Nach diesem Text geht es dir besser – egal was die Woche passiert
Es ist mal wieder so weit: Die Schlagzeilen scheinen sich zu überschlagen. Spürst du auch gerade dieses »Alles ist zu viel«-Gefühl? Dann ist dieser Text genau richtig für dich.
Ein schneller Blick in deutschsprachige Medien vermittelt das Gefühl: Es sieht gerade sehr düster aus – quasi überall auf der Welt.
Dann wären da noch die aktuelle »Krankheitswelle«, »Schulkrise«, »Kitakrise«, »Wirtschaftskrise«, die »Dauerkrise« in der Regierung und natürlich der wachsende Rechtsextremismus.
Macht dir das alles Angst und Sorgen?
Das ist ganz normal. Mich belastet das alles auch.
Aber wir können lernen, besser damit umzugehen.
Alles wirklich so düster? Warum du das Gefühl hast, in einer Dauerkrise zu leben
Ist dir bei den zitierten Überschriften eben etwas aufgefallen? »Rache«, »Hölle«, »Mark und Bein« – sie benutzen alle emotionale Botschaften, um zu dramatisieren. Wenn du bei ihnen etwas in der Magengrube gefühlt hast, hat das auch funktioniert.
Und das ist kein Zufall.
Denn wir leben seit einigen Jahren in einem System der sogenannten »Aufmerksamkeitsökonomie«. Die ist schnell erklärt: Im Internet herrscht eine Flut an Informationen, vor allem auf sozialen Medien, wo sich Nachrichten besonders schnell und weit verbreiten. Um da noch wahrgenommen zu werden, überbieten sich einzelne Nachrichtenschreibende gegenseitig darin, potenzielle Lesende möglichst direkt und emotional anzusprechen. Und die einfachste Möglichkeit, das zu erreichen, ist über negative Emotionen wie Angst und Sorge – aber auch Wut und Neid.
Genau deshalb sorgen Negativität und Dramatik für mehr Klicks – und damit mehr Einnahmen. Schließlich sind alle großen Medien auch über Werbung finanziert und Werbetreibende sind immer an Interaktionen und Reichweite interessiert. Anders gesagt: Je schlimmer Nachrichten sind und klingen, desto mehr Augen sehen wahrscheinlich die
Das ist einer der Gründe, warum wir bei Perspective Daily werbefrei arbeiten
Werden wir über die Massenmedien – am besten auf allen Kanälen – über schreckliche Ereignisse informiert, ist das für uns stressiger, als den Geschehnissen selbst beizuwohnen.
Das verzerrt unsere Wahrnehmung. Im schlimmsten Fall verfallen wir dem, was »Doomscrolling« genannt wird: das exzessive Wahrnehmen negativer Nachrichten und Botschaften im Netz. Und das kann sogar gesundheitsschädliche psychophysiologische Folgen haben – von Konzentrationsabfall über Dauerstress bis zu Schlaflosigkeit.
Sich das klarzumachen, ist laut Maren Urner ein Teil der Lösung. Dazu hilft es einerseits, sich in Erinnerung zu rufen, dass Nachrichten nur einen Ausschnitt der Welt zeigen und dass es abseits davon noch mehr gibt – zum Beispiel positive Trends und Menschen, die für Lösungen kämpfen.
Ein anderer Ansatz ist das, was viele Menschen zu wenig betreiben: Medienhygiene. Anstatt auf dramatische Überschriften zu klicken und die Verursachenden damit auch noch zu belohnen, sollten wir viel genauer auswählen, was wir im Netz konsumieren. Das gilt auch für das, was Maren Urner »digitalen Müll« nennt: Inhalte ohne Wert für dein Leben – auch sie solltest du nicht in dein Gehirn lassen. Dazu musst du nur deine Onlinegewohnheiten ändern. Hier eine Anleitung:
Mehr über Medienhygiene und was Nachrichten mit unseren Gedanken machen?
Jetzt magst du erwidern: »Aber es liegt ja nicht nur an den Nachrichten und dramatischen Überschriften! Es sieht doch wirklich nicht gut aus!«
Und ja, es stimmt ein Stück weit. Auch wenn wir Dramatisierung und Negativitäts-Bias rausrechnen, bleibt die Erkenntnis: »Es ist gerade einfach viel«. Auch mir und vielen Kolleg:innen im Journalismus machen viele Entwicklungen Sorgen. Kriege, Krisen und Katastrophen sind etwas, wovor wir die Augen nicht verschließen sollten. Interesse an der Welt, Empathie für Betroffene und Mitleid sind ja positive Eigenschaften.
Das darf uns aber nicht überfordern oder schaden.
So kann das gelingen.
Die Beschaffenheit deiner Gedanken
Zuerst einmal: Krisen, Kriege und Katastrophen sind nichts Neues. Das mag erst mal wenig tröstlich sein, doch auch früher in der Geschichte gab es sie – und natürlich Untergangspropheten. Trotzdem wurde vieles besser: politische Teilhabe, Emanzipation, flächendeckende Gesundheitsversorgung, bezahlte Elternzeit, Psychotherapien, Impfungen, Antibiotika und vieles mehr – selbst wenn manches davon nicht perfekt ist, sind dies Zeichen dafür, dass es historisch gesehen trotz schwieriger Phasen insgesamt bisher bergauf ging.
Einer, der eine solche Phase erlebt hat und von all unseren modernen Errungenschaften nicht zu träumen wagte, war der römische Kaiser Marc Aurel. Er erlebte Naturkatastrophen, eine Pest und zahlreiche Kriege.
Um nicht daran zu zerbrechen, wandte er sich an eine Lehre, die Jahrhunderte vorher vom zyprischen Kaufmann Zenon von Kition begründet wurde, den Stoizismus. Die antike Achtsamkeitslehre bedeutet im Kern Folgendes: Ein einzelner Mensch kann nicht verhindern, was in der Welt passiert – er kann nur die Haltung dazu beeinflussen. Oder wie es Marc Aurel in seinen Selbstbetrachtungen sinngemäß ausführte:
Genau dagegen empfehlen die Stoiker die »Gelassenheit«, also die Übung, die eigenen negativen Gefühle zu erforschen und den Ereignissen der Welt gleichmütiger gegenüberzutreten. Und das kann man üben.
Interesse am Stoizismus? Hier geht es lang
Auch heute noch kann diese antike Achtsamkeitslehre helfen. Sie macht uns resistenter gegen Versuche, unsere negativen Emotionen zu wecken und zu verstärken (von Angst vor Fremdem, Wut und Neid bis Frustration) und letztlich damit zu manipulieren. Skrupellose Nachrichten wie die Bild-Zeitung und der politische Extremismus, vor allem von rechts, sind Meister auf dieser »Krise-Angst-Klaviatur«.
»Das kann vielleicht dem Einzelnen helfen, aber doch nicht unserer Gesellschaft! Wir gehen doch baden, wenn wir alle nur für uns gleichmütig sind!«, magst du jetzt erwidern.
Und es stimmt. Stoizismus hilft erst mal dabei, sich nicht von negativen Ereignissen und Gefühlen überwältigen zu lassen. Denn dann haben diejenigen gewonnen, die von Krisen profitieren. Auch Marina Weisband, jüdische Publizistin und Autorin von »Was uns durch die Krise trägt«, Diplom-Psychologin und Beteiligungspädagogin, glaubt, dass dies immer der erste Schritt sein muss:
Es geht vor allem darum, sich nicht frustrieren und in eine Ohnmacht treiben zu lassen. Wenn wir alle Menschen sind, die nur mit Krisen hadern und daran scheitern, dann sind wir keine freundliche oder gute Gesellschaft. Wir können viel mehr erreichen, wenn es uns selbst psychisch gut geht.
Es ist wie im Flugzeug, wenn die Masken herunterfallen: Erst müssen wir uns selbst helfen, dann können wir uns um andere kümmern.
Es liegt nicht an dir – aber du kannst etwas tun
Ist die Negativ-Nachrichtenflut gebremst und eine eigene Ohnmacht abgewandt, können wir darüber reden, was wir selbst tun können.
»Also müssen wir selbst ran!«, magst du jetzt sagen.
Das stimmt – in gewissen Teilen. Wichtig ist aber, dass wir unsere Rolle dabei richtig verstehen. Denn es gibt Menschen, deren Aufgabe es ist, Verantwortung zu tragen, Krisen abzuwenden und uns einen Weg in eine bessere Zukunft zu zeigen – man nennt sie Politiker:innen. Einige davon produzieren jedoch neue Krisen, wie
Aber auch ganz normale Politiker:innen, denen wir abkaufen, an echten Lösungen interessiert zu sein – wie unsere Bundesregierung –, machen derzeit keinen guten Job. Statt die Menschen anzusprechen und ihnen Hoffnung zu machen, gibt es Dauerstreit wie im Kindergarten. Man könnte es auch »Führungsschwäche« nennen.
Dass diejenigen, die gut angeführt werden sollten, also alle Bürger:innen, darunter leiden, dafür kannst du nichts. Genauso wenig wie für die Krisen in unserem Land (und anderswo). Das haben wir uns nicht ausgesucht – auch nicht, wenn wir für eine von den 3 Parteien bei der letzten Wahl gestimmt haben.
Deshalb »müssen« wir auch nicht ran. Im Wort müssen verbirgt sich nämlich ein eigener Fallstrick. Wenn wir selbst ran »müssen«, stehen einfache Bürger:innen plötzlich unter einem Leistungsdruck. Das ist nicht Sinn der Sache.
Oder es kann Wut auf den Nachbarn erzeugen, der nicht mit derselben Kraft mitmacht.
Die nüchterne Wahrheit ist: Niemand kann allein die Welt retten. Und keiner einzelnen Person sollte diese Verantwortung aufgebürdet werden – nicht einmal einzelnen Politiker:innen. Doch unsere Gesellschaft wird stärker, zusammenhaltender und besser, wenn sich Bürger:innen wie du freiwillig dazu entscheiden, etwas zum Positiven zu verändern.
Und zwar am besten so:
- Übernimm mehr Verantwortung für dein Handeln: Nein, es wird die Welt nicht retten, wenn du auf Fleisch verzichtest, mit dem Fahrrad statt mit dem Auto fährst, weniger konsumierst und weniger Müll produzierst. Doch es ist verantwortungsvoll; all diese Dinge sind generell nützlich und liegen zudem in dem Bereich, den du direkt beeinflussen kannst! Das ersetzt nicht die Verantwortung der Politik und systemische Lösungen – doch es ist ein persönlicher Beitrag. Verantwortungsvolles Handeln könnte man mit dem Versuch umschreiben, bewusster und sozialer leben zu wollen und negativen Tendenzen in der Welt etwas persönlich entgegenzusetzen. Und das könne man üben, sagt etwa auch die Philosophin Ina Schmidt. Im Gespräch mit Perspective Daily warnt sie aber auch davor, es zu übertreiben:
- Aktivismus? Gern, aber mit Anpacken: Für eine bessere Welt zu streiten, ist gut – nur nicht ausschließlich online. Sogenannter »Clicktivismus«, also das Unterschreiben von digitalen Petitionen und das Diskutieren mit Unverbesserlichen auf sozialen Medien, bringt eher wenig. Micah White von der »Occupy Wall Street«-Bewegung sagte gar:
- Nicht nur gegen, sondern für etwas sein: Wissenschaftsfeindlichkeit, politisches Versagen, soziale Verrohung – es ist leicht, Dinge zu finden, gegen die man sein kann. Doch Wut auf etwas ist auch nur eine negative Emotion – und erschöpft sich schnell. Deshalb brennen Menschen in reinen Gegenbewegungen, wie etwa der Klimabewegung, aus. »Wenn wir die Gesellschaft wirklich verändern wollen, müssen wir eine Dafür-Bewegung gründen«, sagt etwa Cordula Weimann.
- Redet miteinander: Im Internetzeitalter wirkt es schnell so, als würden wir jederzeit mit allen im Gespräch sein.
Titelbild: Danila Balashkin - CC0 1.0