In 10 Jahren reparierst du fast alles selbst. Und zwar so
Eine Visionsreise ins Deutschland des Jahres 2035.
Wir schreiben das Jahr 2035. Tom Hansing hat mich in seine offene Werkstadt im Berliner Umland eingeladen. Es ist ein sonniger, kalter Januartag. Der Feldweg knirscht bei jedem Schritt. Als ich am Ende des Ackers ankomme, sehe ich Hansing. Er steht vor der ehemaligen Scheune seines Hofes und unterhält sich mit seinen Nachbar:innen, die hier gemeinsam mit seiner Familie leben. Zusammen betreiben sie ein paar Äcker und halten die Werkstatt in Schuss. »Hallo Désiree! Schön, dass du hergefunden hast! Du hast ja eine ganz rote Nase«, empfängt mich Hansing herzlich.
Der studierte Soziologe arbeitet seit nunmehr 25 Jahren bei der anstiftung. Die
Der 59-Jährige stellt mir kurz seine Freund:innen vor. Danach fliehen wir in die Wärme der Scheune, die Hansing zu einer offenen Werkstatt umgebaut hat. Dort hängen Sägen, Äxte, Hämmer und Heckenscheren an der Wand. Auf dem Boden stehen Werkzeugkisten neben Kreissägen,
Über Tom Hansing
In diesem Artikel nimmt uns Tom Hansing mit auf die Reise seiner persönlichen Vision »Deutschland 2035«. Der Wahlberliner arbeitet seit 2010 bei der anstiftung. Von seinem Werkstattbüro im Erdgeschoss aus und von unterwegs berät und vernetzt er offene Werkstätten und Reparatur-Initiativen – und unterstützt sie bei ihrer Weiterentwicklung. In Berlin-Neukölln hat Hansing selbst eine offene Siebdruck-Werkstatt mitgegründet.
Obwohl es erst 10 Uhr morgens ist, ist die Werkstatt bereits gut besucht. Es wird gesägt, geredet, gehämmert und gewerkelt. »Was macht ihr da?«, fragt Hansing 2 Männer. »Wir reparieren ein Pferdefuhrwerk«, antwortet der eine. Wir beobachten ihre Arbeit ein wenig, dann gehen wir ein Stück weiter. Ich frage Hansing, ob sie sein Fuhrwerk reparieren. Er hält Pferde und Esel, mit denen er anstelle eines Traktors seinen Acker bewirtschaftet – weil es nachhaltiger ist und er Spaß daran hat, alte Traditionen und Handwerk wieder aufleben zu lassen.
»Nein!«, lacht er. »Ich kenne die Leute gar nicht und habe auch die Hälfte von dem, was sie erklärt haben, nicht verstanden.« Er denkt, dass sie Teil der Landwirtschaftsgruppe des Ortes sind und wegen der anstehenden Feldarbeiten eine Reparaturmöglichkeit in der Nähe gesucht haben.
Und dann kommen sie hierher? »Ja, genau. Das ist die Natur von offenen Werkstätten – alle Menschen dürfen sie benutzen.« Hansing vertraut den Menschen, er weiß, dass er nichts absperren muss und dass sie wissen, was sie tun.
Ich kenne das Konzept der offenen Werkstätten, bin aber doch verwundert darüber, wie unbeschwert Hansing mit den Themen Diebstahl und Sicherheit umgeht. Seitdem ich im Ausland lebe, habe ich nur am Rande mitbekommen, welche großen Fortschritte Deutschland in den vergangenen 10 Jahren hin zur Sharing Economy und Society gemacht hat, also einer Wirtschaft und Gesellschaft des Teilens.
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