Diese Plakate zeigen, was im Wahlkampf schon jetzt falschläuft!
Der Bundestagswahlkampf startet für die SPD mit einem Griff ins Klo. Es kann nur besser werden. Ein Kommentar.
Olaf Scholz war wohl der unauffälligste Kanzler, den Deutschland je hatte. Monatelang fragte ich mich regelmäßig: »Wo ist der eigentlich?«
Nun prangt er prominent auf einem Wahlplakat, veröffentlicht im Netz. Es ist das erste der SPD für den kommenden Wahlkampf hierzulande, und mir fällt dazu nur ein einziges Wort ein: »cringe«.
Das Jugendwort meint ein spontanes Fremdschämen – und trifft es genau.
Scholz steht vor einer Deutschlandfarben-Kulisse: Schwarz, Rot und Gold. Dahinter sieht man ein Flugzeug mit rotem Teppich auf der Gangway. In weißer Schrift prangt in der Mitte: »Wir kämpfen für dich und Deutschland.«

Und ich bin nicht allein. Auf sozialen Medien ist die Meinung kritisch, etwa auf
- »Wie wär’s mit irgendwelchen Inhalten?«
- »Richtiger Quatsch.«
- »Mein Gott, merken die noch was?«
- »Wenn das die Kampagne wird, hänge ich kein einziges Plakat auf.«
- »Jetzt martiale Rhetorik zum schlechtesten Zeitpunkt. Pathetic!«
Es sind nicht nur Onlinetrolle, sondern auch viele SPD-Mitglieder, die die Kritik vorbringen. Das Social-Media-Team der SPD reagiert mit einer
Schauen wir uns mal genauer an, warum das so aber nicht funktioniert und eher »cringe« ist.
National-Symbolik wirkt zum Fremdschämen
Das Wahlplakat von Olaf Scholz ist Teil einer größeren Kampagne. Auch Boris Pistorius, Svenja Schulze und Karl Lauterbach präsentieren sich im Rahmen der »Wir kämpfen für«-Kampagne vor Deutschlandfarben.
Nicht wenige Kommentator:innen finden das unpassend. Wieso eigentlich?
Die Antwort ist: Weil vielen Deutschen die eigene Flagge irgendwie unangenehm ist. Der Präsident der Stiftung Haus der Geschichte, Harald Biermann, brachte das schon 2021 auf den Punkt: »Es gibt kaum ein anderes Land, in dem die Beziehung der Bürger zur eigenen Fahne so kompliziert ist wie in
Woher kommt die Deutschlandflagge?
Die Nationalfarben tauchen zum ersten Mal in den Befreiungskriegen (1813–1815) gegen Napoleon auf: Sie wurden von den Lützowschen Freikorps, einem Freiwilligenverband der preußischen Armee, als Uniformfarbe verwandt. Sie wurden dann in der Nationalversammlung zu den Farben des Deutschen Bundes und später in der Weimarer Republik zur Fahne der ersten deutschen Demokratie. Nach der Wiedervereinigung soll sie auch an die »friedliche Revolution« in der DDR erinnern.
Dass Menschen heute trotzdem »Unwohlsein« beim Anblick von Schwarz-Rot-Gold verspüren, ist kein Wunder. Denn Rechtsextreme versuchen seit langer Zeit, die Flagge für sich zu vereinnahmen. Bei Pegida ging es los, dann bei den Anticoronamaßnahmendemos – heute findet man sie überall bei der AfD. Und online kann man rechte Trolle treffsicher daran erkennen, dass sie Deutschlandflaggen im Profil haben.
Wir dürfen zugleich nicht vergessen, dass bei manchen aus unserer Gesellschaft der Anblick der Flagge sogar Angstgefühle hervorrufen kann. So erinnert sie auch daran, dass Veranstaltungen der Vielfalt, wie der Christopher Street Day, immer wieder von Rechtsextremen gestört werden, die Deutschlandflaggen schwenken und Drohungen aussprechen. Auch waschechte Faschisten, wie AfD-Politiker Björn Höcke, halten gern die Fahne hoch.
Das Problem dabei ist, dass unsere Politiker:innen den Rechtsextremen bei dieser dreisten Vereinnahmung freie Bahn lassen.
»Cringe« wirkt das Plakat also, weil es so scheint, als würden sich Politiker:innen nur im Wahlkampf wieder an die Flagge erinnern und plötzlich um die Symbole ringen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier forderte schon 2020:
Wenn sie das aber abseits des Wahlkampfes versäumen, ist es kein Wunder, dass es hier nicht klappt. Da hilft es auch nicht, dass der rote Streifen auf den Plakaten sichtbar vergrößert ist. Eine abgeänderte Fahne, um doch nicht zu viele Nationalgefühle auszulösen? Oder soll das nur die eigene Farbe plump prominenter machen?
Überzeugend ist das in jedem Fall nicht.

Gekämpft wird gerade an der Front
Wofür oder gegen wen kämpft die SPD eigentlich in der Kampagne? »Für dich und Deutschland«, steht bei Olaf Scholz. Doch was genau heißt das?
Ich denke bei »kämpfen« derzeit vor allem an die Ukraine. Denn – und das ist der Elefant im gedanklichen Raum dieser Bundestagswahl –
Und es klingt umso zynischer, wenn sie dies aus der Sicherheit eines Landes im Frieden tut. Wir »strengen uns an« für Deutschland hätte es ja auch getan.
So muss es sich in Kriegszeiten so lesen lassen, als möchte die SPD »für Sicherheit« gegenüber russischen Großreichsfantasien kämpfen. Nur so ergibt das Plakat von Boris Pistorius an Bord eines Armeefahrzeuges in Bundeswehrkleidung irgendwie Sinn – aber auch irgendwie nicht. Denn Deutschland kämpft höchstens an der Seite der EU oder der NATO, egal was deutsche Politiker bekunden.
Auch der Abgleich mit der Realität ist »cringe«.
Aber sehen wir mal über diese martialische und aktuell maximal unpassende Sprache hinweg. Wofür »kämpft« die SPD dann?

Markige Sprüche sind nicht das, was Leute wirklich brauchen
Die auf den Plakaten der Kampagne beworbenen SPD-Slogans »für deinen Arbeitsplatz«, »für deine Gesundheit« oder »für deine Freiheit« sind maximal vage.
Wofür die SPD wirklich kämpfen könnte,
Ein kurzer Seitenblick auf den gerade veröffentlichten Slogan des CDU-Wahlkampfes zeigt nicht viel Besseres.

»Cringe« wirken diese ganzen Worthülsen deshalb, weil sie so wenig ausdrücken und damit auch nicht die Menschen ansprechen können. Politische Botschaften werden zu durchdesignten Wortassoziationsspielchen aus der Feder einer Marketingagentur. Doch genau das macht es einfacher für diejenigen, die Politiker:innen eh vorwerfen, zu schwafeln, zu blenden und für nichts mehr zu stehen. Dass die SPD-Kampagne so wirkt, als könnte das abgebildete Personal problemlos mit Personen der AfD ausgetauscht werden und trotzdem funktionieren, ist dabei besonders ironisch – und sollte aufhorchen lassen.

Schräge Bilder zur falschen Zeit
Doch noch etwas anderes ist »cringe« an der Darstellung, wie Mehmed König, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Akzeptanz und Gleichstellung (SPDqueer) in der SPD, auf den Punkt bringt:
Um ehrlich zu sein hoffe ich, dass diese Kampagne bald endet. […] Der Fokus auf eine ›inszenierte Stärke‹, dargestellt durch drei (weiße) Männer und eine Frau, die wieder einmal die klassische Rolle ›Familienkämpferin‹ einnehmen muss (Why?), fühlt sich nicht nur altbacken, sondern auch entfremdend an. Diese Art von Botschaft vermittelt ein Bild, das unserer vielfältigen und modernen Gesellschaft nicht gerecht wird.
Recht hat er damit. Denn die Plakate der SPD stehen auch symbolisch für ein Anbiedern an alte und überwunden geglaubte Gesellschaftsbilder. Es wirkt fast so, als wäre die Lehre der Partei aus den AfD-Erfolgen dieses Jahr, »stark und kämpferisch« wirken zu wollen und Ängste und Sorgen der Deutschen zu bedienen: »Sicherheit, Arbeit, Freiheit«.
An dieser Stelle darf man auch fragen, warum hier überhaupt vor allem Ängste beschworen werden. Kein Mut zu Visionen und Verbesserungen? Kein Funke Optimismus? Was ist aus »Für ein Land, in dem wir gut und gerne leben« geworden?
Ach, der Slogan war damals ja eh von der CDU.
Stattdessen schlägt die neue Wahlwerbung der SPD in eine Kerbe, die wir auch während der vergangenen US-Wahl bei den US-Demokrat:innen gesehen haben: Das Umwerben von eher konservativen Wählenden mit konservativen Worthülsen und dem vagen Versprechen eines »Weiter so«. Dass das in den USA nicht gut ausgegangen ist, ist kein Geheimnis.
Wenn Parteien nach rechts rücken – in ihren Maßnahmen und politischen Versprechen, aber auch in ihrer Darstellung und Rhetorik –, gewinnen sie nicht Menschen von rechts zurück.
Titelbild: picture alliance/dpa | Kay Nietfeld - copyright