Zwischen fad und lebensgefährlich: So wird das Essen im Krankenhaus besser
Wer im Krankenhaus liegt, bekommt als Essen eine Zumutung – mit beträchtlichen Risiken und Nebenwirkungen. Das ist kein Zufall.
Als
Fehler können passieren. Doch an ihrer »Verpflegung« ändert sich trotz mehrmaligen Beschwerens nichts. Tag für Tag bekommt sie Aufschnitt, Wurst und Fleischgerichte.
Aber selbst wenn Sabine Fleisch essen würde – satt gegessen hätte sie sich nicht:
Das Essen war ungenießbar. Das Krankenhaus im ländlichen Raum hatte keine eigene Küche, die Speisen wurden aus einer weit entfernten Großküche herangeschafft und hatten gefühlt keinen Nährwert. Da wird man noch mehr krank, als man es ohnehin schon ist. Da müssten die Krankenkassen doch eigentlich Sturm laufen. Selbst wenn es ihnen nur auf die Kosten ankommt: Mit gesunder Kost könnten sie doch langfristig viel Geld einsparen!
Dass es auch ganz anders geht, weiß sie wohl. Während eines 4-wöchigen Aufenthalts in einer Klinik in Süddeutschland hat sie es selbst erlebt. Dort setzte der Chef der hauseigenen Küche auf
Essen als Medizin – das ist eher die Ausnahme. Aber es ist auch kein Luxusproblem. Im Gegenteil: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) spricht in einem von der Bundesregierung beauftragten Bericht gar von einem
Wie ist die Dauermisere zu erklären? Und was braucht es, damit Essen nicht nur genießbar, sondern zum Teil der Therapie werden kann?
Essen mit Risiken und Nebenwirkungen
Steinhartes Kartoffelpüree mit Billigfleisch aus Massentierhaltung, trockenes Brot, überzuckerter Fertigjoghurt – all das erwartet Patient:innen im schlimmsten Fall in deutschen Krankenhäusern.
Klar, wer ins Krankenhaus muss, hat erst einmal andere Sorgen als Essen. Doch es geht hier um mehr als unterschiedliche Geschmäcker: Schlechtes Essen ist für kranke Menschen mit geschwächten Körpern ein echtes Gesundheitsrisiko. So gilt mehr als jeder Vierte der ins Krankenhaus eingelieferten Patient:innen bereits zum Zeitpunkt der Aufnahme als mangelernährt.
Kommt dann noch eine unzureichende oder falsche Kost hinzu, sind verlangsamte Heilungsprozesse und weiter schwindende Kräfte die Folge. Das betrifft vor allem Patient:innen mit chronischen Magen-Darm-Erkrankungen und Krebspatient:innen. Denn eine Krebstherapie mutet dem Körper sehr viel zu, baut Muskel- und Fettgewebe ab. Laut der deutschen Krebsgesellschaft
Doch nicht nur Schwerstkranke leiden unter den negativen Folgen schlechter Ernährung. Eine
Das Ergebnis nach 30 Tagen: Aus der Gruppe der »normal« Verpflegten waren 10% verstorben, aus der mit dem individuell abgestimmten Essensangebot hingegen nur 7%. Die Forschenden sind sich sicher: »Der Einsatz einer individuellen Ernährungsunterstützung verbesserte wichtige klinische Ergebnisse, einschließlich des Überlebens.«
Die Forschenden empfehlen flächendeckende Ernährungsscreenings, wie sie zum Beispiel in der Schweiz durchgeführt werden. Und in Deutschland? Hier gibt es weder Vorgaben für ein angemessenes Krankenhausessen noch verlässliche Daten zur Versorgung.
Wie es so weit gekommen ist
Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM)
Es gibt Vorschriften für die Hygiene in der Küche und bei der Auslieferung des Essens, aber keine gesetzlichen Vorschriften, wie gesund das Essen sein muss. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat Vorschläge veröffentlicht, wie viel Obst und Gemüse das Essen enthalten und wie nachhaltig es sein sollte, aber die Krankenhäuser sind nicht verpflichtet, das umzusetzen.
Wie so oft in Deutschland setzt man auf Vorschläge und Selbstverpflichtung. Doch Bischoff sieht hier nicht allein die Krankenhäuser in der Verantwortung. Das System biete schlichtweg keinen Anreiz, ein besonders gutes oder gesundes Essen anzubieten. »Aktuell soll es möglichst billig sein.«
Krankenhäuser sind, so Bischoff, stark unterfinanziert. Der Zwang, zu sparen, macht auch vor den Küchen nicht halt. Ohne zusätzliche Mittel von den Kostenträgern, sprich den Krankenkassen, oder vom Bund sei der Spielraum für gesunde Verpflegung stark begrenzt. Bischoff macht ein eindrucksvolles Beispiel in Zahlen: Im Schnitt müssen 4–5 Euro pro Tag und Kopf ausreichen, um die Mägen der Patient:innen zu füllen. Der Tagessatz für Ernährung liegt für Bürgergeldempfänger bei 5,70 Euro.
Doch es fehlt nicht nur am Geld für das Essen selbst. Weniger als 10% der deutschen Krankenhäuser haben spezialisierte Ernährungsteams, weil auch hierfür kein Budget vorgesehen ist. Überhaupt ist die Verpflegungssituation an deutschen Krankenhäusern schwer zu überblicken. Daten und Fakten sind schwer zu finden. Eine Anfrage an die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) zeigt, dass das Thema kaum Priorität hat. »Zahlen und Daten liegen leider nicht vor«, teilt mir der Verband mit.
Auch er verweist auf die »inflationsbedingt massiv gestiegenen Kosten« und gibt Einblicke in ein krankendes System:
Alle Kosten müssen aus der sogenannten Fallpauschale getragen werden. In den Fallpauschalen sind keine Einzelposten ausgewiesen, weder für Personal- noch für Sachkosten. Die Höhe der Pauschale orientiert sich an der Fallschwere und dem damit verbundenen Behandlungsaufwand und der Behandlungsdauer. Aktuell sind diese Fallpauschalen für die Krankenhäuser insgesamt nicht mehr kostendeckend.
Da laut der Krankenhausgesellschaft im Augenblick praktisch kein Krankenhaus seine Ausgaben durch laufende Einnahmen decken kann, herrsche natürlich auch bei den Mahlzeiten ein hoher Kostendruck.
Und das ist die Antwort auf die Frage, warum Krankenhausessen aktuell so mies ist: Weil die Inflation Druck ausübt, die Krankenhäuser sparen, die deutsche Politik schläft und Ernährung keinen hohen Stellenwert im Heilungsprozess hat.
Wie kommen wir da wieder raus?
Diese Initiative zeigt, wie es jetzt schon anders geht
»Ausgewogenes, nährstoffreiches Essen spielt eine elementare Rolle für unsere Gesundheit, auch für Heilungsprozesse.« Evelyn Medawar schüttelt ungläubig lächelnd den Kopf, während sie diesen Satz in unserem Videointerview über die Lippen bringt. »Es ist natürlich absurd, dass ich das immer wieder betonen muss. Aber es ist offenbar noch immer nötig.«
Medawar ist Neurowissenschaftlerin und forscht schon lange an Essentscheidungen und der Wirkung von Essverhalten auf den Körper. Seit Mitte des Jahres leitet sie die Initiative »Healthy Hospital Food« (»Gesundes Krankenhausessen«), die die Küchen von 4 Krankenhäusern im Rahmen eines Pilotprojekts umstellt.
Der Fokus liegt in erster Linie darauf, Fleisch und einfache Kohlenhydrate wie Weißmehl und Süßspeisen zu reduzieren und durch mehr komplexe Kohlenhydrate (zum Beispiel Vollkornprodukte), frisches Gemüse und Hülsenfrüchte zu ersetzen. Diese einfache Grundformel bietet viele Vorteile. »Eine solche Ernährung ist antientzündlich, blutzuckerfreundlich, beinhaltet wenig Laktose und ist somit für viele Erkrankungen schonend. Außerdem bietet diese Formel langfristig gesundheitliche Vorteile: Das Risiko für ernährungsbedingte (Zivilisations-)Krankheiten wie Bluthochdruck, Übergewicht, Diabetes Typ II oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen wird gesenkt«, so Medawar.
Dazu setzt die Initiative entweder auf eine vollwertige, rein pflanzliche Ernährung oder alternativ auf eine stark pflanzenbetonte – je nachdem, was die Krankenhäuser wollen.
Wenn es nur nach uns ginge, würden wir die Planetary Health Diet in den Fokus stellen, wir sind da aber nicht dogmatisch. Patienten im Krankenhaus haben nicht viel zu tun, da ist das Essen eines der wenigen Happenings am Tag. Das Wichtigste ist da natürlich: Es muss lecker sein.
Medawar und ihr Team stehen zu ihren ökologischen Überzeugungen. Doch es geht ihnen nicht darum, Veganismus mit der Brechstange durchzusetzen oder den Häusern Ernährungsvorschriften zu machen. Stattdessen sollen gesunde Alternativen für sich stehen und überzeugen.
Da steht dann Linsencurry oder Kürbislasagne auf dem Speiseplan. Hier liegt eine große Chance für Menschen, die sonst vielleicht ganz anders essen und solche Gerichte gar nicht kennen oder probieren würden. Die durchschnittliche Verweildauer im Krankenhaus beträgt 7 Tage. Da tut sich ein Gelegenheitsfenster auf.
Medawar meint, dass Patient:innen im Krankenhaus über ihre Gesundheit nachdenken – und vielleicht auch über die Ernährung. Gutes, gesundes Essen kann hier ein Anstoß für einen Lebenswandel sein. Wenn das System hätte, würde es mittel- und langfristig auch dem Gesundheitssystem und sogar dem Klima zugutekommen, so Medawars Hoffnung.
Gutes Essen freut nicht nur Kranke, sondern auch Mitarbeitende und das Klima
Davon profitieren nicht allein die Patient:innen, sondern im besten Fall alle Menschen im Krankenhaus: »Für die Geschäftsleitungen der Krankenhäuser muss es ein zusätzlicher Anreiz sein, dass auch das Personal gesunde, fitmachende Kost bekommt.« Leckere Verpflegung ist auch ein Imagefaktor, was gerade für eine Branche interessant sein sollte,
Mit diesem Konzept haben Medawar und ihr Team in den bisherigen 4 Pilotkliniken in Süddeutschland und in der Schweiz offene Türen eingerannt – wohl nicht zuletzt auch, weil ihre Unterstützung kostenlos ist.
Um Krankenhausessen langfristig und flächendeckend besser zu machen, braucht es idealerweise eine Küche im eigenen Haus. Doch bei rund 1/3 aller Krankenhäuser in Deutschland sind genau die aus Kostengründen wegrationalisiert worden. Großküchen und Caterer liefern sich aber einen Unterbietungswettbewerb, der billige Zutaten attraktiv macht – ein Teil des Problems.
Doch auch Caterer können laut Medawar Punkte der Planetary Health Diet umsetzen. Die vermeintlich höheren Kosten will Evelyn Medawar nicht als Gegenargument gelten lassen: »Unserer Erfahrung nach ist das pflanzenbetonte Essen am Ende nicht teurer als die klassischen Gerichte. Es braucht zu Anfang einen Umstellungsprozess, der Geld kostet. Je nach Bundesland gibt es sehr viele Fördertöpfe. Allein durch die Reduktion von Fleisch sind die Kosten auf Dauer niedriger, da dieses meist der größte Posten unter den Zutaten ist. Das gesparte Geld kann dann zum Beispiel für hochwertigere Produkte in Bioqualität oder lokale Erzeugnisse ausgegeben werden.«
Um nachhaltig etwas zu verändern, müssten die politischen Verantwortlichen aktiv werden.
Wie die Politik die Weichen stellen müsste
Das größte Problem ist die Finanzierung. Der Kostendruck ist ungebrochen hoch und geht zulasten von Patient:innen und Mitarbeitenden. Politisch verantwortlich für die Vergütung sind zunächst einmal die Krankenkassen und der sogenannte Gemeinsame Bundesausschuss (GBA), die die jeweiligen Budgets auf Basis der verfügbaren Mittel miteinander aushandeln.
Daher sieht Medawar diese Akteure am Zug, akut etwas zu verändern. Ihr Vorschlag: »In einer idealen Welt stünde für das Krankenhausessen ein eigenes Budget zur Verfügung, da es sowohl therapeutisch als auch präventiv wirken kann. In einigen Häusern wie dem Uniklinikum Essen wird schon heute Ernährungstherapie durchgeführt. Demensprechend zählen die Ausgaben für das Essen zu den Therapieausgaben.« Essen als Therapie – eine Perspektive, die große Chancen bietet.
Diese Chance lässt das für den gesetzlichen Rahmen zuständige Gesundheitsministerium bisher jedoch sehenden Auges liegen.
Beim grünen Minister [für Ernährung und Landwirtschaft] Cem Özdemir stießen sie damit auf offene Ohren – das Bundesgesundheitsministerium (BMG) unter SPD-Minister Karl Lauterbach jedoch führte über Monate hinweg eine Abwehrschlacht gegen jede Form der politischen Einflussnahme. Bis das Bundeskabinett die Ernährungsstrategie in diesem Januar verabschiedete, räumte es nahezu jede von Özdemirs Ideen ab.
Übrig blieben am Ende sogenannte Qualitätsverträge, die Krankenhäuser und Krankenkassen abschließen können – auf freiwilliger Basis. Die Partnerkrankenhäuser müssen Mangelernährung bei Patient:innen screenen, behandeln sowie dokumentieren,
Von verpflichtenden Vorgaben und Standards für Ernährungsteams und Screenings der Verpflegung keine Spur. So ist wohl zunächst vor allem ein Umdenken in den Köpfen der Verantwortlichen dringend nötig: Gutes Essen ist kein Luxus, sondern ein elementarer Baustein für Gesundheit und Genesung.
So bleibt Patient:innen aktuell nur eine Alternative: Über das neue Internetportal nutrizert können sie sich selbst über Kliniken informieren, die sich an die Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) und der Deutschen Akademie für Ernährungsmedizin (DAEM) halten.
Titelbild: Healthy Hospital Food (HHF) | Luzerner Kantonsspital - copyright