Diese 5 Wörter erklären unsere Gegenwart: Kennst du alle?
Im Duden findest du bisher keines davon. Ein Quiz für alle, die das digitale Zeitalter besser verstehen wollen.
Bei neuen Wörtern sollten wir immer hellhörig werden. Denn sie sind viel mehr als nur Einträge im Duden. 2 recht aktuelle Beispiele:
- Manche Wörter können Hoffnung auf eine bessere Zukunft machen:
- Andere Wörter demonstrieren eher einen tiefen Zynismus derer, die sie gebrauchen: zum Beispiel »Sozialklimbim«. Damit bezeichnete der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler 2023 abschätzig genau dasselbe, also finanzielle Hilfen für Kinder in Armut. Zu Recht stand es damit auf der Liste der Unwörter des Jahres. Geschlagen wurde es nur vom rechtsextremen Tarnbegriff
In jedem Fall machen
Das gilt aber auch umgekehrt!
Neue Wörter sind wie gedankliche Schablonen, die unser Denken und unsere Wahrnehmung
Wörter, die sich etablieren, sind also Hinweise auf Trends und Veränderungen der Denkmuster unserer Gesellschaft. Erst wenn wir Wörter für etwas haben, können wir es wirklich begreifen. Hier sind 5, die es noch nicht in den Duden geschafft haben – aber bald sollten! Denn sie beschreiben unsere Zeit wie kaum andere.
Kennst du sie und weißt, was sie bedeuten?
Parasozial
Das Wort entstammt der Medienpsychologie und hat es ins
- Für soziale Aufmerksamkeit Geld auszugeben.
- Irrtümlicherweise zu glauben, Medienpersonen seien Freunde.
- Keine Lust auf soziale Interaktion zu haben.
Die Lösung
2 ist richtig.
Unsere heutige Welt ist geprägt von sozialen Medien und den Selbstdarsteller:innen, die darauf Erfolg haben. Anders als Film- und Fernsehstars früher geben sie in ihren regelmäßigen Videos scheinbar sehr private Einblicke in ihr Leben. Sie reden über Politik, über ihre Freundschaften und was sie privat mögen – und liken manchmal sogar Beiträge ihrer Zuschauer:innen. Über unsere Smartphones, Pushnachrichten und Content-Alarme sprechen sie uns mit ihren Inhalten überall und jederzeit an.
Das kann bei manchen Menschen das Gefühl von Identifikation und Vertrautheit erzeugen, ja gar die Idee einer Art Beziehung zu der Person. Der Mechanismus dahinter ähnelt dem, durch den Menschen andere – echte – Beziehungen aufbauen:
Parasoziale Beziehungen entstehen […] zum Beispiel dadurch, dass wir eine Medienperson basierend auf ersten Eindrücken, die manchmal sogar unterbewusst stattfinden, besonders sympathisch finden. Oder wir finden die Person vertrauenswürdig oder attraktiv. Schönheit oder Attraktivität sind Faktoren, die einen großen Einfluss haben. Sympathien entstehen außerdem dadurch, dass wir Ähnlichkeiten zu uns selbst erkennen.
Doch das Gefühl von Nähe ist eine Illusion. Denn diese Person weiß quasi nichts von denjenigen, die ihre Inhalte konsumieren. Dass vor allem einsame Menschen parasoziale Gefühle entwickeln, ist mittlerweile von der Forschung widerlegt. »Es ist sehr wahrscheinlich, dass nahezu jede oder jeder schon mal eine parasoziale Beziehung hatte, auch wenn es einem vielleicht gar nicht bewusst war«, so Zoe Olbermann. Und parasozial kann es auch sein, sich mit Personen intensiv zu beschäftigen, die man eigentlich unsympathisch findet oder ablehnt.
Gefährlich wird dies aber nicht erst, wenn sich Menschen enttäuscht von ihren Medienidolen abwenden – das kann psychologisch wie eine Trennung wirken (parasocial break up). Oder wenn die einseitige Beziehungsvorstellung wahnhaft wird und in Bedrängung oder Stalking endet. Nein, Parasozialität sorgt vorher schon für Prozesse, die sich leicht ausnutzen lassen. So stimmen Menschen in parasozialen Beziehungen der Meinung der anderen Person oft unkritisch zu (Persuasionswissen). Für Differenzierungen ist da kein Platz. »Parasoziale Beziehungen können dazu führen, dass wir all das nicht mehr prüfen, sondern eine Art blindes Vertrauen in die Person haben.« Denkt man Olbermann weiter, könnte das einen Teil der politischen Aufgeregtheit und Fake News heutzutage erklären, die Menschen von ihren Influencer:innen unkritisch übernehmen: parasoziale Verteilungsmechanismen.
Doch Parasozialität sollte man nicht per se verteufeln. Sie gehört zu unserem modernen Leben dazu, argumentiert die Kommunikationswissenschaftlerin. Und sie kann sogar Vorteile haben. Denn die »eingebildete Nähe« kann Menschen auch positiv politisch motivieren, wie etwa die Klimabewegung zeigt. Wir sollten nur lernen, nicht den kritischen Verstand auszuschalten, wenn wir jemandem im Internet »folgen«.
Gehirnverrottung
Der eigentlich englische Begriff (Mindrot) war die Wortschöpfung einer kalifornischen Heavy-Metal-Band. Heute bezeichnet es in der Jugendsprache etwas, was wir alle schon erlebt haben. Aber was?
- Schlechte Politik mit schlechten Argumenten zu verteidigen.
- Dass der menschliche IQ neuerdings sinkt.
- Belanglose Medieninhalte.
Die Lösung
3 ist richtig.
Hast du dir nicht auch schon mal die Inhalte auf sozialen Medien angeschaut und dich gewundert, wie belanglos vieles davon ist? Das Wort Gehirnverrottung ist in der Jugendsprache eine Bezeichnung genau dafür. Es zeichnet das Bild eines verrottenden Gehirns als Konsequenz einer Content-Verblödung gerade im digitalen Zeitalter. Dumme Inhalte konsumieren, »während die Intelligenz langsam schmilzt«, wie das Urban Dictionary formuliert.
Damit entspricht es dem, was der Medienpsychologe Manfred Spitzer in seinem Buch Digitale Demenz skizziert hat: einen Verfall mentaler und sozialer Kompetenzen. Das ist jedoch so nicht eindeutig nachweisbar und in der Fachwelt umstritten. Sinkende Intelligenzquotienten seit einigen Jahren müssen nicht mit der digitalen Welt zusammenhängen, sondern könnten auch auf eine Krise im Schulsystem hindeuten,
Dennoch belegt die Wortschöpfung, dass Jugendliche in Teilen zumindest so empfinden. Und das kommt nicht von ungefähr: Anstatt fordernd zu sein, setzen immer mehr digitale Spiele auf Konditionierung und Abhängigkeitsmechanismen – vor allem auf dem Smartphone. Das soll dazu dienen, exzessiveres Spielen zu fördern und Spiele besser zu monetarisieren; notfalls auf Kosten der Psyche der Nutzenden –
Auch die endlosen Feeds auf sozialen Medien gehören dazu. Hier fördern die Plattformen vor allem emotionalen und empörenden Content, um Leser:innen länger bei der Stange zu halten und mit Werbung versorgen zu können.
Wichtig im Gegensatz zu Spitzers allgemeiner Verteufelung des Internets: Als »gehirnverrottend« werden von Jugendlichen nur ganz bestimmte Inhalte im Netz wahrgenommen. Und das gibt Hoffnung. Denn die sarkastische Wortschöpfung zeigt eben auch, dass sich Jugendliche selbstkritisch und medienkritisch mit den Inhalten auseinandersetzen und in Teilen unterfordert fühlen. Und der Erfolg von Wissenschafts-Youtube-Kanälen wie VSauce oder
Eine radikalere Lösung hält der Digitalpionier Jaron Lanier bereit. In seinem Buch Zehn Gründe, warum du deinen Social Media Account jetzt löschen solltest legt er dar,
Fraskulinität
Der Begriff stammt aus der englischen Jugendsprache (Frasculinity) und hat es als neue Wortverschmelzung diesen Monat ins Urban Dictionary geschafft. Aber was meint er?
- Männer als das schwache Geschlecht.
- Eine oberflächliche kumpelhafte Beziehung.
- Frauen als Vaterfiguren zu haben.
Die Lösung
1 ist richtig.
Fraskulinität ist eine Wortverbindung von Fragilität und Maskulinität. Und beides geht heutzutage immer mehr Hand in Hand. So ist die Welt voller hypermaskuliner Symbole für sogenannte
Denn der Cybertruck ist vor allem eines: öffentlich sichtbar. Und genau das sei es, womit Männer ihre Männlichkeit unter Beweis stellten, argumentiert die Psychologin Jennifer Bosson,
Genau das könnte erklären, warum Männer zu Dominanzgesten und Statussymbolen neigen – von Cybertruck-Besitzern bis zu Superreichen. Mutproben, Initiationsrituale und Männerbünde gehören alle zu diesem Verhalten, das unsere Gesellschaft schon immer prägt, aber gerade heute sichtbar wird, wo manche Männer ihre Männlichkeit in Gefahr sehen. Das bietet psychologisch auch einen Erklärungsansatz, warum gerade Männer Aggressionen gegenüber der LGBTQI-Community hegen. In letzter Konsequenz ist sogar physische Gewalt für manche Männer eine Methode, das bedrohte Selbstbild wiederherzustellen.
Als Lösung müssten wir umdenken und Männer eher als das »fragile Geschlecht« begreifen, so die Psychologin. Gerade in der Jugend sollte die Gesellschaft intervenieren, das Selbstbewusstsein junger Männer stärken und ihnen dabei helfen, die eigenen Geschlechterrollen kritisch zu hinterfragen.
Soziale Atomisierung
Nein, wir meinen nicht den physikalischen Prozess, etwas in seine kleinsten Teile zu zerlegen. Aber das Trendwort hat im übertragenen Sinn etwas damit zu tun. Nur was ist es?
- Wenn du etwas Dummes sagst und daraufhin online gemieden wirst.
- Wenn sich dein Freundeskreis mit einem Beziehungsende zerlegt.
- Die gefühlte Isolation in modernen Gesellschaften.
Die Lösung
3 ist richtig.
»Stell dir vor, du wachst auf. Du greifst nach deinem Telefon und siehst einen Haufen Nachrichten, die meisten davon sind Werbung, die andere Hälfte von Personen, die dir nicht viel bedeuten – also ignorierst du sie. […] Du fährst zur Arbeit und starrst auf einen Bildschirm. […] Anschließend fährst du heim, lässt den Tag mit Netflix ausklingen, spielst auf dem Telefon ein wenig und gehst schlafen, allein.«
Und das hat einen Grund, den diese Menschen nicht selbst verschuldet haben, so Lynn: »Die Gesellschaft ist so gestaltet worden, dass wir als individuelle Einheiten ohne soziale Bande funktionieren können. Die Gesellschaft wurde atomisiert.« Sei es durch Urbanisierung und damit einhergehende Anonymisierung des Stadtbildes, den Druck zur örtlichen Flexibilität für Jobs oder die flüchtige Anonymität
Was dahintersteht, deutet Lynn nur an: Denn Atomisierung und kapitalistischer Individualismus gehen Hand in Hand – anders als Kompensationen für Einsame (Filme, Schokolade, Ablenkung, Motivations-Apps) lassen sich Freundschaften nur schwer monetarisieren.
Dafür ist sich Lynn sicher: Smartphones haben einen großen Anteil an dieser Atomisierung des Sozialen. Nur so lassen sich Smombies (Smartphone-Zombies) erklären, die lieber auf ihren Bildschirm starren und auf neue Kurznachrichten warten, als sich mit der Nebenperson an der Haltestelle zu unterhalten – wie man es früher gemacht hat. Oder die flüchtigen Bekanntschaften – online wie offline –, deren Namen schon nach Kurzem »in den Hintergrund verschwinden« wie ein uns umgebendes Rauschen.
Neu ist das nicht. Bereits 2020 veröffentlichte die Autorin Willow Liana vor dem Hintergrund der Pandemie den Essay The Atomized Generation.
Was sich dagegen tun lässt? Eine einfache Lösung wird es wohl nicht geben. Lynn plädiert für einen Perspektivwechsel, um dem Sog des Individualismus etwas entgegenzusetzen: »Wir sind auch für andere gemacht, nicht nur für uns selbst.« Für Liana ist es ein besseres Haushalten mit Zeit und Energie »in die Dinge, die du behalten willst, seien es Orte, Freunde oder Institutionen«. Doch vielleicht liegt die Lösung – über das Anerkennen des Problems hinaus – gar nicht im Individuum, sondern in den gesellschaftlichen Weichen, die wir umstellen müssen.
Hyperobjekt
»Hyper, hyper« war nicht nur ein Song der Technoband Scooter. Hyper meint im Sprachgebrauch etwas Extremes oder übermäßig Übertriebenes (etwa »hyperempfindlich«). Aber als Wort zusammen mit einem Objekt, was soll das sein?
- Wahnwitzige Architektur, die Rekorde bricht wie die saudi-arabische Bandstadt »The Line«.
- Ein extremes Objekt der Begierde, wenn ein Marketing-Hype erfolgreich war.
- Sachverhalte, die so groß sind, dass sie der Mensch nicht mehr begreifen kann.
Die Lösung
3 ist richtig.
Warum glauben so viele Menschen, dass der Klimawandel schon nicht so schlimm werden wird?
Der US-amerikanische Philosoph und Literaturwissenschaftler Timothy Morton stellt in seinem Buch Hyperobjects eine Gegenfrage: Verstehst du das globale Finanzsystem wirklich?
Die Antwort dürfte »nein« sein, denn sogar manche Banker stehen bei dem, was manchmal dort passiert, auf dem Schlauch. Das verarbeitet etwa der Film The Big Short (2015), in dem –
Das alles kommt nicht von ungefähr, argumentiert Timothy Morton in Hyperobjects. Denn die weltweiten Finanzströme sind so komplex und jenseits »menschlicher Referenzrahmen«, dass sie eigentlich »nicht der Vernunft zugänglich« sind – ein Hyperobjekt eben. Und bei denen spielt der Unwillen vieler Menschen mit, sich näher damit zu beschäftigen. Das ist einfach geistig anstrengend und zeitraubend. Dafür sind Expert:innen da, um dies herunterzubrechen. Aber wenn selbst viele von ihnen nicht mehr durchblicken, ermöglicht das eben Entwicklungen wie etwa die Weltfinanzkrise, die für die öffentliche Wahrnehmung völlig unvorhergesehen sind.
Ein neues Hyperobjekt im Entstehen könnte Künstliche Intelligenz sein. Oder verstehst du genau, wie ChatGPT wirklich funktioniert? Die wenigsten Menschen tun das, und trotzdem etablieren Unternehmen KI-Anwendungen in unserem Leben, wo sie nur können. Wenn das mal gut geht. Denn das ist eine Eigenschaft von Hyperobjekten nach Morton: Sind sie entstanden, verliert der Mensch die Kontrolle. Dazu gibt es bei Hyperobjekten eben kein »Entrinnen«. Der Mensch wird gezwungen, sie zu akzeptieren oder sich der Realität völlig zu verweigern und eine Zeit lang Fantasien hinzugeben – wie es während der Finanzkrise manche Banker taten und was heute unter Klimawandelleugner:innen zu finden ist.
Mortons Lösung? Das Eindringen von Hyperobjekten in unser Leben dazu nutzen, die eigenen Illusionen über unsere Wichtigkeit abzulegen und uns in Bescheidenheit zu üben. Das ist eher wenig hoffnungsvoll, zugegeben. Optimistischer sieht es das Zukunftsinstitut um Trendforscher
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily