Was wir tun müssen, damit morgen die Schulbank nicht kracht
Bis zum Jahr 2025 gibt es eine Million Schüler mehr als geplant. Mit diesen 8 Hausaufgaben bleibt Deutschland nicht sitzen.
Ein hässliches Wort geistert derzeit
Das klingt nach etwas Unaufhaltsamem, nach einem Naturereignis und nach etwas, hinter dem man her wischen muss. Tatsächlich verbirgt sich dahinter eine überraschende Prognose: Nach Jahren sinkender Schülerzahlen steigen diese wieder und »spülen« knapp eine Million neuer Schüler in unser Schulsystem – auf die niemand vorbereitet war. Das stellt den Bildungssektor und die Politik vor eine neue, enorme Herausforderung.
Doch unaufhaltsam ist diese
Darum »verschätzt« sich die Politik um 1,1 Millionen Schüler
Bis zu diesem Jahr träumten die Bildungsminister von der »Demografischen Rendite«. Nach Hochrechnungen aus den Jahren 2008 und 2013 sollten die Schülerzahlen in Deutschland in Zukunft
Doch spätestens seit Mitte Juli 2017 dürfte diese Idee vom Tisch sein. Eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung unter dem Titel
Wie alarmierend diese Zahlen wirklich sind, erklärt Dirk Zorn. Der Sozialwissenschaftler hat die Bertelsmann-Studie
In der Schulpraxis bedeutet das Unterrichtsausfall, Container statt Klassenräume und Ersatzunterricht. Die aktuell steigenden Zahlen haben primär mit der starken Zuwanderung zu tun. In den kommenden Jahren steigen die Schülerzahlen aber vor allem aufgrund der Geburtenzahlen.
Die Bertelsmann Stiftung appelliert mit ihrer Studie an die Kultusministerkonferenz, ihre Prognosen aus dem Jahr 2013 zu aktualisieren. Denn wirklich verrechnet hat sich niemand. Warum die Kultusministerkonferenz soweit am Ziel vorbei ist, lag an einer Entwicklung gegen den Trend, die niemand hätte vorhersehen können.
Generalsekretär Udo Michallik verteidigte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk
Doch dafür läuft die Zeit davon. Bereits nächstes Jahr kommen die ersten Schüler der geburtenstärkeren Jahrgänge
Das Jahr 2025 klingt weit weg. Doch neue Lehrer müssen auch erst einmal ausgebildet werden. Der ›träge Tanker‹ Schulsystem lässt sich nicht von heute auf morgen einfach umsteuern. Dazu kommt: Aktuell gehen viele Lehrer in Pension oder stehen kurz davor.
Zur »Schülerschwemme« könnte also noch eine »Lehrerdürre« kommen und den Effekt weiter verstärken. Denn das aktuelle Lehrerangebot reicht gerade so aus, den heutigen Status quo zu erhalten. Dass sich
Diese Lösungen zeigen heute schon, was kurzfristig hilft
Eine Lösung für den Schülerzuwachs liegt auf der Hand: Mehr Lehrer ausbilden und einstellen. Luft nach oben gibt es dabei mehr als genug: So sind aktuell in Mecklenburg-Vorpommern fast die Hälfte der möglichen
- Schulbau-Offensiven: Berlin reagiert bereits heute mit einer Bildungsoffensive, vor allem beim Bau neuer Unterrichtsräume – insgesamt 51
Es ist ja nicht so, als wären die Schulen bisher top ausgestattet gewesen. Da herrscht überall
- Quereinsteiger und Rentner: Wo keine Lehrer vorhanden sind, müssen Quereinsteiger her. Doch wann diese das erste Mal Kinder unterrichten, ist
Ich muss mich täglich um die Quereinsteiger an unserer Schule kümmern. Die sind meist Experten auf ihrem Gebiet, haben aber vom Umgang mit Kindern keine Ahnung. Sie werden ins kalte Wasser geworfen.
- Sperr-Maßnahmen: Das Bayerische Kultusministerium kämpft mit harten Bandagen gegen den Lehrermangel und lehnt ab sofort Anträge zum Vorruhestand,
Ich könnte mir auch vorstellen, einfach nicht mehr als Lehrerin zu arbeiten. Bereits heute gehe ich täglich auf dem Zahnfleisch. Dazu erkranken immer mehr meiner Kollegen an Burnout und fallen für Monate aus.
Doch nur mit Pensionären, überarbeiteten Lehrern, die auf ihren Vorruhestand verzichten müssen, und einer steigenden
»Fehlende Schul- oder Berufsausbildungsabschlüsse führen zu schlechten Chancen am Arbeitsmarkt.« – Regierungsbericht »Gut leben in Deutschland«
Um zusätzliche Lehrer kommt niemand herum – genauso wenig wie um höhere Investitionen in die Bildung. Das wissen auch die Bundesländer und schaffen finanzielle Anreize für den Beruf: So erhöhte Berlin etwa
Der Anlass ist da: Bauen wir die Bildung nachhaltig um!
Diese Aussichten senden trotz erster Lösungsansätze eine bittere Botschaft an viele Lehrkräfte. Denn auch ohne steigende Schülerzahlen hadern sie mit gestiegenen Zusatzbelastungen des Berufes: Individuelle Förderung, personalisiertes Lernen, Medienerziehung, Inklusion und der Umbau der Schule zur Ganztagsschule fordern Lehrern so einiges ab.
Fast jede Woche wird noch eine Schippe an Anforderungen für uns Lehrer draufgelegt. Da kommt man kaum dazu, Unterricht vorzubereiten oder sich um schwächere Schüler zu kümmern.
Eine grundlegendere Lösung deutete ausgerechnet Angela Merkel an.
- Ausbildung vereinfachen: Aktuell müssen Lehrer in der Ausbildung ein vollwertiges Fachstudium absolvieren. Ob dieses Wissen aber für Lehrer bis zur Sekundarstufe I nötig ist, bleibt fraglich – sie sollen schließlich Grundlagen vermitteln. Die zusätzliche Belastung führt zu Abbruchraten von
- Prüfungstermine ändern: In vielen Bundesländern überschneiden sich die Prüfungstermine im Referendariat mit den Bewerbungsfristen für Schulen. Damit landen Lehrer nach der Ausbildung in einem unnötigen Leerlauf von bis zu einem Jahr. Hier würde eine Ausdehnung der Bewerbungsverfahren auf das ganze Jahr helfen – damit hat etwa Brandenburg bereits gute Erfahrungen gemacht.
- Bezahlung angleichen: Noch immer gilt: Was für Lehrer am Monatsanfang auf dem Gehaltszettel steht, richtet sich nach der Schulform. Gymnasiallehrer verdienen am meisten, Grundschullehrer am wenigsten. Da ist der Mangel an Bewerbern für die Grundschule in Ländern wie Niedersachsen kein Wunder. Lehrergewerkschaften
- Umschulungen erleichtern: Aktuell herrscht nicht bei allen Fächerkombinationen Mangel – so sind in NRW
Diese Herausforderungen für das Bildungssystem könnten bedeuten, dass diese Dinge endlich angegangen werden. Auch Dirk Zorn vom der Bertelsmann Stiftung fordert ein »Neudenken« beim Thema Bildung:
Wir müssen unseren Blick auf diese Herausforderungen erweitern […] Das heißt auch anzufangen, die chronische Unterfinanzierung des Bildungssystems in Angriff zu nehmen.
Der Soziologe regt ein grundsätzliches Nachdenken über das an, was wir als »gutes Schulsystem« ansehen. Hier klaffen Vorstellung und Wirklichkeit auseinander. Ein Lehrer kümmert sich um eine Klasse – dieses Bild ist längst nicht mehr zeitgemäß. Gerade durch Zuwanderung und Inklusion arbeiten Lehrer heute schon mit Sonderpädagogen, Sozialarbeitern, Logopäden und auch Psychologen zusammen.
Hier könnte die Politik investieren und Stellen schaffen, die die Lehrer entlasten. Diese könnten sich dann wieder voll auf das konzentrieren, wofür sie da sind: unterrichten.
Dieser Artikel gehört zu unserer Reihe »Deine Wahl 2017«. Du willst mehr zum Thema lesen? Klicke hier!
Mit Illustrationen von Janina Kämper für Perspective Daily