Rechtsruck in Österreich: 5 Gründe, jetzt nicht die Nerven zu verlieren
In Österreich ist jetzt das passiert, wovor Deutschland Angst hat: Eine extrem rechte Partei erhielt zum ersten Mal seit 1945 die meisten Stimmen bei der Nationalratswahl. Das ist historisch, aber noch kein Grund zur Verzweiflung. Wie es jetzt bei unseren Nachbarn politisch weitergehen könnte.
Ich will ehrlich sein: In erster Linie bin ich froh, dass der ganze Trubel vorbei ist. Die letzten Wochen, eigentlich das gesamte letzte Jahr, hatte der Wahlkampf Österreich fest im Griff. Im Zentrum standen dabei weniger Inhalte und Sachthemen – daran hat auch das verheerende Hochwasser vor 2 Wochen wenig geändert –, sondern vielmehr die Frage: Wie kann ein Wahlsieg von
Aber von vorne. In Österreich wurde am Sonntag der Nationalrat – vergleichbar mit dem Deutschen Bundestag – gewählt. Er ist eine der beiden Kammern des österreichischen Parlaments. Im Nationalrat, dem wichtigsten Teil der Legislative auf Bundesebene, sitzen 183 Abgeordnete und beschließen Gesetze, die die Bundesregierung und die Ministerien, also die Exekutive, dann umsetzen müssen. Dafür braucht es eine Mehrheit, weshalb in Österreich – wie auch in Deutschland – Koalitionen zwischen mehreren Parteien üblich sind.
Die Bundesregierung wird dann zumeist auf Basis dieser Mandatsmehrheit im Nationalrat gebildet und vom Bundespräsidenten, momentan Alexander Van der Bellen, ernannt. In den vergangenen 5 Jahren gab es eine schwarz-grüne Regierungskoalition der rechtskonservativen ÖVP (Österreichische Volkspartei) mit der Umweltpartei Die Grünen.
Jetzt wird wohl alles anders. Die FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs), die Schwesterpartei der AfD, hat die Nationalratswahl gewonnen und stellt damit erstmals die meisten Abgeordneten im neuen Nationalrat. Die Kanzlerpartei ÖVP hat zwar im Vergleich zur letzten Wahl im Jahr 2019 massiv verloren, wurde aber dennoch zweitstärkste Kraft. Die sozialdemokratische SPÖ mit dem Spitzenkandidaten Andreas Babler, der dem linken Flügel der Partei zugeordnet werden kann, verliert laut dem vorläufigen Endergebnis minimal und muss sich mit Platz 3 begnügen, gewinnt aber trotzdem ein Mandat dazu. Außerdem sitzen im zukünftigen Nationalrat auch noch Abgeordnete der wirtschaftsliberalen NEOS (vergleichbar mit der FDP), die ihr bislang bestes Wahlergebnis verzeichneten und viertstärkste Partei wurden, und der bisherigen Regierungspartei Die Grünen, die im Vergleich zu 2019 viele Stimmen eingebüßt haben.
Und wie geht es nun weiter? Diese Frage ist zum jetzigen Zeitpunkt – 2 Tage nach der Wahl – naturgemäß nicht leicht zu beantworten. Aber es bringt auch nichts, angesichts des FPÖ-Wahlsiegs gleich komplett die Nerven zu verlieren.
Daher hier 5 Punkte, um die Ausgangslage konstruktiv einordnen zu können:
1. Herbert Kickl wird eher nicht »Volkskanzler«
Die FPÖ hat zwar die Wahl gewonnen, aber dass Herbert Kickl selbsternannter »Volkskanzler« wird
Normalerweise ist es üblich, dass der Bundespräsident der stimmenstärksten Partei den Regierungsbildungsauftrag erteilt. Es gibt aber kein Gesetz, welches das vorschreibt. Im Gegenteil: Alexander Van der Bellen hat bereits angekündigt, erst dann einen Regierungsbildungsauftrag zu erteilen, wenn die Sondierungen nach der Wahl eine stabile Koalition in Aussicht stellen. Außerdem hat er in einem ersten Statement nach der Wahl zumindest zwischen den Zeilen durchklingen lassen, Kickl aufgrund seiner EU-Kritik und seiner teilweise antidemokratischen und verschwörungsideologischen Haltung nicht als Kanzler angeloben zu wollen.
Ich werde nach bestem Wissen und Gewissen darauf achten, dass bei der Regierungsbildung die Grundpfeiler unserer liberalen Demokratie respektiert werden: etwa Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Menschen- und Minderheitenrechte, unabhängige Medien und die EU-Mitgliedschaft.
Außerdem haben alle Parlamentsparteien eine Regierungszusammenarbeit mit Herbert Kickl als Kanzler ausgeschlossen. Die ÖVP kann sich zwar vorstellen, mit der FPÖ gemeinsam zu regieren, aber nur unter der Bedingung, dass Kickl nicht in Regierungsverantwortung kommt. Dieses Versprechen wurde am Wahlabend klar von ÖVP-Generalsekretär Gerfried Stocker und Kanzler Karl Nehammer wiederholt.
Eine Regierungszusammenarbeit mit Kickl wäre also ein großer Vertrauensbruch gegenüber der ÖVP-Wähler:innenschaft. Theoretisch könnte Kickl aber auch »zur Seite treten« und statt eines Regierungsamts etwa das mächtige Amt des ersten Nationalratspräsidenten oder die FPÖ-Klubobmannschaft übernehmen, um eine blau-schwarze Regierung zu ermöglichen. Aber auch hier gilt: es wäre schwierig, so einen Schritt vor den eigenen Wähler:innen zu rechtfertigen.
2. Eine 3er-Koalition ist in Sichtweite
Etwas wahrscheinlicher ist deshalb, dass es erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik zu einer 3er-Koalition kommt – angeführt vom bisherigen Kanzler Karl Nehammer und seiner ÖVP gemeinsam mit der SPÖ. Komplettieren könnten das Bündnis dann entweder die NEOS oder die Grünen. Dieses Szenario ist insofern wahrscheinlich, als dass es sowohl in der ÖVP als auch in der SPÖ offenbar Kräfte gibt, die auf eine Neuauflage einer »Großen Koalition« mit einem zusätzlichen kleinen Regierungspartner drängen.
In der Theorie würde sich auch eine Große Koalition ohne dritten Partner ausgehen, aber die Mehrheit bei den Mandaten ist so gering, dass das politisch äußerst unwahrscheinlich erscheint. Inhaltlich hat die ÖVP definitiv die meisten Überschneidungen mit der FPÖ, aber mit einer 3er-Variante könnte sie den moralischen Konflikt bezüglich Herbert Kickl umgehen.
Spannend wird in diesem Zusammenhang, ob der wirtschaftsnahe Flügel in der SPÖ rund um den Wiener Bürgermeister Michael Ludwig nun die Macht in der Partei übernimmt und sich der linke Kandidat Babler zurückzieht. Das würde eine 3er-Koalition wahrscheinlicher machen, ist aber aktuell schwer prognostizierbar. Der dritte Koalitionspartner wären dann aufgrund der inhaltlichen Überschneidung am ehesten die liberalen NEOS, mit denen die SPÖ bereits auf Landesebene in Wien regiert und die auch angekündigt haben, Regierungsverantwortung übernehmen zu wollen.
Dagegen spricht, dass sich 3er-Koalitionen tendenziell schwieriger verhandeln und im politischen Alltag umsetzen lassen. Das sieht man aktuell auch am Beispiel der Ampel in Deutschland, wo die Regierungsparteien in den Umfragen momentan massiv von ihren Wähler:innen abgestraft werden.
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