»Ich bestrafe Egoisten.«
Meine Freunde sagen, ich solle mich lieber locker machen. Doch die Wissenschaft zeigt: Meine Methode wirkt.

Neulich stoppte ich auf dem Weg zum Supermarkt vor einem Hindernis – ein schwarzer Landrover parkte quer auf dem Fahrradweg. Direkt daneben ein Schild »Parkplätze hinter dem Gebäude«. Der Fahrer hatte sich offenbar dagegen und für den bequemen Weg in den nahen Laden entschieden.
»Verflixter Egoist!«
Nicht dass
Egoisten gibt es überall. Sie kochen im Büro keinen Kaffee nach, verkaufen unseren Kindern Zigaretten und führen aus Habgier Kriege. Wie aber sollen wir mit egoistischem Verhalten umgehen? Im Wettbewerb um die ältesten Fragen der Menschheit besetzt diese einen Spitzenplatz. Einfach ignorieren, vorsichtig motivieren oder doch aktiv eingreifen? Dies ist meine unbequeme Antwort.
Meine Strategie gegen Egoisten: Bestrafen!

Gegen Egoisten bin ich für die Strategie »Bestrafen«. Falschparker bestrafe ich beispielsweise, indem ich ihnen diese kleinen, weiß-blauen Aufkleber auf die Scheibe klebe,
Manche meiner Freunde sind damit nicht einverstanden. Ich solle mich »doch mal locker machen«, außerdem »bringe das sowieso nichts.« Ich solle »lieber mit den Leuten reden.« Doch die
Stellen wir uns das eingangs beschriebene Szenario als Spiel vor: Der parkende Autofahrer sucht einen Parkplatz und hat 2 »Zugmöglichkeiten«. Er kann sich einen regulären Parkplatz weiter weg suchen und damit Zeit investieren, oder er kann sofort auf dem Radweg parken. Den Egoisten kümmern die Sorgen anderer per Definition nicht. Wenn für ihn der Vorteil des bequemen Parkens gegenüber dem Risiko eines Bußgeldes überwiegt – etwa weil er es für unwahrscheinlich hält oder die Kosten verschmerzen kann –, wird er falsch parken.
Der kleine, weiß-blaue Aufkleber erhöht also die »Kosten« für die Falschparker. Beim ersten Mal kann er damit natürlich nicht rechnen. Doch regelmäßig aufgeklebt, verstärkt der Aufkleber als erwartbare Konsequenz die Attraktivität der (von mir) gewünschten Zugmöglichkeit. Im besten Fall wird sich der egoistische Autofahrer in Zukunft einen regulären Parkplatz suchen.
Fairness hat dabei einen Wert. Und der ist testbar.

Diese Spiele locken den Egoisten in uns hervor
Wie sich Menschen mit 2 Wahlmöglichkeiten verhalten – egoistisch oder fair –, kann untersucht werden. Das ist die Aufgabe der experimentellen Spieltheorie. Sie testet, wie Menschen sich in verschiedenen Szenarien verhalten, etwa im sogenannten »Diktatorspiel«:
Im Diktatorspiel sitzen sich 2 Teilnehmer gegenüber, die sich nicht kennen. Sie erhalten einen bestimmten Geldbetrag (beispielsweise 100 Euro). Einer von ihnen wird zum »Geber«. Er hat nun 2 Möglichkeiten: Er kann alles für sich behalten oder einen Teil des Betrags an den anderen Teilnehmer abgeben.
Wären wir alle
Tatsächlich geben 22% der Teilnehmer die Hälfte des Geldbetrages ab. 36% der Geber behalten alles für sich. Andersherum gelesen heißt das allerdings auch, dass jeder Fünfte die Hälfte des Betrages weitergibt, obwohl er nicht müsste. Und »nur« etwa 1/3 behält alles für sich, obwohl das ohne Weiteres für alle möglich wäre.
Verändert man nun das Experiment, verändert sich auch das Ergebnis deutlich.
Im
Das Veto funktioniert dabei als Bestrafung. Der Empfänger hat keinen direkten Vorteil dadurch, kann aber
Bestrafung funktioniert also. Egoistische Falschparker müssten sich bessern, wenn die Klebepolizei unterwegs ist.
»Was egoistisch ist, ist eindeutig: Wenn jemand mehr nimmt, als er gibt.«
»Diktatorspiele« und »Ultimatumspiele« haben auch in den Wirtschaftswissenschaften Aufsehen erregt. Darum wurden sie auch hunderte Male in verschiedenen Varianten wiederholt. Dabei stellen sich einige interessante Details heraus:
- Kinder und
- Bei hohen Beträgen sinkt die Fairness: Für einige scheint Fairness einen Preis zu haben. Bei hohen Einsätzen im »Ultimatumspiel«, etwa im Gegenwert von 2 Monatsgehältern, lehnen weniger Empfänger die Angebote der Geber ab – ist ja auch klar, weil sie trotzdem spürbaren »Gewinn machen«. Allerdings lehnen selbst in diesem Fall die Hälfte der Spieler Angebote ab,
- Den meisten von uns ist Fairness wichtig: »Den Menschen« gibt es nicht. Manchen ist Fairness besonders wichtig, andere interessiert nur ihr Vorteil. Die Mehrheit hat aber eine »Ungerechtigkeitsaversion«. Denn Angebote, die unter 30% liegen, werden mehrheitlich abgelehnt. Damit ist die Rechtfertigung der Egoisten vom Tisch, der Mensch »sei nun mal ein Egoist«, ein »Homo Oeconomicus«. Eigennutz spielt eine Rolle, aber Fairness eben auch.
- Egoismus steckt an: Egoismus breitet sich aus,

Bestrafen wirkt – und beugt vor
Zurück zu meinem Parksünder. Dass er dort auf dem Fahrradweg steht und zur Minderheit der Egoisten gehört, verändert seine Umwelt. Der nächste Autofahrer etwa könnte denken: »Na gut, wenn der schon dort parkt, dann kann ich das auch. Warum sollte ausgerechnet ich mehr Zeit investieren?« Auch ich als Radfahrer habe so meine Gedanken: »Wenn der schon unfair auf meinem Radweg parkt, muss ich mich dann anständig verhalten? Oder fahre ich etwas rücksichtsloser über die nächste Straße?«
So können egoistische Handlungen zu einer ganzen Reihe
Zu Beginn der Studie waren die Teilnehmer gleichmäßig und zufällig auf 2 Gruppen verteilt. In der einen durfte bestraft werden, in der anderen nicht. Nach jeder Runde standen die Teilnehmer vor der Wahl, in die andere Gruppe zu wechseln. Logischerweise wollten die meisten zu Beginn in die »Nicht-Bestrafer-Gruppe«. Da sich aber in dieser Gruppe ständig die Egoisten durchsetzten, wechselten nach etwa 30 Runden alle Mitspieler in die Bestrafer-Gruppe – auch die Egoisten.
Nicht dass wir uns missverstehen
Es scheint also, als hätte ich recht und meine Freunde unrecht, wenn ich meinen fiesen Aufkleber verteile. Falschparker bestrafen macht die Welt besser. Aber …
Die Spieltheorie ist bloß in einer Testumgebung wirklich eindeutig. Denn dort werden die Dinge so vereinfacht, dass nur noch die für die Fragestellung als relevant definierten Faktoren übrigbleiben. So werden beispielsweise durch die Anonymität der Spieler die Einflüsse von Sympathie, Vorurteilen oder Freundschaft ausgeblendet.
In der realen Welt ist es aber komplizierter. Denn der Falschparker könnte beispielsweise dort parken, weil er fußkrank ist. Er muss vielleicht in der Nähe mit einem dringenden Anliegen zu einem Arzt und der nächste ordnungsgemäße Parkplatz ist zu weit weg – das würden wir kaum als egoistisch bezeichnen. Es gibt zahllose solcher Gründe.
Sie erklären das Verhalten des vermeintlichen Egoisten und relativieren die moralische Bewertung. Vielleicht ist der nahe Parkplatz auch besetzt und das Anliegen des Falschparkers ist dringend. »Sollen die paar Radfahrer das Auto halt umfahren, bevor ich 15 Minuten einen Parkplatz suche. Ich bin ja gleich wieder weg.«
Entscheidend dafür, ob etwas egoistisch ist oder nicht, ist der Deutungsrahmen – das
»Bestrafer sind ausdauernder als Egoisten.«
In vielen Fällen empfinden wir als egoistisch, was vom Gegenüber ganz anders gedacht war. Ich bin mir sicher, einige Falschparker empfinden meine Aufkleber als unnötige Aggression. Wenn denen Fairness wichtig ist, werden sie wiederum mich bestrafen wollen. Und so kommen wir ganz schnell schon in Teufels Küche:
»Bestrafer« sind dabei ausdauernder als Egoisten, denn sie sind bereit, für die Fairness zu bezahlen, während Egoisten aufhören, wenn ihnen eine Handlung unangenehm wird. Dabei kann sich die Intensität von »Schlag und Gegenschlag« weiter hochschaukeln. Das zeigt ein sozialpsychologisches Experiment:
Beim
Das ist auch das Risiko, wenn man Zettel auf die Windschutzscheiben von Autos klebt.

Bestrafen oder Reden? Du entscheidest!
Soll ich nun also Falschparker bestrafen? Leider ist die Antwort nicht eindeutig.
- Bestrafen! Ist der Grund einer Handlung tatsächlich reiner Egoismus, hilft Bestrafen – das zeigt die Spieltheorie. Das beugt einer Ausweitung des Egoismus vor.
- Reden! Beruht das scheinbar egoistische Verhalten auf einem Missverständnis, ist Bestrafen die falsche Lösung. Sie kann zu einer Eskalation des Bestrafens führen. Das trifft mich vielleicht nicht persönlich, aber die Welt wird dadurch jedenfalls nicht besser.
Eines ist jedenfalls klar: Um die Situation zu analysieren, muss ich versuchen, die andere Perspektive einzunehmen, und mir die anderen (und eigenen) Deutungsmuster bewusstmachen. Denn auch etwas bewusst nicht zu reflektieren, kann verborgener Egoismus sein – man spart sich die Mühe, bleibt lieber bei seinen ersten Annahmen.
Trotz der Gefahr, ab und an einen Unschuldigen zu erwischen, werde ich weiterkleben. In der Regel treffe ich damit nämlich die Richtigen – also diejenigen Egoisten, die es sich einfach machen und auf Kosten anderer parken. Manche merken durch das Bestrafen vielleicht erst, dass das Parken »auf unseren Wegen« andere wirklich stört.
Jetzt kommst du: Hältst du mein Vorgehen für richtig oder falsch?
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