Das sind die Strategien der Rechten. So erkennst du sie und widersetzt dich
Wir können rechtspopulistische Strategien nur kontern, wenn wir sie kennen. Dieses Buch hilft dir dabei. Und es ist absolut kostenlos.
Wenn ich Menschen davon erzähle, dass ich mich mit rechtspopulistischen Strategien beschäftige, höre ich oft: Populismus gibt es doch überall!
Natürlich gibt es Populismus von vielen Seiten, auch von links – zu einer präzisen Definition, was ich unter Rechtspopulismus verstehe, komme ich noch. Solche Einwände sind meines Erachtens aber mehr als der blosse Verweis auf die Tatsache, dass es Populismus auf allen Seiten gibt. Sie stehen zugleich für eine verbreitete Abwehr dagegen, sich mit der Besonderheit und der spezifischen Gefahr rechtspopulistischen Agierens zu befassen. Ähnliches gilt für die oft ins Feld geführte Feststellung, Extremismus gebe es auf allen Seiten.
Ja, Extremismus ist – wenn man den gängigen Extremismusdefinitionen folgt! – nie gut. Darin sind wir uns vermutlich einig. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner, der aber einer vertieften Auseinandersetzung nicht im Weg stehen sollte. Ich halte eine solche Auseinandersetzung für wichtig. Denn wir können uns rechtspopulistischen Strategien nur widersetzen, wenn wir sie – zumindest ansatzweise – kennen.
Zum Beispiel sollten wir uns fragen, ob wir mit dem Argument, Extremismus gebe es überall, nicht bereits rechtspopulistische Rhetorik übernehmen. Nämlich die Behauptung, es ginge nicht um politische Inhalte, sondern lediglich um falsche oder richtige Stile. Erliegen wir damit nicht jener Vernebelungstaktik, die inhaltliche Stossrichtungen als einerlei erscheinen lässt, solange jemand bestimmte formale Grenzen – beispielsweise Gewaltverzicht oder demokratische Abläufe – einhält?
Und vor allem: Folgen wir damit nicht jener von RechtspopulistInnen erfolgreich etablierten Selbstdistanzierung von »den bösen Nazis«, die extremistische Elemente ganz generell nur an den Rändern der Gesellschaft, bei »gewaltbereiten Chaoten« vermutet, nicht aber in der Mitte der Gesellschaft?
Die Rhetorik der Rechten: Rechtspopulistische Diskursstrategien im Überblick

Das Buch erschien bereits 2018, hat aber auch 2024 nichts an Aktualität verloren. Mit Fokus auf den Aufstieg des Rechtspupulismus in der Schweiz analysiert es Strategien und zeigt am Ende Lösungen auf. Im Handel leider vergriffen, stellt die Autorin Franziska Schutzbach es uns allen hier kostenlos zum Download zur Verfügung. Gern weitersagen.
Bildquelle: Edition XanthippeRechtspopulismus und Rechtsextremismus haben Schnittmengen
Wir müssen uns fragen, ob die herkömmliche Abgrenzung zwischen Extremismus und Nichtextremismus wirklich so klar ist und inwiefern wir, um die aktuellen Entwicklungen fassen zu können, eher von fliessenden Übergängen und Überschneidungen zwischen extremen und nicht extremen rechten Positionen ausgehen sollten. Überschneidungen, die gerade vom Rechtspopulismus geschickt unterschlagen und unsichtbar gemacht werden, und der sich auf diese Weise gesellschaftsfähig macht.
Im September 2018 sagte der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland in einer Bundestagsrede, dass es sich bei den Hitlergruss-Zeigern in Chemnitz nur um ein paar Idioten handle. Das Bild der »tumben Nazis« wird von RechtspopulistInnen gern beschworen, um sich von ihnen abzugrenzen und sich dadurch als vernünftige rechte Alternative zu präsentieren. In der Forschung hat man festgestellt, dass die Abgrenzung vom Rechtsextremismus eine zentrale rechtspopulistische Diskursstrategie ist. Man stützt sich dabei häufig auf fragwürdige Extremismustheorien, wonach eine Position dann – und nur dann – extrem ist, wenn sie offen systemfeindlich ist, das heisst, wenn sie sich direkt gegen die demokratische Verfassung stellt.
Diese Theorien beinhalten die Vorstellung, dass, wer sich an Recht, Gesetz und formaldemokratische Abläufe hält, keine extremen Positionen vertreten kann, noch nicht einmal Positionen mit extremen Elementen. Ferner wird daraus abgeleitet, dass die scheinbar nicht extremen Weltanschauungen rechtspopulistischer AkteurInnen automatisch demokratisch legitim sind.
Tatsächlich formuliert rechtspopulistische Rhetorik die Dinge oft so, dass sie sich noch innerhalb eines akzeptierten (rechtlichen) Rahmens bewegt. Im Vergleich zum klassischen Rechtsextremismus positioniert Rechtspopulismus sich nicht explizit antidemokratisch. Vielmehr wird sogar beansprucht, die wahre Demokratie zu vertreten – schliesslich beruft man sich bei jeder Gelegenheit auf den sogenannten Volkswillen und auf Elemente der liberalen Demokratie wie Meinungsfreiheit, Mitbestimmung und Selbstbestimmung. Ermöglicht werden dadurch Querverbindungen in die bürgerliche Mitte und die Andockung an den gesellschaftlichen Mainstream. Das ist auch der Grund, weshalb rechtspopulistische Rhetorik bei Weitem nicht nur von Rechten verwendet wird, sondern auch im liberalen, konservativen und selbst linken Milieu zum Einsatz kommt.
Rechtspopulismus präsentiert sich mit seinem andauernden Verweis auf liberale Werte als »normale Meinung«, als Beitrag zum Meinungspluralismus. Bei genauer Betrachtung werden die liberalen Werte aber ihrer Substanz beraubt und verkommen zum blossen Bekenntnis. Man gibt vor, die wahre Demokratie zu verteidigen, gleichzeitig wird ebendiese liberale Demokratie attackiert, indem man sich gegen Pluralismus, Menschenrechte, Minderheitenschutz oder Verfassungsaufträge wendet. Kurzum: Das dauernde Reklamieren von Demokratie und Meinungsfreiheit macht es durch die Hintertür möglich, auch innerhalb formaldemokratischer Regeln relativ extreme Positionen zu vertreten und letztlich Demokratie zu unterminieren.
Zahlreiche rechtspopulistische AkteurInnen und Parteien haben ihre extremistischen Elemente in den vergangenen Jahren jedoch erfolgreich verwischt. Der französische Front National, der belgische Vlaams Blok und die Schwedendemokraten, die früher die Schwelle zur offenen Systemfeindlichkeit klar überschritten, haben den harten Extremismus strategisch zurückgedrängt und bemühen sich um ein gemässigteres Erscheinungsbild. Sie wollen damit eine breitere WählerInnenbasis erreichen. Marine Le Pen hat diese Strategie »Entdiabolisierung« genannt.
Mit Blick auf den Erfolg der Niederländer Pim Fortuyn und Geert Wilders oder auch auf die Schweizerische Volkspartei (SVP) oder die Alternative für Deutschland (AfD) liegt die Vermutung nahe, dass der Rechtspopulismus umso erfolgreicher ist, je weiter er sich selbst in der Mitte verortet und je bürgerlicher er sich in seinem Auftreten gibt. Gleichzeitig muss er aber auch die Narration der Opposition aufrechterhalten, nämlich die Geschichte von den »einfachen Leuten« gegen »die Eliten dort oben«. Diesen Spagat beherrscht die SVP besonders gut. Wie der Historiker Damir Skenderovic ausarbeitet, verdankt sie ihren Aufstieg einerseits der Hinwendung zum Populismus, gleichzeitig basiert ihr Erfolg darauf, sich weiterhin als bürgerliche Traditionspartei zu positionieren.

Viele Medien geben Rechtspopulismus eine Bühne
Insgesamt lässt sich festhalten, dass rechtspopulistische Rhetorik politische Positionen veruneindeutigt und sich damit unangreifbar macht. Dadurch schafft sie es, sich im gesellschaftlichen Mainstream zu etablieren – nicht zuletzt auch in den Medien. Medien haben in den vergangenen Jahren rechtspopulistische Rhetorik oft unreflektiert übernommen, indem sie etwa deren Themensetzungen, Framings und Begriffe benutzen (»Asyltourismus«, »Flüchtlingsfluten« usw.) oder rechtspopulistische Äusserungen zwar skandalisieren und kritisch kommentieren, ihnen damit aber auch eine Bühne, Bedeutung und Legitimität geben und sie also letztlich in den Kanon der zu diskutierenden Meinungen aufnehmen.
So wichtig und angebracht Empörung angesichts rechter Hetze ist, so sehr muss klar sein, dass diese Empörung und Skepsis von RechtspopulistInnen einkalkuliert wird. Es ist ihr Kalkül, dass empört über ihre Provokationen berichtet wird. Und sie sich dann wieder als Opfer von »Tugendterror« präsentieren können. Nicht selten stellen sich besonders Boulevardmedien sogar offen hinter die Ansichten und Forderungen rechtspopulistischer PolitikerInnen. Letztlich ist – auch darauf setzen RechtspopulistInnen – das Aufkommen rechtspopulistischer Formationen für Medien durchaus attraktiv. Die damit einhergehende Errichtung einer permanenten, oft stark personalisierten Konfliktstruktur im politischen Feld liefert ihnen fortwährend Stoff für die Berichterstattung und bringt nicht zuletzt Auflage, Klicks und Einschaltquoten.
Die massenmediale Öffentlichkeit ist, wie der Sozialwissenschaftler Oliver Geden ausführt, eine der wesentlichen Voraussetzungen für RechtspopulistInnen, um sich dauerhaft als AkteurInnen im politischen Feld zu etablieren (dazu gehören auch bestimmte kommunikationstechnologische Vorgehensweisen im Internet, Propagandamittel, die Etablierung eigener Medien, die manipulative Nutzung der sozialen Medien usw.). Gerade für NeueinsteigerInnen ist es dabei nicht einmal entscheidend, dass sie in den Medien durchweg positiv dargestellt werden: »Weitaus wichtiger ist es, überhaupt von den Medien beachtet zu werden. Denn dies zwingt sowohl die etablierten Parteien als auch zivilgesellschaftliche AkteurInnen, gegenüber dem Rechtspopulismus Position zu beziehen. Für die weiteren Erfolgsaussichten rechtspopulistischer Parteien kann es in der Frühphase ihres Aufstiegs sogar günstig sein, aufgrund der eingesetzten Mittel und vertretenen Positionen regelmässig zum Objekt moralischer Empörung zu werden.«
Eine Empfehlung von Dirk Walbrühl

Österreich, Frankreich, USA: Es ist mehr als 5 vor 12. Auch hierzulande reißen Parteien die Brandmauer ein und heißen Rechtspopulismus willkommen. Dieses Buch ist eine wertvolle Anleitung für genau jetzt: ein Handbuch für alle, die den Weidels, Trumps und Co. nicht auf den Leim gehen und unsere Demokratie verteidigen wollen.
Bildquelle: Perspective DailyDarüber hinaus schmälert es die Chancen von RechtspopulistInnen keineswegs, wenn sie wegen ihres teilweise unprofessionellen Auftretens zur Zielscheibe spöttischer Herabsetzung werden. Vielmehr kann dadurch, wie Geden weiter ausführt, die Konfliktlinie zwischen den »kleinen Leuten« und »denen da oben« betont werden. Die Dramatisierung dieser Konfliktlinie ist ein wichtiges Fundament des Rechtspopulismus. Sie macht es möglich, dass RechtspopulistInnen sich als Ausgegrenzte positionieren und postulieren können, die Probleme der sogenannten kleinen Leute besonders authentisch zu vertreten – auch dann, wenn sie ihr Handeln in Wahrheit kaum auf Realpolitik, sondern vor allem darauf ausrichten, Wahlerfolge zu erzielen und Positionen im Staatsapparat zu besetzen.
Weiter beruht der rechtspopulistische Erfolg darauf, dass es den AkteurInnen häufig gelingt, die gegen sie gerichtete Kritik bruchlos in die eigene Weltdeutung zu integrieren und in ihrem Sinn zu nutzen. Ein Beispiel: Die Kritik, RechtspopulistInnen würden eine nationalistische und rassistische Politik der Abschottung betreiben, werten diese als Zensur, nicht über Migrationsprobleme sprechen zu dürfen. Überhaupt wird sämtliche Kritik oder Zurückweisung sofort als Beweis für Tabus und Meinungsterror seitens des angeblich herrschenden Establishments – dazu werden oft auch Medien gezählt – gedeutet und in eine Rhetorik der »Selbstveropferung« eingewoben.
Das führt dazu, dass Medien, um dem Vorwurf der »Tabuisierung« zu entgehen und ihr eigenes liberal-demokratisches Ideal der Meinungsfreiheit hochzuhalten, RechtspopulistInnen beständig einladen und befragen oder selbst rechtspopulistische Rhetorik übernehmen. Mit dem Effekt, dass Hass, Ressentiments, Vorurteile, die Verteufelung von Menschenrechten und Minderheitenschutz, falsche Fakten, Verzerrungen und vieles mehr verbreitet werden und nach und nach zum normalen liberalen Meinungsspektrum zählen.
Ist Rechtspopulismus erst einmal Teil des medialen Mainstreams, können Kritik, Zurückweisung, Boykotte, Ausladungen und so weiter umso selbstbewusster und erfolgreicher als Meinungsverbot inszeniert werden. Jene, die rechtspopulistische Inhalte und Vorgehensweisen ablehnen, gelten nun als Feinde der Meinungsvielfalt. Jene, die daran zweifeln, ob es eine gute Idee ist, ergebnisoffen über menschenverachtende Positionen und falsche Behauptungen zu »debattieren«, und die bezweifeln, ob es gelingen kann, das Schüren von Ressentiments mit »besseren Argumenten« zu entkräften, werden zu FeindInnen der Demokratie erklärt, während RechtspopulistInnen als Opfer erscheinen. Dieses Schema wird auch von liberalen AkteurInnen mitgetragen und bedient. Auch von dieser Seite hört man immer öfter, dass man rechtspopulistische Positionen ergebnisoffen diskutieren müsse. Solche Plädoyers klammern jedoch die Frage aus, wohin menschenverachtende Positionen und deren Verbreitung in der Konsequenz führen können und aus welchen normativen Gründen es besser sein könnte, wenn sie nicht Teil des akzeptierten öffentlichen Diskurses werden.
Meine Hoffnung ist es, mit dieser Übersicht ein Werkzeug zur Verfügung zu stellen, mit dem rechtspopulistische Rhetorik besser erkannt und durchschaut werden kann. Dass der Einfluss des Rechtspopulismus zunimmt, hat auch damit zu tun, dass das Phänomen bisher nur unzureichend verstanden wurde. Die Kenntnisse rechtspopulistischer Strategien sind jedoch eine wichtige Voraussetzung dafür, sich ihnen politisch, zivilgesellschaftlich und medial zu widersetzen, Rechtspopulismus zurückzudrängen und sich nicht zuletzt auch mit der eigenen Verführbarkeit auseinanderzusetzen.
Die Frage, wie man sich wehren soll, ist komplex und stellt sich in unterschiedlichen Ländern und Feldern – Politik, Medien, Wissenschaft, Zivilgesellschaft, im Privaten – sehr unterschiedlich. Es gibt keine allgemeingültigen Rezepte, je nach Situation muss immer wieder neu überlegt werden. Dennoch habe ich einige unvollständige Überlegungen zu Gegenstrategien zusammengetragen. […]

Schritt 1: Wir können es uns nicht leisten, pessimistisch zu sein
Wolf Biermann textete 1968 in seinem Song »Ermutigung«: »Du, lass dich nicht verhärten / in dieser harten Zeit. / Die all zu hart sind, brechen, / die all zu spitz sind, stechen / und brechen ab sogleich.«
Der Song endet mit dem Aufruf, sich nicht »verbittern« und nicht »verbrauchen« zu lassen und nicht die Heiterkeit zu verlieren. Es ist ein Appell, sich nicht im eigenen Unglück einzurichten, weil man sich sonst lähmen lässt, und das sei genau das, was die »Herrschenden« wollten.
Ich habe vor einiger Zeit Etty Hillesums Tagebuch, Das denkende Herz der Baracke, gelesen sowie Sebastian Haffners Geschichte eines Deutschen: Erinnerungen 1914–1933. Beide Bücher handeln aus unterschiedlicher Perspektive von der Frage, was es bedeutet, mit reaktionären Kräften konfrontiert zu sein und sich ihnen zu widersetzen. Beide haben ihre Gedanken in der Zeit vor und während der Machtergreifung der Nazis in Deutschland aufgeschrieben. Beide trieb die Frage um: Was tun, wenn die Nazis an die Macht kommen? Wir können die damalige Situation nicht mit der heutigen vergleichen. Wir haben nicht 1933 und auch nicht 1929.
Aber ich glaube dennoch, dass wir von den beiden etwas lernen können.
Etty Hillesum war eine niederländische Jüdin. Sie wurde im Alter von 29 Jahren in Auschwitz ermordet. Sie war Lehrerin, in den Jahren vor ihrem Tod studierte sie und schrieb. Ihr posthum veröffentlichtes Tagebuch wurde ein Welterfolg. Es handelt davon, wie ein Mensch unter den widrigsten Umständen nicht aufgibt – nicht sich und nicht die anderen. Es handelt von der Möglichkeit eines inneren Widerstandes, einer inneren Unabhängigkeit und Integrität – bis zuletzt. Dieser Widerstand bedeutet zuallererst, wie Hillesum schreibt, nicht zu hassen – auch nicht die Unterdrücker. Denn sich dem Hass hinzugeben, bedeute, sich mit den Unterdrückern gemein und dem »Bösen« gleich zu machen.
Ein Jahr vor ihrer Ermordung schreibt sie: »Und sollte es nur noch einen einzigen anständigen Deutschen geben, dann wäre dieser es wert, in Schutz genommen zu werden gegen die ganze barbarische Horde, und um dieses einen anständigen Deutschen willen dürfte man seinen Hass nicht über ein ganzes Volk ausgiessen. Das heisst nicht, dass man gegenüber gewissen Strömungen gleichgültig ist, man nimmt Stellung, entrüstet sich zu gegebener Zeit über gewisse Dinge, man versucht Einsicht zu gewinnen, aber das Schlimmste von allem ist der undifferenzierte Hass. Er ist eine Krankheit der Seele. Sollte ich in dieser Zeit dahin gelangen, dass ich wirklich zu hassen anfange, dann wäre ich in meiner Seele verwundet und müsste danach streben, so rasch wie möglich Genesung zu finden. Der Hass gegen die Deutschen vergiftet unser eigenes Gemüt. Das ist deren wahrer Sieg.«
Während Hillesum aus der Perspektive der Verfolgten schreibt, zeigen Sebastian Haffners Tagebücher die Sicht eines nicht jüdischen jungen Deutschen, eines Jurastudenten aus dem liberal-bürgerlichen Milieu in Berlin kurz vor der Machtergreifung der Nazis. Haffner zeichnet ein genaues Psychogramm seines Umfelds: Wie reagieren die Leute? Wer kollabiert, wer verzweifelt? Interessant ist seine Beschreibung einer sich ausbreitenden Untergangsstimmung in liberalen und linken Kreisen. Haffner beschönigt nichts, kritisiert die Naiven und Schönredner, die Ahnungslosen oder jene, die sich ins Private zurückziehen. Gleichwohl kritisiert er aber auch den »schrankenlosen Pessimismus« vieler Zeitgenossen in jener Vorphase des Nationalsozialismus. Haffner schätzt die Verbitterung als eine typisch bürgerliche Versuchung ein: »Wie völlig hilflos wir geistig waren, mit all unserer bürgerlichen Bildung, vor diesem Vorgang, der in allem, was wir gelernt hatten, einfach nicht vorkam!«
Aufzugeben erschien deshalb als eine verlockende Option, die sich bei vielen in Form eines alles umfassenden Pessimismus zeigte. Man begegnete sich und der Welt mit einer »erschlafften Gleichgültigkeit«, einer masochistischen Bereitwilligkeit, sich »dem Teufel«, wie Haffner schreibt, einfach zu überlassen. Haffner nennt es einen »trotzigen Selbstmord«, der sehr heroisch aussieht, denn »man weist jeden Trost von sich«. Gleichzeitig übersehen diese Leute, so Haffner, dass gerade in dieser Haltung der giftigste, gefährlichste und lasterhafteste Trost liegt. Folgt man Haffner, strotzte das Bürgertum von dieser perversen »Wollust der Selbstaufgabe«, einer »wagnerianischen Todes- und Untergangsgeilheit«, denn diese bot Zuflucht. Diese Leute gingen herum und »greuelten«: »Das Entsetzliche ist die unentbehrliche Grundlage ihres Geistes geworden; das einzige, düstere Vergnügen, das ihnen geblieben ist, ist die schwelgerische Ausmalung der Furchtbarkeiten. Vielen von ihnen würde etwas fehlen, wenn sie dies nicht mehr hätten, und bei manchen hat sich die pessimistische Verzweiflung geradezu in eine Art Behaglichkeit umgesetzt.«
Ein schmaler Seitenweg führt Haffner zufolge von dieser melancholischen Behaglichkeit direkt zum Nazitum: Wenn doch schon alles egal, alles verloren, alles des Teufels ist, warum dann nicht sich selbst zu den Teufeln schlagen? Haffner vermutet im Pessimismus letztlich Kollaboration. Wenn alles schlimm ist, dann ist es egal, wie man sich politisch noch verhält.
Heute lässt sich beobachten, dass der besserwisserische und letztlich apolitische Dogmatismus ein naher Verwandter der von Haffner beschriebenen Untergangsstimmung ist. Angesichts der erschreckenden Tendenzen entwickeln manche Menschen eine Art Arroganz der Besserwisserei, und zwar im folgenden Sinne: »Wenn die doofe Welt nicht so toll und richtig links, liberal, grün, revolutionär und feministisch ist, wie ich mir das vorstelle, dann geht sie mich nichts mehr an. Dann ziehe ich mich zurück auf die Wahrheit, die ich für die Welt vorsehe. Und ich wähle nicht mehr oder tue auch sonst nichts.«
Mit Illustrationen von Claudia Wieczorek für Perspective Daily