Selbstfürsorge ist politisch
Gerade in unruhigen Zeiten ist es wichtig, sich auch um das eigene Wohlbefinden zu kümmern. Wie das gelingt, ohne auf die Wellness-Industrie hereinzufallen.
Was tust du, wenn du dich um dich selbst kümmerst?
Liegst du entspannt zwischen unzähligen Seifenblasen in einer Badewanne und verwöhnst dich mit einer Gesichtsmaske?
Liest du ein Buch?
Oder gehst du zum Yoga?
All das sind Dinge, die viele Menschen wohl in die Kategorie »Selfcare« oder »Selbstfürsorge« einordnen. Wenn ich Instagram unter dem Hashtag #Selfcare durchstöbere, finde ich unter den mehr als
Der ständige Aufruf, etwas für sich selbst zu tun, hat allerdings einen bitteren Beigeschmack. Denn jeder Ratgeberartikel, der Yoga und Baden als Lösung für unsere Probleme anpreist, betont gleichzeitig, dass wir unser Glück selbst in der Hand haben. Und vergisst den wichtigen Haken an der Sache: Nicht jeder Mensch kann sich Badewannen, Yogakurse und Wellnessprodukte leisten. Auch systemische Veränderungen werden kaum dadurch vorangetrieben, dass ein paar Instagrammer:innen Sauerteigbrot backen.
Ist Selfcare also überbewertet?
Um diese Frage zu beantworten, habe ich mit der Autorin Svenja Gräfen gesprochen.
Sie war selbst lange genervt vom Selfcare-Trend, hielt ihn für unsolidarisch und unpolitisch. Doch dann beschäftigte sich Gräfen genauer mit dem Thema und stellte fest: Selbstfürsorge kann sogar höchstpolitisch sein. In ihrem Buch »Radikale Selbstfürsorge. Jetzt!« erklärt sie, wie sie zu diesem Schluss kommt – und wieso am Ende alle profitieren, wenn wir gut zu uns sind.
Selbstfürsorge war schon immer politisch
Gerade für diskriminierte und marginalisierte Menschen sei Selbstfürsorge schon immer politisch gewesen, sagt mir Gräfen. In den 1960er-Jahren hätten schon
Caring for myself is not self-indulgence, it is self-preservation, and that is an act of political warfare.« / »Für mich selbst zu sorgen, ist keine Selbstgefälligkeit, es ist Selbsterhaltung – und das ist ein Akt politischer Kriegsführung. [übersetzt]
Diese Worte wählte Lorde im Zuge der Frauenbewegung in den 1960er-Jahren. Indem sich die Aktivistin um ihr eigenes Wohlergehen bemühte, bot sie einer diskriminierenden Gesellschaft die Stirn, der es schlicht egal war, ob es ihr gut ging. Die im Gegenteil sogar daran arbeitete, dass sie sich schlechter fühlte.
Statt sich gesundheitlich und psychisch vollständig aufzuopfern, um kurzfristig etwas ändern zu können, achtete Lorde auf sich und ihre mentale und körperliche Gesundheit – um so langfristig zu wirken. Nicht auszuschließen, dass ihr dabei auch mal ein Bad half, doch es geht um viel mehr als das. Es geht um die Frage, wie wir mit uns selbst umgehen und was wir uns zugestehen.
Auch wenn die 1960er-Jahre schon eine Weile her sind, hat Lordes Beispiel heute noch Bedeutung. Es macht eindrücklich klar, warum es gerade für marginalisierte und diskriminierte Gruppen, aber auch für Aktivist:innen wichtig ist, sich um das eigene Wohl zu sorgen, solange es die Gesellschaft nicht tut. Selbstfürsorge allein kann zwar das System nicht ändern. Sie kann aber denjenigen helfen, die genau das schaffen wollen.
Mit Illustrationen von Aelfleda Clackson für Perspective Daily