Warum wir uns nicht zwischen Wohlstand und Klimaschutz entscheiden müssen
Der Club of Rome warnt seit Jahrzehnten vor den »Grenzen des Wachstums«. In seinem neuen Buch macht er gemeinsam mit dem Wuppertal Institut konkrete Vorschläge für Deutschlands Kampf gegen die Klimakrise.
2022 ist Earth for All erschienen. Das Buch ist das Ergebnis einer Initiative und eines Kollektivs von führenden Forschenden, koordiniert vom
Irgendwie wissen wir es ja: Wie viele Klimagase ein Mensch emittiert, wie viel Fläche er verbraucht, wie groß sein ökologischer Fußabdruck insgesamt ist – das alles hängt sehr maßgeblich mit der Höhe seines Einkommens und Vermögens zusammen. Damit müsste allen Wohlhabenden mit ökologischem Bewusstsein klar sein: Ich bin irgendwie auch Teil des Problems. Selbst dort, wo die ökologische Überzeugung fehlt, ist mittlerweile angekommen, dass es da möglicherweise ein Problem gibt mit dem Klimawandel, dem Artensterben und vielem mehr. Dabei müssen sich viele, die dieses Buch schreiben und lesen, bewusst machen: Wir gehören vermutlich durchaus zu denen, die beim Giant Leap auf ein paar Annehmlichkeiten verzichten müssen. Global betrachtet, gehören wir sowieso zu den Wohlhabenden. Aber auch in Deutschland bedeutet eine faire Verteilung bei gleichzeitiger Einhaltung der planetaren Grenzen nicht nur, dass Superreiche abgeben müssen.
Gleichzeitig fühlen sich viele, und zwar in allen Schichten der Gesellschaft, gefangen in ihren nicht nachhaltigen Mustern: Die einen würden gerne mehr tun, wissen aber nicht, wie sie dies bewerkstelligen sollen. Wie kommen sie zum Beispiel ohne Auto zur Arbeit? Oder wie können sie sich bei der Inflation die Biolebensmittel noch leisten? Die anderen sind gefangen im Statuskonsum: Sie wollen den Erwartungen ihrer gesellschaftlichen Schicht entsprechen und kaufen daher Dinge, die sie eigentlich gar nicht brauchen.
Deshalb ist es wichtig, auch auf die individuelle Verantwortung zu schauen. Gleichzeitig lassen sich Muster verändern und Zwänge reduzieren, wenn manche Konsumgewohnheiten schlicht nicht mehr möglich sind, weil die Formulierung von ökologischen Standards auf nationaler oder europäischer Ebene dies verhindert oder weil Einkommen und Vermögen gerechter verteilt sind. 2022 haben Wilkinson und Pickett in einem
- Das ökonomische Wachstum kann auf einem begrenzten Planeten nicht ewig weitergehen. Es steht als Alternative zu einer fairen Verteilung also nicht zur Wahl. Wenn der Kuchen nicht permanent wächst, müssen wir ihn anders verteilen!
- Die Menschen werden die Maßnahmen für eine nachhaltige Entwicklung ablehnen, wenn sie das Gefühl haben, dass die Lasten des Wandels unfair verteilt sind.
- Der ökologische Fußabdruck der Reichen ist so groß, dass wir ihn zwingend reduzieren müssen.
- Reduziert sich die Ungleichheit, verringert sich auch der Statuswettbewerb zwischen den Menschen, der zu unnötigem Konsum führt.
- Mehr Gleichheit wirkt sich positiv auf Gesundheit und soziales Wohlergehen aus. Regierungen sollten also Wohlergehen als Ziel haben, nicht ökonomisches Wachstum.
- Mehr Gleichheit macht Menschen kooperativer, sie unterstützen sich gegenseitig. Dies wird in ökologischen Krisen bald notwendig sein oder ist es schon.
Ungleichheit auf ein verträgliches Maß abzubauen, ist also nicht nur gerecht. Es ist überlebenswichtig. Das macht den Giant Leap so existenziell.
Nun mag der Kapitalismus ein Stück weit so angelegt sein, dass Ungleichheit wächst. In der sozialen Marktwirtschaft ist dies aber weder Programm noch unveränderbar. Ganz im Gegenteil. Es gibt eine Vielzahl von Maßnahmenpaketen, die die Ungleichheit von Vermögen und Einkommen reduzieren, einen Teil der notwendigen Mittel für Zukunftsinvestitionen mobilisieren und zugleich dafür sorgen, dass sich Leistung nach wie vor lohnt, weil substanzielle Vermögen bestehen bleiben. Ihr Ziel ist es, den Trend zunehmender Ungleichheit umzukehren und mittelfristig faire Chancen für alle zu garantieren.
Auch wenn es in diesem Kapitel nicht darum gehen kann, ein abgeschlossenes Handlungsprogramm gegen Ungleichheit zu entwickeln, stehen drei Lösungswege im Fokus, die unser aller Möglichkeitssinn, unsere Vorstellungskraft für eine andere Welt schärfen sollen:
- Reiche stärker besteuern: Am oberen Ende der Verteilung mobilisiert eine höhere Besteuerung Investitionsmittel und reduziert Ungleichheit direkt.
- Klimageld Plus: Am unteren Ende geht ein Teil der Nutzungsgebühren der gemeinsamen Umwelt (Allmende) direkt an die Menschen.
- Gleichheitsfördernde Wirtschaftsformen: In der Mitte werden im gesamten Wirtschaftssystem Formen des Wirtschaftens gefördert, die zu viel Ungleichheit gar nicht erst entstehen lassen.
Lösungsweg 1: Reiche stärker besteuern
Reiche stärker zu besteuern, ist angesichts der Einkommens- und Vermögenskonzentration die erste und schnellste Maßnahme, um Ungleichheit abzubauen. Dies muss mit vielen unterschiedlichen Schritten geschehen. Wie hier der richtige Mix aussieht, darüber gibt es eine ebenso lebhafte Debatte wie um die genaue Größenordnung. Die Einkommensteuer ließe sich stärker progressiv gestalten. Das bedeutet, dass sie bei hohen Einkommen schneller und höher steigt als bislang. Denkbar wäre auch, durch die Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf Einkommensmillionäre die Progression zu verschärfen.
Noch wichtiger wäre es, die Kapitalertragsteuer in die Progression miteinzubeziehen – statt durchgehend bei 25 Prozent zu liegen, sollte sie bei hohen Einkommen auch höher liegen. Weil das bislang nicht der Fall ist, hat Einkommen aus Vermögen einen systematischen Vorteil gegenüber Einkommen aus Arbeit. Das schafft Fehlanreize und führt zu einer Umverteilung in die falsche Richtung.
Zudem muss die Politik die großen Vermögen wieder direkt in die Verantwortung nehmen. In der Diskussion sind aktuell die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, der Abbau von Ausnahmeregelungen bei der Erbschaftssteuer sowie eine Finanztransaktionssteuer. Spannend könnte auch eine einmalige substanzielle Vermögensabgabe als Lastenausgleich sein. Er würde der Dringlichkeit der Lage gerecht werden, denn mit dem Geld ließe sich ein
Gleichzeitig würde dies deutlich zeigen, dass Vermögende in besonderer Weise zur Lösung der Probleme beitragen müssen. Das wiederum könnte helfen, der gefühlten Ungleichheit schnell entgegenzuwirken. Eine gute Kommunikation könnte in diesem Fall allen deutlich machen, dass die Wohlhabenden – hoffentlich in der Mehrheit sogar bereitwillig – ihren Anteil am Giant Leap übernehmen.
Die Absicht, umzuverteilen und die Investitionsbedarfe stärker als bisher auf die breiteren Schultern zu verteilen, muss deutlich und klar sichtbar werden. Sonst wird sich die Wahrnehmung von (Un-)Gerechtigkeit nicht ändern. Das hat schon einmal geklappt: Einen vergleichbaren Lastenausgleich gab es in der Bundesrepublik unter Konrad Adenauer, um den damals Vertriebenen zu helfen. Bei der Klimakrise handelt es sich um eine mindestens ebenso schwerwiegende Ausnahmesituation, sodass eine verfassungsmäßige Umsetzung möglich sein sollte.
Wie die Abbildung zeigt, kann eine starke Besteuerung der reichsten Menschen die Einkommensungleichheit deutlich reduzieren, wenn gleichzeitig zum finanziell schwächeren Teil der Bevölkerung umverteilt wird. Der Palma-Index ist eine von mehreren möglichen Kennzahlen von Ungleichheit innerhalb einer Gesellschaft.
Genauso wichtig wie die stärkere Besteuerung der Reichen ist es, die vielfältigen legalen oder halblegalen Steuerschlupflöcher zu schließen – egal, ob es dabei um Ausnahmen bei der Erbschaftssteuer geht oder um undurchsichtige Firmenkonstrukte im Ausland. Deutschland könnte im Rahmen der Europäischen Union durchaus stärker darauf hinwirken, sogenannte Steueroasen zu schließen und Steuerbetrug stärker zu verfolgen. Dazu müsste die Politik die spezialisierten Staatsanwaltschaften ausreichend ausstatten und voll unterstützen.
Schließlich ist auch dazu wieder die Kommunikation entscheidend. Erstens muss klar sein, dass die Superreichen von diesen Maßnahmen besonders betroffen sind, auch wenn dies angesichts ihrer vielfältigen politischen Einflussmöglichkeiten schwierig werden könnte. Zweitens sollten die Maßnahmen gut sichtbar sein, um das Gefühl von Ungerechtigkeit wirksam zu entkräften. Dazu gehört auch, dass die Politik klar kommuniziert, warum die stärkere Besteuerung von Reichen für den Giant Leap so wichtig ist. Das Ziel ist nicht, jemandem etwas wegzunehmen. Das Ziel ist eine gleichere und damit bessere Gesellschaft für alle.
Lösungsweg 2: Klimageld Plus
Weil sich die Investitionen in die Earth4All-Wenden nicht sofort auszahlen, muss besonders bei den finanziell schlechtergestellten Menschen möglichst schnell etwas ankommen. Sind sie positiv am Umbau beteiligt, verbessern sich ihre Möglichkeiten, sich an die Veränderungen anzupassen. Aus diesem Gedanken sind Konzepte wie das Klimageld in Deutschland oder die Grunddividende von Earth4All entstanden. Damit sind Direktzahlungen gemeint, die entweder an alle Menschen gehen oder an diejenigen mit einem geringen Einkommen. Auf diese Weise soll mindestens ein Teil der Einnahmen aus der Bepreisung von Umweltnutzung – wie etwa der CO2-Preis – zurückerstattet werden.
So lassen sich im besten Fall mehrere Probleme auf einmal lösen. Es entsteht in jedem Fall eine positive Verteilungswirkung: Weil der ökologische Fußabdruck der Reichen viel höher ist, zahlen sie wesentlich mehr, als sie möglicherweise herausbekommen. Ärmere Haushalte zahlen hingegen weniger ein, erhalten aber anteilig eine viel höhere Rückerstattung. Das macht dann auch den Urlaubsflug erschwinglich, selbst wenn dieser etwas teurer wird.
Auch bei gleichem Einkommen ergibt sich eine Steuerungswirkung: Diejenigen, die sich umweltfreundlich verhalten, werden belohnt. Ähnlich verhält es sich mit der Grunddividende, die Earth4All vorschlägt: Wer etwa Bäume fällt oder Luft verschmutzt, muss für die Nutzung dieser und anderer natürlicher Ressourcen bezahlen. In dieser Idee steckt die starke Botschaft, dass wir nur eine gemeinsame Erde haben, dass wir unser Erbe schützen müssen, dass unser Planet für alle Menschen da ist – und nicht nur für jene, die sich am schnellsten am meisten aneignen.
In Deutschland ist es sinnvoll, an die vorhandenen Pläne zum Klimageld anzuknüpfen. Dieses wurde im
Erstens: Wer erhält eine Auszahlung? Nur Haushalte mit geringem Einkommen (für die es ursprünglich konzipiert wurde) oder alle? Auch wenn es auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint, spricht viel für eine allgemeine Auszahlung. Wer von einem gemeinsamen Erbe und einer kollektiven Dividende ausgeht, muss diese logischerweise für alle gelten lassen. Außerdem ließen sich dadurch Diskussionen um Schwellen, Grenzwerte und Progressionen vermeiden. Auch bei einer allgemeinen Auszahlung würde sich eine Umverteilung ergeben, wie bereits beschrieben: Reiche fliegen mehr, fahren mehr Auto, haben größere Häuser, also einen viel höheren CO2-Ausstoß, haben also auch höhere CO2-Kosten. Menschen mit geringem Einkommen tragen dagegen weniger zur Umweltzerstörung bei und bekommen so tendenziell mehr zurück, als ihnen an zusätzlichen CO2-Kosten entsteht. Eine Besteuerung des Klimageldes würde diesen Effekt verstärken, ein hoher Grenzsteuersatz würde die Zahlung an Reiche nämlich verringern.
Zweitens ist der Umfang des Klimageldes zu klären, auch mit Blick auf alternative Verwendungen der Mittel. Dabei scheint es Konsens zu sein, dass das Geld aufgeteilt werden sollte: Ein Teil sollte als Klimageld an alle Bürger*innen gehen. Ein anderer Teil sollte für Zukunftsinvestitionen bereitstehen – etwa für den Ausbau erneuerbarer Energien, den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft oder umweltfreundlicher Mobilitätsangebote. Von diesen Investitionen können, wie das Kapitel zur Armutswende gezeigt hat, besonders die Einkommensschwachen profitieren. Zu Anfang könnten die Menschen hierzulande sicherlich keine enormen Summen erwarten. In Österreich gibt es zum Beispiel bis zu 290 Euro pro Person und Jahr. Ähnliche Größenordnungen gibt es als Vorschlag auch für Deutschland. Analog zum Anstieg des CO2-Preises sollte sich die Auszahlung dann erhöhen.
Wir Autor*innen haben bewusst die Formulierung »Klimageld Plus« gewählt, um zu signalisieren: Ein Klimageld, wie es aktuell für Deutschland diskutiert wird, kann nur der erste kleine Schritt in Richtung einer Grunddividende sein, wie sie Earth4All vorschlägt. Denn diese enthält neben dem CO2-Ausstoß weitere Umweltdimensionen. Auch andere Umweltschäden lassen sich angemessen mit Preisen versehen und so – wie es der Gründungspräsident des Wuppertal Instituts Ernst Ulrich von Weizsäcker ausdrücken würde – »die Preise die ökologische Wahrheit sprechen lassen«. Auf diese Weise erhöht sich ihre ausgleichende Wirkung.
Es ist aber nicht nur wichtig, die Idee auf weitere Umweltdimensionen auszuweiten. Wir müssten auch die Verteilung der Auszahlungen weiterentwickeln: Eine pauschale Ausschüttung pro Kopf kann nur einen Teil der finanziellen Belastungen kompensieren, die durch die Transformation des Giant Leap entstehen. Hier könnten weitere Justierungen diejenigen entlasten, die zwar (weil sie Eigentum haben) nicht arm sind, aber Schwierigkeiten mit der Anpassung haben – zum Beispiel die bereits genannte Rentnerin, die sich den Umbau des Eigenheims nicht leisten kann und von keiner Bank einen Kredit bekommt. Gerade für die besonders betroffenen Haushalte, die sich nicht aus eigener Kraft anpassen können, brauchen wir vermutlich auch ganz neue (disruptive) Politikansätze, weil für sie eine Bereitstellung von Fördermitteln allein nicht ausreichend ist, sondern ganzheitliche Unterstützungspakete notwendig sind.
Lösungsweg 3: Gleichheitsfördernde Wirtschaftsformen
Ungleichheit können wir auch abbauen, indem wir eine gerechtere Wirtschaft stärken. Dazu können wir ihre Funktionsmechanismen punktuell so verändern, dass die Umverteilungstendenzen eines entfesselten Kapitalismus von unten nach oben in einigen Bereichen eingehegt werden. In der globalen Earth4All-Perspektive sollten dazu die Gewerkschaften und mit ihnen die Arbeitnehmer*innen gestärkt werden. Die Logik liegt auf der Hand: Wo über starke Gewerkschaften und betriebliche Mitbestimmung die Interessen der Arbeitnehmer*innen gut vertreten sind, verschiebt sich die Verteilung der Erträge stärker in Richtung Lohneinkommen. Wie beschrieben, ist die Tarifbindungsquote in Deutschland zuletzt jedoch rückläufig. Diesen Trend müssen wir umkehren. Das ist einerseits eine Aufgabe der Gewerkschaften, die dabei auch innovative Lösungen suchen können, wie Boni speziell für Mitglieder. Andererseits hat auch die Politik Möglichkeiten, etwa über das geplante Bundestariftreuegesetz, das darauf abzielt, dass große Aufträge des Bundes nur noch an Unternehmen mit Tarifverträgen gehen können.
Sicher kann und darf dies nur eine der Maßnahmen sein. Es gibt noch viele weitere Möglichkeiten. Zum Beispiel entstehen derzeit immer mehr Wirtschaftsunternehmen, die weniger nach Gewinnen streben als vielmehr gesellschaftliche Ziele verfolgen. Diese Sozialunternehmen – auch Social Enterprises (Social Entrepreneurs) oder Purpose-Unternehmen genannt – möchten gesellschaftliche Herausforderungen lösen und dabei wirtschaftlich im Sinn des Erreichens einer schwarzen Null agieren.
Sie wollen mit ihren Produkten und Dienstleistungen dabei nicht nur soziale und/oder ökologische Wirkung entfalten. Sie überdenken auch die Zusammenarbeit und die Verteilung von Einkommen innerhalb ihres Unternehmens. Die enorme Spreizung zwischen den Gehältern der durchschnittlichen Arbeitnehmer*innen und dem Management gibt es hier oft nicht. Dafür finden diese Unternehmen auch entsprechende Rechtsformen. Mit den
Auch große Unternehmen zeigen Initiative. Unter dem Begriff »Verantwortungseigentum« wollen einige eine eigene Rechtsform entwickeln, die dafür sorgt, dass Gewinne zurück ins Unternehmen fließen müssen. Manche Familienunternehmen praktizieren ein solches Denken bereits. Eigens gestaltete
Schließlich ist auch die Sharing Economy Teil einer neuen, nachhaltigen Wirtschaft. Sie hilft nicht nur dabei, ökologische Probleme zu lösen (zum Beispiel durch Ansätze wie Carsharing,
Viele solcher Formen des Wirtschaftens entwickeln sich zurzeit ganz von selbst. Die Politik sollte ihre Verbreitung jedoch ganz gezielt durch entsprechende Rahmenbedingungen fördern. Sie könnte neue Rechtsformen etablieren, Förderprogramme für Social Start-ups oder lokale Sharing-Initiativen ausweiten und bestimmte Unternehmensformen bei öffentlichen Vergaben bevorzugen. Wirtschaftsförderung müsste sich vor Ort stärker genau um diese Form des Wirtschaftens kümmern und gezielte Unterstützungsleistungen anbieten.
Verbesserungsbemühungen dürfen sich dabei nicht auf die deutschen Grenzen beschränken. Die Politik sollte mit dafür sorgen, dass deutsche Unternehmen faire Bedingungen bei ihren Zulieferern weltweit verlangen, und zwar unabhängig von Verpflichtungen, die durch ein deutsches oder europäisches Lieferkettengesetz entstehen. Solche fairen Lieferketten bedeuten zwar, dass die Gewinnspanne in Deutschland etwas sinkt, dafür erhalten Arbeiter*innen im globalen Süden bessere Löhne – dadurch erhöht sich die Zufriedenheit der Mitarbeitenden und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die Qualität ihrer Arbeit.
Derlei politische Maßnahmen sind umso sinnvoller, als die in Kapitel 8 beschriebene Kreislaufwirtschaft die Vernetzung und Kooperation zwischen Unternehmen sowohl vertikal als auch horizontal in einem vollkommen neuen Maß erfordert, wenn wir sie wirklich konsequent umsetzen wollen. Auch hier zeigt sich übrigens die positive Wirkung von CO2-Preisen: Wenn sie steigen, haben die Unternehmen einen Kostenvorteil, die wenig CO2-Emissionen verursachen – also klimaschonender produzieren und arbeiten. Dies können sie über ihre Preise weitergeben oder in Zukunftsinvestitionen übersetzen und haben so auch einen Wettbewerbsvorteil.
Diese drei Lösungswege sind sicher nur ein erster Einblick in die vielfältigen Möglichkeiten, die uns zur Verringerung von Ungleichheit zur Verfügung stehen. Der Teufel steckt, wie angedeutet, in den Einzelheiten der Regelungen. Dennoch zeigt sich bereits hier, wie die fünf Giant-Leap-Wenden zusammenhängen und sich gegenseitig bestärken. Reiche stärker zu besteuern, verringert nicht nur die Ungleichheit innerhalb einer Gesellschaft. Es mobilisiert auch die Ressourcen für die Armuts-, die Empowerment-, die Ernährungs- und die Energiewende. Ein Klimageld verbessert sozialen Ausgleich, setzt aber auch ökologische Anreize und schafft eine breite Akzeptanz für den Wandel. Die Förderung neuer Wirtschaftsformen stärkt Unternehmen, die die Gesellschaft auf viele Arten voranbringen, also auch Gleichheit fördern.
Und die Lösungswege der anderen Wenden fördern ihrerseits gesellschaftliche Gleichheit: Die Energiewende berücksichtigt soziale Aspekte, um Ungleichheit zumindest nicht zu verschärfen. Die Ernährungswende erschafft gesunde, nachhaltige und faire Lebensmittel für alle, unabhängig vom Geldbeutel. Die Armuts- und Empowermentwende streben Investitionen in die Zukunft an, vor allem in geteilte Werte wie Infrastruktur, Umwelt oder Bildung, von denen besonders auch die Ärmeren profitieren.
Der Kern des Giant Leap
Es ist abzusehen, dass sich die hier beschriebenen Maßnahmen nicht ohne Widerstand umsetzen lassen. Es wird Vermögende geben, die versuchen, sich ihrer Verantwortung für die Gemeinschaft zu entziehen. Deshalb müssen sich die Regierungen innerhalb der EU bestmöglich koordinieren, um Steuerflucht zu verhindern und Ungleichheit abzubauen – optimalerweise gibt es dafür sogar globale Kooperationen. Gleichzeitig muss ein großer Teil der Reichen den Giant Leap als im Kern fair erkennen – genauso wie die ärmeren Menschen. Und das ist nicht gänzlich unrealistisch. Schon jetzt investieren manche Reiche große Teile ihres Vermögens in gemeinnützige Stiftungen oder unterstützen Initiativen in ihrer Region.
Wenn es gelingt, deutlich zu machen, dass alle – auch alle Reichen – einbezogen werden, und wenn sie im Giant Leap einen realistisch umsetzbaren und für alle lohnenswerten Plan erkennen, besteht durchaus bei vielen Hoffnung auf Einsicht. Und wer der Beteiligung nicht freiwillig folgt, muss an den alten Leitsatz »Eigentum verpflichtet« erinnert werden. Artikel 14, Absatz 2 des Grundgesetzes (GG) legt fest, dass Eigentum zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen soll.
Es ist derzeit in vielen Branchen fraglich, wie es mit diesem Dienst an der Allgemeinheit aussieht. Der Schutz des Privateigentums kann nicht bedeuten, dass zum Beispiel Unternehmen neue fossile Energiequellen erschließen können, obwohl dies im Widerspruch zu allen Klimazielen steht. Um hierüber einen wissenschaftlichen und öffentlichen Dialog zu eröffnen, bietet sich eine
Wie mehrmals betont, braucht der Giant Leap, brauchen wir eine Gesellschaft, die gemeinsam handelt. Nicht eine, die immer weiter auseinanderdriftet. Wenn unterschiedliche Gruppen oder Regionen ökonomisch in komplett anderen Realitäten leben, wird es immer schwieriger, Maßnahmen zu ergreifen, die für alle plausibel sind. Ein Giant Leap bedeutet gigantische Veränderungen. Manche davon werden zeitweise Einschränkungen sein, aber wenn er gelingt, der große Sprung, gewinnen alle. Gelingt er jedoch nicht, verlieren in einem Zusammentreffen von Klimakrise, Biodiversitätsverlust und neuem Nationalismus auch alle. Selbst die Reichen werden sich davon nicht vollends freikaufen können. Es braucht eine neue Solidarisierung bei der Verteilung des gesellschaftlichen Wohlstands sowie gegenseitige Unterstützung im Umbau des Finanz- und Wirtschaftssystems. Nur so haben wir eine Chance auf eine gemeinsame Zukunft.
Wenn wir in Deutschland dieses Mehr an Solidarität und Gerechtigkeit umsetzen können, können wir es vielleicht auch in die ganze Welt tragen. Wenn wir zeigen, dass wir dem Klimawandel begegnen können, ohne dass große Gruppen massiv leiden oder die Gesellschaft auseinanderbricht, ermutigt das andere Länder, ähnliche Maßnahmen einzuleiten. Wenn wir vor Ort merken, wie eine gerechte Gesellschaft gerade angesichts der vielen Krisen viel besser aufgestellt ist, können wir auch besser an einer gerechten Welt arbeiten.
Mit Illustrationen von Doğu Kaya für Perspective Daily