von mehreren Jahren können Bäume im Wachstum bis zu 15 Tonnen CO2 pro Jahr und Hektar Wald aus der Atmosphäre ziehen. In der Regel emittieren Wälder diesen Kohlenstoff erst dann wieder, wenn die Bäume absterben. Oder wenn es zu einem Waldbrand kommt. Werden Bäume entnommen und für langlebige Holzprodukte wie Häuser oder Möbel genutzt, bleibt der Kohlenstoffvorrat auch im toten Holz erhalten.
- Moore: Moore sind ein Spezialfall, was die Speicherung von CO2 angeht, und dürfen in einer Liste über natürliche Kohlenstoffsenken nicht fehlen. Denn natürliche Moore haben den
Das Problem: Da die Böden auch besonders fruchtbar sind, wurden die meisten Moorflächen für die landwirtschaftliche Nutzung in den vergangenen Jahrzehnten trockengelegt. Dadurch speichern diese Flächen keinen neuen Kohlenstoff, sondern emittieren im Gegenteil riesige Mengen. Bei intensiv genutzten Böden können das laut Osterburg bis zu 40 Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr und Hektar sein. Und das je nach Dicke der Torfschicht auch über einen Zeitraum von 100 Jahren und mehr. »Es ist klar: Ein treibhausgasneutrales Land kann sich die umfangreiche Nutzung entwässerter Moore eigentlich nicht leisten. Da müsste man eine Menge Wald anpflanzen, um einen Hektar bewirtschaftetes, entwässertes Moor zu kompensieren«, sagt Osterburg.
Sollten wir also alle Grünflächen in Wälder umwandeln?
Wenn Wälder über ihre gesamte Lebensdauer so viel mehr Kohlenstoff speichern können als Wiesen und Weiden – sollten wir dann alle verfügbaren Grünflächen dafür nutzen, neue Wälder anzubauen? Bernhard Osterburg vom Thünen-Institut hält diese Frage für nicht zielführend: »Es geht nicht darum, zu sagen, das ist gut und das ist schlecht. Sondern es geht um ein sinnvolles Nebeneinander.«
So gibt es neben Klimaschutz und der Funktion als Kohlenstoffsenke viele andere Aspekte, die in die Frage hineinspielen, wie sich die Landnutzung in Deutschland in Zukunft verändern soll und muss. Zum einen sind Grünflächen ein wichtiger Lebensraum für viele Pflanzen- und Tierarten:
Es gibt eine lange Co-Entwicklung von menschlicher Landschaftsnutzung und Biodiversität. Gerade Grünlandgebiete können sehr artenreiche Landschaften sein, die wir uns bewahren wollen und die wir nicht alle mit Wald zupflanzen wollen. Umgekehrt ist aber nicht jeder Hektar Grünland ein extrem wertvolles Naturreservat.
Zum anderen habe es auch mit dem Gedanken an Ernährungssicherung zu tun, erklärt Osterburg. Denn sollte es zu Engpässen kommen, könnten brachliegende Wiesen und Weiden schnell wieder genutzt werden, um Lebensmittel anzubauen – ohne zunächst Wald roden zu müssen. »Hier in Deutschland haben wir aber einen riesigen Puffer, weil ein großer Teil der Landwirtschaftfläche zur Futterproduktion für die Nutztierhaltung verwendet wird«, räumt Osterburg ein. »Damit sind wir in der komfortablen Situation, wesentlich freier über die Nutzung von Flächen nachzudenken.«
Beispielsweise seien Mischformen und neue Arten der Nutzung denkbar: Halboffene Weidelandschaften, auf denen ein paar große Tiere grasen und dafür sorgen, dass die Fläche nicht komplett mit Bäumen oder Sträuchern zuwächst. Dabei seien Rinder und Schafe nicht die einzige Option. Pferde, Gänse oder gar Strauße hätten den Vorteil, dass sie anders als Wiederkäuer kaum Methan produzieren, meint Osterburg. Auch Agroforstsysteme – also Äcker, auf denen auch Bäume wachsen – könnten die Landschaft Deutschlands in Zukunft prägen.
Trotzdem braucht es auch mehr reinen Neuwald. Was in der Theorie einleuchtet, läuft in der Praxis nicht so recht an. Bei der Aufforstung handelt es sich häufig um Ersatzwald – also um Bäume, die als Ausgleich zu gerodeten Waldflächen gepflanzt werden. Wenn Neuwald entsteht, dann meist, wenn Grünland aufgegeben wird und sich dort nach und nach ohne großes Zutun des Menschen Wald ausbreitet. Aktive Neuwaldbegründung gibt es laut Osterburg in Deutschland und Europa im Moment wenig. Und das, obwohl sie finanziell gefördert wird.
Woran liegt das?
Warum stockt es bei neuen Waldflächen?
Der Förderung von Aufforstung steht eine bislang attraktivere Förderung entgegen. Über die sogenannte 1. Säule der
Diese strengen Regelungen bestünden mindestens bis 2027. Es gebe leider wenig Anzeichen dafür, dass die Grenzen Richtung Wald und Moorwiedervernässung mit
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