Diese miese Masche der Großkonzerne musst du kennen
Sie hat einen Namen: Enshittification.
Stelle dir vor, du besuchst dein Lieblingsrestaurant. Du magst es, weil es günstig ist, direkt um die Ecke und du auf der Speisekarte immer das findest, worauf du gerade Appetit hast. Der Kellner begrüßt dich wie immer persönlich und bringt dich zu deinem gewohnten Tisch. Dein Essen kommt und dazu das kostenlose Wasserglas – eine nette Geste.
Plötzlich tritt der Kellner erneut an deinen Tisch und nimmt dir das Glas wieder weg. »Entschuldigung, kostenloses Wasser gibt es ab heute nicht mehr.« Du bist verwundert, aber immerhin ist das Essen schon da. Jetzt eine Szene machen? Das wäre ja anstrengend.
Gerade willst du die Gabel zum Mund führen, da taucht der Kellner schon wieder auf und ruft: »Moment!« Nur um dir dann einen aufdringlichen Pappaufsteller vor die Nase zu stellen. Es ist Werbung für ein Duschgel. »Ähm, können sie das bitte wegnehmen, das stört?«, fragst du genervt. »Natürlich. Wir buchen dann 2 Euro auf die Rechnung für das ›Ungestört essen‹-Paket.«
So langsam reicht es dir. Du willst gehen – doch der Kellner hält dich auf. »Tut mir leid. Wenn sie jetzt gehen, verlieren Sie ihren Kredit. Ihre Kreditkarte hat schon für die ganze Woche im Voraus bezahlt.«
Was wie ein schlechter Scherz klingt, sind echte Taktiken realer Unternehmen, dich zu gängeln. Nur geht es dabei nicht um dein gewohntes Restaurant, sondern um große Onlinekonzerne.
In diesem Text bringe ich dir am Beispiel von Amazon bei, diese Taktiken zu erkennen und dich zu wehren.
Weißt du, was du auf Amazon alles nicht mehr bekommst?
Wer 2022 bei Amazon die Prime-Mitgliedschaft buchte, konnte kostenlos eine Visa-Kreditkarte
Erst 2024, also rund ein Jahr später, präsentierte Amazon einen Nachfolger. Doch der hat einige Überraschungen im Gepäck: So sinkt der mögliche Rabatt durchs Punktesammeln auf
Was wir hier beobachten, ist ein Fall von etwas, was mittlerweile so häufig vorkommt, dass es einen Namen dafür gibt: »Enshittification«. Auf Deutsch etwa: »Verschlimmscheißerung«. Das Wort stammt vom kanadischen Schriftsteller und Internetaktivisten Cory Doctorow und bezeichnete zunächst die sinkende Qualität von Social-Media-Inhalten.
Heute bezeichnet es ein Muster einer generellen Verschlechterung von Service bei steigenden Kosten für Kund:innen.
Und die Kreditkarte ist bei Weitem nicht das einzige Beispiel bei Amazon.
- 2022 etwa verschlimmscheißerte Amazon seinen Musikdienst Music Prime. Nutzende erhielten
- Im Februar 2024 schaltete Amazon bei seinem Streaming-Video-Dienst Prime Video erstmals Werbung. 2–4 Werbeclips unterbrechen seitdem gestreamte Filme und Serien ca. alle 30 Minuten. Daran verdient Amazon, denn der Konzern streicht die Werbeeinnahmen ein. Wer keine Lust auf die Störung hat, kann die natürlich abschalten – mithilfe eines neuen Zusatz-Abonnements.
- Amazon argumentiert mit Kostengründen für die Enshittification, die Nutzer:innen dazu verleiten soll, zusätzlich zu zahlen. »Dies ermöglicht es uns, weiterhin in attraktive Inhalte zu investieren und diese Investitionen über einen langen Zeitraum weiter zu steigern.« Man habe schließlich in teure Serien, Fußball-Übertragungsrechte und Eigenproduktionen investiert. Das klänge plausibel, wenn der Konzern nicht auf
Was soll also diese Kund:innenunfreundlichkeit?
Der »Mist« steckt im System
Um zu verstehen, wieso Großunternehmen so handeln, muss man sich immer wieder klarmachen, für wen sie eigentlich arbeiten. Amazon ist wie viele Großkonzerne ein Börsenunternehmen. Das heißt, dass das Unternehmen vor allem für Aktieninhaber:innen wirtschaftet und beständig wachsen muss, um die Aktien attraktiv zu halten. Privatkund:innen sind dabei nur Mittel zum Zweck, Wachstum und Umsatz zu erwirtschaften.
Und das funktioniert offenbar. So vermeldete das Portal Börse Global etwa vor wenigen Tagen: »Amazon Aktie: Werbestrategie treibt Wachstum an«.
Aber warum machen die Menschen da mit?
Die Antwort ist Teil des Tricks. Der Erfinder des Wortes »Enshittification« erklärt es so:
Zuerst sind sie gut zu ihren Nutzern; dann missbrauchen sie ihre Nutzer, um die Dinge für ihre Geschäftskunden besser zu machen; schließlich missbrauchen sie diese Geschäftskunden, um das gesamte Geld selbst einzustreichen.
Guter Service wie die Rabatte der Kreditkarte, die kostenlose Musik und das Streamen ohne Werbung waren also nur Phase 1 – quasi ein Lockmittel, um Menschen an die Plattform zu gewöhnen. Das Unternehmen hat eine enorme Marktmacht und kann nun ganz langsam Phase 2 einleiten: die Verschlechterung für Nutzende.
Dabei setzt Amazon auf 2 psychologische Faktoren, die Menschen trotz Enshittification bei der Stange halten:
- Gewohnheit: Viele von uns sind bereits angefüttert. Du hast die App vielleicht schon auf deinem Smartphone, weißt genau, wie Bezahlvorgänge funktionieren und wie du nach etwas Bestimmten suchst. Wenn du bei »Onlineshopping« direkt an Amazon denkst, zeigt das nur, dass die Plattform mit deiner Gewöhnung rechnen kann.
- FOMO: Die Angst, etwas zu verpassen (englisch: Fear of missing out / FOMO) ist für viele Menschen ein Grund, die Plattform trotz Verschlechterungen weiter zu nutzen. Was könntest du alles beim nächsten Schnäppchentag auf der Plattform sparen? Willst du nicht vielleicht doch noch irgendwann die eine Serie weiterschauen? Was wäre, wenn es dein zukünftiges Lieblingsmusikalbum nur auf Amazon Music gäbe? Brauchst du nicht vielleicht deine eigene Kaufübersicht irgendwann, um den einen Gegenstand noch mal zu finden? Genau solche Fragen nützen dem Konzern.
Titelbild: Collage | Ave Calvar | Unsplash + - copyright