Stusstistik: Macht uns die telefonische Krankschreibung zu Blaumachern?
»Die Republik ächzt unter historisch hohen Krankenständen«, verkünden Medien, Arbeitgeber und Politiker:innen. Der angebliche Grund: Es sei einfach viel zu einfach, sich krankschreiben zu lassen. »Stuss! «, sagen wir. In unserem neuen Format gehen wir den Zahlen auf den Grund.
»Keiner hat mehr Bock auf Arbeit!« ist eine pauschale Anschuldigung, die sowohl an den Stammtischen der Republik als auch von Arbeitgeberverbänden zuletzt immer wieder vorgetragen wird.
Die Story dazu geht so: Viele Menschen hierzulande sind bequem geworden, machen sich einen »schlanken Fuß« und »feiern« regelmäßig krank. Ihre Faulheit geht zulasten der wenigen echten Leistungsträger,
Als Beleg für diese vermeintliche Drückeberger-Mentalität wird häufig die zuletzt vielzitierte gestiegene Zahl von Krankentagen angeführt. Die dazugehörige Statistik sieht so aus:
Die Ursache für die vermeintliche Lust am Blaumachen ist schnell gefunden: die telefonische Krankschreibung. Eine Maßnahme, die erstmals zu Hochzeiten der Pandemie eingeführt und mehrmals verlängert wurde, bis sie Gesundheitsminister Lauterbach (SPD) im Dezember 2023 dauerhaft eingeführt hat. Ziel ist es, sowohl Erkrankte vor anderen infektiösen Patient:innen in vollen Wartezimmern zu schützen als auch die Arztpraxen zu entlasten, die unter hohem Andrang und bürokratischem Aufwand ächzen.
Hinter der hitzig geführten Debatte steckt eine wenig subtile Message: Es gilt, den Gürtel enger zu schnallen, Überstunden zu schieben (im Zweifel auch mal krank) und bloß keine Forderungen zu stellen. Frei nach dem Motto: »Wir steigern das Bruttosozialprodukt!«
Dass die gesamte Diskussion um die gestiegenen Krankheitstage auf tönernen Füßen steht und vor allem dazu dient, Stimmung zu machen,
Wäre sie [die tel. Krankschreibung] die treibende Kraft gewesen, würde man einen Anstieg der Fehltage seit 2020 erwarten, kombiniert mit einem Rückgang der Fehlzeiten im Jahr 2023 aufgrund des zeitweisen Auslaufens der Regelung.
Im Gegensatz zum gängigen Narrativ sei »der Hauptteil« des Anstiegs darauf zurückzuführen, dass Deutschland einen weiteren Schritt getan habe, um das digitale Neuland hinter sich zu lassen. Zum 1. Januar 2022 sei nämlich die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (ein sehr deutsches Wort, daher kurz eAU) eingeführt worden, die die Datenerfassung deutlich verbessert habe.
Kurz und gut: »Wir« sind nicht plötzlich zu Drückebergern mutiert, wie es Arbeitgebende und marktliberal-konservative Kräfte so gern behaupten. Es hat sich lediglich die Dunkelziffer von Erkrankten verkleinert, deren gelbe Scheine aus Papier es schlicht nicht bis zu den Krankenkassen geschafft haben. Faul durch telefonische Krankschreibung? Wohl eher nicht.
Und jetzt Schluss mit diesem Stuss – wir haben noch zu arbeiten.
Etwa an den wirklich wichtigen Themen. Denn die Nebelkerze rund um die telefonische Krankschreibung lenkt nur unnötig von den tatsächlichen Problemen ab, die es eigentlich zu diskutieren gilt. Etwa von dem Thema der psychischen Erkrankungen,
Da ist es natürlich einfacher, auf vermeintliche Arbeitsverweigernde zu schimpfen, als in diesen Bereich nachhaltig etwas zu verbessern. Wir bei Perspective Daily machen es anders und konzentrieren uns auf Ursachenforschung statt auf Symptombekämpfung.
Zum Beispiel hier:
Titelbild: Unsplash/Collage - copyright