Die Leistungsgesellschaft ist eine Illusion. So geht es anders
Egal ob Vermögen, Einkommen oder demokratische Teilhabe – Ungleichheit durchzieht unsere Gesellschaft. In seinem neuen Buch erklärt ein Ex-Millionär die Ursachen und zeigt Wege auf, wie es gerechter werden kann. Lies hier einen Auszug.
Warum lassen sich keine politischen Mehrheiten für ein faires Steuersystem und eine Umverteilung organisieren, obwohl das im Interesse einer großen Mehrheit der Menschen wäre?
Ich glaube, es liegt vor allem daran, dass viele Menschen Angst haben. Gerade bei Diskussionen zur Erbschaftsteuer fällt mir das immer wieder auf: Die meisten Menschen fürchten, man wolle ihnen etwas wegnehmen. Auch wenn jede sinnvolle Reform der Erbschaftsteuer so aussehen würde, dass nur die Reichsten mehr bezahlen müssten – alle anderen würden profitieren.
Aber auch unser Leistungsnarrativ spielt dabei eine Rolle. Wir rechtfertigen große Vermögen und hohe Einkommen mit der Leistung, die jemand erbracht hat – und da wäre es doch unfair, davon etwas wegzunehmen. Oder schlimmer: Vielleicht würde er oder sie dann in Zukunft keine Leistung mehr erbringen und wir alle müssten darunter leiden. Dass diese Argumentation problematisch ist, haben wir bereits am Anfang des Buches gesehen. Wir brauchen endlich eine ehrliche Debatte über Leistung. Eine, in der wir uns fragen, welche Leistungen wir als Gesellschaft wirklich brauchen – und welche vielleicht nicht so wichtig sind, wie es das Gehalt oder der Kontostand vermuten lassen.
Leistungsträger:innen in systemrelevanten Berufen
Spätestens in der Coronazeit wurde es offenbar: »Systemrelevante« Berufe sind fast ausnahmslos schlecht bezahlt. Ohne Kranken und Altenpfleger:innen, Kindergartenpersonal, Supermarktkassierer:innen wäre gar nichts gelaufen. Viele Menschen mit gut bezahlten Jobs saßen hingegen zu Hause und waren erstaunlich verzichtbar.
Sogenannte systemrelevante Berufe, also Berufsfelder wie in der Pflege, in der Gesundheitsvorsorge, in der Grundversorgung, bei Nahrungsmitteln, im öffentlichen Verkehr oder in der sozialen Arbeit, werden schlechter als der Durchschnitt bezahlt, erhalten weniger Wertschätzung und werden übrigens auch proportional sehr viel häufiger von Frauen gemacht.
Für einen kurzen Moment standen Fragen im Raum wie: Ist diese schlechte Bezahlung fair? Können wir unter diesen Umständen wirklich davon sprechen, dass Leistung in unserer Gesellschaft angemessen entlohnt wird? Sollten wir nicht lieber Abend für Abend für die Lufthansa klatschen und dafür dem Pflegepersonal im Krankenhaus mehr Geld zahlen? Auch jenseits von Corona ploppen solche Fragen immer mal wieder im öffentlichen Diskurs auf.
Meistens dann, wenn Manager:innen eines schlecht laufenden Unternehmens riesige Boni kassieren. Oder wenn diese Boni gar aus Steuergeldern kommen, wie im Falle der Bankenrettungen in der letzten Finanzkrise oder bei Unternehmen, die in der Coronakrise üppige Staatshilfen in Anspruch genommen haben – wie der Lufthansa. Dann geistert kurz die Frage durch die Gesellschaft, wie es sein kann, dass Menschen millionenschwere Gehälter und Bonuszahlungen einstecken, während andere kaum über die Runden kommen.
Eine weitergehende oder gar zielführende Diskussion darüber, welche Jobs in einer Gesellschaft eigentlich welchen Wert haben und ob sich der nicht im Gehalt niederschlagen müsste, bleibt aber stets aus. Schon gar nicht stellen wir uns die Frage, warum wir es eigentlich für eine Notwendigkeit, ja regelrecht für ein Naturgesetz halten, dass ein:e Investmentbanker:in ungleich besser verdient als eine Reinigungskraft. Und das, obwohl wir es vermutlich nicht einmal merken würden, wenn die Investmentbanker:innen in einen Streik träten – wohingegen schon ein einziger Tag, an dem die Müllabfuhr nicht kommt, ziemlich unangenehme Konsequenzen haben kann.
Mit Illustrationen von Frauke Berger für Perspective Daily