Kann es ein sicheres Afghanistan geben?
Mehr Soldaten für mehr Sicherheit in Afghanistan – so lautet nach 16 Jahren Krieg gegen den Terror Donald Trumps einfache Lösung, die keine Lösung ist.
»Dutzende von Staaten dürfen in diesem Land mitregieren, doch für uns soll kein Platz sein? Das sehen wir nicht ein«, meint
»Marionette der Amerikaner« – Habibullah Samimi
Die Kritik des Kommandanten, der einst schon gegen die sowjetische Besatzung in Afghanistan gekämpft hat, gilt der Regierung in Kabul. Seiner Meinung nach wolle sie »keinen Frieden« mit den Taliban und stecke mit der USA unter einer Decke. »Marionette der Amerikaner« – so schimpft Samimi die
In Khogyani herrscht Krieg. US-Luftangriffe gehören hier zum Alltag, genauso wie nächtliche Operationen von Spezialeinheiten. Währenddessen kontrollieren die Taliban den Distrikt. Unweit von Khogyani, im Bezirk Achin, haben sich
Samimi und seine Kämpfer sind allerdings skeptisch und behaupten, dass der sogenannte IS nicht ernsthaft bekämpft werde. »Auch Teile Khogyanis wurden vor 2 Jahren vom IS kontrolliert. Wir haben sie zurückerobert und verloren dabei 300 Kämpfer«, erzählt Samimi. Überprüfen lassen sich solche Angaben nicht. Für den Kommandanten ist allerdings klar, dass man nicht mit einer Regierung verhandeln kann, die einen permanent bombardiert.
Die wollen uns tot sehen. Wir werden in diesen Tagen heftiger angegriffen als in den Obama-Jahren
Doch auch die Taliban morden. Anschläge in größeren Städten wie Kabul und der bewaffnete Kampf in den ländlichen Gebieten mit vielen zivilen Opfern gehen auf das Konto der Milizen. Anfang August häuften sich
Das sichere Herkunftsland im Krieg
Egal ob die Taliban und der IS nun gemeinsame Sache machen oder nicht, die Kriegsgeschehnisse in Afghanistan machen deutlich, dass es keine »sicheren Regionen« gibt, in die man afghanische Geflüchtete aus Europa guten Gewissens abschieben kann. Doch mehrere europäische Staaten wie Österreich, Bulgarien oder Schweden halten an ihrer Abschiebepraxis fest.
Aus Deutschland starteten seit dem schweren
Wer aber eine saubere Abschiebung möchte, braucht ein sicheres und friedliches Afghanistan. Damit wäre vor allem der Zivilbevölkerung am meisten geholfen. Und es sieht so aus, als sei Frieden nur möglich, wenn man einen der unbeliebtesten afghanischen Akteure mit ins Boot holt: die Taliban. Die Frage, ob ein Frieden mit der Miliz überhaupt möglich sei, wird in Beobachterkreisen immer wieder zu Recht gestellt. Wie soll man mit Menschenrechtsverbrechern verhandeln? Muss man eine als terroristisch und extremistisch eingestufte Gruppierungen nicht bekämpfen? Diese Fragen brauchen realistische Antworten.
Vom Sturz zum Wiederaufstieg
Die Taliban-Bewegung hat ihren Ursprung in 2 Kriegen:
- Krieg gegen die Sowjets (1979–1989)
- Bürgerkrieg (1989–1996)
Afghanistan, 1979: In Kabul hatte eine kommunistische Regierung das Sagen, die sich blutig an die Macht geputscht hatte. Aufgrund innerer Unruhen forderten die afghanischen Kommunisten von Moskau eine militärische Intervention. Im Dezember marschierten sowjetische Truppen in Afghanistan ein. Sie besetzten das Land fast 10 Jahre lang.
Zahlreiche Taliban-Führer einschließlich des Gründers der Bewegung, Mullah Mohammad Omar, kämpften bereits in den 1980er-Jahren gegen die sowjetischen Besatzer in Afghanistan. Zum damaligen Zeitpunkt gab es die Taliban-Gruppierung, wie wir sie heute kennen, noch nicht. Stattdessen waren viele der Kämpfer den damals etablierten
Das war bei den verschiedenen Fraktionen der Mudschaheddin nicht der Fall. Nachdem 1992 die letzte kommunistische Regierung in Kabul gefallen war, kamen die Kriegsfürsten der Mudschaheddin – oft als Warlords bezeichnet – an die Macht und fingen an, sich gegenseitig zu bekämpfen. Das Resultat davon waren Hunderttausende von Toten sowie zahlreiche
Rund 40% des Landes unter Taliban-Kontrolle
In den Jahren 1996–2001 hatten die Taliban fast ganz Afghanistan unter ihrer Kontrolle – und errichteten dabei ihr eigenes Schreckensregime. Die Szenen aus dem Taliban-Alltag prägen die Afghanistan-Berichterstattung bis heute und waren vor allem für die NATO ein
Die Taliban stellen eine politische und militärische Realität im Land dar, die nicht von heute auf morgen verschwinden wird – und schon gar nicht mit militärischer Gewalt oder mit noch mehr amerikanischen Truppen vor Ort in den Griff zu kriegen ist. Das haben die letzten Jahre gezeigt.
In Washington scheint allerdings keine Einsicht darüber zu herrschen. In seiner jüngsten
Verpasste Chancen und falsche Moral
Macht die Trump-Taliban-Konstellation den Frieden in Afghanistan unmöglich? Laut manchen Beobachtern steht es schlecht um den Frieden im Land. »In den vergangenen 16 Jahren gab es wohl keinen Zeitpunkt, an dem Afghanistan weiter entfernt war vom Frieden als heute«, stellt Thomas Ruttig vom AAN fest. Die Schuld dafür, dass bis heute keine friedliche Lösung des Konflikts zustande gekommen ist, trägt laut Ruttig vor allem die westliche Staatengemeinschaft: »Der letzte Taliban-Führer Mullah Akhtar Mohammad Mansour war prinzipiell nicht gegen Verhandlungen. Doch stattdessen wurde er mit einer US-Drohne getötet.«
Mansour wurde im Mai 2016
Die Meinung, dass mit Mansour ein pragmatischer, verhandlungsbereiter Taliban-Führer getötet wurde, wird auch von anderen Beobachtern geteilt. Einer davon ist der politische Analyst und Autor Waheed Mozhdah, der einst auch im Außenministerium der Mudschaheddin- sowie der Taliban-Regierung tätig gewesen ist. Er kannte Mansour persönlich.
»Von der Kabuler Regierung und ihrem Sicherheitsapparat wurde die Tötung Mansours im vergangenen Jahr als Erfolg gepriesen und gefeiert. Heute bedauert man plötzlich, dass man einen verhandlungsbereiten Führer getötet hat«, sagt Mozhdah, dessen Buch über die Taliban zu den Standardwerken über die Bewegung in der Region gilt.
»Egal wie viele NATO-Soldaten sich im Land befinden, sie können keinen Frieden bringen.«
Der Analyst beklagt, dass kritische Stimmen vor der Tötung Mansours gezielt ausgeblendet wurden und dass ähnliche Szenarien auch in der Vergangenheit stattfanden. »Für diesen Konflikt kann es nur eine politische Lösung geben. Egal wie viele NATO-Soldaten sich im Land befinden, sie können keinen Frieden bringen. Die vergangenen Jahre haben dies mehr als deutlich gemacht«, sagt der Analyst aus Kabul.
Jemand, der weiterhin versucht, sich für eine solche politische Lösung stark zu machen, ist Afghanistans ehemaliger Präsident Hamid Karzai, der Ende 2001
»Auch die Taliban sind Afghanen. Sie haben Recht, in diesem Land wie alle anderen Afghanen mitzubestimmen. Von dem fortgesetzten Krieg profitieren nur ausländische Mächte, während die Zivilbevölkerung leidet«, so Karzai, der in Afghanistan weiterhin dafür in der Kritik steht, das gegenwärtige Warlord-System gemeinsam mit den westlichen Staaten unter US-Führung etabliert zu haben. Seit dem Ende seiner Präsidentschaft im Jahr 2014 gilt Karzai selbst als scharfer Kritiker der US-Politik in Afghanistan. Bereits zum Ende seiner Amtszeit herrschte eine Eiszeit zwischen ihm und der Obama-Administration.
Die Taliban sind unsere Brüder. Auch sie haben Mitspracherecht.
Selbst aufseiten der Taliban, die ihn einst auch als »amerikanische Marionette« bezeichneten, wird Karzai anscheinend vermisst. Taliban-Kommandant Samimi aus Khogyani meint sogar, dass Karzai ohne jegliche Probleme in sein Dorf kommen könne. »Wir wissen, dass er ein aufrichtiger Afghane ist, der sich um sein Volk kümmert. Mit ihm könnte man ernsthaft über Frieden sprechen. Bei der gegenwärtigen Regierung sei das nicht der Fall, sagt er. Als Gründe hierfür nennt Samimi Präsident Ashraf Ghanis Nähe zu Washington.
Ghani, der Karzai 2014 als afghanischer Präsident abgelöst hat, gilt als amerikafreundlich. Bereits kurz nach seiner Amtsübernahme hat er ein bilaterales Sicherheitsabkommen (BSA) mit Washington unterzeichnet, das den US-Truppen in jeglicher Hinsicht freie Hand gewährt.
Frieden schließt man nur mit Feinden
Laut der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) wurden in den ersten 6 Monaten des Jahres 2017 mindestens 1.662 afghanische Zivilisten getötet sowie 3.581 weitere verletzt. Für 43% der zivilen Opfer
Der realistische Ausweg, um das Land auf Dauer zu stabilisieren, scheint dennoch nur ein dauerhafter Frieden mit der Gruppierung zu sein. Viele Afghanen können sich etwa einen ähnlichen Friedensdeal vorstellen wie jenen,
Thomas Ruttig ist allerdings skeptisch: »Das Kabuler Regierungssystem ist alles andere als perfekt und wird von den Taliban abgelehnt. Der Deal mit Hekmatyar eignet sich deshalb nicht als Vorbild.« Das Regierungssystem in Kabul, das hauptsächlich von Warlords dominiert wird, gilt seit seiner Entstehung als extrem korrupt und ist ohne westliche Unterstützung kaum überlebensfähig. Jährlich fließen an die afghanische Regierung
Für die Taliban ist währenddessen unklar, wie sich Kabul mit Männern wie Hekmatyar weiterhin als moralisch überlegen betrachten kann. »Hekmatyar wird als Friedensengel betrachtet, aber wir sind weiterhin die Bösen. Diese Farce sollte doch selbst für die Menschen im Westen offensichtlich sein«, kommentiert Taliban-Kommandant Habibullah Samimi. Gulbuddin Hekmatyar, der während der Bürgerkriegsjahre unzählige Raketenangriffe auf Kabul anordnete und dessen Milizen brutale Kriegsverbrechen begingen, lebt mittlerweile in einem gesicherten Anwesen in Kabul.
Im Endeffekt sollte aber eines klar sein: Wenn man selbst mit dem »Schlächter von Kabul«, wie Hekmatyar einst genannt wurde, einen Friedensdeal abschließen konnte, sollte dies auch mit den Taliban möglich sein. Die Frage ist: um welchen Preis? Ein Fall für den Verhandlungstisch. Die gegenwärtige Strategie Washingtons wird dabei jedoch wenig hilfreich sein.
»Man schließt nicht mit Freunden Frieden, sondern mit Feinden«, sagt Thomas Ruttig mit Blick auf die Situation in Afghanistan. Doch sollte es noch verhandlungsbereite Taliban-Führer geben, so sendet ihnen die zunehmende US-Militärpräsenz abermals ein klares Zeichen: Die Taliban muss weg! Ein aussichtsloser Kampf, wie die letzten 16 Jahre gezeigt haben, in dem schon morgen die Chancen für Frieden geringer sind als heute.
Titelbild: Emran Feroz - copyright