Du willst wirklich verstehen, warum Trump zurück ist? Dann ist dieser Text für dich
»Ernsthaft, schon wieder Trump? Wie kann man den nur wählen?« 5 Perspektiven auf eine unglückliche Wahl, die Geschichte schreiben wird.
Es ist der Morgen nach der US-Wahl. Wie schon 2016 schaue ich enttäuscht auf mein Smartphone und spüre sogleich die Katerstimmung. Mein Sohn kommt ins Zimmer.
»Papa, du siehst besorgt aus.«
»Ja. Ein gefährlicher Mensch, der viel gelogen hat, wurde gerade zum mächtigsten Mann der Welt gewählt.«
Der Kleine überlegt kurz. Dann stellt der Kindermund die zentrale Frage, über die sich derzeit viele den Kopf zerbrechen: »Aber warum denn?«
Auf diese Frage weiß ich zunächst keine Antwort. Wie konnte ein notorischer Dauerlügner und ungenierter Populist mit autokratischen bis faschistischen Zügen,
Sind die USA »verloren«?
»Ich versuche zu verstehen, warum ein verurteilter Verbrecher, Vergewaltiger und Fanatiker gewählt wurde, um unser Land zu führen. Nur, weil er gut für die Wirtschaft ist?« – Sängerin Madonna auf Instagram
Denn Antworten auf die Frage, die mein Sohn gestellt hat, sollten uns alle dringend interessieren.
Ich habe intensiv recherchiert und Antworten auf die Frage der Stunde – »Warum wieder Trump?« – gefunden. Auch wenn Kleinkinder sie eher nicht verstehen, können sie uns vielleicht verblüfften Erwachsenen dabei helfen, besser durchzublicken. Und sie können uns zeigen, was wir mit Blick auf die kommenden Bundestagswahlen dringend von Trumps zweitem Wahlsieg lernen müssen.
Dass so etwas nicht in 5 Minuten erklärt ist, dürfte klar sein. Also: Wenn du wirklich nach einer Antwort auf die Frage »Wie konnte das passieren?« suchst, dann hole dir schon mal einen Tee und klicke auf eine der 5 Perspektiven.
Warum Trumps Inszenierung vom »starken Mann« so verfängt
Nachdem ihn die Kugel aus der Waffe des Attentäters am Ohr verwundet hatte, windet sich Donald Trump noch einmal aus dem Knäuel der Sicherheitsleute, die ihn schnell von der Bühne der Wahlkampfveranstaltung in Pennsylvania ziehen wollen. Er richtet sich auf, reckt die Faust in die Höhe und ruft: »Kämpft! Kämpft!«
Dieser Moment zeigt, wie Donald Trump Wahlkampf macht. Er nutzt jede Gelegenheit, sich als furchtlosen, nicht kleinzukriegenden Politiker zu inszenieren. Und dabei prägt er ikonische Bilder, die um die Welt gehen. Auch
Schaut man in die Geschichte, gibt es immer wieder Phasen, in denen die Menschen glauben, es brauche starke Führer. Trump steht für diese Sehnsucht nach einem starken Führer. Und die Leute, die Trump unterstützen, sorgen sich nicht vor den negativen Folgen für die Demokratie.
Trump 2.0 bedeutet eine sichere Rückkehr zu einer restriktiveren, manche fürchten drakonischen Zeit. Viele befürchten, dass ihre Rechte eingeschränkt und verweigert werden. Minderheiten und junge Menschen haben Angst, homosexuelle und trans Menschen werden mehr Angst haben.
Lektion 1:
In unruhigen Zeiten sehnen sich viele Leute nach »politischer Stärke«. Dieses Bedürfnis muss Politik bedienen – ohne in autoritäre Muster zu verfallen.
Politiker:innen, die Führungsstärke vermitteln, können punkten. Es hilft nichts, diese Sehnsucht abzutun, denn bei vielen Menschen in den USA war sie offenbar so stark,
Das muss uns in Deutschland eine Lehre sein. Das mediale »Entzaubern« radikaler Rhetorik und menschenfeindlicher Tendenzen hat sich als unwirksam erwiesen. Um rechtsgerichtete Autokratiefans zu schlagen, braucht es wohl mehr Führungsstärke auf der anderen Seite.
Warum viele nicht mehr wissen, was sie glauben sollen
In seinen Gesprächen mit entfernten Verwandten und Passant:innen, die Donald Trump wählen, findet sich auch Trumps angebliche »Stärke« als Argument – doch noch etwas anderes wird schnell klar: Die Menschen wissen, dass Trump lügt, dass er kein guter Mensch ist und die republikanische Agenda »Projekt 2025« potenziell gefährlich für die Demokratie sein kann.
Doch es ist ihnen schlichtweg nicht wichtig genug.
Genau deshalb versagen die Aufklärungsversuche der traditionellen Medien über Trumps autokratische Ambitionen oder das Framing als Verbrecher, worauf die US-Demokraten im Wahlkampf gesetzt haben. Es ist nicht so, dass diese Informationen die Menschen nicht erreichen.
Sie wählen ihn nur trotzdem – oder indem sie sich relativierenden Argumenten der »plausiblen Leugnung« hingeben:
- »Trump wird viel schlechter dargestellt, als er ist.«
- »Trump redet in Übertreibungen. Es wird schon nicht so schlimm.«
- »Das Verfahren gegen Trump war politisch motiviert!«
- »Trump ist das kleinere Übel. Die Demokraten sind viel schlimmer.«
Trump selbst bietet bei seinen Auftritten genau diese Narrative, an die Menschen dann glauben können, um ihn trotz Zweifeln oder besseren Wissens zu wählen. Dazu gehört es auch, die Warnungen der Gegenseite vor Trump für sich zu nutzen.
Hier spielt natürlich mangelndes Medienvertrauen eine Rolle:
Auch das Vertrauen in die Politik selbst ist geschwächt – doch dazu gleich mehr. Was bleibt, ist eine »verunsicherte Öffentlichkeit«, die sich zunehmend über soziale Medien informiert, die teilweise in der Hand von loyalen Trump-Unterstützern wie Elon Musk sind und worauf sich wilde Verschwörungserzählungen, Propaganda und Lügen (fast alle pro Trump) nahezu ungebremst verbreiten.
Lektion 2:
Eine verunsicherte Öffentlichkeit ist anfällig für Manipulationen – Medienvertrauen hilft.
Aufklärung über politische Verfehlungen erreicht eine verunsicherte Öffentlichkeit kaum noch. Vor allem Journalist:innen sollten aufhören zu glauben, den Menschen »nur richtig erklären« zu müssen, wie schlimm ein Politiker ist, um ihnen die Augen zu öffnen. Im Jahr 2024 funktioniert das nicht mehr – vor allem wenn diese Politiker selbst Desinformationen streuen und ihre Wähler:innen damit direkt erreichen. Hier muss Medienvertrauen zurückgewonnen werden – oder besser gar nicht erst verloren gehen.
Worin die wahre Krise der US-Politik besteht
Analysen hierzulande stellten Donald Trump und Kamala Harris als direkte Gegensätze dar – stark verkürzt: verantwortungsloser Nationalismus und Protektionismus gegen verantwortungsvolle Politik bei guter Wirtschaftslage. Von außen betrachtet hatten
Früher war die Grundabmachung, dass man es besser machen würde, wenn man hart arbeitete und sich an die Regeln hielt, und dass die eigenen Kinder es sogar noch besser machen würden als man selbst. Doch seit 1980 ist dieser Handel zu einer Täuschung geworden. Die Mittelschicht ist geschrumpft. Warum? Während die Republikaner die Steuern für die Reichen kontinuierlich senkten, ließen die Demokraten die Arbeiterklasse im Stich.
Ist es da so verwunderlich, dass die Menschen keine Begeisterung für die mögliche erste Schwarze Präsidentin haben? Oder einen Mann wählen, der kein traditioneller Politiker ist und von einer abgehobenen Kaste redet, gegen die er kämpft? Der verspricht, die Inflation zu bekämpfen, damit sich Menschen wieder ihr Essen leisten können?
Natürlich ist das bei Trump billiger Populismus – doch er verfängt bei Menschen, die kaum noch etwas von Politiker:innen ihres Landes erwarten. Vor allem in ländlichen Gebieten ist Trump beliebt. Hier – in den
Sprechen Sie mit Menschen, die für Trump gestimmt haben. […] Davon haben wir bei Weitem nicht genug gemacht. Stattdessen sind wir allzu oft davon ausgegangen, dass Trump-Wähler rassistisch, sexistisch, transphob oder einfach nur dumm sind.
Wenn all das rational nicht zu erklären ist: Liegt es dann vielleicht an einer um sich greifenden Politikverdrossenheit?
Während sich die Wirtschaft in den letzten zwei Jahren gemäß den üblichen Wirtschaftsmaßstäben verbessert hat, haben die meisten Amerikaner ohne Hochschulabschluss – das ist die Mehrheit – dies nicht gespürt.
Denn von Brückenbau, Investitionen in Klimaschutztechnologien und Chipfabriken kann in ärmeren Regionen niemand leben. In Harlem in New York etwa sind die beherrschenden Themen Polizeigewalt, Inflation und Armut. Und immer mehr Menschen haben den Glauben verloren, dass sich daran etwas durch »normale Politik« ändern wird.
Lektion 3:
Eine Demokratie muss die »Abgehängten« mitnehmen, sonst droht wachsende Politikverdrossenheit.
Politikverdrossenheit nährt Populismus, die »Sehnsucht nach einem starken Führer« und wird von wirtschaftlicher Not und Inflation noch befeuert. Der Populist Trump gewinnt Wahlen auch deshalb, weil er die »Abgehängten« der Gesellschaft direkt anspricht (und dabei gegen andere Bevölkerungsgruppen ausspielt) – ganz gleich, ob seine Politik dann wirklich hilft.
Eine Politik, die es mit Trump und Co. aufnehmen möchte, darf arme Menschen oder die in ländlichen Regionen nicht geringschätzen, sondern muss fähig sein, ihnen Hoffnung zu machen. Bidens Politik und Harris’ Wahlkampf ist das nicht gelungen.
Für den Status quo? Wie man einen Wahlkampf verliert
Der Film Fahrenheit 11/9 von Michael Moore beginnt mit Donald Trumps erstem Präsidentschaftssieg 2016 – genauer gesagt mit dessen Gegenkandidatin Hillary Clinton. Wer den Film im Jahr 2024 schaut, muss unweigerlich die Parallelen sehen. Clinton setzte voll auf positive Botschaften, Empowerment, Frauen und Minderheiten an der Wahlurne, sie hatte die Unterstützung von Barack Obama und Medienstars wie Oprah Winfrey, Beyoncé, Bruce Springsteen oder Katy Perry. Es sollte der erste Sieg einer US-Präsidentin werden, das symbolische »Durchbrechen der Glasdecke« für Gleichberechtigung auf höchster Ebene. Anstatt auf Spott und politische Spaltung setzte Clintons Kampagnenteam auf kulturelle Offenheit, Moral und die Seele der USA über Parteigrenzen hinweg. Das Motto: »Stärker Zusammen« (Stronger Together). Am Wahlabend zeigt sie Fahrenheit 11/9 in Feierlaune mit singenden Fans, die ihren Sieg sicher glaubten. Dann wurden sie eines Besseren belehrt, und eine Fassungslosigkeit machte sich breit, die heute wieder spürbar ist.
Wie bei Clinton, so war auch bei Harris die Hoffnung, dass sich die vernünftigere, höflichere, staatstragendere Kandidatin durchsetzen würde. Warum dies nicht geschah, darauf fand schon Michael Moore in Fahrenheit 11/9 Antworten, die eine Warnung hätten sein müssen.
Im Film geht es weniger um Clintons oder Trumps Kampagnen als um die Menschen an der Wurzel der Demokratie, etwa in Flint (Michigan), deren Trinkwasser durch falsche politische Entscheidungen mit Blei vergiftet wurde,
Die Definition von Wahlwahnsinn ist: Der Versuch, die gleichen Leute immer wieder zu wählen und zu erwarten, dass sich dadurch unser Land irgendwie verändert.
Alexandria Ocasio-Cortez kommt nicht aus dem politischen Establishment. Vor ihrer Karriere bei den Demokraten arbeitete sie unter anderem als Lehrerin und in einem Taco-Schnellrestaurant. Sie traut sich sogar, sich als »demokratische Sozialistin« zu bezeichnen und steht der demokratischen Graswurzelbewegung von Bernie Sanders und der Black-Lives-Matter-Bewegung nahe. Ihre politischen Themen sind weit links: Mindestlohn, Umweltpolitik, Kritik an Militärausgaben – auch für Israel. Ocasio-Cortez erzählt Moore im Interview, wie ihr und anderen Graswurzelpolitikern von den US-Demokraten Steine in den Weg gelegt wurden – weil sie nicht »gemäßigt genug« waren und den Status quo herausforderten.
Ocasio-Cortez hebt sich auch auf andere Weise von Clinton und Harris ab. Denn Clinton war durch die Präsidentschaft ihres Mannes Bill tief im Establishment verwurzelt. Harris ist eine wohlhabende Juristin,
Für viele Menschen in den USA – so argumentiert Michael Moores Film überzeugend – gehören Clinton und Harris zu einer »Kaste von Einflussreichen und Mächtigen«, die nichts verändern und Probleme manchmal erst erzeugen – von Parkland über Flint bis nach Washington.
Während Kamala Harris Trump deutlich unterlag, verteidigte Alexandria Ocasio-Cortez ihren Sitz im Repräsentantenhaus.
Sie wählten mit Trump nun einfach den Kandidaten, der ihnen überzeugender vermitteln konnte, für eine andere Politik zu stehen – in welche Richtung auch immer »great again«
Lektion 4:
Politik braucht bessere Angebote und glaubhafte Politiker, die diese machen.
So schwer das auch zu akzeptieren sein mag – viele Wähler in den USA kümmern sich weniger um Glasdecken, Gleichstellung oder den Aufenthaltsstatus von Migrant:innen. Identitätspolitische Angebote für diese Bevölkerungsgruppen reichten nicht als Botschaften, um eine Wahl zu stemmen – das sollte spätestens seit Trumps zweitem Wahlsieg klar sein. Zwar sind reproduktive Rechte ein sehr wichtiges Thema, zu dem auch Trump im Wahlkampf einen Eiertanz aufführte –
Wer den »starken Führerfiguren« die Rolle als »Hoffnung für die Unterdrückten« abnehmen will, braucht politisch überzeugendere, konstruktive Angebote – nicht nur ein Nachjustieren des Status quo. Obama und Biden haben das geschafft, Clinton und Harris nicht.
Wer der wahre Gewinner der US-Wahl ist (Spoiler: nicht Trump)
Donald Trump ist vor allem eines: ein Symbol für einen fortgesetzten, politischen Kulturbruch. Er hat nicht nur zahllose ungeschriebene Regeln des US-Wahlsystems gebrochen und Populismus salonfähig gemacht. Er hat eine Radikalisierung der US-Republikaner vollendet und sie zu seiner Partei gemacht. Und er hat dabei, 2016 wie 2024, eine neue und erschreckende Form der Politik etabliert – den Kulturkampf.
Und das nicht ohne Grund: Donald Trumps Machtbasis liegt in den »Flyover-Staaten« der USA und den dort lebenden Menschen, von denen viele tiefes Misstrauen gegen die progressive, inklusive und multikulturelle Moderne hegen. Und es stimmt, dass gerade diese Menschen traditionell von Massenmedien und liberalen Kulturschaffenden eher übersehen – ja, gar teilweise geringgeschätzt – wurden.
Hier entstand über die Jahre das, was Politikwissenschaftler Samuel Huntington in seinem
Aus dieser destillieren Trump und seine MAGA-Bewegung zahlreiche Feindbilder und Gegensätze: Stadt gegen Land, Bildungselite gegen einfache Arbeiter, Eliten gegen Arme, Aufgeklärte gegen Religiöse,
»Was sie tun, [um Erfolg zu haben,] ist, Menschen gegeneinander aufzubringen.« –
Was Donald Trump 2024 anschaulich demonstriert hat, ist, wie stark sich Menschenmassen durch diese Form der politischen Spaltung und Anfeindung mobilisieren lassen – und dass Anstand nahezu egal ist. Keine dreiste Lüge oder Beleidigung Trumps, weder Wissenschaftsleugnung noch die Behauptungen über Wahlfälschungen oder demokratiefeindliche Äußerungen haben Trumps MAGA-Bewegung geschadet.
Die Einwanderer aus Haiti essen die Hunde und Katzen ihrer Nachbarn. Die demokratische Partei will Hinrichtungen von Babys nach der Geburt erlauben. Die Regierung kann außerdem das Wetter steuern, der Hurricane Milton zeigt das ganz klar. […] Lügen haben aufgehört, etwas Unanständiges zu sein. Trumps Vizepräsidentschaftskandidat sprach das ganz offen aus: Wenn er ›Geschichten kreieren‹ müsse, um die Aufmerksamkeit der Medien zu bekommen, dann werde er das tun, sagte JD Vance.
Denn im Kulturkampf – das ist der zentrale Punkt – sind alle Mittel recht, Hauptsache die eigene Seite gewinnt und beim Gegner fließen Tränen. Der Kollateralschaden ist dabei die Diskussionskultur und der Zusammenhalt in einer Demokratie. Außerdem: eine steigende
Lektion 5:
Mehr Politiker werden nach Trumps Sieg auf Kulturkampf setzen; es liegt an uns, ob wir es ihnen durchgehen lassen.
Mehr Politiker werden nach Trumps erneuten Sieg den Kulturkampf als Erfolg versprechende Strategie ansehen. Hierzulande erproben CDU und CSU dies seit einer Weile bereits in Ansätzen, die AfD spielt es vor. Auch hier ist »woke« längst ein Schimpfwort, aktuell arbeitet man offenbar an »grün«.
Eine wirkliche Formel gegen Kulturkampf gibt es noch nicht. Doch nur weil es in den USA Erfolg hatte, heißt das nicht, dass das auch hierzulande klappt. Denn in einer Demokratie bestimmen nicht laute Scharfmacher, sondern die Gemeinschaft aller Menschen zusammen, was in Ordnung ist und was zu weit geht – in letzter Konsequenz dann an der Wahlurne.
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