Hier wird Klimafrust zu guter Laune
Ihr gegenüber fühlen wir uns ohnmächtig, deswegen verdrängen wir die Klimakrise oft im Alltag. Diese Menschen haben einen Ort geschaffen, an dem sie stattfinden kann – und verraten dir ihr Geheimrezept, damit du es ihnen gleichtun kannst.
Es ist einer dieser Tage. Du fühlst dich einsam, unsicher, gar ohnmächtig. Fast so, als würdest du allein gegen den Rest der Welt stehen. Was hilft?
Schokolade und viel Schlaf sind die eine Option. Dabei gibt es für niederdrückende Gemütslagen wie diese eine viel effektivere Therapie – und die hört auf den Namen »Gemeinschaft«!
Genau das haben sich auch die Menschen gedacht, die sich vor etwa 3 Jahren in Hamburg zur 1,5°-Arrabiata-Klimagruppe zusammengefunden haben. Neben scharfen Nudeln – wie der Name erahnen lässt – kommen hier einmal im Monat auch schwierige Themen auf den Tisch. Als gedankenanregendes Dessert gibt es nach dem Abendessen einen Impulsvortrag über die Funktionsweise einer
Am Ende eines gemeinsamen Abends bleiben die Klimaherausforderungen zwar ungelöst, doch die Teilnehmenden gehen um Ideen und einiges an Zuversicht reicher. Das Konzept hat sich für die Klimagruppe so bewährt, dass sie ihr Erfolgsrezept weitergeben und andere Menschen ermutigen wollen, es ihnen gleichzutun.
Ich habe sie besucht.
»Willkommen bei den 1,5°-Arrabiatas«
Susanne empfängt mich mit einer warmen Umarmung an der Wohnungstür: »Willkommen bei den 1,5°-Arrabiatas«. Tasche abstellen, Schuhe ausziehen, und los geht eine kurze Führung durch die Wohngemeinschaft ihrer Freund:innen. Hier der lange Holzdielenflur, dort die Küche, in der bereits fleißig fürs Abendessen geschnippelt wird. Es gibt Spaghetti Arrabiata, wie bei jedem Treffen. Ein einfaches, veganes Gericht, das Menschen zusammenbringt. Daher auch der Name der Klimagruppe.
Neben der Küche gibt es ein einladendes Esszimmer mit großem Tisch und am Ende des Flurs ein geräumiges, helles Wohnzimmer mit einer Sitzecke und Sofa, auf dem wir uns niederlassen.
»Lustig«, sagt Susanne, »ich glaube, fast genau vor 3 Jahren hatte die Gruppe in diesem Wohnzimmer ihr erstes Treffen, da war ich aber noch nicht dabei.« Hier ist im obersten Stock eines Mehrfamilienhauses am Hamburger Hansaplatz, das Zuhause des Mitgründers der Klimagruppe, Florian.
Der 38-Jährige hat die 1,5°-Arrabiatas vor der Bundestagswahl 2021 ins Leben gerufen. Verdrossen, wie wenig die Politik gegen die Klimakatastrophe unternimmt und wie wenig Platz sie im Bewusstsein und Leben der Menschen überhaupt zu finden scheint, fordert er sich selbst heraus:
Dabei merkt er, dass die Themen Klimawandel und Nachhaltigkeit mehr Menschen bewegen, als es von außen den Anschein hat. Sie reden nur nicht darüber, haben oft keine Anlaufstelle. So haben sich die 1,5°-Arrabiatas zusammengefunden. Zu Beginn waren sie 15–20 Menschen aus Florians Bekanntenkreis. Inzwischen sind 39 Kontakte in der Telegram-Gruppe, über die sich die Klimagruppe verständigt. Susanne, die sich beruflich um die Förderung von nachhaltigerer Mobilität für Angestellte kümmert, hat über Florians Partnerin Freda zu den 1,5°-Arrabiatas gefunden.
Was die Klimagruppe so besonders macht
»Alle Menschen in unserer Klimagruppe sind über Freunde von Freunden dazugestoßen. Es ist niemand komplett von außerhalb gekommen«, sagt Susanne. Genau das ist für sie auch einer der ausschlaggebenden Punkte, weshalb sie die Gruppe so mag und sich seit über einem Jahr so gut wie jeden Monat dafür Zeit nimmt.
Wir sind niederschwelliger und nicht so politisch wie andere, offizielle Klimagruppen. Nicht alle Leute können oder mögen sich aktivistisch betätigen. Wir sind vielmehr Bekannte und Freunde, die sich auf einen gemütlichen Abend mit Klimainput treffen. Zusammen zu kochen und sich nebenbei darüber zu unterhalten, wie eine Wärmepumpe funktioniert, ist unverbindlich und easy.
Gabriel Baunach lobt die Gruppe als Handabdruck in Aktion
»Wusstest du, dass
»Ich habe überlegt, zu einem nachhaltigeren Job zu wechseln, können wir später mal darüber reden? – Gern, passt es dir nach der Buchbesprechung? …«
»Mag noch jemand mehr Arrabiata? – Ja, tauschst du gegen die Nudeln? …«
Untermalt vom Klappern des Bestecks entstehen während des Abendessens ganz nebenbei spannende Gespräche. Leider kann ich nicht allen gleichzeitig folgen. Die meisten der 13 Anwesenden sprechen über Klimathemen, was sie in den letzten Wochen gesehen und erlebt haben. Nebenbei leeren sich die Schüsseln. Das Essen ist köstlich, die Stimmung ausgelassen, es wird viel gelacht. Kurz vor 20 Uhr pilgern alle mit Snacks gewappnet ins Wohnzimmer.
Auf dem abendlichen Programm steht: eine Besprechung des Buches
Der Klimakommunikator beginnt mit einer Triggerwarnung, denn der aktuelle Stand der Klimakrise sei schlecht. Gabriel Baunach erzählt:
Doch es gibt auch eine Lösung, auf die Baunach setzt und die er in seinem Buch ausführlich vorstellt. Sie vermag Menschen aus ihrer gesellschaftlichen Trägheit zu bringen: der Handabdruck. Anders als der CO2-Fußabdruck konzentriert sich der Handabdruck nicht darauf, wie eine einzelne Person ihre Emissionen reduzieren kann, sondern darauf, wie er oder sie zu einem Multiplikator oder einer Multiplikatorin für klimafreundliches Verhalten werden kann.
Du willst mehr über den Handabdruck erfahren? Hier erklärt Maria Stich das Konzept:
Wo habe ich in meinem Leben den größten Einfluss, einen nachhaltigen Wandel voranzubringen? Das ist laut Baunach eine der Kernfragen, die sich jede:r stellen sollte. Ein Beispiel, das er nennt: Entscheidest du dich, allein mit dem Fahrrad auf die Arbeit zu pendeln, obwohl der Weg für Radfahrende gefährlich ist, stemmst du allein gegen das System an. Das kann sehr frustrierend sein und macht dich zum Einzelkämpfer oder zur Einzelkämpferin. Viel sinnvoller wäre es, noch weitere Menschen miteinzubeziehen. Zum Beispiel dich per Petition – etwa auf der Arbeit und in deiner Umgebung – dafür einzusetzen, dass die Radwege besser und sicherer werden, damit alle etwas davon haben und du nicht allein kämpfst.
Die leichteste Maßnahme des Handabdrucks sei es, mit Menschen in den Austausch zu kommen und über die Klimakrise und den Klimaschutz zu sprechen. Dann würden Menschen, so Baunach, schnell merken, dass auch andere bereit seien, sich zusammenzuschließen und gemeinsam etwas fürs Klima zu tun. So wie es zum Beispiel Florian als Mitbegründer der Klimagruppe getan habe.
Andere Maßnahmen seien etwa: Mit Freund:innen zusammenkommen und gemeinsam eine PV-Anlage auf das Vereinsdach bauen oder zu einer nachhaltigeren Bank wechseln. Auch die 1,5°-Arrabiatas selbst seien ein gelungenes Beispiel für den Handabdruck. Mit dem Lob gehen anerkennende Blicke durch die Runde, gepaart mit einem Hauch von Stolz.
Das Geheimrezept für eine gelungene (Klima-)Gruppe
Ihre Treffen organisieren die 1,5°-Arrabiatas meist einige Monate im Voraus, da die meisten Mitglieder berufstätig sind und Familien und andere Verpflichtungen haben. In ihrer Telegram-Gruppe stellen sie Umfragen zur Terminfindung und klären die wichtigsten Fragen: Bei wem treffen wir uns? Wer kauft die Zutaten? Wer kocht? Und welchen Klimainput soll es geben? Wer organisiert ihn?
Dinge, die bei den 1,5°-Arrabiatas in den vergangenen 3 Jahren bereits auf dem Programm standen:
- Sie testeten gemeinsam ein neu veröffentlichtes Biodiversitätsspiel. »Ich glaube, wir waren im Endeffekt Versuchskaninchen«, sagt Susanne. »Aber es hat Spaß gemacht.«
- Jemand von Greenpeace Deutschland gab ihnen Input zum Thema
- Ein ihnen über mehrere Ecken bekannter Aktivist teilte anonym seine Erfahrungen über Protestaktionen.
- Vor dem Hamburger Klimaentscheid traf sich die Klimagruppe, um Unterschriften dafür zu sammeln.
- Sie besuchten eine Podiumsdiskussion mit der
- Oder bastelten Schilder für eine anstehende Großdemo von Fridays for Future, um zusammen hinzugehen.
Viele der Inputs zu Themen wie »Wärmepumpe« oder
Ich kann zu vielen der Themen auch einen Artikel im Internet lesen oder einen Podcast hören, aber wenn wir es hier in der Gruppe besprechen, diskutieren und erleben, bleiben die Inhalte anders hängen. Außerdem mag ich es, Leuten zu erzählen, dass ich bei der Gruppe mitmache und die Klimakrise so einen Ort in meinem Leben hat, wo sie stattfinden kann. Dass ich sie nicht verdränge.
Auch Wiebke kennt das mit der Verdrängung. Für die Psychologin ist die Gruppe ein Fixpunkt, auf den sie sich freuen und fokussieren kann, ein lebensbejahender Rahmen, in dem sie sich mit mittelfristig lebensbedrohlichen Themen befassen kann.
Wachsen möchte die Klimagruppe nicht mehr unbedingt, sonst würde sie ihren familiären und zwanglosen Charakter verlieren, der für beide definitiv zum Erfolgsrezept der Gruppe gehört. Die 1,5°-Arrabiatas wollen vielmehr andere dazu inspirieren, sich selbst im Freundes- und Bekanntenkreis zu organisieren, um einen Platz für Themen zu schaffen, die ihnen wichtig sind – seien es der Klimawandel und Nachhaltigkeit, Rassismus, Feminismus oder Gleichstellung.
Alles, was es dazu braucht, sind laut Susanne und Wiebke: ein motiviertes Kernteam, das Aufgaben koordinieren kann, und am besten 1 oder 2 »social butterflies«, wie sie es nennen. Also Menschen, die viele andere Menschen kennen, sich vernetzen und sie in die Gruppe bringen können. Außerdem sollten die Treffen zwanglos bleiben und Spaß machen.
Doch die größte Geheimzutat ist das Essen, da sind sich die beiden sicher. Die Mitglieder der 1,5°-Arrabiatas haben ihr Arrabiata-Rezept perfektioniert – auch wenn es jedes Mal etwas anders schmeckt, je nachdem wer kocht. Für den Erfolg deiner zukünftigen (Klima-)Gruppe teilen sie ihr Grundrezept mit dir.
Viel Spaß und buon appetito!
Zutaten für 4 (oder 3 sehr hungrige) Personen:
- 500 Gramm Nudeln (Spaghetti)
- 6 Esslöffel hochwertiges Olivenöl
- 2 rote Chilischoten, in feine Scheiben geschnitten (alternativ geht auch Chilipulver)
- 4–6 fein gehackte Knoblauchzehen
- ca. 600 Gramm gehackte Tomaten aus der Dose (wahlweise auch frische Tomaten verkochen lassen)
- Salz zum Abschmecken
- eine Handvoll Basilikumblätter
- frisch geriebener Parmesan (oder eine vegane Hartkäsealternative) zum Servieren
Zubereitungszeit: 20–30 Minuten
Das Olivenöl in einer Pfanne erhitzen, Chili und Knoblauch dazugeben. Nach etwa einer Minute die Basilikumblätter hinzugeben und leicht anbraten. Die gehackten Tomaten in die Pfanne geben und mindestens 10 Minuten köcheln lassen, bis die Sauce etwas eingedickt ist. Mit Salz abschmecken.
In der Zwischenzeit die Nudeln nach Packungsanweisung in einem großen Topf mit kochendem Salzwasser al dente kochen. Die Nudeln abgießen und die Tomatensauce dazugeben. Wahlweise mit geriebenem Parmesan und frischem Basilikum garniert servieren.
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily