Hier wird der blinde Fleck der Energiewende sichtbar
Lithium direkt in Europa abzubauen, soll neue Arbeitsplätze schaffen und weniger abhängig von Importen machen. Doch die geplanten Minen führen auch zu Unmut in der Bevölkerung – wie aktuell in Frankreich. Öffentliche Diskussionen sollen die Wogen glätten. Ob das gelingt?
Emili soll im Jahr 2028 geboren werden, in Échassières, einem Ort im Herzen Frankreichs,
Doch je größer sie wird, desto gefährlicher könnte es für ihre Nachbarschaft werden. Diese fürchtet vieles an ihr: ihren Durst sowie den Lärm und den Schmutz, den sie verursachen wird … Emili ist nach 50 Jahren die erste ihrer Art, die das Licht der Welt erblicken wird.
Richtig, Emili ist kein Mensch, sondern der Name eines Bergbauprojektes und steht für Exploitation de Mica Lithinifère par Imerys – auf Deutsch: Abbau von lithiumhaltigem Glimmer durch Imerys. Imerys ist die Firma, die die zukünftig größte Mine unseres Nachbarlandes betreiben wird. Sie soll bis zu 34.000 Tonnen Lithium pro Jahr auf den Markt bringen –
Am 7. Juli hat die französische Regierung dieses Bergbauprojekt als »Projekt von großem nationalen Interesse« eingestuft. Ein Vorgehen, das die Bedeutung der Lagerstätte nicht nur symbolisch unterstreicht, sondern das Projekt wesentlich beschleunigen soll, indem administrative Hindernisse aus dem Weg geräumt werden.
Dies geschieht unter Einbeziehung der Bevölkerung vor Ort, die von Unternehmen und Politik Transparenz in 3 Schlüsselfragen einfordert: Welche Risiken und Vorteile gibt es für das Gebiet? Welche Bedeutung hat die Mine für die französische und europäische Energiewende? Und ist es möglich, Lithium umwelt- und klimafreundlich abzubauen?
Kein Erdöl, sondern Lithium
Imerys ist weltweit führender Hersteller von Industriemineralien. Die Firma betreibt seit 2005 den
Am 28. Oktober 2022 stellte Alessandro Dazza, Geschäftsführer von Imerys, das Projekt Emili erstmals der lokalen Politik vor: der Präfektin und dem Vorsitzenden des Départements Allier sowie Beamten des Umweltministeriums und Bürgermeister:innen aus der Region.
Dazza verwies auf die letzte Bohrung aus dem Jahr 1980, die vom Büro für Geologie- und Bergbauforschung (BRGM) durchgeführt wurde und deren Ergebnisse einen besonders hohen Anteil an Lithiumoxid in den Bodenproben zeigen: 0,9%. Der durchschnittliche Lithiumgehalt in anderen europäischen Lagerstätten liegt nach Unternehmensangaben bei knapp 0,6%.
Landesweit ist die Begeisterung groß. »Wir haben kein Erdöl in Frankreich, aber wir haben Lithium«,
Aus »klimafreundlich« wird »verantwortungsvoll«
Die zukünftige Lithiumgewinnungsanlage soll aus 3 Teilen bestehen:
- Erstens: eine unterirdische Mine, direkt unterhalb der aktuellen Kaolin-Lagerstätte. Die Mine wird bis zu 400 Meter tief sein – tief genug, dass sie problemlos den Eiffelturm fassen würde. Darin brechen, zerkleinern und trennen Maschinen die Mineralien.
- Zweitens: eine Ladeplattform für das extrahierte Gestein. Diese soll etwa 15 Kilometer entfernt und durch unterirdische Röhren mit der Lagerstätte verbunden sein, um visuelle Verschmutzung und Luftverschmutzung zu vermeiden.
- Und schließlich eine Umwandlungsanlage 50 Kilometer westlich, in Montluçon, einem ehemaligen Industriestandort. Dort findet die sogenannte Kalzinierung und die Kristallisation zu Lithiumhydroxid statt.
»Wir sehen das Industrieprojekt positiv«, erklärt Frédéric Laporte, seit 2017 Bürgermeister der Stadt Montluçon. »Die Umwandlungsanlage wird auf Brachland errichtet, wir zerstören nichts. Außerdem soll der Transport über das Schienennetz erfolgen. Die Straßen hier, die in Serpentinen durch Wälder auf einem Hügel verlaufen, sind überhaupt nicht geeignet für große Lkw.«
Keine Tagebaugrube, dafür aber Schienennetzverkehr und Elektrobaumaschinen. Das sind nur einige der Maßnahmen, die Imerys hervorhebt, um die Akzeptanz der Bevölkerung zu gewinnen.
Doch das Unternehmen ist sich bewusst: Eine »klimafreundliche Mine«, als welche sie der ehemalige Wirtschaftsminister bezeichnet hat, kann es nicht geben. Stattdessen bevorzugt Imerys den Begriff »verantwortungsvolle Mine« und verspricht, sich der
IRMA bewertet Bergbaustandorte nach Kriterien wie den Rechten der betroffenen Bevölkerung, der Bereitstellung sicherer Arbeitsplätze, der Minimierung von Gesundheits- und Umweltschäden sowie dem Hinterlassen eines positiven Erbes.
»Das ist das Mindeste«, hofft Arnaud Debrade, Bürgermeister der Gemeinde Louroux-de-Bouble, der weder für noch gegen das Projekt ist, aber wenig Vertrauen in die Argumente des Unternehmens hat. »Es gibt einerseits den Diskurs, und dann gibt es die Taten.«
Raumplanung gemeinsam gestalten?
Die Nationale Kommission für die öffentliche Debatte (CNDP) organisierte von März bis Juli 2024 in verschiedenen Dörfern des Départements Allier Diskussionen über die Minenplanung. Die Kommunen stellten dafür ihre Festhallen zur Verfügung. Trotzdem mussten einige Menschen stehen, weil so viele zu den Diskussionen kamen.
Es war Michel Barnier, der aktuelle Premierminister Frankreichs, der die CNDP vor 30 Jahren einführte. Dabei handelt es sich um ein verbindliches und unabhängiges Instrument, das bei großen Mobilitätsprojekten oder neuen Industriestandorten zum Einsatz kommt, wenn die Investitionen über 600 Millionen Euro betragen. Im Fall von Échassières rechnet Imerys mit einer Investition von rund einer Milliarde Euro, weshalb das Unternehmen nach Partnerinvestoren sucht.
Am 30. September veröffentlichte die Kommission ihren Abschlussbericht. Insgesamt mehr als 3.600 Personen aus der Umgebung haben an den 13 angebotenen Versammlungen teilgenommen.
Für Mathias Bourrissoux von der CNDP, der die Debatte 4 Monate lang geleitet hat, ein Erfolg:
Es ist uns wichtig, dass der Austausch nicht in kleinen, oft vertraulichen Kreisen stattfindet. Wir sorgen für Transparenz, damit alle Personen, die sich für das Thema interessieren, umfassend informiert werden. So erkennen wir auch, wo die Kontroversen liegen: Wie hoch ist unser tatsächlicher Bedarf an Lithium? Der Untergrund ist öffentliches Eigentum – wie wird sichergestellt, dass es Schutzmechanismen gegenüber privaten Unternehmen gibt?
Umweltschutzorganisationen begrüßen diese Methode der Teilhabe, auch wenn sie gewisse Schwachstellen erkennen. Ysaline Jean-Jacques von France Nature Environnement – einem Verband von Natur- und Umweltschutzorganisationen, der sich nicht sofort gegen das Projekt gestellt hat – bedauert zum Beispiel, dass der Projektträger eine Reihe von Fragen nicht beantworten konnte; insbesondere bezüglich des Umweltschutzes, anfallenden Bergbauabfällen und der Auswirkungen auf Biodiversität sowie Wasserqualität. »Es herrscht viel Frustration und Unzufriedenheit. Die Teilnehmer sind nicht unbedingt zufrieden mit diesem Prozess, denn: Ja, man darf seine Meinung äußern, aber wird man dann auch gehört?«
Die Gefahr für Wasser und Boden
Teile der betroffenen Bevölkerung und einige Kommunalpolitiker wie Bürgermeister Arnaud Debrade zielten mit ihren Fragen auf einen Bericht von Geoderis ab, einem öffentlichen Expertenbüro, das sich auf Folgen des Bergbaus spezialisiert hat. Bei seiner Veröffentlichung im Jahr 2018 blieb er relativ unbeachtet.
Doch kurz vor Beginn der Debatte um Emili im November 2023
Das Unternehmen kennt zwar die Gefahr, verweist jedoch auf mangelnde Umweltstudien und
Die Sprecher von Imerys erklärten uns, dass der Granitblock monolithisch und wasserdicht sei. Doch wir wissen, dass es in einigen Bereichen Wasser gibt und dass es auch Stellen gibt, an denen die Qualität des Granitblocks beeinträchtigt ist.
Nicht nur die Verschmutzung des Bodens und des Grundwassers beunruhigt die Bevölkerung. Der Wasserverbrauch der Mine und der Umwandlungsanlage soll zwar zu 90% in einem geschlossenen Kreislauf erfolgen. Doch die restlichen 1,2 Millionen Kubikmeter pro Jahr sollen aus der Sioule, dem nächstgelegenen Fluss, entnommen werden.
Welche Folgen hat dies für den Wasserfluss in Trockenzeiten und damit für die Artenvielfalt des Flusses?
Legitime Fragen, die jedoch im Vergleich zu den wirtschaftlichen Versprechungen des Projektes zweitrangig erscheinen. Niemand möchte weniger öffentliche Dienstleistungen, Arbeitsplätze und Einzelhandel. »Wirtschaftliche Interessen haben Vorrang vor ökologischen«, betonte Patrick, ein Rentner, unter vereinzeltem Beifall des Publikums bei der letzten Debatte am 18. Juli.
In my backyard
Patricks Generation hat die goldene Ära des Bergbaus vor 60 Jahren miterlebt und steht dem neuen Projekt wohl auch deshalb positiv gegenüber. Violeta Ramirez, Anthropologin, hat im Rahmen einer Studie des
Ein Jahr lang führte sie über 40 Interviews. Sie hinterfragte insbesondere die starke Bergwerksidentität der Gegend. Échassières war schon in den 1960er-Jahren ein Gewinnungsort für Wolfram.
Die älteren Einwohner erinnern sich an diese Zeit als eine Periode, in der das Dorf dynamisch und wohlhabend war. Es gab mehr Schulklassen, Lebensmittelgeschäfte, Restaurants – heute gibt es nur noch je eines davon. Und die Bevölkerung lag bei 800 Personen, fast doppelt so viel wie heute.
Mit dem Projekt Emili verspricht das Unternehmen zwischen 500 und 600 direkte Arbeitsplätze und fast 1.000 in den damit verbundenen Sektoren.
Die Energiewende bietet eine enorme Chance, die Region wiederzubeleben oder zumindest das sozioökonomische System zu erhalten. »Es ist einfach: Wenn wir eine nachhaltige Entwicklung betreiben wollen, weil wir uns in Europa für den Elektroantrieb entschieden haben, und wenn wir den Kontinent erneut industrialisieren wollen, müssen wir Entscheidungen treffen. Wir befinden uns hier einfach im Herzen des Geschehens«, meint Fréderic Laporte, Bürgermeister von Montluçon.
Diese Ansicht teilt aber nicht die gesamte Bevölkerung. Seit der Coronapandemie sind jüngere Familien in die Region gezogen, um dem städtischen Chaos zu entfliehen: »Sie kommen hierher und 2 Jahre später erfahren sie, dass direkt nebenan eine riesige Mine gebaut werden soll«, sagt Arnaud Debrade.
Das Streben nach lokalen Arbeitsplätzen bringt auch die negativen Begleiterscheinungen des Bergbaus mit sich, die heutzutage normalerweise ins Ausland verlagert werden. Doch überraschenderweise sind sowohl Imerys als auch der Staat und die Kommunen bereit, dies in Kauf zu nehmen. Schließlich ist es umweltfreundlicher, so die Argumentation, Rohstoffe unter den höchsten sozialen und normativen Standards zu gewinnen, statt die Verschmutzung ins Ausland auszulagern, um die Rohstoffe von dort aus wieder einzuführen.
Der blinde Fleck der Energiewende
Dieser Punkt ist besonders heikel in der Debatte über die Wiederaufnahme des Bergbaus in Frankreich – und generell in Europa. Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) wird die
Die Europäische Kommission will durch den 2023 angekündigten
Konkret bedeutet das:
- Höchstens 65% des jährlichen Verbrauchs an strategischen Rohstoffen sollen aus einem einzigen Drittland importiert werden.
- 25% des jährlichen Verbrauchs sollen durch Recycling in der EU gedeckt werden.
- Mindestens 10% des jährlichen Verbrauchs und 40% der Verarbeitung der EU sollen aus EU-interner Gewinnung stammen.
Das kann Emili nicht allein leisten. Dafür braucht es weitere Minen, die vielerorts auch bereits in Planung sind, wie in
Dass solche Zielvorgaben enorme politische Sprengkraft haben können, zeigte sich in Serbien. Dort stieß der
Für Ysaline Jean-Jacques von France Nature Environnement ist die Notwendigkeit kritischer Rohstoffe der blinde Fleck der Energiewende:
Wir sind nicht grundsätzlich gegen die Eröffnung von Minen. Tatsächlich müssen wir die heuchlerische Haltung aufgeben, dass wir einerseits die ökologische Wende und nachhaltige Mobilität wollen, aber andererseits keine Minen vor Ort.
Sie und andere Umweltorganisationen bedauern daher, dass die Debatte nicht die grundlegende Frage einschließt, wofür das Lithium tatsächlich verwandt werden soll. Selbst wenn Frankreich die Lithiummine Emili eröffnet, bedeutet das nicht, dass weniger Lithium aus dem Ausland bezogen wird und anderswo Minen geschlossen werden: »Es wird überhaupt nicht darüber gesprochen, wie wir künftig auch Energie einsparen können«, schließt Ysaline Jean-Jacques.
Obwohl die Mine erst in 4 Jahren in Betrieb genommen werden soll, startet bereits 2025 ein Pilotprojekt – eine industrielle Anlage im Miniaturformat, die jährlich 200 Tonnen Lithium produzieren soll. Dann kann Imerys zeigen, ob sie die Bedenken der Anwohner:innen in Taten umgesetzt haben, während bis Ende 2026 die Machbarkeitsanalysen durchgeführt werden.
Die öffentliche Debatte hat geholfen, die Schwächen des Projektes aufzudecken, die sonst angesichts der Versprechen, die der Abbau dieses »weißen Goldes« für das Gebiet mit sich bringt, unbemerkt geblieben wären. Doch bei Emili geht es schließlich um weit mehr, wie Mathias Bourrissoux vom CNDP betont: »Bürger haben das Bedürfnis, globale und gesellschaftliche Herausforderungen immer wieder zu diskutieren. Diese sind letztlich nicht mit einem bestimmten Projekt verbunden, sondern grundsätzlich mit der Energiewende.«
Redaktionelle Bearbeitung: Maria Stich
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