Buh! Warum gruseln sich einige Menschen so gern?
Die dunkle Jahreszeit beginnt mit Halloween. Wenn du dich auch wunderst, warum Menschen plötzlich schaurige Dinge gut finden, ist dieser Text etwas für dich. (5 ganz persönliche Gruseltipps inklusive!)
4 Kinder schleichen nach Einbruch der Dunkelheit auf ein Haus zu. Vor der Haustür brennt eine einzelne Kerze und taucht die Fassade in bizarre Schatten. Die einzige Taschenlampe in der kleinen Gruppe fest umklammert, erklimmen sie langsam die Stufen des Vorgartens. Das funzelige Licht fällt auf dicke Spinnweben an den Dachbalken und – sind da Knochen im Garten? Hinter der Glastür lauert bereits der Schatten eines Mannes, der nur auf den richtigen Moment wartet. Kurz bevor es die Kinder ans Haus geschafft haben, reißt er die Tür auf, streckt die Arme aus und fletscht die schwarzen Zähne. Die Kinder schreien vor Angst. Eines springt hinter einen Busch, ein anderes lässt die Taschenlampe fallen. Dann lachen sie laut und sind begeistert. »Süßes oder Saures!«, rufen sie im Chor. Auch der Hausbewohner stimmt mit ein.
Hexen, Skelette, Fratzen in Kürbissen, Spinnweben und Zombies – in ein paar Tagen ist Halloween, das gruseligste aller Jahresfeste. Gruselliebhaber:innen schmücken ihre Fenster, Haustüren und Vorgärten, um kleine verkleidete Gespenster anzulocken. Im Fernsehen laufen Horrorklassiker und in den Supermarktregalen liegen Augäpfel und abgeschnittene Finger aus Gelatine als Süßigkeiten.
Was soll das alles?
Bis vor ein paar Jahren konnte mir das alles gestohlen bleiben. Noch ein kapitalistisches Jahresfest aus den USA, das die Regale füllt und irgendwie fremd und aufgesetzt wirkt. Die Welt ist schon gruselig genug, warum sollen wir uns dann auch noch zusätzlich vor eingebildeten Gefahren und Monstern ängstigen?
Doch genau darum geht es.
Seit ich die Psychologie dahinter verstehe, warte ich mit Begeisterung auf Halloween, um zu erschrecken und erschrocken zu werden. Stephen King und eine Studie während der Coronapandemie haben mich letztlich überzeugt – doch dazu gleich mehr. Denn im Gruseln liegt eine konstruktive Kraft: Vielleicht wird vieles leichter, wenn wir uns ab und zu nur gruseln.
Was mit dir passiert, wenn du dich fürchtest
Sich zu fürchten, ist zutiefst menschlich und eine Reaktion auf eine konkrete oder vorausgeahnte Bedrohung. Wenn unsere Vorfahr:innen in einer dunklen Nacht auf ein wildes Tier trafen, dann war Furcht angebracht. Schließlich konnte man nicht wissen, ob das Tier eine Bedrohung ist oder nicht. Die nächsten Sekunden könnten überlebenswichtig sein. Die Emotion Furcht versetzt uns blitzschnell in einen aufmerksamen Zustand – und löst eine ganze Reihe von Effekten im Körper aus.
Die Amygdala in der Mitte des Gehirns alarmiert das Nervensystem. Der Körper schüttet Stresshormone wie Cortisol und Adrenalin aus, um die Aufmerksamkeit zu schärfen und Kräfte zu aktivieren. Der Blutdruck und die Herzfrequenz steigen, der Atem wird schneller; das bringt den Körper in Spannung für jede mögliche Folge. Schweiß bricht aus, als Schutz davor, uns zu überhitzen. Alles bereitet sich auf den sogenannten »Kampf oder Flucht«-Modus (»Fight or Flight«) vor. Sogar der Blutfluss verändert sich – das Blut fließt von unserem Herzen weg und in die Glieder, was schnelle Bewegungen begünstigt.
Genau hier unterscheidet sich Furcht von Angst und anderen Effekten, die leider oft vermischt werden. Bevor wir zum Gruseln kommen, müssen wir erst mal erklären, was nicht zum fröhlichen Fürchten ist.
- Angst: Anders als Furcht ist Angst ein Grundgefühl und nicht unbedingt auf einen gegenwärtigen Impuls zurückzuführen – auch wenn die körperlichen Reaktionen ähnlich sein können. Wir können Angst vor den Folgen des Klimawandels haben oder vor dem Versagen in einer Prüfungssituation. Angst spielt sich also eher in unserer Vorstellung ab. Furcht kann als »Realangst« bezeichnet werden, Angst als übergeordnetes Gefühl.
- Ekel: Dies ist eine völlig andere Reaktion als Angst und dient vor allem dazu, Krankheiten zu vermeiden. Bei diesem Gefühl werden etwa Würgereflex und Schweiß aktiviert. Oft wird dies durch Gegenstände ausgelöst, die auch Furcht auslösen können – etwa Blut, Körperteile, Gewalt. Dies wird auf Theaterbühnen und in Horrorfilmen eingesetzt, um zu schockieren und gesellschaftliche Tabus herauszufordern.
- Panik: Dies ist eine extreme Stressreaktion des Körpers, wenn eine konkrete Bedrohung voraussichtlich nicht abgewendet werden kann. Hier wird – bei manchen Menschen eher als bei anderen – ein nicht rationales Verhalten gestartet, das unter anderem zu Schreien, Weinen und kopflosen Fluchtversuchen führt. Die Psychologie versteht dies als soziales Verhalten, andere auf Gefahren aufmerksam zu machen. In einer Menge kann Panik »ansteckend« wirken und im schlimmsten Fall zu einer Massenpanik führen. Das in den Medien gern verwandte Wort Panik (»Grüne im Panik-Modus«, »USA in Vorwahl-Panik«) hat damit übrigens wenig zu tun und wird einfach falsch gebraucht.
- Phobien: Besser wäre der Oberbegriff »Angststörungen«. Sie sind eine Gruppe der psychischen Störungen, die bei Betroffenen Leidensdruck verursachen. Sie umfassen unter anderem »Angst vor Dingen« (Blut, Spritzen, Fahrstühle), »vor Lebewesen« (Spinnen, Käfer) oder »vor Situationen« (Gewitter, Höhen, Menschenmengen). Daneben gibt es unspezifische Angststörungen, die mit einer Depression einhergehen können.
Während sich Furcht schnell auflösen kann, etwa beim Lachen der Kinder nach dem Halloweenschreck, kann Angst länger bleiben und unsere Gedanken bestimmen. Panik kann zu lebensgefährlichen Situationen führen und Angststörungen lassen Menschen leiden. Wenn wir also über die menschliche Lust am Gruseln reden, dann vor allem über Furcht und ein wenig Angst und Ekel – das ist die richtige Mischung, die wir unter »Grusel« verstehen.
Deshalb gruseln wir uns gern
Der Halloween-Effekt ist eine Situation, die ich nicht einordnen kann. Die Ambivalenz angstauslösender Eindrücke bei gleichzeitig bekannter Sicherheit ist genau das, was sich beim Gruseln bemerkbar macht.
Weniger wissenschaftlich formuliert bedeutet das, dass wir insgeheim wissen: Wir sind sicher, auch wenn es anders scheint. Erschrecken wir uns, gibt das Gehirn nach dem Alarm der Amygdala (auf Basis der Erfahrungswerte)
Was noch eine Weile bleibt, ist die Aufgeregtheit und Erleichterung. Denn der Botenstoff-Cocktail in unserem Körper versetzt uns in ein erregtes »Hochgefühl«, so Eickhoff – ein Nervenkitzel ähnlich einer Achterbahnfahrt.
Beim Gruseln passiert dies gleichzeitig. Statt eines überraschenden Moments des Erschreckens genießen wir das Gefühl von Angst und Anspannung, obwohl wir genau wissen, dass wir sicher sind. Erschrecken ist also plötzlicher und mit größerer Erleichterung, Gruseln subtiler und schwieriger herzustellen. Wir brauchen gleichzeitig Reize für Angst und Sicherheit. Deshalb gruseln wir uns besonders gern daheim auf der Couch oder in einem bequemen Kinosessel.
Und noch etwas kann beim Gruseln dazukommen, was zutiefst menschlich ist: die Lust am Makaberen. Während wir hierzulande in einer relativ sicheren Umgebung leben – Ordnung, Gesetze, volle Kühlschränke, soziales Netz –, verdrängen wir gern die düsteren und grausamen Aspekte des Lebens: plötzliche Schicksalsschläge, menschliche Grausamkeiten, die Übermacht der Natur oder den eigenen unausweichlichen Tod.
Seit jeher rufen uns Kulturschaffende diese in Erinnerung, von dem antiken Philosophen Apuleius über Edgar Allen Poe und E.T.A. Hoffmann bis zu Stephen King. Und allein die breite Rezeption ihrer Werke zeigt, dass das Menschen fasziniert. Nicht umsonst ist Stephen King, mit seinen vielverfilmten Horror-Romanen von »Es« oder »Shining«, einer der meistgelesenen und kommerziell erfolgreichsten Autoren der Gegenwart. King hat sogar ein eigenes theoretisches Werk über Horror und Gruseln verfasst: »Danse Macabre – Die Welt des Horrors«.
Horror funktioniert auf symbolischer Ebene und greift auf fiktionale (und gelegentlich übernatürliche) Ereignisse zurück, um uns beim Verstehen unserer eigenen tiefen echten Ängste zu helfen.
Wir setzen uns dem Gruseligen auch aus, um mehr über uns selbst zu lernen und überhaupt mit unseren Ängsten klarzukommen.
Und was auch immer den Menschen hilft, mehr Resilienz gegen Krisen und Katastrophen aufzubauen, kann doch eigentlich nur gut sein. Dazu kann uns das Verständnis unserer eigenen Angst vielleicht dabei helfen, diejenigen besser zu durchschauen, die mit Angst Politik machen.
Du willst dich jetzt gut gruseln? Bitte sehr!
Halloween ist ein guter Anlass, sich zu gruseln und mit der Furcht zu spielen. Nur so erklärt sich die wachsende Popularität des Festes abseits von »Süßes oder Saures« für Kinder und dem Marketing der passenden Süßigkeiten. Wenn du jetzt Lust auf Gruseliges bekommen hast und dich schon einmal in Stimmung bringen willst, habe ich hier einige ganz persönliche Geheimtipps, die mich dieses Jahr das Gruseln lehrten – ohne zu viel zu verraten:
- Horror in Buchform: We Used to Live Here. Der Debütroman vom kanadischen Autor Marcus Kliewer begann als preisgekrönte Episodengeschichte im Internetforum Reddit. Seit Juni 2024 ist sie als Buch erhältlich. Erzählt wird von einem jungen, queeren Paar, Charlie und Eve, die mit einer anderen Familie das Haus tauschen. Was sie bekommen, ist ein echtes Gruselhaus, dessen früherer Bewohner plötzlich mitsamt Familie und dem titelgebenden Satz vor der Tür steht (»Wir haben hier mal gewohnt.«). Dann geht es los mit den seltsamen Ereignissen, die das Haus immer furchtbarer erscheinen lassen. Zu allem Überfluss wollen die Besucher:innen scheinbar gar nicht mehr gehen. Am Ende bleibt genug Interpretationsspielraum, um über die Geschichte zu diskutieren, wie es viele Leser:innen im Netz tun. Netflix hat sich bereits die Filmrechte gesichert.
- Horror in digital und interaktiv: No, I’m not a human. Allein der Ausgangspunkt dieses digitalen Indie-Spiels ist schon zum Gruseln: Die Sonne verdunkelt sich und Menschen verkriechen sich in ihren Häusern. An deine Tür klopfen andere, die dringend Einlass und Zuflucht wollen – ein Mann im Anzug, eine trauernde Witwe, ein kleines Mädchen. Doch nicht alle von ihnen sind menschlich. Du musst sie befragen und schnell herausfinden, wem du helfen und wen du lieber ausschalten solltest. Sonst ermorden die »Besucher:innen« die echten Menschen und du trägst die Schuld.
- Klaustrophobie zum Spielen: Iron Lung. Weil sich interaktive Medien besonders gut fürs Gruseln eignen, gibt es hier noch einen zweiten Tipp, der mittlerweile unter Horrorfans berühmt ist. Autor David Szymanski wirft dich ans Steuer eines U-Boots auf einem bizarren Mond. Alles spielt nur im klaustrophobisch kleinen Cockpit mit seinen Armaturen und Anzeigen für Luft und Druck.
- Verstörend, grauenhaft: Uzumaki. Nur die eingefleischtesten Horrorfans werden schon von Junji Ito gehört haben.
- Echter Horror zum Hören: Let’s never meet. Die Welt der Podcasts ist voller fader Grusel-Geschichten. Doch ein Podcast sticht heraus: Der Audiodesigner
Ein schaurig-fröhliches Halloween!
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily