»Vielleicht sind viele auch einfach erschöpft und haben keinen Bock mehr«
Unser Mitglied Anna arbeitete Jahre in einem sehr gut bezahlten Job – bis sie nicht mehr konnte. Inzwischen hat sie einen neuen Sinn gefunden, nicht nur im Beruf.
Nur hin und wieder sind gedämpfte Schritte auf dem Flur vor der Büroküche zu hören, etwas entfernt das Gemurmel ihrer Kolleg:innen. Ansonsten ist dieser Ort für eine Großstadt überraschend still. Kein Verkehrslärm dringt bis in das Gebäude in einem Münchner Hinterhof durch. Die Ruhe überträgt sich automatisch auf mich selbst. Vielleicht liegt es aber auch an der Ausstrahlung von
Anna ist seit 2017 Mitglied bei Perspective Daily und hat sich auf den Aufruf für unser Couchsurfing gemeldet. »Ich will anderen zeigen, dass sie nicht in der ›Leistungsmühle‹ stecken bleiben müssen. Ihnen Mut machen, auszubrechen – auch wenn die Gesellschaft ein anderes Gefühl vermittelt«, erzählte sie bei unserem ersten Telefonat.
Das Perspective-Daily-Couchsurfing

Gesundheit, Rechtsruck, Wirtschaft? Wir haben gefragt, welche Probleme dich an deinem Wohnort betreffen – und welche Lösungen du dafür gefunden hast. Uns haben viele spannende Einsendungen erreicht. Also haben wir uns auf die Reise durch die Perspective-Daily-Republik gemacht und auch mal auf euren Couchen übernachtet. In unserer Reihe liest du von diesen Begegnungen.
Bildquelle: Perspective DailyMit dem Gefühl, immer leisten zu müssen und über die eigenen Grenzen hinwegzugehen, war sie bestens vertraut. Bis sie vor wenigen Jahren einfach nicht mehr konnte und eine Kehrtwende hinlegte – nicht nur, aber auch in ihrem beruflichen Leben.
Ich fahre Mitte Februar also nach München, um mit ihr über ihre Suche nach Sinn zu sprechen und darüber, wie sich mit der Zeit verändert hat, was das Wort »Leistung« für sie überhaupt bedeutet.
»Leiste was, dann biste was« – ein Spruch prägt eine Generation
Wir sitzen mit einer Tasse Filterkaffee in der Küche des ambulanten Kinderhospizes, bei dem Anna seit Mai letzten Jahres in der IT-Abteilung arbeitet. Das warme Lächeln legt sich nicht nur in kleinen Fältchen um ihre Augen, sondern auch in ihre Stimme. Als sie von ihrer Kindheit erzählt, davon, wie sie aufgewachsen ist, und von ihrem beruflichen Weg, wird schnell klar: Sowohl Leistung als auch Sinn tauchen schon früh als Motive in ihrem Leben auf; ziehen sich wie zu einem untrennbaren Garn versponnen durch ihr Leben.
Ihre Eltern, besonders ihr Vater, hätten sie mit Blick auf den Leistungsgedanken stark geprägt. Das sei ihr rückblickend immer klarer geworden. Dabei habe er nie explizit etwas von ihr und ihren Brüdern gefordert. »Er hat es einfach vorgelebt«, sagt Anna.
Ihr Vater arbeitete in der Hotelbranche, machte in Europa und den USA Karriere. In England lernte er Annas Mutter, eine Industriekauffrau, kennen. Gemeinsam gingen die beiden für ein paar Jahre in die USA, wo sie auch heirateten. »Diese typische Erzählung des amerikanischen Traums, die er dort mitbekam, hat meinen Vater sehr beeindruckt. Der Gedanke, sich mit nur genügend Mühe und Arbeit alles erarbeiten zu können, fand er inspirierend«, meint Anna.
Titelbild: Collage Maria Stich | Claudia Wieczorek - copyright